An die Kellen!

Horst Bertram

Wenn es tatsächlich stimmt, dass ein Kompromiss dann vollkommen ist, wenn alle unzufrieden sind, wie der französische Politiker Aristide Briant meint, dann taugt das Bündnis für Wohnen von Bundesbauministerin Barbara Hendricks in der Wurzel nichts. Denn der Anfang Dezember vorgestellte Abschlussbericht des Bündnisses überzeugt alle und ruft kaum Kritik hervor. Lediglich an den enthaltenen energetischen Vorschriften entbrennt eine leichte Diskussion, da die verschärften Standards nach Auffassung der Immobilienwirtschaft viel kosteten, aber nur wenig brächten. So viel Harmonie ist bestimmt nicht der Adventszeit geschuldet, sondern wohl vielmehr der Tatsache, dass diejenigen Lobbyverbände, die üblicherweise Vorschläge der Regierung kommentieren, direkt an diesem Bericht mitgewirkt haben.

Wahrscheinlich ist auch, dass Briand dieses mal irrt und ein guter Kompromiss erzielt wurde. Wenn man all die Berichte, Kernempfehlungen und Maßnahmen, die Handlungsempfehlungen der Arbeitsgruppen und den Report der Baukostensenkungskommission zu einem Dokument zusammenfügt, gibt es stolze 300 Seiten Text. Das sind zugleich 300 Seiten Hoffnung für Menschen, die dringend auf der Suche nach Wohnraum sind, den sie sich noch leisten können.

Jetzt geht es an die Umsetzung und für die Beschäftigen in der Bauindustrie "an die Kellen". Nach Hendricks Prognose werden in den nächsten Jahren jeweils mindestens 350 000 neue Wohnungen benötigt. Das ist eine stolze Zahl, gerade vor dem Hintergrund der geringen Wohnungsbautätigkeit in den vergangenen Jahren. Es wurden zwar Wohnungen geschaffen, aber tendenziell im für Vermieter rentableren höher- und hochpreisigen Segment. Das ist aus Sicht der Investoren natürlich nachvollziehbar. Von daher liegt es nun an der Politik, Möglichkeiten für günstiges Bauen zu schaffen. Der Bund bringt nach Angaben Hendricks mit der verbilligten Abgabe von Grundstücken, Förderanreizen, Vereinfachungen im Bauplanungsrecht und der Förderung von kostengünstigen "Vario-Wohnungen" ein umfassendes Maßnahmenpaket auf den Weg. Im Einzelnen gehören zu dem vorgelegten 10-Punkte-Programm unter anderem die Bereitstellung von günstigem Bauland und Grundstücken, die Verdichtung von Wohnsiedlungen, die Förderung des sozialen und genossenschaftlichen Wohnens und steuerliche Anreize. Dazu kommen eher technische, aber extrem wichtige Punkte wie die anzustrebende Übernahme einer einheitlichen Musterbauordnung in den Ländern, das Normungswesen auf den Prüfstand zu stellen, serielles Bauen für ansprechenden und günstigen Wohnung zu forcieren, Stellplatzordnungen zu flexibilisieren, Energiesparmaßnahmen neu zu konzipieren und - das ist vor dem Hintergrund der Flüchtlingsproblematik von großer Bedeutung - für mehr Akzeptanz in der Bevölkerung bei Neubauvorhaben zu werben.

Das Bündnis muss sich dabei auch dem Problem stellen, dass die Bevölkerung in die großen Städte zieht und dort arbeiten, studieren und leben will. Diese Entwicklung wird sich auch nicht umkehren lassen. Geschaffen werden sollen folglich die bezahlbaren Wohnungen auch in den Groß- und Universitätsstädten. Ob dies zu schaffen ist, kann schon jetzt bezweifelt werden. Welche Großstadt hat in ausreichendem Maße freie Grundstücke in der richtigen Lage und mit der richtigen Infrastruktur zur Verfügung? Darüber hinaus besteht das Problem, dass die finanzielle Verfassung der Städte häufig klamm ist und kaum Möglichkeiten bestehen, die benötigten Flächen unter Marktpreise günstig abzugeben beziehungsweise wieder eigene Wohnungsbaugesellschaften zu gründen oder ihnen neues Leben einzuhauchen.

Es bleibt zu hoffen, dass alle Interessensgruppen schnell an die Umsetzung gehen, um die mit erheblicher Sprengkraft versehene gesellschaftspolitische Aufgabe zu meistern. Dies ist allerdings leicht gesagt beziehungsweise geschrieben, die Verwirklichung ist eine Herkulesaufgabe und wird sicherlich mehr Zeit in Anspruch nehmen als geplant. Wer täglich einen Blick auf Baustellen werfen darf und dort immer noch antiquierte Techniken und Prozesse vorfindet, hat ernste Zweifel bezüglich der zeitgerechten Umsetzung. Nötig scheint auch an den Qualitätsstandards für neue Wohnungen spürbare Abstriche zu machen. Günstige Wohnungen können nicht die höchsten Standards aufweisen. Letztendlich kommt es jetzt nicht auf Perfektion an, sondern auf Taten. Diese sind einfach zu messen - an verfügbaren Wohnungen. Daran werden sich die Regierungen in Bund, Ländern und Kommunen messen lassen müssen.

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