KEIN CORONA-CRASH

Philipp Hafner, Foto: Verlag Helmut Richardi GmbH

Noch nie dürften die Nachrichten und Gewissheiten von gestern eine derart kurze Halbwertszeit gehabt haben wie in der aktuellen Corona-Krise. Ganz besonders gilt dies natürlich für Konjunkturprognosen. Dass die Wirtschaft weltweit in eine Rezession rutscht, ist klar. Spannend ist aber die Frage, ob nach dem tiefen und schnellen Einbruch eine ebenso schnelle Erholung auf das vorherige Niveau folgt (V-Verlauf), ob das niedrige Niveau länger anhalten wird (U-Verlauf) oder ob weitere Infektionswellen folgen und die Erholungen jeweils unterbrechen (W-Verlauf). Am ungünstigsten wäre ein "L", bei dem die Erholung vollständig ausbleibt. Volkwirte gelangen beim Versuch diese V-U-W-L-Frage zu beantworten zu teils höchst unterschiedlichen Schlüssen, wobei sich der Tenor mit jedem weiteren veröffentlichten Gutachten im zurückliegenden April einzutrüben schien. Man nehme als Beispiel nur das am 8. April vorgelegte Frühjahrsgutachten führender deutscher Wirtschaftsforschungsinstitute: Die hiesige Wirtschaftsleistung wird demnach in diesem Jahr um 4,2 Prozent schrumpfen, für 2021 sagen sie dann allerdings ein Wachstum von satten 5,8 Prozent voraus. Der darin zum Ausdruck kommende Optimismus (Stichwort "V-Verlauf") wirkt gerade einmal vier Wochen später schon wieder einigermaßen überholt. Deutlich düsterer liest sich im Vergleich dazu etwa die eine Woche später abgelieferte Prognose des IWF, die von einer "globalen Jahrhundert-Rezession" ausgeht.

Der Blick in die Glaskugel ist momentan also noch extrem verschwommen und dieser Befund gilt wenig überraschend auch für die Immobilienmärkte. Ziemlich trivial ist mit Sicherheit die Feststellung, dass eine derart weitreichende Krise nicht spurlos am Immobilienmarkt vorbeigehen wird. Anders als am Aktienmarkt werden die Folgen dabei allerdings zeitverzögert sichtbar. Tatsächlich haben aber bereits die ersten Wochen des Shutdowns ausgereicht, um einige der in den vergangenen Jahren so liebgewonnenen Gewissheiten auf den Kopf zu stellen. Denn während sich bis vor Kurzem noch alles um Wachstum drehte, steht nun vielerorts erst einmal Schadensbegrenzung auf der Agenda: Transaktionen und Mietabschlüsse werden aufgeschoben oder kommen gar nicht zustande, Miet- und Kreditmoratorien stellen Vermieter und Banken vor Liquiditätsprobleme und für Projektentwickler droht der wichtige Zugang zu Fremdkapital zu versiegen, auch weil die Immobilienfinanzierer vorerst weniger mit Neugeschäft, als vielmehr mit der Analyse des bestehenden Kreditbuchs beschäftigt sind.

Am Ende dieser kaskadenartigen, sprich die gesamte Wertschöpfungskette bedrohenden Liste von Nöten steht nicht weniger als die Frage, ob die Corona-Krise der vielzitierte "Schwarze Schwan" ist, der signifikante Korrekturen bei Kaufpreisen und Mieten auslösen wird. Und natürlich wird auch diese erst mit gebotenem zeitlichen Abstand seriös zu beantworten sein. Was sich derzeit an Konsens unter den Experten grundsätzlich aber schon herauskristallisiert, ist zum einen, dass - wenn überhaupt - die Kaufpreise tendenziell stärker unter Druck geraten dürften als die Mieten (vermutlich deshalb, weil die Preise bereits vor der Corona-Krise stellenweise als überhitzt wahrgenommen wurden) und zum anderen, das dabei je nach Nutzungsart erhebliche Unterschiede zu beobachten sein werden. Schon jetzt ist klar, dass dem Einzelhandel (mit Ausnahme der Nahversorger), der Gastronomie und Hotellerie der tiefste Schlag versetzt wird. Aussagen zur konkreten Fallhöhe wagen die Researcher aufgrund der dynamischen Entwicklung aber noch nicht. Für den Einzelhandel hat jüngst Bulwiengesa immerhin eine grobe Orientierung geliefert: "Die Umsätze des stationären Einzelhandels werden kaum je wieder auf das Niveau von vor der Corona-Krise steigen." Langfristige Mietreduktionen mit entsprechenden Anpassungen bei den Preisen nach unten seien hier deshalb praktisch nicht abzuwenden.

Für deutsche Wohnimmobilien, die traditionell konjunkturunabhängigste Nutzungsart, hat derweil das IW Köln errechnet, dass die Kaufpreise 2020 vermutlich leicht in einer Größenordnung von null bis maximal zwölf Prozent sinken werden. Und glaubt man den Researchern der Deutschen Bank, so sollte auch das Bürosegment mit einem halbwegs "blauen Auge" davonkommen: Ein Corona-bedingter Rückgang bei den Bürobeschäftigten von gerade einmal 7 000 Stellen wird hier erwartet. Das entspricht lediglich 0,1 Prozent des hiesigen Büroflächenbestands. Bereits in der zweiten Jahreshälfte 2020 erwartet die Deutsche Bank eine Erholung am Arbeitsmarkt gepaart mit einer erneut anziehenden Büronachfrage und perspektivisch weiter steigenden Mieten. Der Möglichkeit einer dauerhaften Verlagerung von Bürojobs ins Homeoffice messen die Researcher dabei nur geringe Wahrscheinlichkeit bei.

All das zeigt: Spürbare Belastungen für den Immobilienmarkt sind zweifellos vorhanden, crashartige Szenarien sucht man Gott sei Dank aber vergebens. Und das ist in diesen Tagen beileibe keine Selbstverständlichkeit.

Philipp Hafner , Leitender Redakteur, Immobilien & Finanzierung , Helmut Richardi Verlag
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