ZWISCHEN WUNSCH UND WIRKLICHKEIT

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

Ziemlich genau fünf Jahre ist es inzwischen her, als sich in Paris wahrlich Historisches ereignete. Am 12. Dezember 2015 beschlossen 196 Staatsund Regierungschefs das Pariser Klimaabkommen und verpflichteten sich im Zuge dessen, mithilfe verbindlicher nationaler Ziele die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Die Euphorie war gerade zu Beginn enorm, doch spätestens mit den nun anstehenden Zwischenfazits zum ersten großen Jubiläum dürfte davon vielerorts nicht mehr viel übrig sein. Das liegt weniger am jüngst offiziell vollzogenen Austritt der USA - schließlich hat "President-elect" Joe Biden bereits die zeitnahe Rückkehr seines Landes in das Abkommen in Aussicht gestellt. Vielmehr tritt beim Klimaschutz ein Riesenproblem immer offensichtlicher zutage: Sich ehrgeizige Ziele zu setzen ist eine Sache, ihre anschließende Umsetzung eine komplett andere.

Selbst in Deutschland, einst als globaler Vorreiter gestartet, klafft eine große Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit, weshalb die Anstrengungen deutlich erhöht werden müssen, um die bis 2050 avisierte "weitgehende Treibhausgasneutralität" erreichen zu können. Wie steinig der vor uns liegende Weg ist, zeigt sich exemplarisch am Gebäudesektor, der hierzulande rund 35 Prozent des Endenergieverbrauchs und etwa 30 Prozent der CO2-Emissionen verursacht und gemäß Klimaschutzplan der Bundesregierung bis 2050 ebenfalls auf Klimaneutralität getrimmt werden soll. Doch für beide Kennziffern konnten in den vergangenen Jahren keine Fortschritte mehr vermeldet werden. Während der Endenergieverbrauch seit 2010 auf hohem Niveau (rund 870 TWh) stagniert, sind die Treibhausgasemissionen zuletzt sogar wieder recht deutlich auf über 120 Millionen Tonnen angestiegen. Nach Schätzungen der Deutschen Energie-Agentur (Dena) wird man 2030 um bis zu 28 Millionen Tonnen über dem bis dahin eigentlich angestrebten Wert von 70 bis 72 Millionen Tonnen liegen.

Nach einer verlorenen Dekade ist es jetzt also allerhöchste Zeit, dass die Energiewende im Gebäudebereich endlich an Fahrt aufnimmt. Der zweifellos größte Hebel dafür liegt in der energetischen Ertüchtigung des Bestands. Knapp zwei Drittel der hiesigen Wohngebäude wurden vor 1979 errichtet. Ein in der Theorie riesiges Potenzial, das bislang jedoch nicht annähernd ausgeschöpft wurde. Die jährliche Sanierungsrate liegt bei konstant einem Prozent, nötig zum Erreichen der Klimaziele wären laut Dena mindestens 1,5, eine brandaktuelle Studie des Wuppertal Instituts schätzt den Bedarf sogar auf vier Prozent. Immerhin: Es gibt durchaus Dinge, die in diesem Zusammenhang hoffnungsvoll stimmen. Da ist zum einen der technologische Fortschritt, der künftig beispielsweise das schnelle und günstige Sanieren in Serie ("Energiesprong") ermöglichen wird. Zum anderen haben die politischen Verantwortlichen die Zeichen der Zeit erkannt. Das im Herbst 2019 verabschiedete Klimaschutzpaket der Bundesregierung etwa enthält viele gute Ansätze, um zumindest im Bereich der Wohnimmobilien frische Impulse zu setzen. So werden seit 1. Januar 2020 für zehn Jahre energetische Sanierungsmaßnahmen steuerlich durchaus signifikant gefördert, zudem gibt es höhere Tilgungszuschüsse und Kredite von der KfW.

Auch auf europäischer Ebene tut sich derzeit viel: Einen wichtigen Eckpfeiler des Green Deals bildet die kürzlich vorgestellte "Renovation Wave", die mindestens eine Verdoppelung der in Europa ebenfalls bei lediglich einem Prozent liegenden Renovierungsquote in den nächsten zehn Jahren zum Ziel hat. Dazu sollen die in der gesamten Renovierungskette bestehenden Hindernisse durch eine Reihe von Maßnahmen beseitigt werden. Darunter fällt auch die schrittweise Einführung verbindlicher Mindestnormen für die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden. Haus & Grund-Präsident Kai Warnecke warnte deshalb nicht ganz zu Unrecht bereits vor einem "europäischen Sanierungszwang". Und auch Immobilienbanken und -investoren müssen davon ausgehen, dass ihnen Politik und Regulatorik verstärkt mit Zwängen beziehungsweise Verboten zu Leibe rücken werden. Dafür spricht neben den jüngst implementierten Taxonomie- und Offenlegungsverordnungen beispielsweise die langsam an Fahrt aufnehmende Diskussion über potenziell höhere Kapitalunterlegungspflichten "brauner" Assets.

Immobilienbewerter werden all diese Entwicklungen jedenfalls mit Argusaugen verfolgen. Klar ist, dass die Vorgaben aus den Klimaschutzplänen früher oder später einen Einfluss auf die Bewertung von Immobilien nehmen werden. Im schlimmsten Fall könnten Immobilien mit besonders hohem CO2-Ausstoß in einigen Jahren so stark abgewertet werden (müssen), dass sie nicht mehr am Markt handelbar sind und gewissermaßen "stranden" ("Stranded Assets"). Das ist sicher ein Worst-Case-Szenario, aus der Luft gegriffen ist es deshalb keineswegs. In den Niederlanden etwa dürfen bereits ab 2023 nur noch solche eBürogebäude vermietet werden, die mindestens dem Energielabel C entsprechen. Es ist wirklich allerhöchste Zeit.

Philipp Hafner , Leitender Redakteur, Immobilien & Finanzierung , Helmut Richardi Verlag
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