IM SCHLARAFFENLAND

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

Es hat schon wahrlich märchenhafte Züge: Egal wo sich dieser Tage ein Finanzloch auftut, es wird umgehend gestopft. Wenn nicht durch eine Notenbank, dann doch mithilfe eines (weiteren) Regierungsprogramms, das in Windeseile Geldmittel in Dimensionen bereitstellt, die vor einem Jahr noch unvorstellbar gewesen wären. Der deutsche Staat gehört in diesem "Märchen" zweifellos zu den Hauptdarstellern. Es genügt ein Blick auf den Ende November - wohlgemerkt noch vor dem zweiten "harten Lockdown" - beschlossenen XXL-Bundeshaushalt 2021 und man fühlt sich unweigerlich ans Schlaraffenland erinnert.

Stattliche Ausgaben in Höhe von 498,6 Milliarden Euro umfasst das "Schicksalsbuch der Nation" für das eben begonnene Jahr. Aufgrund des mehrmaligen Nachladens der "Bazooka" musste die dafür notwendige Neuverschuldung von den ursprünglich geplanten 96,2 Milliarden Euro nochmals deutlich um 83,62 auf 179,82 Milliarden Euro angehoben werden. Mit den voraussichtlich rund 160 Milliarden Euro aus 2020 käme also allein der Bund innerhalb von nur zwei Jahren auf ein Neudefizit in Höhe von 340 Milliarden Euro - das entspricht fast dem gesamten Prä-Corona-Haushalt des Jahres 2019. Die symbolträchtige Schuldenuhr vom Bund der Steuerzahler, die seit 25 Jahren den gesamtstaatlichen Schuldenzuwachs dokumentiert, tickt deshalb inzwischen mit einer Rekordgeschwindigkeit von unglaublichen 10 424 Euro pro Sekunde.

Mag sein, dass Deutschland dank dieser Maßnahmen ökonomisch und sozial bislang besser durch die Pandemie gekommen ist, dass man gleichzeitig noch immer viel solider dasteht als die meisten anderen Länder, ja selbst, dass es sich voraussichtlich noch auf viele Jahre zu günstigsten Konditionen wird refinanzieren können - eine solch extreme Schieflage der Staatsfinanzen innerhalb kürzester Zeit muss einfach kritisch beäugt werden. Insbesondere dann, wenn man mit Blick auf den Schuldenabbau primär auf das Prinzip Hoffnung setzt: "Wir werden aus der Krise herauswachsen", sagte Bundesfinanzminister Olaf Scholz in der Haushaltsdebatte Mitte Dezember. Diesen Optimismus begründete er mit den im Anschluss an die Finanzkrise gemachten Erfahrungen, als es Deutschland tatsächlich gelungen ist, den Schuldenstand innerhalb einer Dekade von rund 86 auf zuletzt knapp unter 60 Prozent des BIP zu drücken. Doch dass sich die Geschichte in diesem Punkt wiederholt, ist natürlich keineswegs ausgemacht.

Überhaupt stellt diese öffentlich ausgewiesene Verschuldungsquote letztlich nur die Spitze des Eisbergs dar, wie die Stiftung Marktwirtschaft vor kurzem noch einmal eindrucksvoll herausgearbeitet hat: Einschließlich der impliziten ("versteckten") Staatsverschuldung, die vor allem in den Sozialversicherungssystemen schlummert, dürfte die sogenannte Nachhaltigkeitslücke (also die Summe aus expliziter und impliziter Schulden) im Zuge des zweiten Lockdowns auf über 400 Prozent des BIP hochschießen.

Es wird somit also nur eine Frage der Zeit sein, bis die Politik die Steuer- und Beitragszahler stärker zur Kasse bitten wird. Die derzeit kursierenden Vorschläge kommen zumeist aus den Reihen der SPD und sind dabei ebenso vielfältig wie kontrovers. Die SPD-Ministerpräsidenten etwa ließen jüngst den Testballon "Corona-Soli" steigen, mithilfe dessen "eine steuerfinanzierte Stabilisierung der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung" sichergestellt werden soll. Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Scholz flirtet derweil unumwunden mit einer Wiederbelebung der Vermögensteuer sowie einem höheren Spitzensteuersatz.

Ziemlich ruhig ist es bislang um Immobiliensteuern. Das kann sich aber schnell ändern, wenn die Debatte zur Begleichung der Corona-Rechnung erstmal richtig an Fahrt aufnimmt. Der beherzte Zugriff auf die Substanz und Erträge einer Immobilie ist hierzulande bekanntlich ausgesprochen beliebt. Man denke nur an die stetigen Erhöhungen der Grunderwerbsteuer durch die Länder in den vergangenen Jahren. In diesem Kontext gilt es auch genauestens die weiteren Entwicklungen rund um die anstehende Grundsteuerreform im Blick zu behalten: Gut möglich, dass so manche klamme Kommune infolge wegbrechender Gewerbesteuereinnahmen der Versuchung einer Erhöhung - und sei es "durch die Hintertür" - nicht widerstehen kann.

Ob höhere Steuern und/oder Abgaben grundsätzlich die richtige Medizin sind, darüber lässt sich natürlich trefflich streiten, vor allem im Falle Deutschlands: Erst im April 2020 ließ die OECD der Bundesrepublik diesbezüglich die zweifelhafte Ehre des globalen Spitzenreiters zuteilwerden. Demnach lag die durchschnittliche Belastung durch Steuern und Sozialabgaben 2019 hierzulande mit 39,3 Prozent so hoch wie nirgendwo sonst. Auf die nächste Bundesregierung kommen also sehr schwere Entscheidungen zu. Irgendwie muss die Quadratur des Kreises gelingen, die öffentlichen Finanzen wieder auf ein tragfähiges Fundament zu stellen, ohne dabei der Wirtschaft die Luft zum Atmen zu nehmen. Dafür wird es allen voran mutige und tiefgreifende Strukturreformen, etwa im Bereich der Rente, brauchen. Nach knapp 16 Jahren unter Angela Merkel wirkt eine solche Botschaft fast schon illusorisch.

Philipp Hafner , Leitender Redakteur, Immobilien & Finanzierung , Helmut Richardi Verlag
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