Aufsätze

Inflation Targeting und die zukünftige Geldpolitik der Fed

Ben Bernanke, der neue Chairman an der Spitze der US-Notenbank, gilt
als überzeugter Verfechter der Idee, die Geldpolitik an einer
expliziten Zielvorgabe für die Inflation auszurichten (Inflation
Targeting). Auf die Vorteile dieses Ansatzes hat er in seiner
wissenschaftlichen Laufbahn in zahlreichen Arbeiten hingewiesen, und
auch nach seiner Nominierung als neuer Fed-Chef hat er die Absicht
bekundet, die amerikanische Geldpolitik in Richtung Inflation
Targeting weiterentwickeln zu wollen, soweit sich ein diesbezüglicher
Konsens unter den Mitgliedern des FOMC finden lässt.
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Wesentliche Kennzeichen dieser geldpolitischen Strategie sind die
Orientierung der Geldpolitik an einer Inflationsprognose und intensive
Bemühungen der Zentralbank, ihre Entscheidungen gegenüber der
Öffentlichkeit zu erläutern, um dadurch die Inflationserwartungen zu
verankern. Die amerikanische Geldpolitik würde durch einen Übergang zu
Inflation Targeting transparenter und verständlicher.
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Kommunikation als zentraler Bestandteil des Inflation Targeting
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Inflation Targeting ist ein geldpolitisches Konzept, bei dem die
Entscheidungen einer Notenbank an einer expliziten Zielvorgabe für die
Inflationsrate ausgerichtet werden. Die Leitzinsen werden dabei stets
so variiert, dass auf eine mittlere Sicht von üblicherweise zwei
Jahren eine Inflationsrate in Höhe des Inflationsziels wahrscheinlich
wird. Zentrale Bestandteile dieses in den achtziger Jahren
entwickelten Konzepts sind dabei die Orientierung der Geldpolitik an
einer Inflationsprognose und intensive Bemühungen der Zentralbank,
ihre Entscheidungen gegenüber der Öffentlichkeit zu erläutern, um
dadurch die Inflationserwartungen zu verankern. Die Idee des Inflation
Targeting basiert auf der Erkenntnis, dass die Verzögerungen, mit
denen Leitzinsänderungen auf die Wirtschaft wirken, Zwischenziele der
Geldpolitik notwendig machen und das hierfür früher häufig verwendete
Geldmengenwachstum keine verlässlichen Signale mehr liefert.
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Die Inflationsprognose rückt deshalb in den Mittelpunkt des
Entscheidungsprozesses der Zentralbank und übernimmt die Rolle eines
künstlichen Zwischenziels. Daher wird das Konzept häufig auch als
"Inflation Forecast Targeting" bezeichnet. Trotz der Ausrichtung der
Geldpolitik an der erwarteten Preisentwicklung lässt das Inflation
Targeting den Notenbankern einen erheblichen Spielraum zur Verfolgung
auch anderer Ziele. Einigen Zentralbanken, darunter auch die Fed,
wurde neben dem Ziel der Preisstabilität eine explizite Verantwortung
für die realwirtschaftliche Entwicklung zugewiesen. Darüber hinaus
haben sie oft eine Aversion gegen starke Leitzinsänderungen, welche
die Finanzmarktstabilität beeinträchtigen könnten. Derartige,
miteinander oft im Konflikt stehende Zielsetzungen lassen sich im
Rahmen eines flexiblen Inflation Targeting berücksichtigen.1)
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Beim Inflation Targeting liegt eine intensive Kommunikation mit der
Öffentlichkeit im Eigeninteresse der Zentralbank, um die
Inflationserwartungen auf dem Niveau des Inflationsziels zu verankern.
Gelingt ihr dies, werden die Lohnabschlüsse so moderat bleiben, dass
kein starker Inflationsdruck entsteht, der die Zentralbank zu
übermäßigen Zinserhöhungen zwingt.
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Die meisten Zentralbanken, die ein Inflation Targeting betreiben,
veröffentlichen regelmäßig detaillierte Analysen der
Inflationsentwicklung einschließlich einer Inflationsprognose sowie
einer Einschätzung der Politik, die sie für notwendig erachten, um
ihre Inflationsziele dauerhaft einhalten zu können. Sie begründen
üblicherweise ihre Zinsentscheide gegenüber der Öffentlichkeit
schriftlich oder in Form einer Pressekonferenz und veröffentlichen
ihre Sitzungsprotokolle, um das Zustandekommen des Zinsentscheids
nachvollziehbar und den zukünftigen Kurs der Geldpolitik antizipierbar
zu machen. Die Tabelle fasst die zentralen Bestandteile der
Kommunikationspolitik verschiedener Notenbanken zusammen.
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Ein Inflationsziel für die US-Geldpolitik?
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Da die Zentralbanken der wichtigsten Industrieländer ihre
geldpolitischen Entscheidungen mittlerweile nach einem ähnlichen
Muster fällen, hätte ein Übergang der Fed zu einem Inflation Targeting
keine unmittelbaren Konsequenzen für ihre Zinspolitik. Dies gilt umso
mehr, als ihr "looking at everything"-Ansatz oft auch als ein
verdecktes Inflation Targeting bezeichnet wird.
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Gravierender müsste die Kommunikationspolitik verändert werden. Ein
erster und unverzichtbarer Schritt wäre die Ankündigung eines
offiziellen Zielwerts für die Inflationsrate. Bernanke2) verspricht
sich hiervon eine Verminderung der Unsicherheit über die Absichten der
Fed, wodurch die Planungen von Haushalten und Unternehmen auf eine
sicherere Basis gestellt und die Volatilität an den Finanzmärkten
reduziert würden. In der Vergangenheit zeigte die Fed eine Vorliebe
für den PCE-Kerndeflator, argumentierte jedoch oft auch auf Basis
anderer Maßzahlen. Allein die Nennung eines Inflationsziels würde die
Fed zur Anvisierung eines bestimmten Preisindex und somit zu einer
weniger willkürlichen Kommunikation zwingen.
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Inflationsprognosen nur teilweise veröffentlicht
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Bislang führt die Fed zwar Inflationsprognosen durch, veröffentlicht
diese aber nur teilweise. Zweimal im Jahr ist das FOMC verpflichtet,
dem Kongress einen Monetary Policy Report vorzulegen, der auch
Prognosen der Preisentwicklung, des Wirtschaftswachstums und der
Arbeitslosenquote für die kommenden zwei Jahre enthält. Die auf diese
Weise veröffentlichte Inflationsprognose bezieht sich jedoch nur auf
die erwartete jährliche Veränderungsrate des PCE-Kerndeflators im
vierten Quartal. Die Prognosen, die der Mitarbeiterstab des Board of
Governors in Vorbereitung eines jeden Zinsentscheids anfertigt,
bleiben dagegen unter Verschluss, und auch die Sitzungsprotokolle des
FOMC werden penibel um numerische Werte bereinigt. Notenbanken, die
ein offizielles Inflationsziel verfolgen, publizieren ihre
Inflationsprognosen demgegenüber in kürzeren Abständen und teilen der
Öffentlichkeit mehr Details über den erwarteten Inflationsverlauf mit.
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Die Fed hat in den vergangenen Jahren einige Schritte unternommen, um
die Nachvollziehbarkeit und Prognostizierbarkeit ihrer Entscheidungen
zu verbessern. So werden die Sitzungsprotokolle des FOMC seit Anfang
2005 bereits im Vorfeld des folgenden Zinsentscheides herausgegeben,
und die Statements zu den Zinsentscheiden enthalten einen vagen
Ausblick auf die zukünftige Geldpolitik sowie Einschätzungen der
Risiken für Preisstabilität und Wirtschaftswachstum. Im Vergleich zu
Zentralbanken, die ein Inflation Targeting betreiben, ist ihre
Kommunikationspolitik jedoch weniger umfangreich und systematisch.
Dies spiegelt sich wider in der relativ geringen Anzahl regelmäßiger
Publikationen sowie dem vergleichsweise hohen Stellenwert, der
öffentlichen Auftritten von Fed-Vertretern zukommt.
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Sollte sich die Fed für ein Inflation Targeting entscheiden, wären die
Gewährung stärkerer Einblicke in ihre ökonomischen Analysen sowie die
regelmäßige Veröffentlichung detaillierter, mittelfristiger
Inflationsprognosen wahrscheinlich. Im Idealfall kann sie auf diese
Weise verhindern, dass sich temporäre, beispielsweise
ölpreisinduzierte Schwankungen der Inflationsrate auf den
Inflationstrend übertragen, ohne dafür den geplanten Zeitpfad ihres
Instrumenteneinsatzes ändern zu müssen.
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Gradueller Übergang zum Inflation Targeting
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Die Vorstellungen des neuen Fed-Vorsitzenden sind klar: Er bevorzugt
das Inflation Targeting als geldpolitische Strategie. Das bedeutet
nicht, dass dieses sofort eingeführt werden wird. Schließlich hat die
Fed ein duales Mandat, nach dem sie sowohl die Inflations- als auch
die Beschäftigungsentwicklung zu steuern hat. Auch ist die
Zentralbankunabhängigkeit nicht in dem Ausmaß gegeben wie bei der EZB.
Die Fed kann zwar unabhängig den Einsatz ihrer Instrumente bestimmen,
die geldpolitischen Ziele kann sie aber nicht verändern. Dazu wäre die
Zustimmung der Regierung, des Repräsentantenhauses und des Senats
notwendig. Um diese zu erhalten, wird Bernanke insbesondere die von
einigen Politikern und auch Mitgliedern des FOMC vertretene Auffassung
entkräften müssen, dass ein starres Inflationsziel die
Handlungsfreiräume der Geldpolitik zu stark einschränken würde, um
eine wünschenswerte Stabilisierung der Realwirtschaft zu ermöglichen.
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Als erster Schritt auf dem Weg zur Einführung eines Inflation
Targeting wäre die Formulierung einer Inflationsnorm notwendig und
auch wahrscheinlich. Als zweiter Schritt wäre die Erstellung und
Veröffentlichung von expliziten Inflationsprognosen für den
bevorzugten Preisindex wichtig. Darauf aufbauend könnte dann die
Kommunikationspolitik auf die Gepflogenheiten des Inflation Targeting
umgestellt werden. Als letzter Schritt würde schließlich die
Ausrichtung der Geldpolitik an den Inflationsprognosen folgen.
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Die Volkswirte der Dekabank erwarten, dass sich der formelle Übergang
zu einer neuen Strategie bis 2009 und damit in die Legislaturperiode
eines neuen US-Präsidenten hinziehen kann. Als Inflationsziel erachten
sie ein Band von 1,0 Prozent bis 2,0 Prozent gemessen an der Kernrate
des Deflators der privaten Konsumausgaben als wahrscheinlich.3) Dieser
Index wird seit Jahren von der Fed als zentral herausgestellt. Werte
zwischen 1,0 Prozent und 2,0 Prozent galten dabei als zufrieden
stellend. Wie die Fed und die Politik sich auch immer entscheiden
werden, eines scheint festzustehen: Ein Wechsel in der geldpolitischen
Strategie wird keinen abrupten Bruch darstellen und auch nicht zu mehr
Volatilität in der Zinspolitik führen. Er wird aber die Geldpolitik
transparenter und verständlicher machen.
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Dieser Beitrag basiert auf einem längeren Artikel derselben Autoren,
der unter dem Titel "Inflation Targeting und die Fed" in der Reihe
Konjunktur-Zinsen-Währungen der Dekabank, Heft 1, 2006 erschienen ist.
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Literatur
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Bernanke, Ben S. (2004): Inflation Targeting, Federal Reserve Bank of
St. Louis Review, Vol. 86, No. 4, S.165-168.
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Fracasso, Andrea; Hans Genberg und Charles A. Wyplosz (2003): How do
Central Banks write?: An Evaluation of Inflation Targeting Central
Banks, Geneva Reports on the World Economy, Special Report, CEPR,
London.
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Issing, Otmar (2005): Kommunikation, Transparenz, Rechenschaft:
Geldpolitik im 21. Jahrhundert, Perspektiven der Wirtschaftspolitik,
Bd. 6, Heft 4, S.521-540.
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Rudebusch, Glenn D. und Lars E.O.Svensson (1998): Policy Rules for
Inflation Targeting, NBER Working Paper No.6512.

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