VIELE FRAGEN, WENIG ANTWORTEN

Philipp Hafner, leitender Redakteur, Foto: Verlag Helmut Richardi

Da behaupte noch einer, die Philosophen hätten keine passenden Antworten mehr auf die drängendsten Fragen unserer Zeit: "Ich weiß, dass ich nicht weiß." Gibt es einen Gedanken, der den Versuch, die Corona-Pandemie und ihre Implikationen zumindest in Ansätzen zu erfassen, besser beschreiben würde als dieses über 2 500 Jahre alte Bonmot von Sokrates? Wohl kaum. Zugeben: Wirklich befriedigend ist diese Feststellung für eine intrinsisch nach (Planungs-)Sicherheit und Stabilität darbende Spezies wie die unsere nicht. In Anbetracht der vielen Unbekannten in einer langen und höchst komplexen Gleichung erscheint jede andere Schlussfolgerung aber schlicht unseriös.

Niemand weiß, wann beziehungsweise ob ein Impfstoff für einen Großteil der Menschheit verfügbar sein wird. Selbiges gilt für die Anschlussfrage, ob damit dann wirklich alles wieder so wäre wie zuvor. Deutlich mehr Fragen als Antworten begegnen einem wenig überraschend auch weiterhin im Reich der volkswirtschaftlichen Prognosen: Als wie robust werden sich zum Beispiel die derzeit durch Kurzarbeitergeld und Aussetzen der Insolvenzantragspflicht noch dick in Watte gepackten Unternehmen im kommenden Jahr erweisen? Überhaupt: Ist die Konjunktur tatsächlich schon wieder aus dem Gröbsten raus - einige wichtige Stimmungsindikatoren deuten darauf hin - oder droht ihr - möglicherweise infolge zweiter Lockdown-Wellen im Herbst und Winter - der endgültige Kollaps?

Und die Immobilienwirtschaft? Die liegt wie unterm Brennglas all dieser gesellschaftlichen, sozio-ökonomischen und politischen Herausforderungen, schließlich verbergen sich hinter vielen Corona-induzierten Veränderungen immer auch Fragen zur künftigen Nutzung von Immobilien. Das prominenteste Beispiel, letztlich aber nur eines von vielen, dreht sich bekanntlich ums Homeoffice: Wie stark wird dieser Trend und die damit verbundene Diskussion über das "Arbeiten von morgen" die Flächennachfrage auf den Büro- und Wohnimmobilienmärkten verändern?

Um mehr Orientierung in diesen extrem unsicheren Zeiten zu schaffen, hat der ZIA ein außerplanmäßiges Herbstgutachten beim fünfköpfigen Rat der Immobilienweisen in Auftrag gegeben, das nun Mitte September vorgestellt wurde. Bei der Diagnose kommt - mit Ausnahme des Büroimmobilienmarkts, der sich noch "auf Richtungssuche" befinde - wie erwartet die starke Polarisierung zwischen den verschiedenen Assetklassen zum Ausdruck: Auf der einen Seite der unerschütterliche Wohnungsmarkt, die konsumnahe Logistik sowie die Nahversorger (inklusive Bau- und Drogeriemärkte), auf der anderen die unbestreitbar leidenden Segmente Einzelhandel, Hotellerie und Gastronomie. Eine der Hauptschlussfolgerungen, die das Sprachrohr der Branche aus dieser Gemengelage zieht: "Die Innenstädte in Deutschland sind infolge der Corona-Krise in großer Gefahr, ihre Attraktivität zu verlieren."

Etwas zu kurz kommt bei dieser Conclusio allerdings dann doch die Erkenntnis, dass Corona dafür nicht die Ursache, sondern vielmehr ein Brandbeschleuniger ist. Vermutlich auch deshalb lesen sich die anschließenden Handlungsempfehlungen unterm Strich ein wenig wohlfeil, vor allem die starke Fixierung auf die vermeintliche Verantwortlichkeit der öffentlichen Hand im Rahmen der Krisenbewältigung irritiert. So wäre laut Gutachten für Hotelbetriebe etwa "eine längerfristige öffentliche Stützung, bis mindestens Sommer nächsten Jahres, wünschenswert", zudem sollten der gewerbliche Kündigungsschutz und Nutzungsänderungssperren, die verhindern, dass Hotels durch andere Nutzungen ersetzt werden, "deutlich verlängert werden". Für den stationären Einzelhandel wird derweil unter anderem die Forderung nach öffnungsfreien Sonntagen noch einmal aufgewärmt, darüber hinaus wird den Kommunen nahegelegt, in nicht genauer definierte "neue Retailkonzepte" zu investieren.

Keine Frage: Das sind mitunter Maßnahmen, über die zur Linderung der kurzfristigen Not diskutiert werden kann. Die langfristige Zukunft der Innenstädte wird man mit einer weitgehenden Wahrung des Status quo jedoch kaum sichern können. Und Hand aufs Herz: Schreien die von einfallslosen internationalen Großfilialisten dominierten, dabei zugleich immer austauschbarer und öder werdenden deutschen Stadtbilder nicht ohnehin längst nach tiefgreifenden Veränderungen? Corona kann in diesem Zusammenhang durchaus auch einmal als Chance begriffen werden. Doch Vorschläge für kluge Umwidmungs- oder zumindest Mischnutzungskonzepte der bereits vor Corona größer werdenden Zahnlücken in den hiesigen Zentren sind bislang rar gesät. Die Immobilienwirtschaft wird hier über kurz oder lang mehr Phantasie und Initiative an den Tag legen müssen. Denn dass Vater Staat nicht als Retter der Fußgängerzonen auftreten wird, dürfte eine der wenigen Gewissheiten rund um die Pandemie sein.

Philipp Hafner , Leitender Redakteur, Immobilien & Finanzierung , Helmut Richardi Verlag
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