IM PLATTFORMZEITALTER

Philipp Hafner, Redakteur Foto: Verlag Helmut Richardi

An der Plattform hängt, zur Plattform drängt doch alles! So könnte man in Anlehnung an Goethes Faust meinen, wenn man sich den ultimativen Erfolgsfaktor in der digitalen Welt einmal vergegenwärtigt. Denn egal ob Twitter, Uber, Spotify oder Airbnb: Die "Plattformisierung" scheint Branche um Branche zu erfassen, zu verändern und manchmal auch zu revolutionieren. Es dürfte kaum ein Zufall sein, dass unter den - gemessen an der Marktkapitalisierung - zehn wertvollsten Unternehmen der Welt mittlerweile ganze sechs in diesem Bereich unterwegs sind, darunter natürlich auch die GAFAs - Google, Apple, Facebook und Amazon.

Im Bereich von Banken beziehungsweise Finanzprodukten bereits eine Revolution zu proklamieren, käme sicher etwas verfrüht. Und doch lässt sich natürlich auch hier längst nicht mehr leugnen, dass dieser Megatrend mit großen Schritten voranschreitet. Bestes Beispiel dafür ist die Entwicklung in der privaten Baufinanzierung. So haben in Deutschland mit Hypoport (Europace mit den Schwestergesellschaften Genopace und Finmas) und Interhyp (eHyp) die beiden relevanten Plattformbetreiber ihren Anteil am gesamten Baufinanzierungsneugeschäft innerhalb einer Dekade von 14 auf aktuell 35 Prozent hochgeschraubt.

Vor allem Hypoport, die am Rande bemerkt mittlerweile rund eine Milliarde Euro mehr an Börsenwert besitzt als Aareal Bank und pbb zusammen, legt eine sehr hohe Schlagzahl an den Tag und wächst deutlich stärker als der Gesamtmarkt. Allein im ersten Halbjahr 2020 wurden über die B2B-Plattform Europace knapp 34 Milliarden Euro (plus 36 Prozent) abgewickelt, was gemessen am Gesamtmarkt (137 Milliarden Euro) einem stattlichen Anteil von 24,8 Prozent entspricht. Ganz besonders florierte das Baufinanzierungsneugeschäft in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres dabei auf den gemeinsam mit und für die Sparkassen und Genossenschaftsbanken entwickelten Plattformen Finmas (plus 106 Prozent auf 3,3 Milliarden Euro) beziehungsweise Genopace (plus 40 Prozent auf 3,5 Milliarden Euro).

Ein Ende des Booms? Ist nirgends in Sicht, ganz im Gegenteil: Einer Analyse von Investors Marketing zufolge dürfte bereits in fünf Jahren jede zweite Baufinanzierung in Deutschland über eine Vertriebsplattform im Internet vermittelt werden. Eng mit dieser Erfolgsstory verbunden ist der Aufstieg freier Baufinanzierungsvermittler, die durch den Anschluss an die großen B2B-Vermittlerportale auf Angebote vieler Hundert Kreditinstitute aus ganz Deutschland zurückgreifen können und damit dem stark gestiegenen Endkundenbedürfnis nach Transparenz, Vergleichbarkeit und natürlich auch dem günstigsten Preis Rechnung tragen.

Wie gehen Banken, Sparkassen, Bausparkassen und sonstige Baufinanzierer mit dieser allem Anschein nach unumkehrbaren Entwicklung um? Die enormen Wachstumszahlen der Plattformen und freien Vermittler lassen nur einen Schluss zu: Gemäß dem Motto "Wenn du deinen Gegner nicht besiegen kannst, dann musst du ihn umarmen" setzt inzwischen das Gros der Branche auf die Kooperation mit den Plattformen und Vermittlern. Wobei das Wort "Gegner" bei genauerem Hinsehen nicht einmal mehr zutreffend erscheint. So ist die zu Beginn noch deutlich spürbare Reserviertheit gegenüber den Newcomern, die sich insbesondere aus der Sorge um den Verlust der Kundenschnittstelle, Margenverfall und der Degradierung zum bloßen Produktlieferanten speiste, längst einer großen Offenheit gewichen. Kaum ein Banker spricht in diesem Zusammenhang also noch von Konkurrenz, vielmehr werden die neuen Möglichkeiten ("Wachstumstreiber", "Neukundengewinnungskanal", kurzum: "Win-win- Situation") gepriesen.

Digitale Ökosysteme bieten also zweifelsohne einen Mehrwert. Auf der anderen Seite werfen sie eine Reihe interessanter Fragen auf, die bislang noch weitgehend ungeklärt sind. Etwa die nach den Implikationen eines digitalen Plattformvertriebs für das von den beiden großen Verbundgruppen gelebte Regionalprinzip: Wird dieses dadurch de facto nicht ausgehebelt? Oder: Wie sollen gerade kleine Primärinstitute den schleichenden Bedeutungsverlust der Bankfiliale im Rahmen der Baufinanzierungsvermittlung langfristig kompensieren, Stichwort "Provisionsergebnis"?

Und schließlich: Wie nachhaltig beziehungsweise gesund ist dieser plattformbasierte Baufinanzierungsboom am Ende des Tages eigentlich? Unterliegen die auf Plattformen getätigten Abschlüsse tatsächlich denselben strengen Bonitätskriterien aus der analogen Welt? Gut möglich, dass sich die Corona-Krise für so manche virtuell generierte Baufinanzierung als Lackmustest erweist.

Philipp Hafner , Leitender Redakteur, Immobilien & Finanzierung , Helmut Richardi Verlag
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