Aufsätze

Die Risikovorsorge-Pyramide und ihre Konsequenzen - ein etwas anderer Bad-Bank-Vorschlag

Konsultiert man die Wirtschaftspresse zu den drohenden Schäden aus Forderungsausfällen im Finanzsektor, könnte man erschaudern. Seit der Lehman-Pleite hatte der IWF seine Schätzung der weltweiten Verluste von 1,4 Billionen US-Dollar im Oktober 2008 über 2,2 Billionen US-Dollar im Januar 2009 bald auf (April 2009) gut vier Billionen US-Dollar erhöht, wovon seit 2007 erst etwa ein Drittel in den Bilanzen verarbeitet worden sein sollte. Im Oktober 2009 wurde erstmals zurückgerudert und ein Gesamtverlust von 3,4 Billionen US-Dollar sowie ein Abschreibungsbedarf von 2,8 Billionen US-Dollar in den Bankbilanzen bis Ende 2010 diagnostiziert (davon 1,3 Billionen US-Dollar bis zu jenem Zeitpunkt effektiv verbucht).

Reduzierte Schätzung der Horror-Diagnosen des IWF

In der aktuellen Version des Global Financial Stability Report (GSFR) findet man nur noch die Schätzung eines auf 2,3 Billionen US-Dollar reduzierten Abschreibungsvolumens, das zudem mit 1,5 Billionen US-Dollar zu mehr als zwei Dritteln bereits in den Bankbilanzen zum Ende des Jahres 2009 aufscheint. Darüber hinausgehende Schäden oder Verluste werden im Gegensatz zu den vorangegangenen Berichten zumindest nicht mehr in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Zahlen thematisiert. Geht man also mangels Erwähnung davon aus, dass sich in jenem Bereich nichts verändert hat, wäre der Gesamtschaden aktuell bei 2,9 Billionen US-Dollar zu veranschlagen.

Bei genauerer Betrachtung erscheint indessen selbst diese reduzierte Schätzung noch schwer nachvollziehbar: Da über Credit Default Swaps und vergleichbare Arrangements Risiken nur umverteilt werden, müssen die Risiken auf Systemebene in summa aus den originären Krediten kommen. Dann gelten aber die folgenden Überlegungen:

- Von ausgereichten für die Krise relevanten Krediten sind nur tatsächlich notleidende im Wert zu berichtigen. Man müsste also wissen, wie viel Prozent nicht ordnungsgemäß bedient werden, und hier findet man kaum verlässliche Statistiken.

- Geht man höchst vorsorglich von 25 Prozent notleidender Kredite aus, also deutlich mehr als alles bisher Bekannte, dann ist der nächste Schritt, zu sehen, wie viel hier tatsächlich verloren ist ("Loss Given Default" oder LGD). Frage also: Was bleibt bei einer Reduktion von Zins- und Tilgung oder gar bei einer Zwangsverwertung der Sicherheiten als Schaden? Setzt man hier der Einfachheit halber 50 Prozent an (die Sub-prime-Häuser sind beispielsweise größtenteils zwischen zwei und fünf Jahren alt), bleibt ein Wert von 12,5 Prozent Ausfall gemessen an den ausgereichten Krediten.

- Auch in normalen Zeiten ergeben sich schließlich Kreditausfälle. Bei Subprime-Krediten oder ihren anders betitelten Vorgängern waren diese zudem immer überdurchschnittlich hoch. Man muss also die normale und bilanziell entsprechend antizipierte Ausfallquote noch abziehen, um auf den krisenrelevanten Wert zu kommen. Nimmt man hier 1,5 Prozent, so kommt man auf einen relevanten Ausfall der ausgereichten Kredite von elf Prozent.*

- Das ist natürlich sehr viel, steht aber in keinem Verhältnis zu behaupteten Ausfällen von 2,9 Billionen US-Dollar, die der IWF aktuell als Gesamtverlust schätzt (siehe oben). Andernfalls müssten die krisenrelevanten Problemkredite nämlich über 26 Billionen US-Dollar (2,9 Billionen US-Dollar/elf Prozent) im Sinne einer Exposure at Default ausgemacht haben beziehungsweise noch ausmachen. Diese Größenordnung liegt jenseits von allem, was an toxischen im Sinne von stark ausfallbedrohten Forderungen am Kapitalmarkt realistischerweise zu erwarten ist. Auch wenn man diesen Betrag mit Mühe und Not dadurch zu erreichen versucht, dass man an den Vergiftungsgrad der Forderungen geringere Anforderungen stellt, wird das Problem nicht gelöst, sondern nur verlagert. Dann nämlich sind insbesondere die Ausfallwahrscheinlichkeit und auch, wenngleich geringer, der LGD zu senken - wie auch immer man es dreht, selbst die bereits reduzierten 2,9 Billionen US-Dollar des IWF passen nicht in die Realität der Kreditmärkte.

Die Basis der Risikoantizipation

Nochmals: Die ganzen Verschiebungen durch CDS oder Ähnliches sind ohne Folgeerscheinungen, auf die noch zurückzukommen ist, nur für einzelne Institute, nicht aber für das Gesamtsystem relevant. Wenn zum Beispiel ein Kreditversicherer die Inanspruchnahme aus einem CDS nicht mehr schultern kann, landet einfach der nicht mehr zu schulternde Teil bei seinen Vertragskontrahenten, die ihr Kreditausfallrisiko bei ihm versichert haben. Bedenkt man, was bislang bereits abgeschrieben wurde, was an Geld in das Finanzsystem gepumpt wurde und noch gepumpt werden wird, ist rechnerisch nicht nachvollziehbar, woraus auf Systemebene noch einmal fast so viele Verluste wie die bisher antizipierten oder bereits realisierten Ausfälle (gemäß dem IWF wie beschrieben 1,5 Billionen in den Bankbilanzen 2009) resultieren sollten - wohlgemerkt, wenn es zu keinem erneuten Einbruch kommt, der gerade durch das Zusammenspiel derart propagierter Altlasten und neu aufkommender tatsächlicher Brennpunkte wie PI(I) GS keineswegs auszuschließen ist.

Woher kommt dann aber die Furcht vor drohenden Abschreibungen? Sie beruht auf einem Mehrfacherfassungsphänomen, das in seinen Grundzügen kurz skizziert werden soll (dabei wird sehr stark vereinfacht, zum Beispiel wird nicht detailliert dargestellt, wie die Risikovorsorge buchhalterisch konkret umgesetzt wird).

Viele Wertberichtigungsebenen

Unternehmen mit fragwürdigen Aktiva verlieren Bonität. Damit müssen aber auch ihre Gläubiger gegebenenfalls Abschreibungen machen. Das Ausfallrisiko des originären Kredits schlägt sich damit nicht nur in der Bilanz desjenigen nieder, der ihn in seinen Büchern hat, sondern auch in den Bilanzen derjenigen, die Forderungen gegen ihn haben. Das kann auch eine Bank sein, die den Kredit zwar selbst hält, aber das Ausfallrisiko über einen Credit Default Swap abgesichert und damit eine Eventu-al-Forderung gegenüber dem Kreditversicherer hat. Sinkt dessen Bonitätsmaß hinreichend stark, muss auch sie (und nicht nur der Kreditversicherer) entsprechende Vorkehrungen in ihrer Bilanz treffen.

Analoges gilt für einen Kreditversicherer, der bei einem anderen Kreditversicherer für diese Position eine Rückversicherung erworben hat (man denke an das absurde Volumen der weltweit bestehenden Credit Default Swaps bei Ausbruch der Krise! ). Damit wird sogar unmittelbar eine mehrfache Berücksichtigung desselben Ausfallrisikos vorgenommen - bei den betroffenen Kreditversicherern und der Bank, die aktuell als unmittelbarer oder durchgerechneter Gläubiger des eigentlich ausfallgefährdeten Kredits fungiert. Damit ist man indessen noch nicht am Ende der Liste potenziell Geschädigter angekommen. Sind die mittelbaren Verluste der "zweiten Wertberichtigungsebene" hinreichend groß, müssen auch deren Financiers bilanzielle Vorsorgen treffen und so weiter. Man kann also in erster Näherung eine Art Pyramide der Betroffenen aufbauen, um die Zweit-, Dritt-, Viertrundeneffekte und so weiter darzustellen (siehe Abbildung).

Natürlich ist dieses Bild sehr stark vereinfacht, denn

- nicht durch jedes Mitglied ist auf jeder Ebene der Pyramide derselbe Betrag in der bilanziellen Risikovorsorge zu berücksichtigen und

- es herrschen nicht durchgängig hierarchische Beziehungen, sondern auch horizontale und laterale.

Trotzdem wurde zur Veranschaulichung des Effekts die Hierarchie einer Pyramide gewählt, weil sie den Weg zu einem Lösungsmechanismus weist, der für andere Pyramiden-Effekte bekannt ist. Konzerne weisen als hierarchische Konstrukte nämlich öfter vergleichbare Pyramiden-Konstellationen auf, und gerade bei Banken ist die Eigenkapitalpyramide bekannt: Dasselbe Eigenkapital wird auf mehreren Stufen eines Bankkonzerns zur Unterlegung ausgereichter Kredite angesetzt. Dieses Problem wird dort durch Konsolidierung gelöst, das heißt sowohl das Eigenkapital als auch die Kreditausreichungen werden über alle Hierarchiestufen zusammengerechnet.

Konsolidierung als Leitidee einer Auffangeinrichtung

Würde ein vergleichbares Verfahren auch für die Risikovorsorge-Pyramide funktionieren? Ja - aber in zwei Teilen. Man bräuchte zunächst eine Stelle, die alle mit einem faulen Kredit oder einem darauf aufbauenden "toxischen" Wertpapier unmittelbar betroffenen Vorgänge konsolidiert, also die Forderung gegenüber dem originären Schuldner und alle derivativen Vorgänge, insbesondere Kreditversicherungen. Idealtypisch wäre ein Fonds - hier "Asset-Sicherungsfonds" genannt, ein Titel, der im Gegensatz zu "Bad Bank" auch die Möglichkeit einer partiellen privaten Beteiligung offen lässt -, der je nach Ergebnis der Konsolidierung dann nicht nur die originäre Forderung zum aktuellen Buchwert des aktuellen Gläubigers zu übernehmen versucht, sondern auch daran hängende Derivateeffekte.

Dazu ein stark vereinfachtes Beispiel: Eine Bank X hat einen faulen Kredit in den Büchern, den sie trotz einer Kreditversicherung mit nur 80 Prozent des Nennwerts bilanziert hat, weil der Kreditversicherer selbst aufgrund dieses und weiterer übernommener Kreditrisiken deutlich an Bonität verloren hat. Für den infrage stehenden Kredit hat er seinerseits eine bilanzielle Vorsorge in Höhe von 30 Prozent des Nennwerts übernommen. Wenn nun die Bank den Kredit zu 80 Prozent an den Fonds abgibt und der Kreditversicherer seine bilanzielle Risikovorsorge an den Asset-Sicherungsfonds überweist, nimmt der Fonds den Kredit effektiv zu 50 Prozent des Nennwerts in seine Bücher, ohne dass den unmittelbar mit dem Kredit befassten Institutionen buchhalterisch ein neuerlicher Verlust entsteht.

Von der Spitze abarbeiten

Dabei ist extrem wichtig, dass die Pyramide von der Spitze abgearbeitet wird, also vom originären Kreditgeber her. Würde der As-set-Sicherungsfonds nämlich die 30 Prozent Vorsorge vom Kreditversicherer akzeptieren, ohne vorher die Bank an dem Arrangement zu beteiligen, müsste sie danach nichts beitragen und könnte dennoch angesichts der Bonität des Asset-Sicherungsfonds ihre gebildete Wertberichtigung auflösen. Daher muss in jedem Fall von der kreditierenden Bank ausgehend jedes Glied etwaiger Verlagerungen des Risikos abgearbeitet werden.

Sobald ein Beteiligter seine Verpflichtung nicht ablösen will, werden alle nachfolgenden Vertragsbeziehungen unverändert belassen und nur die vorgelagerten Teilnehmer brauchen hinsichtlich der kontrahierten Forderung keine weiteren Risiken mehr zu fürchten. Konnten sie das bestehende Risiko - wie hier unterstellt - zum bisher eingestellten Buchwert abgeben, dürfte damit bereits der gewünschte Haupteffekt des Asset- Sicherungsfonds erreicht sein - nach allem, was momentan erkennbar ist, stellen die bisher buchhalterisch erfassten Risikovorsorgen nicht mehr das große Problem dar, sondern die Differenz zu den Horrorzahlen à la IWF.

Finanzierungseffekt

Damit zum zweiten Teil der Pyramidenauflösung: Die nur mittelbar betroffenen Financiers können ihre Sorgen wegen drohender Löcher in den Bilanzen ihrer Schuldner ad acta legen oder anders formuliert: Angesichts steigender Bonität der Schuldner sind bislang getroffene Risikovorsorgen zumindest teilweise aufzulösen. Dafür sollten sie bereit sein, einen bestimmten Prozentsatz ihrer Forderungen gegen die betroffenen Institute als weiteren Beitrag an den Sicherungsfonds zu zahlen, gegebenenfalls gestaffelt nach der Art der Forderung (etwa Grad der Besicherung).

Damit würde sich der Einstandspreis der faulen Kredite für den Asset-Sicherungsfonds weiter verbilligen: Wenn in diesem Beispiel der Nennwert des "faulen Kredits" jeweils zehn Prozent der aus Vereinfachungsgründen gleich groß unterstellten Bilanzsumme von originärer Gläubigerbank und Kreditversicherer ausmacht und bei beiden die Gesamtheit ihrer Assets zu 90 Prozent fremdfinanziert ist, würde eine Abgabe von durchschnittlich zwei Prozent bei ihren Gläubigern zu einem Finanzierungsbeitrag von 2 · 2 · 0,9/0,1 = 36 Prozentpunkten für den Asset-Sicherungsfonds bedeuten oder anders formuliert: Der Beispielkredit stünde durchgerechnet nur noch mit 14 Prozent in seinen Büchern.

Selbst ohne diesen Beitrag hat man aber einen Finanzierungseffekt, wenn man bedenkt, dass der Asset-Sicherungsfonds - an dieser Stelle darf man sich nichts vormachen - vermutlich ein Unternehmen mit zumindest teilweiser staatlicher Finanzierung sein würde. Durch die Reduzierung der Risikovorsorge kommt es früher oder später auch zu höheren Gewinnen in der Steuerbilanz und damit zu einem höheren Steueraufkommen für den Staat als Haupt- oder gar Alleinbetreiber des Fonds.

Geht man von 50 Prozent kombinierter Steuerlast auf Unternehmens- und Anteilseignerebene aus, so würde die Rückführung einer annahmegemäß ohne diese Maßnahme realistischen Wertberichtigung von zehn Prozent durch die hälftige Besteuerung zu einer (zugegebenermaßen zeitversetzten) Einnahme in Höhe von 2 · 0,9 · 0,1 · 0,5/0,1 = 90 Prozent des Nennwerts der faulen Forderung führen.

Es klingt verrückt, aber: Selbst wenn der faule Kredit komplett ausfällt (banktechnisch: "die Recovery Rate beträgt null") hat zumindest der Staat mit der Einrichtung des Asset-Sicherungsfonds im Beispiel ein gutes Geschäft gemacht - wohlgemerkt ohne alle sonstigen positiven Effekte auf die Gläubiger der Financiers und alle weiteren finanziellen und realwirtschaftlichen Zusammenhänge. Gleichzeitig wird deutlich, dass eine private Beteiligung an einem solchen Sicherungsfonds nicht notwendigerweise eine gegenüber dem staatlichen Engagement symmetrische Kosten-/Nut-zen-Struktur aufweisen muss, wenn positive externe Effekte für die öffentliche Hand in erheblichem Umfang zu erwarten sind.

Dieses Ergebnis mag nicht für jeden faulen Kredit gelten und das Beispiel überzeichnet sicher den durchschnittlich zu erwartenden Gesamteffekt, doch ist die Kosten-/Nutzen-Relation selbst ohne zusätzliche, aber natürlich jederzeit einsetzbare, Kosten für die originär betroffenen Institute derart gut, dass man kaum bessere Alternativen finden wird.

Umsetzungsprobleme

Dies gilt auch im Angesicht einiger Umsetzungsprobleme, von denen hier nur zwei genannt werden sollen.

- Bei den originär betroffenen Instituten werden mit dieser Regelung großzügig Bilanzierende belohnt und vorsichtig Bilanzierende bestraft. Indessen muss und wird der Asset-Sicherungsfonds nicht jeden faulen Kredit ankaufen, der ihm angedient wird, und kann daher diesen Aspekt im Einzelfall berücksichtigen.

- Bei den mittelbar betroffenen Financiers spielt die globale Verflechtung sowohl bei der Autorisierung einer Abgabe auf Forderungen gegenüber den unmittelbar betroffenen Instituten als auch hinsichtlich der Vereinnahmung induzierter Ertragsteuern eine wesentliche Rolle. Dabei kann es zu Asymmetrien im Nettoergebnis zwischen den betroffenen Staaten kommen, aber auch dies sollte der Basiseffekt in den Hintergrund treten lassen, zumal auf internationaler Ebene zumindest eine partielle Abstimmung gelingen dürfte, wenn die Vorteile dieses Verfahrens erkannt werden.

Was bislang an Wertberichtigungen, Abschreibungen, Rückstellungen und anderem vorgenommen wurde, muss also keineswegs eine Untertreibung des eigentlichen "Schadens" aus krisenrelevanten Krediten darstellen. Das eigentliche Problem liegt umgekehrt darin, dass durch eine Mehrfachberücksichtigung die Lage viel schlimmer aussieht, als sie zunächst auf Systemebene ist. Wenn dann allerdings auf der Basis dieser künstlich verschlechterten Erwartungen im Rahmen von Zweit-, Drittrundeneffekten und so weiter nicht nur buchhalterische, sondern auch finanz- und realwirtschaftliche Konsequenzen gezogen werden, kann es leicht zur Self- Fulfilling Prophecy kommen.

Aus diesem Grund sollte ein Fonds in der beschriebenen Konstellation eingesetzt werden, um mit der Lösung des Problems der Mehrfachberücksichtigung sämtlichen negativen Weiterungen den Boden zu entziehen. Die bislang veröffentlichten Konstruktionen von Bad Banks einschließlich der gesetzlichen Vorlagen werden demgegenüber der beschriebenen Struktur nicht einmal ansatzweise gerecht.

Leonhard Knoll , Lehrstuhl für BWL und Unternehmensfinanzierung , Universität Würzburg
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