IM GEISTE WILLY BRANDTS

Philipp Hafner Leitender Redakteur, Foto: Verlag Helmut Richardi GmbH

Mit "Mehr Fortschritt wagen" hat die Ampel also ihren Koalitionsvertrag überschrieben. Die unverhohlene Anspielung auf Willy Brandt lässt bereits erahnen, dass es hier um etwas Großes geht. Passend dazu die medial hervorragend inszenierte Präsentation im Berliner Westhafen-Center gespickt mit staatsmännischen Reden, feierlichen Unterschriften und natürlich reichlich Eigenlob. Definitiv angebracht ist das Lob allein mit Blick auf das Zustandekommen dieses 177 Seiten umfassenden Werks. Nur rund einen Monat haben gut 300 Politiker von SPD, Grünen und FDP über Hunderte von komplexen Inhalten verhandelt - und all das bemerkenswert still, denn so gut wie nichts ist ungewollt nach außen gedrungen.

Der offensichtliche Haken bei diesen Turboverhandlungen: Bei so manchem Thema fällt doch auf, dass Schnelligkeit vor Gründlichkeit ging. Mal ganz abgesehen von der Grundsatzfrage, wie die vielen geplanten (Mehr-)Investitionen konkret gegenfinanziert werden sollen (ab 2023 soll ja die Schuldenbremse wieder gelten), bleibt man auch in den einzelnen Fachkapiteln viele Details schuldig. Der Bereich "Wohnen und Bauen" (Seite 88 bis 93) ist diesbezüglich keine Ausnahme. Das Gros der Vorhaben ist nur vage skizziert beziehungsweise mit hoher Wahrscheinlichkeit von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Beispiel Wohneigentum: "Wir wollen den Ländern eine flexiblere Gestaltung der Grunderwerbsteuer, zum Beispiel durch einen Freibetrag ermöglichen, um den Erwerb selbst genutzten Wohneigentums zu erleichtern. Zur Gegenfinanzierung nutzen wir das Schließen von steuerlichen Schlupflöchern beim Immobilienerwerb von Konzernen (Share Deals)." Fast wortgleich hat man hier also eine Passage aus dem Koalitionspapier der vorherigen Regierung übernommen, ohne wenigstens einen Halbsatz zu ergänzen, warum man dafür diesmal eine Mehrheit im Bundesrat finden sollte.

Einen, oder gerne auch mehr, solch erklärender Halbsätze hätte man sich darüber hinaus etwa bei dem weitestgehend ausgeklammerten Problem der künftigen Flächenverfügbarkeit gewünscht. Es ist das eine, die Zielmarke von 400 000 neuen Wohnungen (davon 100 000 preisgebundene) pro Jahr auszurufen. Dann aber auf der anderen Seite den § 13 Baugesetzbuch ersatzlos zu streichen, der bislang gerade in den angespannten Großstädten die Ausweisung neuen Baulands erleichterte, ist schon ein ziemlicher Widerspruch. Da hilft es dann auch nicht, wenn die Bau- und Planungsprozesse künftig "digital, entbürokratisiert, seriell, modular und standardisiert" sein werden (wobei man auch das wahrlich nicht zum ersten Mal hört).

Und überhaupt diese 400 000 neuen Wohnungen: Es wird wohl ein Rätsel bleiben, wie man sich erneut zu einem solch expliziten Bauziel in bester planwirtschaftlicher Manier hat hinreißen lassen können. Nicht nur, dass es ein - vorsichtig formuliert - überaus ambitioniertes Unterfangen ist. Der Neubau ist zugleich eben eine der Stellschrauben, die ganz wesentlich in den Verantwortungsbereich der Länder und Kommunen fallen. Konkrete Anreize für diese Akteure sind im neuen Koalitionsvertrag aber überraschenderweise Mangelware. So wird zwar eine Erhöhung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau angekündigt, doch die Vergangenheit lehrt, dass diese Länderzuschüsse aufgrund ihrer fehlenden Zweckbindung am Ende oft ganz woanders eingesetzt werden. Auch fehlen etwa Hinweise auf fachliche beziehungsweise personelle Unterstützung der vielerorts völlig unzureichend aufgestellten Bauämter in den Kommunen - definitiv ein Aspekt, den man "außerplanmäßig" noch einmal in Erwägung ziehen sollte.

Dennoch wäre es zu kurz gegriffen, das Werk pauschal als mangelhaft abzustempeln. Denn dafür enthält es dann doch zu viele positive Ansätze. Sei es die Standardisierung von BIM-Verfahren, die Anhebung der linearen Abschreibung für den Wohnungsneubau von 2 auf 3 Prozent, die Zusammenarbeit aller wichtigen Akteure im "Bündnis bezahlbarer Wohnraum", die Wiederbelebung der mit der Wohnungswirtschaft begonnenen Innovationspartnerschaft und selbstverständlich die Schaffung eines eigenständigen Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen unter Leitung von Klara Geywitz.

Gerade Letzteres hat natürlich eine große Signalwirkung, Wunder sollte man gleichwohl nicht erwarten. Denn dafür sind die Aufgaben rund um die Themen Bauen und Wohnen in einem föderalen Staat schlicht auf zu vielen Schultern verteilt. Dass Geywitz dies bereits erkannt hat, ließ sie in einem ihrer ersten Interviews mit dem rbb durchblicken: "Ich fange jetzt an, eine Tabelle zu machen, mit allen Aufgaben, die im Koalitionsvertrag für mein Ressort stehen, überlege mir, wer zuständig ist, ob mein Haus das alleine machen kann oder ob wir noch wen anderes brauchen." Eine pragmatische Herangehensweise also, mit deren Hilfe sie am Ende hoffentlich die vielen losen Fäden in der deutschen Wohnungsbaupolitik zusammenführen kann. Oder, um noch einmal Willy Brandt zu bemühen: "Damit zusammenwächst, was zusammengehört."

Philipp Hafner , Leitender Redakteur, Immobilien & Finanzierung , Helmut Richardi Verlag
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