ZU RISIKEN UND NEBENWIRKUNGEN ...

Philipp Hafner Leitender Redakteur, Foto: Verlag Helmut Richardi

Wenn in China ein Sack Reis umfällt, dann ist das ja bekanntlich die ultimative Metapher für ein unbedeutendes Ereignis. Ganz anders verhält es sich hingegen, wenn der zweitgrößte Immobilienentwickler in China umfällt. Dann nämlich gerät man rund um den Globus kräftig in Panik und ruft hier und da auch gerne schon mal den nächsten "Lehman-Moment" aus. Unabhängig von seinem bei Redaktionsschluss noch nicht absehbaren Ausgang verdeutlicht das Drama um Evergrande wieder einmal, dass die Stabilität auf Immobilienmärkten nie für selbstverständlich genommen werden darf. Für den chinesischen Staatskapitalismus ist es dabei die erste Feuerprobe dieser Art, die gleichwohl nicht aus heiterem Himmel kommt. Denn trotz zahlreicher Negativbeispiele aus dem Westen will es den ansonsten doch so kontrollfreudigen Machthabern einfach nicht gelingen, den absurden Bauboom in halbwegs gemäßigte Bahnen zu lenken. Die seit vielen Jahren wie im Fieberwahn hochgezogenen Geisterstädte sind Mahnmal dieser Zügellosigkeit. So wurden in China allein in den drei Jahren zwischen 2011 und 2013 unglaubliche 6,6 Milliarden Tonnen an Beton verbaut. Zum Vergleich: Die USA benötigten im gesamten 20. Jahrhundert (!) nur 4,5 Milliarden Tonnen.

Mit Sicherheit werden auch internationale (Bank-) Aufseher die derzeitigen Entwicklungen im Reich der Mitte genauestens verfolgen und sich dabei in ihrer Mission, Immobilienmärkte beziehungsweise das Finanzsystem im Allgemeinen noch wetterfester zu machen, bestätigt fühlen. Gleichzeitig muss diese Mission natürlich immer wieder auf ihre Verhältnismäßigkeit sowie potenzielle Nebenwirkungen hin überprüft werden - ansonsten könnte das System am Ende unbeabsichtigt gar destabilisiert werden. An genau solch einer entscheidenden Weggabelung wähnen aktuell vor allem die deutschen Immobilienfinanzierer die Aufsicht, und das bei gleich zwei Regulierungsprojekten. Zum einen wäre da das langsam, aber sicher auf die Zielgerade einbiegende "Opus magnum" Basel III: Hier warb und wirbt bekanntlich insbesondere der Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp) unermüdlich für eine nochmalige inhaltliche Überarbeitung der Vorschriften, um die als ungerechtfertigt hoch empfundenen Zusatzbelastungen abzumildern. Doch die Chancen dafür erscheinen - spätestens nach dem am 9. September veröffentlichten, flammenden Appell von 25 europäischen Aufsehern und Notenbankern, in dem sie "nachdrücklich eine in allen Aspekten vollständige, zeitnahe und konsequente Umsetzung des Basel-III-Rahmenwerks in der EU" einfordern - überschaubar.

Damit muss sich der Sektor wohl oder übel unter anderem auf den gefürchteten Output Floor in Höhe von 72,5 Prozent einstellen, der künftig auf ziemlich holzschnittartige Weise sämtliche Finanzierungen verteuern wird, und zwar kräftig: Laut vdp steigt in der von der EBA empfohlenen Maximalumsetzung das von Kreditinstituten vorzuhaltende Mindestkapital europaweit im Durchschnitt um 18,5 Prozent an, Immobilienfinanzierer müssten gar einen Anstieg von 23 Prozent stemmen. Die Gretchenfrage, inwieweit das System durch eine solche Maßnahme letztlich an Resilienz gewinnt, gilt als umstritten, Stichwort "unbeabsichtigte Nebenwirkungen": So erscheint etwa eine (weitere) Verlagerung in teils noch gänzlich unregulierte Bereiche naheliegend. Nicht auszuschließen ist sicher auch, dass hiesige Banken verstärkt dazu übergehen, ihre Immobilienfinanzierungen nach amerikanischem Vorbild aus der Bilanz auszulagern, denn paradoxerweise setzt die Regulatorik genau diesen Anreiz - die Finanzkrise lässt grüßen.

Ähnlich paradox muten die jüngst veröffentlichten Vorschläge der BaFin zur Novellierung der Beleihungswertverordnung (BelWertV) an, womit man auch schon beim zweiten großen Sorgenkind der Immobilienfinanzierer wäre. Als "komplett widersinnig" bezeichnete vdp-Präsident Dr. Louis Hagen diese vor Kurzem im Rahmen einer Veranstaltung der Börsenzeitung. Gleichwohl sei er davon nicht wirklich überrascht gewesen, schließlich entspreche es dem, was man seit Jahren bei Diskussionen mit Bankaufsehern erlebe: "eine Art Verteufelung - insbesondere der gewerblichen - Immobilienfinanzierung." Man kann seinen Unmut durchaus verstehen. Die BaFin tut sicher gut daran, das Wohl des Pfandbriefs in den Mittelpunkt ihres Handelns zu stellen. Doch was nützt es am Ende, wenn man ihn kompromisslos in den Marktrealitäten der 1960er Jahre verharren lässt und er dadurch immer weniger im Hier und Jetzt genutzt werden kann? Mit einem "in Schönheit sterbenden Pfandbrief" (Hagen) ist niemandem geholfen, am wenigsten wiederum dem Regulator selbst mit seiner hehren Absicht, für mehr Stabilität zu sorgen.

Bei aller berechtigten Kritik gilt es aber auch zu konstatieren, dass die Immobilienbanken so schnell nicht am Hungertuch nagen müssen: Das Neugeschäft sprudelt, der Pfandbriefumlauf wächst, ja selbst steigende Zinsüberschüsse sind derzeit wieder auf breiter Basis zu beobachten. Und gerade letzteres Phänomen bestätigt wieder einmal die Hypothese, dass jede Medaille zwei Seiten hat. Schließlich ist es im Wesentlichen auf die überaus großzügigen TLTRO-III-Geschäfte der ansonsten so gern und viel kritisierten EZB zurückzuführen.

Philipp Hafner , Leitender Redakteur, Immobilien & Finanzierung , Helmut Richardi Verlag
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