Aufsätze

Der Euro-Geldmarkt aus deutscher Perspektive

Durch die erheblichen Verwerfungen an den Finanzmärkten im Zuge der Finanz- und Staatsschuldenkrise hat sich auch der europäische Interbanken-Geldmarkt seit 2007 wesentlich verändert.1) Als Antwort auf den krisenbedingten Vertrauensverlust zwischen den Finanzmarktakteuren und die daraus resultierende Segmentierung des Geldmarkts stellt das Eurosystem und damit auch die Deutsche Bundesbank seit Mitte Oktober 2008 Liquidität im Vollzuteilungsmodus bereit, sofern die Geschäftspartner über ausreichende Sicherheiten verfügen.

Nicht zuletzt mit der Zuteilung der beiden Dreijahrestender im Dezember 2011 und Februar 2012 hat das Eurosystem eine zentrale Rolle am Geldmarkt eingenommen. Im derzeitigen Niedrigzinsumfeld hat die Ausweitung der Intermediation über die Notenbankbilanz zu einem weiteren Rückgang der Interbankenumsätze geführt.

Veränderte Marktstrukturen

Zudem haben sich die Marktstrukturen gewandelt. Zum einen hat sich der Trend zu besicherten Geldmarktgeschäften fortgesetzt, vor allem aufgrund weiter gestiegenen Geschäften über sogenannte Zentrale Gegenparteien (Central Counterparties - CCPs). Zugleich gewinnt damit die Sicherheitenqualität an Bedeutung, wie beispielsweise die Liquidität des jeweiligen Wertpapiers und seine Notenbankfähigkeit. Zum anderen dürften die geplanten Regulierungsvorhaben unter Basel III tendenziell dazu führen, dass Banken ihre Bilanzen anpassen, indem sie Risiken abbauen und am Geldmarkt vermehrt Geschäfte mit längeren Fristigkeiten nachfragen.

Schließlich hat das Niedrigzinsumfeld bei verengtem Korridor für die geldpolitischen Zinssätze das Verhalten von Banken verstärkt, ihre überschüssige Liquidität an die Zentralbank abzugeben statt sie im Interbankenmarkt anzubieten. Besonders für den deutschen Teil des Euro-Interbankenmarktes sind diese Veränderungen angesichts seiner Größe im Eurosystem von hoher Bedeutung.

Charakteristika der Geldmarkttransaktionen in Deutschland

Blick zurück in die Zeit vor der Finanzmarktkrise im ersten Halbjahr 2007, als die Integration des Geldmarkts im Vergleich zu anderen Segmenten des europäischen Finanzmarkts sehr weit fortgeschritten war: Die Umverteilung der bewusst nur am errechneten Gesamtbedarf des Banken sektors der Eurozone ausgerichteten und damit knappen Liquiditätsversorgung erfolgte durch die Banken selbst. Vor allem Banken in Deutschland verteilten die Liquidität in der Eurozone, auf sie entfielen etwa 55 Prozent der gesamten Mittelbereitstellung des Eurosystems. Dieser Anteil lag erheblich über dem Eigenbedarf der Institute in Deutschland. Die überreichliche Liquidität floss grenzüberschreitend über den seinerzeit weitgehend unfragmentierten Geldmarkt. Man sah dies als Merkmal eines gut integrierten pan-europäischen Geld- und Kapitalmarkts an.

Nicht zuletzt wegen der Verfügbarkeit dieser kurzfristigen Refinanzierung war vor der Krise in weiten Teilen des Euroraums ein System des Wholesale Funding (Einlagen von Geldmarktfonds, Versicherungen, Pensionskassen und Kreditinstituten) im Gegensatz zum Retail Funding (Einlagen von Haushalten und Nicht-Banken) weit verbreitet.2) Dabei variierte die Abhängigkeit der Banken vom Interbankenmarkt je nach Geschäftsmodell stark.

Aus heutiger Perspektive ist festzustellen, dass Kredit- und Kontrahentenrisiken bei einem Teil dieser großvolumigen und unbesicherten Ausleihungen zu wenig Berücksichtigung fanden. Mit der Verschärfung der Finanzkrise haben zahlreiche Adressen ihre Engagements im Interbankengeldmarkt teils drastisch zurückgefahren. Neben dem Niedrigzinsumfeld in Verbindung mit der hohen Überschussliquidität und dem Abschmelzen von Margen hat besonders eine veränderte Risikowahrnehmung den Handlungsspielraum vieler Marktteilnehmer für grenzüberschreitende Interbankausleihungen verringert.

Überschussliquidität bei deutschen Banken

Banken in Deutschland kommt allerdings derzeit die umfangreiche Überschussliquidität besonders zugute. Diese resultiert einerseits aus Liquiditätszuflüssen, die das hohe Maß an Vertrauen in den Geldmarkt in Deutschland widerspiegeln. Andererseits bündeln und managen viele internationale Institute in Deutschland ihre Euroliquidität. Zu beobachten ist zum einen die regelmäßig hohe Beteiligung dieser Banken an den wöchentlichen Absorptionen der durch das Securities Markets Programme bereitgestellten Liquidität. Etwa 60 Prozent des Absorptionsvolumens entfällt auf Geschäftspartner aus Deutschland. Zum anderen sind ihre Inanspruchnahme der Einlagefazilität und ihre Zentralbankguthaben bei der Deutschen Bundesbank verhältnismäßig hoch; sie betragen etwa 30 Prozent und 35 Prozent des gesamten Volumens.3) Zum Vergleich: Der Anteil deutscher Banken an den Reserveverpflichtungen des Eurosystems machte Ende Dezember 2012 etwa 27 Prozent aus.

Die Liquiditätssituation der Geschäftsbanken ist auch vor dem Hintergrund einer geringen Tenderteilnahme und damit kaum bereitgestellter Zentralbankrefinanzierung in Deutschland zu sehen. Der Anteil deutscher Geschäftspartner lag Ende Januar 2013 bei nur rund sechs Prozent des gesamten Refinanzierungsvolumens des Eurosystems. Spiegelbildlich dazu waren die umfangreichen Liquiditätszuflüsse aus dem Ausland, die sich in den hohen Target-2-Forderungen niederschlugen; sie betrugen Ende Januar 2013 bei der Deutschen Bundesbank 617 Milliarden Euro.

Ergebnisse der jüngsten Euro-Geldmarktumfrage

Die regelmäßige Umfrage unter geldmarktaktiven Banken zeigte erneut Besonderheiten des Euro-Geldmarktes in Deutschland. Während im Jahr 2012 die Umsätze unbesicherter Geldmarkttransaktionen in Europa um rund 35 Prozent sanken, stiegen diese in Deutschland sogar um sechs Prozent. Der Grund lag in den zahlreichen Transaktionen innerhalb der Verbünde, etwa zwischen Landesbanken und Sparkassen oder auch zwischen genossenschaftlichen Zentralbanken und Volks- und Raiffeisenbanken. Mit Blick auf die Handelsstrukturen überwog bei den unbesicherten Transaktionen der direkte Weg zwischen zwei Handelspartnern. In Deutschland betrug der Anteil Überschussliquidität im Jahr 2012 65 Prozent und war damit etwas höher als in Europa insgesamt mit etwa 62 Prozent.

Zugleich ist der besicherte Geldmarkt in Deutschland weit entwickelt und trotz des Umsatzrückganges im Jahr 2012 in Deutschland und Europa das größte Geldmarktsegment geblieben. In Deutschland wirkte sich dabei stabilisierend aus, dass der Anteil von Geschäften mit Zentraler Gegenpartei von 57 Prozent im Jahr 2011 auf 61 Prozent im Jahr 2012 stieg. Für die Gesamtumfrage in Europa ergab sich für das Jahr 2012 ein Anteil von 55 Prozent. Mit einer Zentralen Gegenpartei können Banken anonym und besichert Geldmarkttransaktionen abschließen. Zu den Hauptvorteilen für Geldmarkttransaktionen via CCP gehören die Verringerung des Kontrahenten-Ausfallrisikos sowie eine geringere aufsichtliche Eigenkapitalunterlegung dieser Geschäfte. Plattformen für besicherte Geldmarkttransaktionen wurden bereits vor der Finanzmarktkrise geschaffen, doch sind ihre Umsätze vor allem im Zuge der Krise deutlich gestiegen.

In Deutschland trägt dazu vor allem das Handelssegment GC Pooling von Eurex Repo mit Eurex Clearing als CCP bei. Die Attraktivität dieses Segments besteht für Banken in Deutschland auch im sogenannten Re-Use. Dies bedeutet, dass Sicherheiten, die über eine CCP-Transaktion hereingenommen wurden, anschließend direkt für Refinanzierungsgeschäfte bei der Deutschen Bundesbank oder andere Interbankgeschäfte via CCP genutzt werden können. Besicherte Umsätze finden darüber hinaus auch als Triparty Repos statt. In Deutschland waren die gemeldeten Umsätze bei den Triparty Repos für 2012 mit 22 Prozent der Ausleihungen oder 42 Prozent der Geldaufnahme, gemessen am Umfrageergebnis für Europa, relativ hoch.

Die Umsätze kurzfristiger Geldmarktpapiere (Anfangslaufzeit bis zu einem Jahr) haben insgesamt nur einen sehr kleinen Anteil am Geldmarkt in Europa. Vor allem werden kurzfristige Staatspapiere und Nicht-Bankenemissionen gehandelt; kurzfristige Bankemissionen sind in Deutschland von geringerer Bedeutung.

Die Geldmarktumfrage hat auch die Herkunft der Handelspartner untersucht. Dabei gab es bei den unbesicherten Geldmarktumsätzen in Deutschland im Jahr 2012 eine Tendenz, weniger Handelspartner im Eurogebiet zu suchen (30 Prozent gegenüber 47 Prozent im Jahr 2007). Ein anderes Bild zeigte sich im besicherten Markt: Hier wurden 2012 rund 50 Prozent der Umsätze mit Handelspartnern getätigt, die aus dem Eurogebiet kamen, sodass im besicherten Markt die Grenzen zwischen den Ländern der Eurozone erwartungsgemäß eine geringere Rolle spielten.

Transparenz am Geldmarkt und Referenzzinssätze

Die repräsentative jährliche Euro-Geldmarktumfrage der nationalen Zentralbanken des Eurosystems kann zwar wichtige Entwicklungen am Geldmarkt verdeutlichen, doch das Wissen über den gesamten Geldmarkt ist immer noch fragmentiert. Zur Fundierung geldpolitischer Entscheidungen ist daher eine breite Erfassung von besicherten und unbesicherten Geldmarkttransaktionen erstrebenswert. Nur so können tatsächliche Dysfunktionalitäten in den verschiedenen Segmenten des Geldmarktes festgestellt werden. Im Einzelnen geht es beispielsweise um den Grad der Segmentierung am Interbanken-Geldmarkt oder um mögliche Störungen des geldpolitischen Transmissionskanals, ausgehend vom operationalen Ziel der Implementierung, den kurzfristigen Geldmarktsätzen, bis hin zur Kreditvergabe.

Gerade im Hinblick auf die aktuelle Diskussion zur Manipulationsanfälligkeit der Referenzzinssätze Libor und Euribor können transaktionsbasierte Zinssätze erheblich zur Qualitätsverbesserung beitragen. Aussagekräftige, kontinuierliche und vertrauenswürdige Referenzzinssätze sind nicht nur für Notenbanken, sondern auch für alle anderen Marktteilnehmer essenziell, da sich viele Kontrakte auf diese Referenzzinssätze beziehen. In dieser Hinsicht können die privatwirtschaftlich erhobenen Zinssätze durchaus auch als öffentliches Gut verstanden werden.

Der kurzfristige Interbankenzinssatz Eonia beruht im Gegensatz zu Euribor und Libor auf effektiven Umsätzen. Seine Zuverlässigkeit ist grundsätzlich gegeben, allerdings haben die schon beschriebenen strukturellen Entwicklungen zu gesunkenen Umsätzen im unbesicherten Geldmarkt geführt. So verringerten sich die Eonia-Umsätze von durchschnittlich mehr als 40 Milliarden Euro vor Krisenbeginn im Jahr 2007 auf erstmals weniger als 20 Milliarden Euro Ende 2012. Das Problem der Aussagekraft wird aktuell verschärft durch die Entscheidungen verschiedener Banken, aus dem Euribor- und somit auch dem Eonia-Panel auszusteigen. In jüngster Zeit hat sich ihre Zahl von 44 auf 39 verringert. Ein Vorteil der vollständigen Erhebung des unbesicherten und besicherten Geldmarkts läge darin, dass die Zentralbank oder auch die Finanzmarktaufsicht die Konsistenz von privatwirtschaftlich erhobenen Referenzzinssätzen jederzeit überprüfen könnte - angesichts der Bedeutung der Sätze für die Gesamtwirtschaft ein wünschenswertes Ziel.

Neue Balance gesucht

Aufgrund der Liquiditätszuflüsse und des Vertrauens in den deutschen Finanzmarkt ist die Ausgangsbasis für Geldmarkttransaktionen für Banken in Deutschland gut. Besicherte Transaktionen haben den Geldmarkt in Zeiten von großer Unsicherheit belebt, besonders durch die Einschaltung Zentraler Gegenparteien. Dies zeigt auch die starke Zunahme internationaler Teilnehmer auf der Handelsplattform GC Pool ing von Eurex Repo während der Krise. Angesichts der über die Nutzung der Rückzahlungsoption der beiden Dreijahrestender gerade schrittweise abnehmenden Überschussliquidität können sich mittelfristig wieder neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen. Dabei wird es auch Aufgabe der Geldmarktakteure in Deutschland sein, eine neue Balance zwischen Risiken und Chancen bei grenzüberschreitenden Ausleihungen zu finden. Damit kann jedoch nicht das Aufleben der nur scheinbar sorglosen Vorkrisenzeiten gemeint sein.

Die Deutsche Bundesbank akzeptiert temporär ihre Rolle in der Umverteilung von Liquidität, setzt aber mittelfristig auf einen marktbasierten und angemessen regulierten Interbankenmarkt für den Liquiditätsausgleich. Dazu gehören vor allem Transparenz und zuverlässige Referenzzinssätze, die bestenfalls auf Grundlage von Transaktionen erhoben werden. Solange die Vorbereitungen zu einer breiten Erfassung der unbesicherten und besicherten Geldmarktumsätze noch nicht abgeschlossen sind, bedeutet dies für die Banken in erster Linie, durch ihr Verhalten die Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit der bestehenden Referenzzinssätze sicherzustellen. Dies schließt insbesondere das Verbleiben in den Panels zur Referenzzinsfeststellung ein.

Fußnoten

1) Der Artikel konzentriert sich auf den Geldmarkt unter Banken, Geldmarkttransaktionen zwischen Banken und Unternehmen werden hier nicht behandelt.

2) Domenico Giannone, Michele Lenza, Huw Pill und Lucrezia Reichlin, "The ECB and the interbank market", The Economic Journal, 122 (November 2012), F467-F486, hier F469.

3) Jeweils Durchschnittswert für das vierte Quartal 2012.

Dr. Joachim Nagel , Präsident , Deutsche Bundesbank, Frankfurt am Main
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