Aufsätze

Die EZB und der Interbanken-Geldmarkt

Unter "Geldmarkt" ist im engeren Sinne der Interbankenmarkt für Zentralbankgeld zu verstehen, das heißt Sichteinlagen von Banken bei der Zentralbank. Banken müssen Sichteinlagen bei der Zentralbank halten, da ihr Zentralbankkonto zum Tagesende keinen negativen Saldo aufweisen darf und sie bestimmte Mindestreserveanforderungen erfüllen müssen. Die Zentralbank spielt nicht nur deswegen eine wesentliche Rolle für den Interbanken-Geldmarkt, weil der Geldmarkt einen Markt für Zentralbankverbindlichkeiten darstellt, sondern auch, weil die Zentralbank eine Reihe von Entscheidungen treffen kann, die über die Existenz des Geldmarktes und den Umfang der an ihm stattfindenden Aktivitäten bestimmen. Ein funktionierender Geldmarkt ist aus mindestens zwei Gründen essenziell für die Zentralbank: Zum einen wird verhindert, dass die Zentralbank eine dauerhafte Vermittlerrolle einnehmen muss, was mit der Übernahme höherer Risiken seitens der Zentralbank und einer weniger effizienten Zuteilung von Mitteln verbunden wäre; zum anderen soll sichergestellt werden, dass der Transmissionsmechanismus der Geldpolitik effektiv in Gang kommt.

Zentralbankentscheidungen und Geldmarkt

Die Beziehung zwischen der Zentralbank und dem Geldmarkt wird häufig missverstanden, was zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass die grundlegendste Logik der Finanzierungsrechnung, über die die Zentralbank mit den Banken verbunden ist, nicht ausreichend im Bewusstsein verankert ist. Um den Zusammenhang zwischen Zentralbankentscheidungen und Geldmarkt besser verstehen zu können, dient die Darstellung eines vereinfachten Systems der Finanzierungsrechnung der Wirtschaft. Grundlage bildet zwar die Annahme, dass der private Haushalt/Anleger der ursprüngliche Inhaber "realer" Vermögenswerte (Sachvermögen) in der Wirtschaft ist, dann diversifiziert er jedoch in drei Kategorien von finanziellen Vermögens werten:

Verbindlichkeiten von Bank 1, Verbindlichkeiten von Bank 2 und Banknoten (B).

Es wird davon ausgegangen, dass sich der Haushalt entschließt, den Teil Alpha (wobei 0< Alpha <1) seiner Gesamteinlagen (D) bei Bank 1 und den Teil 1- Alpha bei Bank 2 zu halten. Die Variable Alpha kann sich im Zeitverlauf ändern und von Schwankungen in den Finanzanlageentscheidungen von privaten Haushalten/Anlegern beeinflusst werden: Aus Renditegründen oder aufgrund unterschiedlich starker Bedenken im Hinblick auf Kreditrisiken überprüft der Privathaushalt immer wieder von Neuem seine Anlageentscheidungen. Der Umgang mit dieser grundlegenden Instabilität von Finanzanlagen stellt eine der größten Herausforderungen für das Finanzsystem dar. Aus Sicht der privaten Haushalte ist Variable Alpha eine gewählte Variable, während sie aus Sicht des Finanzsystems als exogene Zufallsvariable betrachtet werden kann. Im Falle einer Finanzkrise wird Alpha volatiler und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass der private Haushalt eine Konzentration seiner Einlagen bei einer der Banken (der "guten" Bank, was nachstehend für Bank 1 angenommen wird) bevorzugt. Der Zugang zu Einlagen privater Haushalte entspricht in diesem Modell dem Zugang zu den Kapitalmärkten (das heißt Einlagen und Kapitalmarktzugang wurden zur Vereinfachung in einer Kategorie zusammengefasst).

Es wird ferner davon ausgegangen, dass die beiden Banken ex ante dieselbe Bilanzsumme aufweisen, sodass die unterschiedlich hohen Einlagebeträge entweder durch Kredite am Interbankenmarkt oder ein unterschiedliches Volumen an Finanzierungen über Zentralbankgelder ausgeglichen werden. Zudem wird angenommen, dass Bankvermögen illiquide sind, das heißt Verluste bei Einlagen können nicht durch einen Verkauf von Vermögenswerten ausgeglichen werden. Diesem vereinfachten Modell liegt die Annahme zugrunde, dass der private Haushalt/Anleger D, B und Alpha und die Zentralbank ihre Anleihebestände aus der Realwirtschaft (S; Unternehmens- und Staatsanleihen) auswählt. Daraus ergeben sich alle anderen Bilanzpositionen.

Zwei extreme Varianten

Abbildung 1 zeigt die stilisierten Finanzierungsrechnungen der Realwirtschaft und des Finanzsystems. Nachstehend werden zwei extreme Varianten angenommen: In der einen Variante wird die Differenz zwischen den Einlagen der Banken durch den Interbankenmarkt ausgeglichen ( blau), und in der anderen Variante geschieht dieser Ausgleich über verschiedene Inanspruchnahmen von Zentralbankgelder. Wie bereits erläutert, wird implizit angenommen, dass Alpha >= 0,5 ist, sodass Bank 1 tendenziell die Bank mit der höheren Liquidität ist und Kredite an Bank 2 vergeben kann beziehungsweise in verhältnismäßig geringem Maß auf die Zentralbankfinanzierung zurückgreift. Zudem wird vorerst implizit davon ausgegangen, dass beide Banken Finanzierungen über die Zentralbank benötigen (nachstehend wird der Fall erörtert, dass Bank 1 über eine Überschussreserve verfügt).

Um einfacher festzustellen, ob eher die blaue oder die fett gedruckte Variante dieser Rechnungen zu erwarten ist, und um voraussagen zu können, was passiert, wenn eine Bank aufgrund hoher Einlagenzuflüsse Überschussreserven bei der Zentralbank hält, müssen drei stilisierte Faktoren für die Grenzkosten von Transaktionen definiert werden. Für jeden dieser Faktoren bedeutet es eine große Vereinfachung, wenn relevante Kosten tatsächlich in einem Parameter und in einer Konstante für Transaktionsgrenzkosten erfasst werden. In einem heterogenen Bankensystem mit vielen Banken variieren diese Kosten letztlich von Bank zu Bank. Vorstehend wird davon ausgegangen, dass die Kostenparameter für beide Banken gleichermaßen gelten.

CMM - Kosten für den Interbankenhandel: Diese Kosten entstehen etwa durch Händlergebühren, den Betrieb einer Geldmarkthandelsabteilung, die erforderliche Risikoanalyse und Due Diligence, aufsichtsrechtliche und ökonomische Kapitalkosten. In der Praxis sind die Geldmärkte häufig nicht nur Beschränkungen im Hinblick auf Kosten, sondern auch in Bezug auf Geschäftspartner unterworfen. Dieser Kostenfaktor ist in Bezug auf das Finanzsystem exogen und hängt mit Technologie, Kreditrisiken und Regulierung zusammen.

CCBB - Die Kosten der Banken für die Aufnahme von Zentralbankgeldern: Diese Kosten stehen im Zusammenhang mit der Identifizierung und Hinterlegung von Sicherheiten [zum Beispiel würden sehr hohe, von der Zentralbank auferlegte Bewertungsabschläge zu Kosten für die Reservierung von Vermögenswerten (Asset Encumbrance) führen], Unsicherheiten in Bezug auf das Tenderauktionsverfahren und das Prolongationsrisiko sowie dem möglichen Stigma der Abhängigkeit von der Zentralbank. Diese Parameter werden zum Teil von der Zentralbank gesteuert. Wenn die Zentralbank beispielsweise eine sehr große Bandbreite an Sicherheiten mit niedrigen Bewertungsabschlägen akzeptiert, sie über Verfahren mit vollständiger Zuteilung und festem Zins Mittel vergibt und Banken zur Teilnahme an Verfahren einlädt (statt sie zu stigmatisieren), werden diese Kosten vergleichsweise gering ausfallen.

CCOR: Die Breite des Korridors, das heißt die Differenz zwischen dem Zinssatz, zu dem Banken bei der Zentralbank Geld aufnehmen können (wozu sowohl der erhobene Zinssatz als auch CCBB gehören), und dem Zinssatz, den Banken für ihre Überschussreserven erhalten. Diese Kosten sind lediglich dann relevant, wenn einige Banken aufgrund hoher Einlagenzuflüsse Überschussreserven halten. Dieser Kostenparameter wird weitgehend von der Zentralbank gesteuert (ausgenommen sind die Komponenten von CCBB, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen). So bietet die EZB beispielsweise momentan für Überschussreserven 0 Prozent, während sie für die Kreditaufnahme im Rahmen von wöchentlichen Geschäften einen Zinssatz von 75 Basispunkten und für Außenstände zum Tagesabschluss einen Zinssatz von 150 Basispunkten erhebt. Damit erspart die Reduzierung des zweiseitigen Rückgriffs des Bankensystems auf die Zentralbank über Interbankentransaktionen dem Bankensystem derzeit mindestens 75 Basispunkte und bis zu 150 Basispunkte [tatsächlich ist die Ersparnis sogar noch höher, wenn eine Bank auf die Bereitstellung von Liquiditätshilfe in Notfällen (Emergency Liquidity Assistance) durch die Zentralbank angewiesen ist].

Drei theoretische Fälle

Per Definition gilt: CCOR > CCBB. Unter normalen Umständen kann davon ausgegangen werden, dass sowohl CCBB als auch CMM sich im Rahmen von einigen Basispunkten bewegen, während CCOR von der EZB auf 100 Basispunkte festgelegt wurde (wenn die Differenz zwischen dem Hauptrefinanzierungssatz und dem Einlagensatz als relevant erachtet wird beziehungsweise 200 Basispunkte, wenn die Differenz zwischen den Zinssätzen für die beiden ständigen Fazilitäten verwendet wird). In Krisenzeiten ist die Reihenfolge nicht mehr so klar zu erkennen, und CMM kann sogar höher sein als CCOR. Daher sollte zwischen drei theoretischen Fällen unterschieden werden: (i) CMM < CCBB < CCOR, (ii) CCBB < CMM < CCOR und (iii) CCBB < CCOR < CMM. In Abbildung 1 gelten die blauen Positionen (Geldmärkte gleichen die unterschiedlichen Einlagenniveaus der Banken aus), wenn CMM < CCBB; die fett gedruckten Positionen (die Zentralbank übernimmt diese Funktion) treffen zu, wenn CMM > CCBB. Das in Abbildung 1 dargestellte Szenario gilt nur für den Fall, dass beide Banken immer noch von der Zentralbank abhängig sind.

In der Tabelle 1 ist dargestellt, wie S, Alpha und die Reihenfolge der drei Kostenfaktoren das Kreditvolumen am Interbankenmarkt (MM) sowie die Ausweitung der Zentralbankbilanz über das Anlegen der Überschussreserven von Bank 1 (XSR) für das Zahlenbeispiel E = 80, B = 20, D = 20, Alpha = 0,75 bestimmen.

In vollständig effizienten Geldmärkten (CMM < CCBB) nehmen deren Aktivitäten mit den Beeinträchtigungen im Einlagengeschäft/an den Kapitalmärkten (je näher Alpha an 1 ist) und mit der Abnahme der Outright-Bestände der Zentralbank zu. Auch bei halbeffizienten Geldmärkten (CCOR > CMM > CCBB) stützt eine Verzerrung an den Kapitalmärkten den Interbankenhandel, allerdings führt ein mittelgroßes Outright-Portfolio der Zentralbank zu einer Maximierung des Umsatzes am Geldmarkt. Dies liegt darin begründet, dass in diesem Fall der einzige Faktor, der die Banken dazu treibt, am Geldmarkt zu agieren, die hohen finanziellen Anreize sind, die sich aus dem zweiseitigen Rückgriff der Banken auf die Zentralbankbilanz ergeben. Bei sehr niedrigen Outright-Portfolios der Zentralbank verfügen alle Banken tendenziell über knappe Zentralbankgelder, sodass ein zweiseitiger Rückgriff auf die Zentralbank nicht wirklich stattfindet. In den meisten beeinträchtigten Geldmärkten (CCOR < CMM) bestehen offensichtlich keine Geldmarktaktivitäten im Rahmen einer der Kombinationen mit Alpha, S. Überschussreserven sind in effizienten und halbeffizienten Geldmärkten gleich, wobei in diesen die gesamte Überschussreserve immer den unvermeidbaren gesamten Überschussreserven, die das Bankensystem durchgehend hält, entspricht.

Steuerung von Schlüsselparametern

Hat die Zentralbank kein Interesse daran, dass solche Überschussreserven vorhanden sind, muss sie ihre Outright-Portfolios verringern. In stark beeinträchtigten Geldmärkten hingegen übersteigen die Einlagen von Überschussreserven in einigen Fällen die gesamten Überschussreserven, die sich unweigerlich aus den Outright-Beständen der Zentralbank ergeben. Diese Überschussreserven sind in Bezug auf umfangreiche Outright-Wertpapierbestände der Zentralbank und Verzerrungen im Einlagengeschäft/an den Kapitalmärkten besonders hoch.

Kurz gefasst: Durch die Bestimmung (i) des strukturellen Liquiditätsdefizits im Bankensystem, (ii) des Korridors zwischen den Zinssätzen der Zentralbank für Kreditaufnahme und Überschussreserven und (iii) der Nutzerfreundlichkeit der Kreditgeschäfte der Zentralbank und des verfügbaren Umfangs an Sicherheiten steuert die Zentralbank einige Schlüsselparameter, die sich auf die Aktivitäten am Interbanken-Geldmarkt auswirken. Nichtsdestotrotz ist die Effizienz des Geldmarktes, die in dem Parameter für Interbankentransaktionskosten CMM zusammengefasst werden kann, ein gleichsam wichtiger Faktor, der zusammen mit den von der Zentralbank getroffenen Entscheidungen die tatsächliche Situation am Geldmarkt bestimmt. Da die Zentralbankbilanz insbesondere in dem vorstehend aufgeführten vereinfachten Modell ein Abbild des Geldmarktes darstellt, wird sie dementsprechend von all diesen Parametern beeinflusst.

Und schließlich muss eingeräumt werden, dass diese Logik die Realität in einem weiteren Bereich vereinfacht: Manchmal können unterstützende Maßnahmen der Zentralbank zu einer Verbesserung anstatt zu einer Beeinträchtigung der Marktaktivitäten führen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich entsprechende unterstützende Maßnahmen positiv auf das Vertrauen von Kapitalgebern in Bezug auf die Fähigkeit von Kontrahenten, ihre Kredite bei Fälligkeit zurückzuzahlen, auswirken. Dieses Vertrauen stärkt die Bereitschaft zur Kreditvergabe an andere Banken, was den unmittelbaren Rückgriff dieser Banken auf die Zentralbank verhindert.

Die EZB, die Schuldenkrise im Euroraum und der Geldmarkt

Um die Logik der vorherigen Ausführungen fortzuführen, lässt sich die Finanzkrise der vergangenen Jahre im Hinblick auf die die Geldmärkte beeinflussenden Modellparameter folgendermaßen charakterisieren:

CMM: Erhöhte Wahrnehmung des Kreditrisikos (nach der Lehman-Krise), gestiegene aufsichtsrechtliche und sonstige Kosten als Belastung bei Interbankengeschäften (Basel III), allgemeiner Trend hin zu konservativem und regelbasiertem Kreditrisikomanagement in Bezug auf Geschäftspartner, sowie breitflächige Rating-Herabstufungen. Zu diesem bereits strengen Geschäftspartnerrisikomanagement kam noch die Staatsschuldenkrise hinzu, die zumindest vorübergehend Ängste vor einem Zusammenbruch der Währungsunion schürte. Dies führte zu einem äußerst vorsichtigen grenzüberschreitenden Interbankenrisikomanagement. In einigen Währungsräumen, nicht jedoch dem Euroraum, griffen die Zentralbanken zu umfangreichen Programmen zum Ankauf von Vermögenswerten, wodurch das Bankensystem insgesamt einen Liquiditätsüberschuss aufwies (das EZB-eigene Programm zum Ankauf von Vermögenswerten fiel zwar nicht besonders umfangreich aus, sorgte aber für einen Liquiditätsüberschuss im Bankensystem).

Alpha: Verzerrung der Geldflüsse an den Kapitalmärkten, was bei einigen Banken zu einem Überschuss an Finanzierungsmitteln führt, während bei anderen große Finanzierungslücken entstehen, die entweder durch Kreditaufnahme am Interbankenmarkt oder Inanspruchnahme von Zentralbankgeldern geschlossen werden müssen. Da den Verwerfungen an den Kapitalmärkten jedoch ähnliche Faktoren zugrunde liegen wie der immer eingeschränkteren Verfügbarkeit des Interbankenmarktes, wie im vorherigen Aufzählungspunkt beschrieben, dürften sie eher den massiven Rückgriff auf Zentralbankgelder als auf die Interbankenmärkte fördern.

CCBB: Der Rahmen für Sicherheiten im Eurosystem unterliegt zum Teil prozyklischen Faktoren; es wurden allerdings auch verschiedene unterstützende Maßnahmen ergriffen, um die Notenbankfähigkeit von Sicherheiten zu wahren.

Des Weiteren wurden diverse Fördermaßnahmen im Hinblick auf die Kreditgeschäfte selbst ergriffen; hier sind zum Beispiel die vollständige Zuteilung bei festem Zinssatz und die Verlängerung der Laufzeit von Kreditgeschäften der Zentralbank zu nennen. Die EZB versuchte zudem zu verhindern, dass der Rückgriff auf ihre Geschäfte mit einem Stigma behaftet ist.

CCOR: Die EZB verringerte den für die ständigen Fazilitäten gebildeten Korridor von 200 auf 150 Basispunkte. Für die Liquiditätshilfe in Notsituationen wurde sogar ein über dem Spitzenrefinanzierungssatz liegender Zinssatz verlangt.

Zweifacher Rückgriff auf die Zentralbankbilanz

Zusammen führten diese drei Faktoren zur deutlichen Abnahme von unbesicherten Transaktionen an den Interbankenmärkten sowie einem in hohem Maße in Anspruch genommenen zweifachen Rückgriff auf die Zentralbankbilanz. Abbildung 2 zeigt die Entwicklung der Bilanz des Eurosystems vor dem Hintergrund der zunehmenden Vermittlerrolle der Zentralbanken während der Krise. Im Jahr 2007 war der Rückgriff auf die Finanzierungsgeschäfte des Eurosystems immer noch ausschließlich durch autonome Faktoren (zum Beispiel Banknoten) und die Notwendigkeit, die Mindestreserveanforderungen auf den Girokonten beim Eurosystem zu erfüllen, motiviert. Als in der Krise die zunehmende Nachfrage nach Zentralbankliqui dität im Rahmen von auktionsbasierten Zinstendern die Zinsen steigen ließ, führte die EZB die Vollzuteilung mit festem Zinssatz ein (Oktober 2008). Banken mit aus reichend notenbankfähigen Sicherheiten konnten die Höhe der Zentralbankliquidität zu einem festgelegten Zinssatz bestimmen, das heißt, da einzelne Banken mit Liquiditätsproblemen zu kämpfen hatten, bot das Eurosystem die entsprechenden Mittel an, und zwar in einem höheren Umfang, als im System insgesamt benötigt wurde.

Dies hatte zur Folge, dass gleichzeitig der Rückgriff auf die Einlagenfazilität zunahm (unterer Teil der Abbildung 2). Die Überschussliquidität stieg mit der Verlängerung der Laufzeit der längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (Longer-Term Refinancing Operations, LTROs) im Sommer 2009 durch die einjährigen LTROs und Ende 2011 durch die dreijährigen LTROs weiter an. Im Mai 2010 führte die EZB das Programm für die Wertpapiermärkte mit den entsprechenden wöchentlichen liquiditätsabschöpfenden Geschäften ein. Ebenfalls im unteren Teil der Abbildung 2 in Form eines Rückgangs der relativen Größe der Girokonten beim Eurosystem ersichtlich sind die Senkung des Mindestreservesatzes von zwei Prozent auf ein Prozent im Dezember 2011 sowie die Auswirkungen der Senkung des Einlagensatzes auf null (im Juli 2012). Dadurch wurden die Banken theoretisch gleichgültig, ihre Überschussreserve auf ihren unverzinslichen Girokonten beim Eurosystem oder im Rahmen der Einlagenfazilität zu halten. Anfang 2013 begann sich das Umfeld zu normalisieren, und es wurden die ersten vorzeitigen Rückzahlungen dreijähriger LTROs vorgenommen (Abbildung 2).

Starker Rückgang der unbesicherten Transaktionen

Bei einer Betrachtung des Interbanken-Geldmarkts während der Krise ist zu erkennen, dass der unbesicherte Umsatz zwischen 2007 und 2012 um mehr als die Hälfte zurückging: Der durchschnittliche tägliche Umsatz für die gesamte unbesicherte Kreditaufnahme undvergabe sank von zirka 255 Milliarden Euro im 2. Quartal 2007 auf zirka 95 Milliarden Euro im Jahr 2012 (siehe Tabelle 3). Der Hauptgrund für diesen Rückzug aus unbesicherten Transaktionen lag in der verstärkten Wahrnehmung von Kreditrisiken - was sich auch an den Spreads zwischen den Zinsen für (risikolose) Tagesgeldsatz-Swaps und für unbesicherte Einlagen ablesen ließ. Abbildung 3 zeigt, dass der Umsatz insbesondere nach Phasen, in denen Kreditrisiken zunehmend stark wahrgenommen wurden, rückläufig war.*) Gleichzeitig verringerte sich durch die wachsende Bedeutung der EZB als Vermittlerin die Notwendigkeit, unbesicherte Transaktionen am Interbankenmarkt einzugehen: Einige Banken entschieden sich indes nun, ihren Finanzierungsbedarf über längerfristige EZB-Liquidität zu decken, insbesondere über die dreijährigen LTROs. Damit standen am Geldmarkt weniger Geschäftspartner zur Verfügung, was den Umsatz ebenfalls beeinträchtigte (Tabelle 3).

Der zunehmende Kosten- und Risikofaktor von unbesicherten Transaktionen kam den besicherten Geldmarktgeschäften zugute. Während das Volumen des unbesicherten Geldmarktes seit 2007 kontinuierlich zu rück gegangen ist, ist der besicherte Geldmarkt im gleichen Zeitraum stabil geblieben. Insgesamt ist der tägliche Gesamtumsatz seit 2007 um weniger als 15 Milliarden Euro zurückgegangen und lag im 2. Quartal 2012 bei 414 Milliarden Euro.

Damit war der besicherte Markt weiterhin das größte Geldmarktsegment. Insbesondere ist der Anteil des über zentrale Gegenparteien abgewickelten Repoumsatzes gestiegen, da sich bei solchen Transaktionen das Geschäftspartnerrisiko weiter verringert. Aufgrund des zunehmend schwankungsanfälligen und unsicheren Werts der Sicherheitenbasis während der Schuldenkrise im Euroraum führten der hohe und plötzliche Anstieg der Margen (starke Prozyklizität von Sicherheiten) sowie die sich daraus ergebende Reservierung von Vermögenswerten (Asset Encumbrance) zu einer Verstärkung der Marktbewegungen.

Wichtige Vermittlerrolle der EZB

Die EZB hat in Zeiten, in denen die Geldmärkte in ihrer Funktion beeinträchtigt waren, eine wichtige Vermittlerrolle eingenommen. Zur Gewährleistung einer effizienten marktbasierten Zuteilung von Finanzierungsmitteln sollte diese Rolle jedoch vorübergehender Natur sein. Die EZB hat daher ein starkes Interesse daran, dass die Geldmärkte funktionieren. Hinzu kommt, dass nicht funktionierende Geldmärkte mit einer Beeinträchtigung des Transmissionsmechanismus der Geldpolitik einhergehen, was die Zentralbank vor noch größere Herausforderungen stellt, ihr letztliches Ziel, die Preisstabilität, zu erreichen. Derzeit werden Lösungen für einige strukturelle Probleme im Hinblick auf die Unsicherheit von Risiken, die ebenfalls in Zusammenhang mit der Schuldenkrise im Euroraum stehen, gesucht.

Die politische Integration des Euroraums ist auf verschiedenen Ebenen fortgeschritten. Die Schaffung des Europäischen Stabilitätsmechanismus als dauerhafte Krisenlösung dient dem Erhalt der Finanzstabilität durch Unterstützung der in Not geratenen Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes. Gleichzeitig spielt die Errichtung des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM) eine entscheidende Rolle bei der Wiederherstellung des Vertrauens in die Banken des Euroraums, und der Mechanismus wird dazu beitragen, dass grenzüberschreitende Liquiditätsflüsse wieder in Gang kommen. Der SSM wird unter anderem zu einer verbesserten Wahrnehmung der Bonität von Banken führen und die Konsistenz der Aufsicht im Euroraum fördern. Beide Mechanismen werden zur Stärkung der Unabhängigkeit der Geldmärkte beitragen.

In diesem Zusammenhang sind auch die aufeinander abgestimmten Anstrengungen zu einer verbesserten Führung und Überwachung im Hinblick auf die für den Euribor gemeldeten Daten zu nennen. Verlässliche Benchmark-Zinssätze stellen nicht nur ein wichtiges Verbindungsglied in der Kette der geldpolitischen Transmission dar, sondern sind auch durch die Bedürfnisse der Marktteilnehmer motiviert. Ähnlich verhält es sich mit privaten Marktinitiativen zur Interoperabilität bei Triparty-Geschäften, die die Zusammenfassung von Sicherheiten in Pools vereinfachen und dem Geldmarktsegment für besicherte Transaktionen, zugutekommen, indem sie der Reservierung von Vermögenswerten (Asset Encumbrance) entgegenwirken. Und schließlich ist es wichtig, dass aufsichtsrechtliche Maßnahmen sich nicht nachteilig auf die Aktivitäten an den Geldmärkten auswirken. Dazu zählt auch das unbesicherte Segment, das für tatsächliche zusätzliche Elastizität im Finanzsystem sorgt. Eine Kombination aus Zentralbank-, staatlichen und privaten Initiativen wird dazu beitragen, die Effizienz der Geldmärkte und die dortigen Aktivitäten zu fördern. Damit wird auch die Notwendigkeit eines vermittelnden Eingreifens der Zentralbank geringer.

Anmerkung:

*) Die anhand der konstanten Teilnehmergruppe der Euro Money Market Survey erhobenen Daten stehen nur für das 2. Quartal jedes Jahres zur Verfügung.

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