FURTHER RESEARCH IS NEEDED

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

Von Karl Popper stammt die paradox anmutende erkenntnistheoretische Feststellung, dass mit dem Maß an Wissen immer auch die Menge des Nichtwissens zunimmt. Tatsächlich bringt dies die wachsende Komplexität der Erkenntnis darüber, was die Welt "in ihrem Innersten zusammenhält", aber wohl einfach so mit sich. Warum sonst enden alle wissenschaftlichen Abhandlungen und Vorträge mit dem Vermerk "Further research is needed"?

Besonders gut unterfüttert wird Poppers Hypothese dieser Tage nicht zuletzt von den Entwicklungen rund um die wohl größte Zukunftsaufgabe der Menschheit, dem Kampf gegen den Klimawandel: Einerseits besteht unter Wissenschaftlern längst kein Zweifel mehr daran, dass wir unsere Beziehung zum Planet Erde schleunigst und radikal ändern müssen. Andererseits droht sich in den ausufernden Debatten über nachhaltiges Produzieren, Investieren und Finanzieren, über Glaubwürdigkeit und Greenwashing ausgerechnet hinsichtlich einer ganz entscheidenden Frage zunehmend Nichtwissen breitzumachen: Woher wissen wir eigentlich, welcher Weg der richtige ist?

Beispiel EU-Taxonomie: Die ifo-Professoren Clemens Fuest und Volker Meier haben dazu jüngst eine Untersuchung angestellt, die doch tatsächlich zeigt, dass Emissionshandelsrechte bei einer sachgerechten Gestaltung das weitaus bessere Instrument zur Senkung von Treibhausgasemissionen sind als staatliche Kapitallenkungsinstrumente wie die Taxonomie. Und nicht nur das: Unter bestimmten Bedingungen könne es in dem Land, das die Taxonomie einführt, gar zu höheren Treibhausgasemissionen kommen. Natürlich wird die EU-Kommission dieses kolossale Projekt deshalb nicht begraben. Es stände ihr aber gut zu Gesicht, solche Botschaften als Anlass für Demut beim weiteren Vorgehen zu nehmen. Denn es sei daran erinnert, dass, obwohl die Taxonomie seit 1. Januar 2022 gültig ist, bis heute noch längst nicht alle Inhalte vorliegen. Nur für ausgewählte Sektoren wurden bislang Kriterien für die ersten zwei Umweltziele der EU ("Klimaschutz" und "Anpassung an den Klimawandel") verabschiedet.

Die über allem thronende Definition, wonach eine Wirtschaftsaktivität dann Taxonomie-konform ist, wenn sie "einen wesentlichen Beitrag zu einem der Umweltziele leistet", dabei aber "keine der anderen Umweltziele beeinträchtigt (Do no significant harm)", ist also noch nicht wirklich aussagekräftig. Entsprechend groß ist die Unsicherheit in der Wirtschaft, was sich die Verantwortlichen in Brüssel da in den kommenden Monaten noch so alles einfallen lassen. Bis Januar 2023 sollen die vier noch fehlenden Umweltziele jedenfalls verbindlich klassifiziert werden. Konkrete Vorschläge der Platform on Sustainable Finance liegen indes bereits vor, und gerade mit Blick auf Umweltziel 4 "Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft" droht der Immobilienbranche durchaus Ungemach. "The asset comprises at least 50 percent from a combination of re-used components, recycled content, or responsiblysourced renewable materials", heißt es darin an einer Stelle. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Nach dem Willen der europäischen Politik soll eine Immobilie also bereits in wenigen Jahren zu mindestens 50 Prozent aus recycelten Materialien errichtet werden.

Keine Frage: Das ist eine grundsätzlich sinnvolle Vision. Mit rund 51,7 Milliarden Tonnen Baumaterialien ist der 22 Millionen Gebäude umfassende Bestand Deutschlands unser größtes Rohstofflager. Würden diese Materialien beim Abriss konsequent wiederverwendet, wäre der jährliche Bedarf an Rohstoffen deutlich geringer, was nicht zuletzt mit Blick auf die durch Krieg und Pandemie immer knapper und teurer werdenden Baumaterialien ein riesiger Vorteil wäre. Doch leider ist diese Vision zugleich auch ziemlich utopisch. Denn die zur Etablierung einer "Circular Economy" notwendigen Voraussetzungen sind gerade in Deutschland nicht ansatzweiße geschaffen. Man denke nur an die kühne Vision eines digitalen Gebäuderessourcenpasses, der allen Akteuren sämtliche relevante Daten und Informationen (Energieausweise, Nachhaltigkeitszertifizierungssysteme, CO2-Fußabdruck, Anteil Sekundärmaterial et cetera) jederzeit und überall abrufbar zur Verfügung stellt. Und das am besten noch cloudbasiert!

Nicht nur wäre die Bereitstellung an sich bereits herausfordernd genug (im Gegensatz zu vielen anderen EU-Staaten fehlt es hierzulande etwa noch immer an einer zentralen Erfassungsstelle für Energieausweise), es ist darüber hinaus kaum vorstellbar, dass so etwas auch nur ansatzweise in Einklang zu bringen wäre mit der heiligen DSGVO. Und trotz alledem hat sich die Ampel-Koalition das Thema kurioserweise auf die Fahnen geschrieben: "Wir werden die Grundlagen schaffen, den Einsatz grauer Energie sowie die Lebenszykluskosten verstärkt betrachten zu können. Dazu führen wir unter anderem einen digitalen Gebäuderessourcenpass ein", heißt es im Koalitionsvertrag. Noch unrealistischer erscheint zum jetzigen Zeitpunkt wohl nur das Ziel von 400 000 neuen Wohnungen pro Jahr.

Philipp Hafner , Leitender Redakteur, Immobilien & Finanzierung , Helmut Richardi Verlag
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