STIEFKIND WOHNUNGSBAU

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

Vor knapp 20 Jahren, am 27. Oktober 1998, wurde das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau aufgelöst und mit dem Bereich Verkehr fusioniert. Es war ein zur damaligen Zeit gerechtfertigter Schritt: Prognosen zur demografischen Entwicklung Deutschlands legten den Schluss nahe, dass die Bevölkerung sowohl in Landkreisen als auch Großstädten schrumpfen würde. Die Schaffung von Wohnraum erschien vor diesem Hintergrund weitgehend abgeschlossen und wenig dringlich. Doch die Lage hat sich gewandelt und die Zuwanderung nach Deutschland ist zuletzt sprunghaft angestiegen. Allein zwischen 2011 und 2015 belief sich die Nettozuwanderung auf 2,8 Millionen Menschen. Das Wohnraumdefizit ist infolgedessen auf inzwischen über eine Million Wohnungen angewachsen.

Die Forderung nach der Reaktivierung eines eigenständigen Bauministeriums, das eine konsistente Wohnungspolitik erleichtern würde, kann da nicht verwundern. Daraus ist bislang jedoch bekanntlich nichts geworden. Nach einer kurzen Etappe im Umweltbundesministerium unter Barbara Hendricks ist es nun in Horst Seehofers "Superministerium" für Inneres, Bau und Heimat weitergewandert. Dabei weckte Seehofer kurz nach Amtsantritt mit dem staatstragenden Satz "Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit" die Hoffnung, dass das Thema trotz alledem angemessenes politisches Gewicht in dieser Legislaturperiode erlangen würde. Allerdings sind bereits jetzt ernste Zweifel angebracht, ob dem wirklich so ist. Bestes Beispiel: Seinen Auftritt Mitte Juni auf dem Deutschen Immobilientag sagte er kurzfristig ab und traf sich stattdessen mit Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, um über Asylpolitik zu sprechen. Das war eine Entscheidung mit negativer Signalwirkung, die einer Aufbruchsstimmung im Wohnungsbau sicher nicht dienlich ist.

Die bräuchte es aber dringend, denn der Blick auf die harten Fakten stimmt wenig optimistisch. Im vergangenen Jahr 2017 wurden laut Statistischem Bundesamt 284 800 Wohnungen fertiggestellt. Im Vergleich zum Vorjahr sind das zwar 2,6 Prozent mehr, aber immer noch deutlich zu wenig. Nichts Gutes verheißen zudem die im ersten Quartal 2018 abermals rückläufigen Baugenehmigungen. Trotzdem hat sich die Bundesregierung ambitionierte Ziele gesetzt, es wurde gar das konkrete Mengenziel von 1,5 Millionen neuen Wohnungen im Koalitionsvertrag verankert. Researcher der Deutschen Bank erachten es aber bereits heute für offensichtlich, dass dieses Ziel nicht nur ambitioniert, sondern utopisch ist. Dabei wird es wohl ein Rätsel bleiben, warum sich die Koalitionäre überhaupt zur Formulierung einer solchen Zielmarke in bester planwirtschaftlicher Manier hinreißen ließen. Abgesehen davon, dass damit bereits in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht wurden (siehe die Klimaziele 2020, die klar verfehlt und einfachheitshalber in die Zukunft verschoben werden), liegen die entscheidenden Flaschenhälse beim Wohnungsbau - Baulandausweisung, Personalmangel in den Bauämtern - schließlich maßgeblich im Hoheitsbereich der Kommunen. Und denen hilft das propagierte Ziel nicht.

Was sie bräuchten wäre eine klare Rahmen- und Anreizsetzung des Bundes. Dazu gehören etwa eindeutige Zielhierarchien. Der Bund bekennt sich neben der Wohnraumoffensive aber gleichzeitig zum Flächensparen. Der Widerspruch ist offensichtlich. Zweifellos sind beide Ziele wichtig, doch alleine mit Innenentwicklung wird dem Bedarf in den Metropolen kaum beizukommen sein. Was genießt hier in den Augen der Regierung also Priorität? Oder Stichwort Bauämter: Laut einer Studie der Uni Köln beträgt die durchschnittliche Bearbeitungszeit für einen Bauantrag in Nordrhein-Westfalen sage und schreibe 184 Tage. Bei den zur personellen Aufstockung oder Einführung digitaler Bauakten benötigten Investitionen käme den klammen Kommunen Unterstützung durch den Bund gerade recht.

Doch stattdessen hat sich die GroKo dazu entschlossen, das Füllhorn wie so oft undifferenziert auszuschütten. Das beste Beispiel dafür ist das Baukindergeld, dessen Einführung aktuell zu einer politischen Tragikomödie verkommt und die wohnungspolitischen Unzulänglichkeiten der GroKo offenbart. Da die bisher veranschlagten zwei Milliarden Euro bis 2021 nicht reichen werden, sieht der nun geschlossene Kompromiss eine Förder-Obergrenze von 120 Quadratmeter für eine vierköpfige Familie vor. Jeder Haushalt, der größer baut - was angesichts einer bislang durchschnittlichen Einfamilienhausgröße von 140 bis 150 Quadratmetern viele sein werden -, bekommt überhaupt nichts. Man mag zum Baukindergeld stehen, wie man will, aber diese Einschränkung ist absurd. Die zu Recht verärgerte Öffentlichkeit darf auf Seehofers Begründung gespannt sein. Offensichtlich wurde hier nicht mit der nötigen Sorgfalt geplant. Spätestens jetzt sollte es also allen Beteiligten dämmern, dass die Schaffung von mehr Wohnraum nicht im Nebenjob erledigt werden kann.

Philipp Hafner , Leitender Redakteur, Immobilien & Finanzierung , Helmut Richardi Verlag
Noch keine Bewertungen vorhanden


X