Am Ball bleiben: Wie Bankenaufsicht mit Veränderungen umgeht

Raimund Röseler, Foto: Bernd Roselieb (BaFin)

"Entscheidend ist auf'm Platz." Und da hat die BaFin gerade im Fall Wirecard nicht die allerbeste Figur abgegeben und ist entsprechend tief in die Kritik geraten. Mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen soll die Bankenaufsicht gestärkt aus dieser Phase hervorgehen. Angefangen von der Bilanzkontrolle, mit deren Übernahme die Bafin nun unmittelbar aktiv werden kann, den verbesserten Zugriff auf ausgelagerte Aktivitäten der von ihr beaufsichtigten Institute bis hin zur echten Detektivarbeit im Rahmen der forensischen Aufsicht reicht das Spektrum. Raimund Röseler sieht seine Behörde damit schlagkräftig und gut aufgestellt. Auch wenn er einräumt, dass auch die "neue" BaFin nicht jeden Betrugsfall verhindern könne und betont, dass auch nicht jede Bank beim leisesten Verdachtsfall geschlossen werde. (Red.)

Auf den ersten Blick haben Bankenaufsicht und Fußball nichts gemein. Die Europameisterschaft hat aber unlängst wieder gezeigt, dass es durchaus Parallelen gibt. So werden beim Fußball Aufstellung und Strategie immer wieder überdacht. Spieler werden eingewechselt, Spieler verlassen den Platz. Doch eine Instanz muss am Ball bleiben und beobachten, ob die, die auf dem Feld sind, nach den Regeln spielen: der Schiedsrichter. Er entscheidet, wer die Gelbe Karte kriegt oder auf die Bank muss, wann ein Strafstoß fällig ist und wann ein Elfmeter.

Alter Aufsichtsansatz an Grenzen gestoßen

Der Job des Schiedsrichters ist anspruchsvoll. Kaum ein Feldspieler läuft so viele Kilometer wie er und seine Entscheidungen muss er unparteiisch und schnell fällen. Dem Aufseher geht es ähnlich: Er muss die Akteure auf dem Markt beobachten, Risiken erkennen, Geschäftsmodelle analysieren und aufsichtliche Maßnahmen oder Sanktionen verhängen, wenn Anforderungen nicht umgesetzt und Spielregeln verletzt werden. Und das ebenfalls unparteiisch, oft schnell und unter immer neuen Bedingungen. Denn der Markt ändert sich ständig, immer wieder kommen neue Spieler aufs Feld, werden neue Strategien angewendet. Kann der Aufseher da noch am Ball bleiben?

Spätestens der Fall Wirecard hat der Finanzaufsicht die Grenzen ihres klassischen Aufsichtsansatzes vor Augen geführt. Der beruhte zu großen Teilen auf der Prüfung bestimmter Kennziffern und Eignungsvorgaben. Nun war aber die Wire card AG ein gigantisches Betrugskonstrukt und so verschachtelt aufgebaut, dass die Zeitbomben irgendwo, weit weg vom streng regulierten Finanzmarkt, versteckt werden konnten. Währenddessen konnte die direkt beaufsichtigte Wirecard Bank hervorragende Eigenkapital- und Liquiditätskennziffern vorweisen. Wir haben daraus gelernt, dass diese Zahlen einen begrenzten Aussagewert haben und wir uns noch mehr mit den Geschäftsmodellen der Institute beschäftigen müssen.

Dass gängige Kennziffern wie die Eigenkapitalquote und Liquiditätskennzahlen allein nicht mehr ausreichen, um Risiken früh genug zu erkennen, haben auch die Vorgänge rund um die Greensill Bank gezeigt. Hier gingen die Schwierigkeiten vor allem von der britisch-australischen Mutter aus, die nicht unter der Aufsicht der BaFin steht, und von deren sehr komplexem Geschäftsmodell. Auch bei der deutschen Greensill-Tochter legten die Bilanzen nicht alle Defizite offen.

Zwar hat die Aufsicht bei Greensill professionell gearbeitet und aufgedeckt, dass es das breit diversifizierte Kreditportfolio, das das Institut in seinen Büchern auswies, gar nicht gab. Eingreifen konnte die BaFin aber erst, nachdem sie sich durch eine forensische Sonderprüfung handfeste und rechtssichere Informationen zu den Bilanzproblemen der Bremer Bank beschafft und ausgewertet hatte. Denn - ähnlich wie Schiedsrichter - können sich Aufseher nicht über rechtsstaatliche Regeln hinwegsetzen.

Für das Bundesfinanzministerium (BMF) und die BaFin war die Insolvenz der Wirecard AG jedenfalls ein entscheidender Anlass, ein grundlegendes Update der Finanzaufsicht in Angriff zu nehmen und dabei auch die zweistufige Bilanzkon trolle zu reformieren, die sich als nicht wirksam erwiesen hatte. Und schon im Juli 2020 legte Bundesfinanzminister Olaf Scholz einen "Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Bilanzbetrug und zur Stärkung der Kontrolle über Kapital- und Finanzmärkte" vor. Nur wenige Monate später, im Dezember 2020, verabschiedete das Bundeskabinett den Entwurf des Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG), das wesentliche Punkte des Aktionsplans umsetzt. Zum 1. Juli 2021 sind große Teile des FISG in Kraft getreten.

Gesetzgeber stärkt BaFin

Das FISG stärkt die BaFin vor allem bei der Bilanzkontrolle. Zuvor war es primär Aufgabe der privat organisierten Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR), einem Verdacht auf Verstöße gegen Rechnungslegungsvorschriften nachzugehen. Die BaFin kam erst zum Einsatz, wenn ein Unternehmen nicht mehr mit der privaten Prüfstelle kooperieren wollte, unzufrieden mit dem Resultat der Prüfung war oder grundlegende Bedenken am Prüfungsverfahren oder Prüfungsergebnis der DPR bestanden. Dieses zweistufige Modell geriet durch die Wirecard-Insolvenz in die Kritik. Es hatte sich als ineffizient erwiesen. Ab Anfang 2022 ist die BaFin nun allein für die Bilanzkontrolle zuständig. Das bedeutet unter anderem: Anlass- und Stichprobenprüfungen sind nun ihre Angelegenheit.

Besteht ein Verdacht auf Bilanzverstöße, kann die Aufsicht künftig unmittelbar gegenüber einem Kapitalmarktunternehmen aktiv werden - und ihm mit forensischen Mitteln in die Bücher schauen. Zu diesem Zweck hat die BaFin neue hoheitliche Befugnisse erhalten, zum Beispiel erweiterte Auskunftsrechte und das Recht, Durchsuchungen und Beschlagnahmen vorzunehmen. Sie kann dann auch die Führungsspitzen eines geprüften Unternehmens und dessen Abschlussprüfer vorladen und vernehmen.

Direkter Zugriff bei Auslagerung

Ab Anfang 2022 wird die BaFin darüber hinaus direkt auf Unternehmen zugreifen können, auf die Banken wesentliche Aktivitäten und Prozesse auslagern. Dazu wurde im FISG klargestellt, welche unmittelbaren Informations- und Prüfrechte die BaFin haben wird. Außerdem erweitert das Gesetz die Anordnungsbefugnisse der BaFin: Musste die Aufsicht bislang indirekt über die beaufsichtigten Banken eingreifen, greift sie künftig direkt auf das Auslagerungsunternehmen zu, wenn sie einen Missstand vermeiden oder beheben will. Zudem kann die Aufsicht Bußgelder gegenüber diesen Dienstleistern verhängen.

Für den Fall, dass Institute Auslagerungsunternehmen in Drittstaaten außerhalb des Europäischen Währungsraums wählen, müssen sie mit diesen vertraglich einen Zustellungsbevollmächtigten vereinbaren, dem die Aufsicht zum Beispiel Prüfungsanordnungen kurzfristig zustellen kann. Auch wird die Anzeigepflicht für wesentliche Auslagerungen wiede r eingeführt, was der Aufsicht einen flächendeckenden Überblick über Auslagerungen und die damit einhergehenden (Konzentrations-)Risiken verschafft.

Die BaFin bereitet sich bereits intensiv auf ihre neuen Aufgaben in der Bilanzkontrolle vor. Aktuell ist sie dabei, zusätzliche Expertinnen und Experten mit forensischen Qualifikationen zu gewinnen.

Modernisierungsprojekt

Seit dem 15. Februar 2021 läuft zudem als Ergänzung zum FISG ein Modernisierungsprojekt, das die BaFin ebenfalls schlagkräftiger machen wird. In Gang gesetzt hat das Projekt das Bundesfinanzministerium. Von Anfang an hat die BaFin das Projekt unterstützt und mitgestaltet. Einige der Teilprojekte sind schon umgesetzt worden oder weit fortgeschritten.

Im Mai ging zum Beispiel der Pilot der Fokusaufsicht live, im August begann der Regelbetrieb. Mit der Fokusaufsicht will die BaFin noch intensiver ins Innere von Banken und anderen Unternehmen schauen, deren Geschäftsmodell sehr komplex oder sehr innovativ erscheint. Bei solchen Unternehmen wird die Aufsicht nun schneller, genauer und aus eigener Anschauung erfahren, wo die Erträge erwirtschaftet werden und Risiken entstehen. Sollte die Aufsicht dabei auf intransparente Verhältnisse stoßen und sich keine Klarheit verschaffen können, wird sie entsprechend handeln und notfalls die Geschäfte des Unternehmens einschränken.

Ein weiteres zentrales Teilprojekt des Modernisierungsvorhabens ist die Taskforce. Nach ersten ertragreichen Testeinsätzen ist sie Mitte August offiziell an den Start gegangen und kooperiert seitdem eng mit der Fokusaufsicht. Die Taskforce ist eine Art schneller Eingreiftruppe, die kurzfristig ausrücken kann, um in den Unternehmen zu prüfen. Die Taskforce prüft in Eigenregie und kann auch forensische Prüfungen vornehmen. Dies ist für die Unternehmensaufsicht Neuland, bislang hat die BaFin nur bei der Verfolgung unerlaubter Geschäfte forensisch gearbeitet.

Digitalisierung als Treiber von Veränderungen

Ob die Aufsicht am Ball bleiben kann, hängt auch davon ab, wie sie mit den Chancen und Risiken der Digitalisierung umgeht. Mit beiden Seiten der Medaille beschäftigt sich die BaFin seit mehreren Jahren intensiv. Jüngste Früchte dieser Arbeiten auf der Risikoseite: ein Papier mit aufsichtlichen Prinzipien für den Einsatz von Algorithmen in Entscheidungsprozessen und ein gemeinsames Diskussionspapier von BaFin und Deutscher Bundesbank zum Einsatz von maschinellem Lernen in Risikomodellen, das bis Ende September konsultiert wird. In der Mache sind zudem eine Novelle der BAIT, der Bankaufsichtlichen Anforderungen an die IT, und deren Pendant für Zahlungsdienstleister, die ZAIT.

Mit zahlreichen Maßnahmen bringt die BaFin zudem ihre Beschäftigten in die Lage, digitale Geschäftsmodelle noch tiefer zu durchdringen, sie also von A bis Z zu verstehen. Dieser Lernprozess wird niemals abgeschlossen sein, was der BaFin bewusst ist.

Ein weiterer Aspekt entscheidet darüber, ob die Aufsicht am Ball bleiben kann, nämlich wie sie selbst im Aufsichtsalltag die Vorteile der Digitalisierung nutzt. Ein Baustein des Modernisierungsvorhabens greift diesen Aspekt auf: Die Rede ist von einer neuen Data Intelligence Unit (DIU), die direkt beim Präsidenten angesiedelt ist. In der DIU soll speziell ausgebildetes Personal vor allem zeitgemäße digitale Analysetools entwickeln, mit denen Datenmaterial, der wichtigste Rohstoff der Aufsicht, ausgewertet werden soll. Ziel ist es, Auffälligkeiten bei einzelnen Unternehmen und auf den Finanz- und Kapitalmärkten frühzeitig zu entdecken, um angemessen eingreifen zu können. Seltsam hohe Gewinnmargen und zweifelhafte Kostenstrukturen bei einer Bank werden auf dies Weise zum Beispiel schneller sichtbar. Die DIU wird die Analysetools gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der BaFin-Fachabteilungen on demand entwickeln und dem gesamten Haus über ein Aufsichts-Cockpit zur Verfügung stellen.

Drei Dinge sind angesichts der Modernisierung der Aufsicht zu beachten. Erstens: So nutzstiftend die Digitalisierung ist, der Mensch bleibt in der Aufsicht unverzichtbar. Er ist es, der die Informationen bewertet, der hoheitliche Entscheidungen trifft. Zweitens wird selbst die bestgerüstete Aufsicht der Welt nicht jeden Betrugsfall verhindern können. Diese Erkenntnis ist wichtig und sie bedeutet nicht, dass sich die Aufsicht aus der Verantwortung stehlen will. Und last, but not least wird eine Aufsichtsbehörde niemals eine Bank nur deshalb schließen können, weil sie vage vermutet, dass dort jemand einen Betrug planen könnte. So etwas ist in einem Rechtsstaat aus guten Gründen undenkbar und nicht alle Entscheidungen lassen sich von jetzt auf gleich fällen.

Eines kann die Öffentlichkeit aber erwarten: Dass eine Aufsicht so zeitgemäß und so schlagkräftig aufgestellt ist, dass sie Foulspielern und Betrügern das Leben so schwer wie eben möglich machen kann. Diesen Anspruch hat jedenfalls die BaFin. Kann die Bankenaufsicht also fortan am Ball bleiben? Das entsprechende Rüstzeug dazu hat sie - dank der neuen gesetzlichen Instrumente, des Modernisierungsvorhabens und der digitalen Agenda. Die BaFin weiß, dass die Erwartungen an sie hoch sind. Und sie weiß noch etwas: "Entscheidend is' auf'm Platz."

Raimund Röseler , Exekutivdirektor Bankenaufsicht , Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
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