Aufsätze

Finanztransaktionssteuer - ersatzlos gescheitert?

Finanzkrisen werden durch das Platzen von Preisblasen sowie durch die Umkehr von Kapitalströmen ausgelöst. Bei Preisblasen handelt es sich um Preisanstiege, die nicht durch ökonomische Fundamentaldaten gerechtfertigt sind. Wenn die Marktteilnehmer in einer solchen Situation nicht länger auf weitere Preisanstiege vertrauen und Vermögenswerte in Panik verkaufen, führt dies zu weiteren Vermögensverlusten. Kapitalströme drehen sich dann um, wenn Einlagen in der Erwartung zurückgezogen werden, dass andere Anleger dies ebenfalls tun. Schlechte Meldungen oder Gerüchte über eine Bank sind dafür schon ausreichend. Jeder Akteur möchte in einer solchen Situation seine Einlagen schnell genug retten. Ein solcher Bank Run resultiert aus mangelndem Vertrauen in die Sicherheit der Einlagen.1) Dies war beispielsweise bei der Asienkrise der Fall. Bei den jüngsten Bankenkrisen in den USA und Europa handelte es sich jedoch um einen Bank Run von Banken auf andere Banken.2)

Vermeidung von Fehlbewertungen als Ziel

John Maynard Keynes und James Tobin schlugen die Besteuerung von Finanzgeschäften vor, um kurzfristige Spekulationsgeschäfte einzudämmen und Finanzkrisen zu vermeiden.3) Aktuell verfolgt die EU-Kommission die Einführung einer solchen Finanztransaktionssteuer (FTS) für die 27 EU-Staaten. Bei einem Steuersatz von 0,1 Prozent werden jährliche Steuereinnahmen von 57 Milliarden Euro erwartet.4) Kritiker befürchten infolge der Steuer jedoch eine Schwächung des Finanzplatzes Deutschland.5) Großbritannien ist gegen die Einführung einer FTS6), während Frankreich eine solche Steuer auch im Alleingang einführen würde.7) Ganz allgemein sehen die Befürworter der FTS Finanzmärkte aufgrund von hoher Liquidität als instabil an, während die Gegner Liquidität als notwendig für das Funktionieren der Preisbildung erachten.8)

Kann eine Finanztransaktionssteuer die Informationseffizienz der Vermögenspreise erhöhen? Basiert ein Akteur seine Kaufentscheidung für einen Vermögenswert auf seinen privaten Informationen, so legt die anschließende Preisreaktion diese privaten Informationen für die übrigen Akteure des Marktes offen. Wenn alle Händler alle vorhandenen öffentlichen und privaten Informationen bei ihren Handelsentscheidungen berücksichtigen, werden diese Informationen durch Handel in den Vermögenswert eingehen. Wenn alle Vermögenswerte alle verfügbaren Informationen widerspiegeln, dann ist der Markt informationseffizient. In diesem Fall ist keine Form von Regulierung notwendig. Eine FTS könnte die Marktteilnehmer sogar davon abhalten, Informationen durch Handel offenzulegen.

Das Vorhandensein von Preisblasen deutet hingegen darauf hin, dass nicht alle Marktteilnehmer vollkommen rational agieren. Durch Preisblasen sind Vermögenspreise volatiler als ihre Fundamentalwerte.9) Volatilität ist jedoch nicht per se negativ zu bewerten, da sie auch durch neu eintreffende Informationen entstehen kann. Ziel einer Finanzmarktregulierung sollte daher nicht die Reduktion der Volatilität, sondern die Vermeidung von Fehlbewertungen sowie einer Vertrauensbildung im Finanzsektor sein.

Wirkung einer Finanztransaktionssteuer auf unterschiedliche Handelsstrategien

Umfragestudien kommen zu dem Ergebnis, dass Finanzmarktprofis zwei Formen von Handelsstrategien einsetzen.10) Zum einen analysieren sie Fundamentaldaten: Dann verkaufen sie bei Überbewertungen und kaufen bei Unterbewertungen. Diese Handelsstrategie wirkt Fehlbewertungen entgegen. Zum anderen schreiben Händler vergangene Trends in die Zukunft fort. Durch dieses Handelsmodell werden bestehende Fehlbewertungen verstärkt. Eine FTS kann zwischen diesen zwei Formen des Handelns - nützlichem und schädlichem nicht unterscheiden (Abbildung).

Für die Wirkungsanalyse einer FTS sind Finanzmarktmodelle, welche diese beiden Handelsstrategien annehmen, nützlich.11) In diesen Modellen zeigt sich, dass niedrige Steuersätze eine stabilisierende Wirkung entfalten, da sie die trendbasierten Handelsstrategien stärker bestrafen als die fundamentalwertbasierten Handelsstrategien. Bei höheren Steuersätzen dagegen werden die fundamentalwertbasierten Strategien ebenfalls unprofitabel, was Fehlbewertungen begünstigt.12) In Erweiterungen dieser Modelle um zusätzliche längerfristig agierende Händler zeigt die FTS ähnliche Wirkungen (Abbildung).13) Unter einer simulierten Steuer von beispielsweise zwei Prozent pro Transaktion dagegen stellt fast ein Drittel der Marktakteure den Handel ein.14)

Wie hoch sollte eine Finanztransaktionssteuer sein? Empirische Studien zu der Wirkung von Transaktionssteuern in Finanzmärkten können nicht problemlos durchgeführt werden:15) Zwar kann der Zeitraum vor Einführung der Steuer mit dem Zeitraum nach Einführung der Steuer verglichen werden, es fehlt jedoch die eigentliche Kontrollgruppe, nämlich die Entwicklung des Finanzmarktes, wenn keine Steuer eingeführt worden wäre.16) Aus diesem Grund kann nur auf Modellanalysen zurückgegriffen werden, um die Effekte der FTS zu schätzen. Diese Modelle basieren auf einfachen, aber realitätsnahen Verhaltensannahmen, die aus Befragungsstudien abgeleitet wurden. Die Kursausschläge aus den Computersimulationen dieser Modelle weisen ähnliche statistische Eigenschaften auf wie reale Tagesdaten.17)Es liegt deshalb nahe, dass die Wirkungsanalyse einer FTS mithilfe dieser Modelle somit auch entsprechend realistische Politikempfehlungen liefern kann.18) Vor dem Hintergrund, dass zu hohe Steuersätze in diesen Modellen destabilisierend wirken, sollte von der Politik ein sehr niedriger Steuersatz gewählt werden. Die Abschätzung der genauen Höhe des kritischen Werts für den Steuersatz ist jedoch schwierig, da weitere Transaktionskosten in den Modellen nicht berücksichtigt sind.19)

Notfalls im Alleingang?

Was passiert, wenn nur Frankreich die Finanztransaktionssteuer einführt? Frankreich plant, eine FTS notfalls auch im Alleingang einzuführen.20) Mit welchen Auswirkungen auf den Finanzplatz Paris ist unter diesen Umständen jedoch zu rechnen? Eine Antwort auf diese Frage liefert ein Modell mit zwei Ländern und zwei Finanzplätzen.21) Wird an nur einem Finanzplatz eine FTS erhoben, so steigt die Volatilität der Kurse an dem Finanzplatz ohne die Steuer, während sie an dem Finanzplatz mit Steuer sinkt.22) Der Grund hierfür ist, dass die Händler auf den Finanzplatz ohne die Steuer ausweichen. Vor allem Trendbasierte Handelsstrategien werden auf dem Finanzplatz ohne FTS häufiger verwendet.

Wird die FTS jedoch gleichermaßen auf beiden Finanzplätzen erhoben, so sinkt die Volatilität in beiden Märkten.23) Es ist daher damit zu rechnen, dass aufgrund einer französischen FTS nicht nur die Volatilität, sondern auch das Handelsvolumen in Paris sinken würde, da die Händler auf andere Finanzplätze ausweichen würden. Damit wäre das Problem einer exzessiven Volatilität nicht gelöst, sondern nur auf andere Finanzplätze verlagert worden.

Alternativen zur Finanztransaktionssteuer

Die FTS ist als problematische Regulierung zu bewerten, da sie nicht zwischen nützlicher und schädlicher Spekulation unterscheidet und kein verantwortliches Handeln fördert. Eine Finanzaktivitätssteuer, eine Besteuerung von Gewinnen und Gehältern im Finanzsektor ist ebenfalls kritisch zu sehen, da sie auch ein solides Bankmanagement bestrafen kann.24) Auch ist nicht klar, in welcher Weise Banken davor bewahrt werden, in Schieflage zu geraten.

Die Bankenkrisen in den USA und Europa hatten den Charakter eines Bank Run. Einige betroffene Banken weisen aufgrund ihrer Verflechtungen mit anderen Banken eine hohe systemische Relevanz für den Bankensektor auf.25) Gegen einen Bank Run kann eine FTS allerdings nicht helfen, hier sind stattdessen vertrauensbildende Maßnahmen, wie ein Einlagensicherungsfonds, gefragt.26) Dieser Aufgabe kommt die European Financial Stability Facility (EFSF) nach. Zusätzlich sollten aber höhere Eigenkapitalanforderungen an die Banken gestellt werden. Systemrelevante Banken werden vorsichtiger sein, wenn für sie höhere Eigenkapitalanforderungen gelten.27) Es ist jedoch fraglich, ob die angestrebte Eigenkapitalquote von neun Prozent hierfür ausreichend sein wird.28) Für innovative Finanzprodukte sollte zusätzliches Eigenkapital zur Absicherung gehalten werden müssen.29) Ein Bank Run kann nämlich nur verhindert werden, wenn das Eigenkapital der Banken auch höher als die Summe ihrer Risikopositionen ist.30)

Fußnoten

1) Vgl. Diamond D./Dybvig, P., Bank Runs, Deposit Insurance and Liquidity, Journal of Political Economy, Vol. 91, Issue 3, 1983, S. 401-419.

2) Vgl. Uhlig, H., A Model of a Systemic Bank Run, Jourrnal of Monetary Economics, Vol. 57, Issue 1, 2010, S. 78-96.

3) Vgl. Keynes, J. M., The General Theory of Employment, Interest and Money, 1936, New York; Tobin, J., A Proposal for International Monetary Reform, Eastern Economic Journal, Vol. 4, 1978, S. 153-159.

4) Vgl. Bundestagspräsident fordert Finanztransaktionssteuer, http://www.handelsblatt.com, 20. Januar 2012

5)Vgl. Bundestagspräsident ..., s. FN 4.

6)Vgl. Bundestagspräsident ..., s. FN 4.

7) Vgl. Sarkozy will Finanztransaktionssteuer einführen, http://www.spiegel.de, 20. Januar 2012.

8) Vgl. Paul, S./Neumann, S., Finanzmarktregulierung: Einführung einer Bankenabgabe und Finanztransaktionssteuer auf deutscher und europäischer Ebene, Gutachten für den Managerkreis der Fried-rich-Ebert-Stiftung.

9) Vgl. LeRoy, S./Porter, R., The Present Value Relation: Tests Based on Implied Variance Bounds, Econometrica, Vol. 49, Issue 3, 1981, S. 555-574; Shiller, R., Do Stock Prices Move too Much to be Justified by Subsequent Changes in Dividends, American Economic Review, Vol. 74, Issue 3, 1981, S. 421-436.

10) Vgl. Taylor, M./Allen, H., The Use of Technical Analysis in the Foreign Exchange Market, Journal of International Money and Finance, Vol. 11, Issue 3, 1992, S. 304-314; Menkhoff, L./M. Taylor, The Obstinate Passion of Foreign Exchange Professionals: Technical Analysis, Journal of Economic Literature, Vol. XLV, 2007, S. 936-972.

11)Vgl. Westerhoff, F., The Use of Agent-Based Financial Market Models to Test the Effectiveness of Regulatory Policies, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Vol. 228, Heft 2+3, 2008, S.195-227;

12)Vgl. Westerhoff, F., a.a. O., s. FN 11.

13) Vgl. Demary, M., Transaction Taxes and Traders with Heterogeneous Investment Horizons in an Agent-Based Financial Market Model, Economics: The Open-Access, Open Assessment E-Journal, Vol. 4, 2010-8.

14)Vgl. Demary, M., a.a. O.

15)Vgl. Westerhoff, F., a.a. O.

16)Vgl. Westerhoff, F., a.a. O.

17)Vgl. Westerhoff, F., The Use of Agent-Based Financial Market Models to Test the Effectiveness of Regulatory Policies, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Vol. 228, Heft 2+3, 2008, S. 195-227; Demary, M., Transaction Taxes and Traders with Heterogeneous Investment Horizons in an Agent-Based Financial Market Model, Economics: The Open-Access, Open Assessment E-Journal, Vol. 4, 2010-8.

18) Vgl. Lux, T., Stochastic Behavioral Asset Pricing Models and the Stylized Facts, in: Hens, T./Schenk-Hoppé, K. (Hrsg.), Handbook of Financial Markets: Dynamics and Evolution, North Holland, Amsterdam, 2009, S. 161-211.

19)Vgl. Demary, M., a.a. O.

20)Vgl. Sarkozy will ..., s. FN 7.

21) Vgl. Westerhoff, F./Dieci, R., The Effectiveness of Keynes-Tobin Transaction Taxes when Heterogeneous Agents can Trade in Different Markets: a Behavioral Finance Approach, Journal of Economic Dynamics and Control, Vol. 30, Issue 2, 2006, S. 293-322.

22)Vgl. Westerhoff, F./Dieci, R., a.a. O.

23)Vgl. Westerhoff, F./Dieci, R., a.a. O.

24)Vgl. Paul, S./Neumann, S., a.a. O.

25)Vgl. Uhlig, H., a.a. O.

26)Vgl. Diamond D./Dybvig, P., a.a. O.

27) Vgl. IWD Nr. 23, Purzelt eine Bank, purzeln auch andere, Institut der deutschen Wirtschaft Köln, 9. Juni 2011, S. 6.

28) Vgl. IWD Nr. 48, Das Eigenkapitaldilemma, Institut der deutschen Wirtschaft Köln, 1. Dezember 2011, S. 4-5.

29)Vgl. IWD Nr. 23, s. FN 27.

30) Vgl. IWD Nr. 6, Zwischen Mut und Übermut, Institut der deutschen Wirtschaft Köln, 11. Februar 2010, S. 4-5.

Markus Demary , Senior Economist , Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V., Köln
Noch keine Bewertungen vorhanden


X