Aufsätze

Strategie-Prozessentwicklung und neue MaRisk

Die von der BaFin publizierten neuen MaRisk-Anforderungen vom 15. Oktober 2010 an die Strategie-Entwicklung von Kreditinstituten bieten diesen hervorragende Chancen für ihre eigene Unternehmensentwicklung - wenn diese ganzheitliches Strategie-Management durchgängig umsetzen. Die Aufsicht will nicht nur vordergründig die Institute zu einer Bekämpfung von strategischen Risiken anhalten. Sie will darüber hinaus auch sicherstellen, dass im Rahmen des grundsätzlich bewährten Gruppenwettbewerbs vor allem auch Regionalinstitute wie Sparkassen und Genossenschaftsbanken ihren Auftrag zu einer bedarfsgerechten Versorgung ihrer Regionen erfüllen. Dabei geht es über Mittelstands- und Wohnungsbaufinanzierung hinaus auch um den ortsnahen Beratungsbeitrag von Regionalinstituten zu einer nachhaltigen Altersvorsorge, um Millionen von Bürgern vor drohender Altersarmut zu bewahren.

Huckepack-Konzepte passé

Die Geschichte der Erfüllung aufsichtsrechtlicher Anforderungen ist eine Huckepackstory: Die Erfüllung der Vorläuferanforderungen der MaH und MaK ist noch überschaubar: Man brauchte neben den prozessualen und Funktionstrennungsanforderungen noch eine Handelsrisiko- beziehungsweise Kreditrisikostrategie, und damit hatten die Risikomanager der Institute ihr Ränzel beim Aufstieg zur MaHbeziehungsweise MaRisk-Fitness zu tragen. So schien der Form Genüge getan - schien, denn: Diese Teilstrategien wurden oft aus der Not geboren, faktische Entwicklungen in den jeweiligen Portefeuilles eine nachträgliche Legitimation zu verleihen (Abbildung 1).

Insofern stellen die MaRisk-Anforderungen von 2005 konsequent die Qualität von Geschäftsstrategien und die daraus nachvollziehbare Ableitung von Risikostrategien in den Vordergrund. In der Praxis führte das häufig zum Rucksack-verkehrt-Verhalten: Statt die Geschäftsstrategie als Basis zur Erreichung unternehmerischer Ziele in den Mittelpunkt zu stellen und der Risikostrategie die Funktion von Leitplanken zuzuweisen, um Abstürze von der Böschung zu vermeiden, wurde vielfach einem bereits angelaschten Risikostrategie-Rucksack ein weiterer Rucksack, nämlich die "Geschäftsstrategie" angehängt. Dass diese kaum der realen Unternehmensstrategie entsprach und damit nicht gelebt werden konnte, liegt auf der Hand.

Sich auf diese häufige Historie zu besinnen hilft, mögliche Fehlentwicklungen bei der aktuellen Forderung nach einer Unterlegung der MaRisk-Anforderungen durch eine "lebende" strategische Planung zu erkennen und ihnen bei Bedarf vorzubeugen. Es zeichnet sich nämlich in manchen Häusern Folgendes ab: Nach scheinbar bewährtem Muster bemüht man sich, teilweise nicht authentischen Geschäftsstrategien einen formalisierten Prozess anzuhängen und diesen als "lebend" darzustellen: Der nächste angelaschte Rucksack ist geboren. Ob der Risikomanager aber eine Chance hat, damit für sein Institut bis zum Gipfel der MaRisk-Fitness im Sinne des Erlasses vom Dezember 2010 aufzusteigen?

Ganzheitliche Strategie-Entwicklung in zehn Bausteinen

Es besteht durchaus Einigkeit in der forschenden Fachwelt, wie sich ganzheitliche Strategien unternehmensindividuell entwickeln und prozessual umsetzen lassen. Den Kompass bildet die Unternehmensvision, in das Gruppen- und Satzungsziele (zum Beispiel Stärkung der regionalen Daseinsfürsorge und Förderauftrag) einfließen. Ein Institut könnte danach folgende Gedanken entwickeln:

- "Wir nehmen den Markt als Ausgangspunkt unserer Strategie-Entwicklung. Er bietet Chancenpotenziale, die für alle Wettbewerber am Markt gleich sind."

- "In der Potenzialausschöpfung sind wir dann erfolgreich, wenn wir über die notwendigen Fähigkeiten verfügen und darin besser als unsere Wettbewerber sind."

- "Durch einen Abgleich der für die Potenzialausschöpfung notwendigen Fähigkeiten und unseren vorhandenen Fähigkeiten erkennen wir, wo wir stehen, welche Stärken wir im Vergleich zu den Wettbewerbern haben und welche Hemmfaktoren uns an der Potenzialausschöpfung hindern."

Mit dieser Outside-in-Sicht lässt sich die strategische Ausgangssituation eines Instituts umreißen. Das leitet über zum eigentlichen Strategie-Entwicklungsprozess:

- "Wie wird sich unser Institut unter Sta-tus-quo-Aspekten ohne neue Strategien entwickeln?"

- "Welches Anspruchsniveau haben wir an unsere strategischen Ziele?"

- "Entsprechen die Ergebnisse der Status-quo-Prognose unserem strategischen Anspruchsniveau oder sind strategische Lücken erkennbar, und welche?"

- "Mit welchen strategischen Optionen durch bessere Ausschöpfung vorhandener oder neuer Chancenpotenziale können wir strategische Lücken schließen?"

Damit ist der Handlungsbedarf für das Institut klar, dem die Umsetzung folgt:

- "Welche Maßnahmen zur Umsetzung leiten wir aus den strategischen Zielen ab?"

- "Welche operativen Ziele leiten wir aus den strategischen Zielen und den geplanten Maßnahmen ab?"

- "Welche Informationen zum strategischen Zielerreichungsgrad gewinnen wir aus der Erfüllung operativer Ziele?"

Damit ist der Regelkreis mit der Chance eines rollierenden Strategie-Prozesses geschlossen.

Ergebnis: ein erdbebensicheres Strategie-Haus

Wenn eine Bank oder Sparkasse so systematisch vorgeht, hat sie die Chance, intern die für die Durchführung und Umsetzung des strategischen Prozesses wichtigen Leistungsträger zu gewinnen, sie mitzunehmen und so alle Beteiligten auf einem gemeinsamen Bahnsteig zu versammeln. Das Ergebnis der gemeinsamen Entwicklungsarbeit kann dann ein über alle Etagen erdbebensicheres Strategie-Haus sein mit folgenden signifikanten Merkmalen:

Im Souterrain kann man aus Fakten und Daten einschließlich transparenter Einschätzungen zu externen und internen Einflussfaktoren ein solides Fundament gießen, wie die dunkelblaue Farbe signalisiert. In den mittleren Etagen hat man es bereits mit der Zukunft zu tun, sei es in prognostischer oder gestalterischer Hinsicht. Es ist nicht mehr alles so sicher überschaubar, wie die etwas hellblauere Farbe signalisiert, denn Ausgangsdaten und damit Prämissen können sich ändern. Aber da die Mitteletage auf festen Fundamenten ruht, ist auch sie einsturzsicher.

In der Umsetzung geht man noch weiter in die Zukunft hinein, deshalb die noch hellere Blaufarbe im Obergeschoss- und Maisonettenbereich. Aber über ständige Überprüfung des strategischen Zielerreichungsgrades mit der Kompassnadel der operativen Zielerfüllung und bei Bedarf Prämissenmodifikation ist auch dieser luftige Gebäudeteil sicher gestaltbar (Abbildung 2).

Es wäre für die strategische Zukunftsentwicklung der Institute schön, wenn dieses Strategie-Haus die Realität in der Praxis widerspiegeln würde - aber die Praxis ist desillusionierend.

Praxisschock: Gefahr des windschiefen Kartenhauses

Wie eine vor wenigen Monaten vorgelegte repräsentative Untersuchung zur Strategie-Kultur aller Wettbewerbergruppen erwies, tun die Institute im Aufbau eines ganzheitlichen Strategie-Konzeptes kaum das Notwendigste:

Die Mehrzahl der Institute hält sich mit einer sorgfältigen Standortbestimmung zur strategischen Ausgangssituation auf Basis einer Umweltanalyse - Originalton BaFin: "externe und interne Einflussfaktoren" gar nicht erst auf, sondern springt direkt in strategische Ziele und Maßnahmen, wobei sie viele eigene Ansätze für den institutsindividuellen Markt durch Übernahme von Verbandsempfehlungen als Blaupausen ersetzen. Fallen die strategischen Optionen und Maßnahmen, wie die Prozentsätze bei den Bausteinen 7 und 8 zeigen, wie Manna vom Himmel?

Auch mit systematischen Prognosen und Identifikation von strategischen Lücken tut sich die Praxis bisher schwer. Damit ist in vielen Instituten keine Abstimmbrücke über alle Bausteine gestaltbar. Wie ist es dann um Nachvollziehbarkeit und Überprüfung des Zielerreichungsgrades bestellt (Abbildung 3)?

Strategie-Führer auch Marktgewinner

Strategie-Führer zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre Märkte (und nicht nur die Nasenspitzen ihrer Bestandskunden) kennen und sich bemühen, sich geeignete Alleinstellungsmerkmale aufzubauen. Nimmt man als Maßstab für ihren Erfolg ihre Partizipation an der Girokontenentwicklung in der Volkswirtschaft, so zeigen sich gerade bei Instituten, die nach dem Regionalprinzip arbeiten, die höchsten relativen Girokontenverluste, wie das Schaubild der Girokontenentwicklung von 2003 bis 2009 zeigt.

Man weiß durch repräsentative Untersuchungen, dass vermeintliche regionale Marktführer besonders für Blind Spots anfällig sind und sich fast weigern, Weak Signals, die für ihre Zukunftsentwicklung sehr wichtig sind, zur Kenntnis zu nehmen. So sind viele identifizierte Ursachen für strategische Defizite zu nennen:

- Die einseitige Fixierung auf den Kundenbestand, der jährlich mit unterschiedlichen regionalen Spannweiten um drei bis vier Prozent durch Mortalität und Mobilität abbröckelt.

- Die Orientierung an realitätsfremden ROE- und CIR-Zielen, was dazu führt, dass man oft nicht entsprechend dem regionalen Kundenbedarf in den Markt investiert, sondern sich eher vom Markt wegspart.

- Ein Fixieren auf in den Gruppen üblichen Betriebsvergleiche mit dem angeblich seligmachenden Erreichen (mindestens) des Gruppendurchschnittes.

Deshalb bleibt das strategische Bemühen, das man natürlich keinem Institut absprechen kann, vielfach in einem Kurieren an Symptomen tätig, anstatt zu den Ursachen vorzustoßen. Diese lassen sich nur über eine sorgfältige Identifikation von Chancenpotenzialen durch eine institutsindividuelle Umweltanalyse und Bewertung der eigenen Fähigkeiten zur Potenzialausschöpfung erkennen. Ein Hufeisenmagnet sammelt an seinen Polen Eisenfeilspäne beziehungsweise sortiert diese in einem Bogen zwischen den Polen, wenn man es unter eine Glasplatte mit darauf gestreuten Eisenfeilspänen hält. Dieses Bild passt auch für die relevanten Daten zur Erfüllung von MaRisk-Anforderungen. Ihre Struktur ist sicherlich grobkörniger als die der strategischen Planung, die nach Schlüsselfaktoren ihre Kriterien und Teilkriterien bis zu Messgrößen sortieren muss. Aber für die formelle Beurteilung eines lebenden und nachvollziehbaren Strategie-Prozesses reicht eine Ebene darüber, zum Beispiel die Kriterienebene. Filtert man diese Größen heraus, ist damit der Prozess transparent und sind die wichtigen Beurteilungsaspekte Lebendigkeit, Nachvollziehbarkeit und Kontrolle des strategischen Zielerreichungsgrades beurteilbar - will die Aufsicht mehr? Dazu dienen adäquate Fragen im Bankaufsichtsgespräch (Abbildung 4).

Aufbau der MaRisk-konformen Strategie-Pyramide

Erster Schritt - Festlegung der Struktur des Strategie-Entwicklungsprozesses: Da ein Kreditinstitut bei der (Weiter-) Entwicklung ihres Strategie-Baukastens zum MaRisk-konformen Strategie-Entwicklungsprozess nicht auf der grünen Wiese startet, sondern auf einem teilweise vorhandenen Sockel aufbaut, lautet die Überschrift für den ersten Akt: Alle Beteiligten auf dem gleichen Bahnsteig versammeln und sie dadurch zu mental überzeugten Beteiligten machen, indem die im vorhandenen Handwerkskasten für Planungszwecke einsetzbaren Instrumente aus zeitlichen und Akzeptanzgründen einbezogen werden.

Zweiter Schritt - Strategie-Fitness-Check: In einer Überprüfung der bereits vorhandenen Informations- und Datengrundlagen werden die aus dem Handwerkskasten angebotenen Instrumente auf der Basis ausgewählter und als wesentlich betrachteter Kriterien pro Baustein auf ihren möglichen Beitrag zum ganzheitlichen Strategie-Entwicklungsprozess überprüft. Die Bewertung lässt sich relevant objektiv (dank differenzierter Messgrößen pro Kriterium) im moderierten Expertenteam auf der Basis des Software-Tools jenseits von

Glaubensfragen durchführen. Das Ergebnis kann lauten: Vieles schon geschafft und anderes im Fluss, sodass in überschaubarer Zeit die Umsetzung eines ganzheitlichen Prozesses und damit auch eine exzellente MaRisk-Prüfungsfähigkeit des bankbetrieblichen Strategie-Entwicklungsprozesses gegeben ist. Die noch zu beackernden Baustellen sind überschaubar. Damit ist der Handlungsbedarf für den gesamten Stra-tegie-Prozess transparent.

Dritter Schritt - Bearbeitung der zehn Strategie-Bausteine gemäß Handlungsbedarf: Das konzentriert sich, wie unter Abbildung 3 vorgestellt, auf die Blöcke: Analyse der strategischen Ausgangssituation der Bank gemäß Bausteinen 1 bis 3, den Strategie-Generierungsprozess gemäß Bausteinen 4 bis 7 und die Strategie-Umsetzung gemäß Bausteinen 8 bis 10. Durch die Analyse der einzelnen strategischen Bausteingewerke gewinnt die Bank ein solides Gesamtgebäude, was sie davor bewahrt, sich in strategisch nicht immer nachhaltigen (wichtiger Maßstab: Kundenbindung) Einzelaktionen zu verlieren. Im Mittelpunkt steht hier primär der erzielbare betriebswirtschaftliche Nutzen für das Institut.

Vierter Schritt - Strategie-Fortschritts-Check: Dieser zweite Check erfolgt nicht wie der Check gemäß Schritt 2 auf der Basis einer ersten Sichtung, sondern der bereits detailliert erarbeiteten Grundlagen und stellt so die Verplausibilisierungsgrundlage für die darauf aufbauende Geschäftsstrategie dar.

Fünfter Schritt: Formulierung beziehungsweise Aktualisierung der Geschäftsstrategie: Die Geschäftsstrategie als sichtbarer Teil des gesamten Strategie-Entwicklungsprozesses lässt sich so systematisch aus dem Prozess "nach oben" generieren und ist damit für alle Beteiligten (einschließlich der Bankenaufsicht) nachvollziehbar und kommunizierbar.

Sechster Schritt: auf dieser Basis Aktualisierung der Risikostrategie: Hier findet die Risikostrategie ihren betriebswirtschaftlich sinnvollen Platz: Die Geschäftsstrategie bewegt sich um die Möglichkeiten, wie das Unternehmen seine Chancen zum Vorteil aller Teilnehmer wahrnehmen kann, während die Risikostrategie die Leitplanken als Verhütung gegen ein "Entgleisen" festlegt (Abbildung 5).

Betriebswirtschaftlichen Nutzen und Transparenz miteinander verbinden

Es ist wichtig, das Bankmanagement davon zu überzeugen, dass Institute als Strategie-Führer in ihren jeweiligen Regionen mit ihren relevanten Geschäftsfeldern damit ihre Zukunftsfähigkeit und damit gewachsene Kundenbindungen bestmöglich sichern. Damit werden sie auch, vor allem als Regionalinstitute in ökonomisch eher durchwachsenen Regionen, uno actu ihrem jeweiligen Gründungs-, Satzungs- und Förderauftrag gerecht. Die aufsichtsrechtlich geforderte Transparenz lässt sich dann ohne überflüssige Adrenalinstöße für das Management gewinnen. Und wenn dann aus vergleichbaren Dritterfahrungen "Aufseher" noch wertvolle betriebswirtschaftliche Tipps hinterlassen, schließt sich der Kreis von betriebswirtschaftlichem Nutzen und "lockerer" Erfüllung der aktuellen MaRisk-Anforderungen.

Der Autor dankt Andrea Blütchen und Julia Hintermeier für die Unterstützung bei der Vorbereitung des Vortrages und der Manuskripterstellung.

Der Beitrag basiert auf einem Vortrag des Autors auf einer Veranstaltung der Deutschen Bundesbank am 19. September 2011.

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