Bargeld, Giralgeld, Vollgeld: zur Diskussion um das Geldwesen nach der Finanzkrise

Prof. Dr. Martin Hellwig Foto: Max-Planck-Institut

Der Autor weist darauf hin, dass es seit dem Beginn der Finanzkrise vor gut zehn Jahren eine intensive Diskussion um die Grundlagen des Geldwesens gegeben hat, oft verbunden mit radikalen Reformvorschlägen. Viele nehmen Anstoß an den massiven geldpolitischen Interventionen der Notenbanken, der wachsenden Bedeutung geldähnlicher Titel an den Märkten und der Rolle der Geschäftsbanken bei der Giralgeldschöpfung. Radikale Reformvorschläge reichen von der Abschaffung von Bargeld bis zur Verhinderung der Giralgeldschöpfung der Geschäftsbanken. Es handele sich aber zumeist um Teilanalysen, die einen einzigen Aspekte herausgreifen, ohne auf den Gesamtzusammenhang einzugehen. Der Beitrag zum Bargeldsymposium 2018 der Deutschen Bundesbank versucht, einen solchen Zusammenhang herzustellen, und geht davon aus, dass Bargeld selbst keine schuldrechtlich durchsetzbare Forderung begründet, gleichzeitig aber in seiner Eigenschaft als Zahlungsmittel der Gegenstand von Forderungen ist. Der Vortrag erläutert die Implikationen dieser Tatsache für Aspekte der Diskussion um Geldwesen und Geldpolitik. Eine Langfassung seines Beitrags (siehe Hinweis am Ende des Textes) kann auf der Homepage der ZfgK abgerufen werden. (Red.)

Vor einen Jahr war ich beim wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie federführend an einem Gutachten "Zur Diskussion über Bargeld und die Nullzinspolitik der Zentralbank" beteiligt. Zunächst habe ich überlegt, ob ich auf dieser Veranstaltung über dieses Gutachten referieren sollte, habe mich aber dagegen entschieden und bin froh darüber, denn vieles hätte nur Dinge wiederholt, die hier schon von anderen Rednern gesagt wurden. Ich will stattdessen einen neuen Punkt behandeln, der meist zuwenig Aufmerksamkeit erhält, der auch auf dieser Veranstaltung noch nicht angesprochen wurde.

Bargeld als Grundlage des Geldsystems und des Systems von Geldforderungen

Bargeld ist die Grundlage des Geldsystems, und zwar in einem viel tieferen Sinn als das Wort "Zahlungsmittel" andeutet. Es geht dabei um zwei Punkte: Erstens: Bargeld ist der Inhalt von Geldforderungen. Zweitens: Bargeld ist selbst keine Forderung.

Wenn ich eine Sichteinlage bei meiner Bank habe, ist das schuldrechtlich eine Forderung auf Lieferung einer bestimmten Anzahl von kleinen graugelben Metallstückchen. In der Realität läuft das meistens nicht so, verwende ich Überweisungen, Einzüge und Schecks, um meine Forderung an meine Bank in eine Forderung des Zahlungsempfängers gegenüber seiner Bank umzuwandeln.

Wenn ich aber die Frage stelle, was schuldrechtlich dahinter steht, so komme ich letztlich immer zurück auf die Verpflichtung der Bank, mir eine bestimmte Menge an Bargeld zu liefern.

In der Diskussion um eine Abschaffung von Bargeld muss man daher auch erwägen, was eigentlich der Inhalt von Geldforderungen wäre, wenn es kein Bargeld mehr gäbe? Was würde das für das Schuldrecht bedeuten und für das auf dem Schuldrecht aufbauende Wirtschaftssystem? Was würde das für mein Verhältnis zu meiner Bank bedeuten? Was für eine Forderung habe ich dann ihr gegenüber? Ich kann zu einer anderen Bank gehen, aber was heißt das? Kann ich von allen Banken weggehen? Wenn es das Objekt der Forderungen, die ich an meine Bank habe, nicht mehr gibt, ist die Rechtskraft der Forderung geschwächt.

Nun kann man sich vorstellen, dass alle Leute die Möglichkeit bekommen, Konten bei der Zentralbank zu führen. Einige Vorschläge zur Abschaffung von Bargeld zielen in diese Richtung. Rechtlich würde dies die Frage aufwerfen, die beim Vortrag von Yves Mersch diskutiert wurde, inwiefern die Zentralbank eigentlich berechtigt ist jedermann als Kunden zu nehmen. Darauf will ich jetzt aber nicht eingehen, sondern diskutieren, inwiefern ein solches Regime die oben skizzierten Bedenken ausräumen könnte.

Wenn ich ein Konto bei der Zentralbank habe und gleichzeitig ein Konto bei einer Geschäftsbank behalte, so ist der Inhalt meiner Forderung gegenüber letzterer wohl definiert: Wenn ich es wünsche, muss die Geschäftsbank mein Guthaben bei ihr auf mein Konto bei der Zentralbank übertragen. Insofern gibt es keinen großen Unterschied zum Status quo.

Ein "Big Brother"-Risiko

Aber ich werde persönlich abhängig von der Zentralbank. Wenn ich das Konto bei der Zentralbank so handhabe wie heute das Konto bei der Geschäftsbank, so bekommt die staatliche Institution Zentralbank sehr viel Informationen über mich. Das "Big Brother"-Risiko nimmt dann überhand. Der Schutz vor der übermäßigen Ansammlung und dem Missbrauch von Informationen über Privatpersonen wird kaum noch zu gewährleisten sein.

Ich sehe noch ein zweites Problem: Zahlungen in Bargeld sind endgültig, und sie involvieren nur den Zahlenden und den Zahlungsempfänger. Wenn ich in bar zahle, ist damit die Transaktion abgeschlossen. Das einzige, worauf es ankommt, ist, dass der Zahlungsempfänger die Zahlung annimmt.

Wenn ich ein Konto bei der Zentralbank habe und will jetzt mit Einheiten auf diesem Konto, nennen wir sie elektronische Blips, zahlen, hänge ich nicht nur davon ab, dass der Verkäufer, dem ich etwas bezahlen möchte, meine elektronischen Blips akzeptiert. Sondern er und ich hängen auch noch davon ab, dass die Zentralbank die Transaktion richtig durchführt und richtig verbucht. Im einzelnen Zahlungsvorgang bin ich dann von einem Dritten abhängig.

Wie ergeht es jemanden, der emigrieren will und vieles mitnehmen will? Fritz Zurbrügg hat in seiner Rede auf dieser Veranstaltung nicht darüber gesprochen, dass der Tausend-Franken-Schein ein Exportartikel ist. Der wird von vielen Leuten in vielen Ländern gehalten, die Angst haben, dass sich die politischen Verhältnisse ändern könnten. Wenn man ein Paket von Tausend-Franken-Scheinen hat und will oder muss emigrieren, dann hat man etwas, das man mitnehmen kann. Elektronische Blips im Zentralbankkonto kann man nicht mitnehmen.

Carl-Ludwig Thiele hat auf dieser Veranstaltung gesagt, Bargeld gehört nicht der Zentralbank, sondern es gehört den Leuten und ist Teil ihres Eigentums. Die Autonomie der Eigentümer würde geschwächt, wenn Bargeld durch elektronische Blips auf Zentralbankkonten ersetzt würde.

Bargeld selbst keine Forderung im Sinne des Schuldrechts

Ich komme damit zu meinem zweiten grundlegenden Punkt: Bargeld ist zwar der Gegenstand von Forderungen, ist aber selbst keine Forderung im Sinne des Schuldrechts. Früher war Bargeld ein Schuldtitel. Der Emittent war verpflichtet, die Noten auf Anforderung in ein entsprechendes Quantum an Gold oder Silber einzulösen. Diese Einlösepflicht ist in der Weltwirtschaftskrise abgeschafft worden. Es gab dann während Jahrzehnten die Verpflichtung der Zentralbank zur Stützung des Wechselkurses. Aber seit dem Ende des Systems von Bretton Woods 1973 gibt es gar keine konkrete Verpflichtung der Zentralbank mehr.

Udo Di Fabio hat von der Staatsgarantie der Werthaltigkeit gesprochen. Das ist eine schöne Formulierung, aber ich glaube nicht daran. Was hier als "Staatsgarantie" bezeichnet wird, hat politisch-deklaratorischen Charakter, begründet aber keine rechtlich durchsetzbare Forderung. Das Mandat für Preisstabilität soll das Verhalten der Zentralbank bestimmen, begründet aber keine Verpflichtung, für die ich als Eigner von Bargeld die Zentralbank in Anspruch nehmen könnte.

In der Bilanz der Zentralbank erscheint die Notenausgabe als eine Verbindlichkeit. Aber die Notenausgabe verpflichtet die Zentralbank zu nichts. Dass sie als Verbindlichkeit erscheint, ist eine Konvention. Wenn ich Fair Value Accounting, das Zeitwertprinzip, anwenden und als Verbindlichkeit den Zeitwert der in Zukunft aufgrund dieser Emission anfallenden Verpflichtungen eintragen würde, dann stände da eine Null. Denn die Bargeldausgabe verpflichtet die Zentralbank zu nichts.

Die Abweichung vom Fair Value Prinzip ist politökonomisch sinnvoll. Denn wenn die Notenausgabe als Gewinn ausgewiesen würde, dann würden die Politiker sehr begehrlich werden. Dadurch dass die Notenausgabe als Verbindlichkeit ausgewiesen wird, verschleiert man, dass die Geldschöpfung, gerade die Bargeldschöpfung, Vermögenswerte für die Zentralbank schafft. Übrigens ist auch der Schuldcharakter der Einlagen der Geschäftsbanken bei der Zentralbank fragwürdig, denn diese sind ja nur Forderungen auf Bargeld und, da die Zahlungsfähigkeit der Zentralbank außer Frage steht, perfekte Substitute für Bargeld.

Die Vermögenseffekte der Geldschöpfung verursachen allerdings Kosten, zumindest in normalen Zeiten, nur dass diese Kosten nicht bei der Zentralbank anfallen. Die Kosten fallen bei den normalen Bürgern, den Besitzern von Geld und anderen Nominalwerten, an, denn die Geldschöpfung hat im Normalfall zur Folge, dass der Realwert, die Kaufkraft, der einzelnen Geldeinheit sinkt. Da die Kosten nicht bei der Zentralbank anfallen, sind dies externe Kosten, und eine Marktlösung für das Angebot an Papiergeld würde nicht gut funktionieren. Das ist ein Grund, warum wir ein Notenbankmonopol haben. Ein anderer ist der, dass der Staat die Vermögensgewinne aus Geldschöpfung für sich appropriieren möchte.

Insofern besteht die Gefahr, dass ein etwaiges Marktversagen bei privater Geldschöpfung durch ein Staatsversagen ersetzt wird, weil die Regierung die Notenpresse als Mittel zur Staatsfinanzierung verwendet. Wir haben das in Deutschland zweimal auf katastrophale Weise erlebt. Weniger katastrophal, aber immer noch sehr spürbar, haben es die südeuropäischen Länder und die angelsächsischen Länder in den siebziger Jahren erlebt.

Unabhängigkeit der Zentralbank als Grundlage für Vertrauen

Die Unabhängigkeit der Zentralbank mit dem Mandat der Preisstabilität wirkt dem entgegen. In Deutschland kam sie zunächst durch ein Oktroi der Allierten nach dem Krieg. Sie wurde aber alsbald gestützt durch die breite Zustimmung der Bevölkerung.

Vor diesem historischen Hintergrund halte ich es für sehr problematisch, dass in den juristischen Auseinandersetzungen mit der Europäischen Zentralbank die Unabhängigkeit der Zentralbank infrage gestellt wird. Man sieht einen Konflikt mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes, noch dazu in einem Zusammenhang, wo die Maßnahmen der Zentralbank Budgetwirkungen haben können.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Maastricht-Urteil und in späteren Entscheidungen den Konflikt beschrieben und dann argumentiert, man könne die Unabhängigkeit insofern akzeptieren, als es sich um ein Gremium von Experten handle, das dem Ziel der Preisstabilität verpflichtet sei; ohne diese Unabhängigkeit sei zu befürchten, dass die Politiker mit der Notenpresse Wahlgeschenke finanzieren und so den Wahlvorgang verfälschen. Das ist schön und gut, zeugt aber von einem gewissen Mangel an Verständnis für die Probleme der Geldverfassung. Ob der Sorge um mögliche Verfälschungen des demokratischen Wahlvorgangs durch den Missbrauch der Notenpresse für Wahlgeschenke hat das Bundesverfassungsgericht es versäumt, das eigentliche Problem anzusprechen.

Mit den Worten "das eigentliche Problem" meine ich das Problem der Zeitinkonsistenz einer Budgetorientierung der Geldpolitik und die damit verbundene Gefährdung des Vertrauens in die Währung und in den Staat. Wenn ich heute Banknoten ausgebe, möchte ich hohe Erlöse erzielen und sage daher, der reale Wert dieser Noten wird stabil sein, denn ich werde für die nächsten 20 Jahre keine Banknoten mehr ausgeben. Morgen ist ein anderer Tag. Da ist die heutige Notenausgabe Geschichte, und ich habe die Gegenleistungen dafür erhalten. Also denke ich, ich kann die Notenpresse wieder anlaufen lassen, denn die Gegenleistungen für eine neue Notenausgabe sind auch willkommen. Ich habe zwar etwas anderes versprochen, aber was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.

Hierin liegt das Zeitinkonsistenzproblem, dass ich versucht bin, die gegebene Zusage zu brechen, und dass die Betroffenen keine Möglichkeit haben, mich zum Einhalten der Zusage zu zwingen. Wenn die Betroffenen den Zusammenhang verstehen, werden sie sich entsprechend verhalten und mir auch schon nicht viel für die neuen Noten geben, da sie erwarten, dass deren Wert alsbald sinken wird, wenn ich noch mehr Noten ausgebe.

Zeitinkonsistenzproblem

Dieses Zeitinkonsistenzproblem ist der eigentliche Grund für die Unabhängigkeit der Zentralbank. Die Unabhängigkeit der Zentralbank mit einem Mandat für Preisstabilität kann das Zeitinkonsistenzproblem der Geldpolitik lösen, indem sie die Entscheidungskompetenz an eine Institution gibt, die gerade nicht auf die Belange des Staatshaushalts achtet. Das Bundesverfassungsgericht sollte sich fragen, ob seine Dogmatik zur Notwendigkeit demokratischer Legitimation von öffentlichen Entscheidungen nicht um ein Kapitel zum Problem der Zeitinkonsistenz erweitert werden müsste. Immerhin geht es um das Vertrauen der Staatsbürger in die staatlichen Institutionen.

Vor diesem Hintergrund bin ich zutiefst beunruhigt, dass in den verschiedenen Verfahren in Karlsruhe das Thema Budgetwirkungen möglicher Verluste der Zentralbank so eine zentrale Rolle spielt. Wenn man vorschreibt, die Zentralbank müsse auf die Budgetwirkungen ihrer Maßnahmen schauen, werden alsbald Regierung und Parlament sagen, die Geldpolitik solle dem Staat bei der Finanzierung seiner Ausgaben helfen. Durch diese Diskussion und den Umgang des Bundesverfassungsgerichts damit werden die Grundlagen der institutionellen Struktur unseres Geldwesens gefährdet.

Im Übrigen sind die Diskussionen zur Möglichkeit von Verlust sehr weltfremd. Zum einen sind Verlustrisiken nie zu vermeiden. In der Vergangenheit hat die Bundesbank auf ihre Gold- und Devisenreserven zeitweise exorbitante Verluste ausgewiesen. Zum anderen sind die Verluste nie größer und meistens sehr viel kleiner als der anfängliche Vermögensgewinn aus der Geldschöpfung. Jeder Geldfälscher weiß, dass wenn er Blüten druckt und Aktien kauft, er besser dasteht, und wenn es hinterher einen Kursverlust auf die Aktien gibt, steht er nicht schlechter da als in der Ausgangsposition.

Zum Thema Schuld

Ich komme zurück auf das Thema Schuld. Nunmehr beim Giralgeld, Einlagen der Banken. Vor einigen Jahren sagte der damalige CEO von Wells Fargo, John Stumpf, in einer Diskussion zur Bankenregulierung: "Wir haben doch keine Schulden, wir haben Einlagen!". Varianten dieser Formulierung habe ich in vielen Diskussionen um Eigenkapitalregulierung von Banken nach der Krise gehört und gesehen. Das Buch "Des Bankers neue Kleider" (Anat Admati und Martin Hellwig) wurde kritisiert, weil wir die Vorstellung hätten, Banken finanzierten Kredite mit Einlagen. Das sei doch völlig falsch. Einlagen würden doch geschaffen, wenn Kredite vergeben werden. Die Anfänge dieser Vorstellung liegen in den 1920er Jahren, bei Albert Hahn, Ludwig Mises und Joseph Schumpeter. Die Bank of England hat kürzlich eine moderne Version ausgearbeitet.

Ich füge diese Diskussion hier ein, um zu verdeutlichen, wie absurd die Diskussion sich entwickelt. Da haben wir auf der einen Seite eine Bilanzierung der Notenausgabe durch die Zentralbank, die die Vermögenseffekte der Notenausgabe ignoriert, sodass Verluste zum Thema werden, vielleicht auch die Möglichkeit der Überschuldung und das Erfordernis eines Nachschusses an Eigenkapital. Gleichzeitig hat die Bezeichnung der Einlagen bei Geschäftsbanken als "Giralgeld" die Wirkung, dass man so tut als wären das keine Schulden!

In der Diskussion über das Geldwesen wird oft so getan, als wäre alles, wofür man die vier Buchstaben G E L D benutzt, dasselbe. Ich halte das für falsch. Man muss sich sehr genau angucken, worüber man redet. Bargeld und Giralgeld - ist das wirklich dasselbe? Sind das vollkommene Substitute? Für den Kunden normalerweise ja. In Griechenland 2015 nein. Wir haben es auf dieser Veranstaltung gehört. Und meine vorstehenden Bemerkungen zur Rolle des Bargelds als Inhalt von Forderungen deuten an, dass die Unterschiede tiefer liegen.

Die Sicht der Geschäftsbank

Wie sieht das aus Sicht der Geschäftsbank aus? Wenn die Kunden in großem Umfang von den Einlagen auf Bargeld wechseln möchten, haben die Geschäftsbanken ein Problem. Dann wirkt sich aus, dass Giralgeld eine Schuld ist, eine Verpflichtung der Geschäftsbanken, die sie nicht in jedem Fall aus eigener Kraft erfüllen können, im Unterschied zum Bargeld. Der Unterschied ist zentral für viele Diskussionen, die wir sowohl über die Geldpolitik als auch über die Bankenregulierung haben. Daher will ich ihn näher erläutern.

Die Kritiker der Vorstellung, Banken verwendeten Einlagen, um Kredite zu finanzieren, verwechseln zwei Bedeutungen des Wortes "finanzieren", "finanzieren" im Sinne von Bestandsgrößen und "finanzieren" im Sinne von Strömungsgrößen. Auf der Ebene der Strömungsgrößen ist sicher richtig, dass, wenn ein neuer Kredit vergeben wird, der Schuldner zunächst mal eine Einlage bekommt, einen Anspruch auf Auszahlung des bewilligten Betrags. Aber hinterher nutzt er diesen Anspruch, das Geld fließt ab, und die Bank braucht ihre Reserven an Zentralbankgeld, um den Anspruch zu bedienen. Hinterher muss sie überlegen, ob sie ihre Reserven wieder erhöht oder nicht. Wenn sie die Reserven wieder erhöhen will, braucht sie eine zusätzliche Finanzierung, es sei denn, sie würde andere Anlagen verkaufen.

Stellt man auf die Bestandsgrößen in der Bilanz ab, so heißt "finanzieren", dass die Passiva der Bank, einschließlich des Eigenkapitals, (und die von den Inhabern dieser Titel aufgebrachten Mittel) die Aktiva abdecken müssen und das nicht nur einmal, sondern durchweg im Zeitverlauf. Auf dieser Ebene macht es gar keinen Sinn, genau zu unterscheiden, was man mit was finanziert: Die Gesamtheit der Passiva finanziert die Gesamtheit der Aktiva. Jedoch gibt es viele Institute, bei denen erstere zumeist aus Einlagen und letztere zumeist aus Krediten bestehen.

Die Kritiker der Vorstellung, Banken verwendeten Einlagen, um Kredite zu finanzieren, räumen ein, dass diese Überlegungen für die einzelne Bank zutreffen, verweisen aber darauf, dass bei der Nutzung der durch einen Kredit geschaffenen Einlage zum Beispiel für eine Überweisung an Dritte der Einlagenbestand des Banksystems insgesamt sich nicht verändert und die Einlagen nur zu einer anderen Bank wandern. Da die Einlagen insgesamt unverändert blieben, könnte die Bank, die Einlagen und Reserven verloren hat, sich doch auf dem Geldmarkt Ersatz beschaffen.

Verführerische Vision eines reibungslos funktionierenden Geldmarkts

Die Vision eines reibungslos funktionierenden Geldmarkts, in dem Banken mit überschüssigen Mitteln Geldmarktkredite an Banken mit Mittelabflüssen vergeben, ist sehr verführerisch. Sie trägt aber zur Unterschätzung von Liquiditätsrisiken und Solvenzrisiken im Banksystem bei und hat mit zu den Fehlentwicklungen vor 2008 geführt.

Im Quarterly Bulletin der Bank of England im März 2014 sind die hier diskutierten Vorstellungen ausgearbeitet worden. Dort liest man in etwa: Damit neu geschaffenes Geld, gemeint sind Einlagen, zerstört werden kann, muss es zu Haushalten und Unternehmen gehen, die ausstehende Kredite haben, die sie dann zurückzahlen. Einlagen verschwinden nur durch Zurückzahlung von Krediten!

Dieses "nur" ist problematisch. Einlagen verschwinden auch durch Barabhebungen? In Griechenland 2015 trug das zur Systemkrise bei. Einlagen in einem Banksystem verschwinden auch durch Auslandsüberweisungen. Ich denke da an Spanien 2012. Und sie verschwinden auch bei Überweisungen an das Finanzministerium, das selbst auch Konten bei der Zentralbank hat. Hier denke ich an die Geldmarktfonds, die im September 2008 aus Repo-Krediten an Banken in amerikanische Treasuries gegangen sind. Jedes dieser Beispiele falsifiziert die zitierte Aussage aus dem Quarterly Bulletin der Bank of England. Und jedes dieser Beispiele war von erheblicher Bedeutung in einer Krise.

Dass Einlagen Schulden sind, kann sich natürlich auch bei einer einzelnen Bank als problematisch erweisen, denn Verluste im Aktivgeschäft oder ein Auseinanderklaffen von Passiv- und Aktivzinsen können in die Überschuldung führen, vielleicht auch schon vorher in eine Liquiditätskrise, weil Geldmarktgläubiger und Einlagengläubiger der Bank nicht mehr trauen.

Das sogenannte "Giralgeld", das die Bank kreiert, schafft eben doch schuldrechtliche relevante Verbindlichkeiten, die sie möglicherweise nicht erfüllen kann. Im Gegensatz dazu kann die Zentralbank das, was sie zu zahlen verpflichtet ist, immer selber produzieren. Sie kann nicht in Liquiditätsprobleme kommen (in heimischer Währung), und eine mögliche Überschuldung, wenn sie denn auftreten sollte, ist auch nicht unbedingt von existenzieller Bedeutung.

Vollgeld

Viele Kritiker der Vorstellung, Banken finanzierten sich durch Einlagen, halten es für problematisch, dass Banken durch ihre Kreditvergabe das Ausmaß der Geldschöpfung - hier der Giralgeldschöpfung - bestimmen und sich dabei einen Teil der Vermögenseffekte der Geldschöpfung aneignen. Diese Vorstellung motiviert Vorschläge zur Verhinderung der Giralgeldschöpfung der Banken, sei es durch eine 100-Prozent-Mindestreserveregel für Einlagen, sei es durch Umwandlung der Einlagen bei Geschäftsbanken in "Vollgeld", das heißt Ansprüchen auf Zentralbankgeld, die die Geschäftsbanken treuhänderisch verwalten, haftungsrechtlich getrennt von ihrem sonstigen Geschäft.

Die Vorstellung, Giralgeldschöpfung bewirke Vermögenseffekte zugunsten der Geschäftsbanken, fand sich in der frühen Literatur, bis in den 1960er Jahren Tobin darauf verwies, dass Giralgeld, das heißt Sichteinlagen, Schulden der Banken seien, die diese bedienen müssten, und dass in einem Wettbewerbssystem Giralgeldschöpfung nur bis zu dem Punkt getrieben würde, wo Grenzerträge und Grenzkosten sich ausgleichen. Wenn es tatsächlich bedeutende Vermögenseffekte gebe, so hätten diese vermutlich damit zu tun, dass staatliche Vorschriften, zum Beispiel Beschränkungen der Vergabe von Banklizenzen oder Einlagenzinsregulierung, den Wettbewerb behinderten.

Seit den 1990er Jahren beobachten wir in Deutschland eine drastische Intensivierung des Wettbewerbs im Finanzsektor (in den USA schon seit den 1970er Jahren). Das man gerade jetzt Anstoß an Vermögenseffekten der Giralgeldschöpfung der Geschäftsbanken nimmt, ist etwas absurd.

Natürlich stellt man sich auch vor, durch Verhinderung der Giralgeldschöpfung die unkontrollierte Kreditvergabe durch Geschäftsbanken zu stabilisieren und der Zentralbank die Kontrolle über die Geldmenge wiederzugeben. Was die Kreditvergabe angeht, stellt sich die Frage, wer in einem Vollgeldsystem eigentlich die Kredite für die Realwirtschaft vergibt. Sollen wir uns vorstellen, dass Sichteinlagen, das heißt "Giralgeld", ihre Attraktivität behalten und im selben Umfang wie bisher gehalten werden? Wenn die Mittel an die Zentralbank gehen, soll dann diese - oder eine andere staatliche Institution - den Unternehmen der Realwirtschaft Kredite geben? Oder sollen wir uns vorstellen, dass nur ein kleiner Teil der jetzigen Sichteinlagen noch als Sichteinlagen gehalten wird, der Rest aber als Spareinlagen oder in Form von Geldmarktfondsanteilen? Und die Geldmarktfonds finanzieren die kreditvergebenden Banken? Dieses Arrangement hat schon 2008 in die Katastrophe geführt.

Ein komplexes Zusammenspiel

Auch die Vorstellung, dass die Zentralbank die Kontrolle über die Geldmenge wiedergewinnen muss, ist simplistisch. Welche Geldmenge? Bei Friedman und Schwartz 1963 war die Antwort klar: Bargeld und Sichteinlagen. Später nahm man Termineinlagen und Spareinlagen hinzu. Und heute diskutiert man darüber, dass geldähnliche Titel, near monies, viele traditionelle Funktionen von Einlagen übernommen haben, Geldmarktfondsanteile, Repo-Kredite, Geldmarktkredite.

Man darf sich von der Faszination der vier Buchstaben G E L D nicht in die Irre führen lassen. Finanzsystem und Geldsystem beruhen auf einem komplexen Zusammenspiel von Zentralbank, Geschäftsbanken und anderen Finanzinstituten. Die Zusammenfassung bestimmter Titel in einem "Geld"-Aggregat ist immer problematisch - zum einen, weil Unterschiede zwischen den Komponenten der Aggregate, zum Beispiel Bargeld und Giralgeld, vernachlässigt werden, zum anderen, weil die Beinahe-Substituierbarkeit weiterer Titel aus dem Blick gerät.

Die Komplexität des Systems ist meines Erachtens unausweichlich. Bei Friedman und Schwartz (1963), den Hohen Priestern der Marktwirtschaft, finden wir die paradoxe Aussage, dass neutrale Geldpolitik interventionistisch sein muss. Das heißt, die Zentralbank muss das Angebot an Zentralbankgeld interventionistisch managen, um Änderungen der Giralgeldschöpfung der Geschäftsbanken zu kompensieren. Das Paradox erklärt sich dadurch, dass eine auf Preisstabilität oder stetiges Wachstum gerichtete Geldpolitik auf die Realwirtschaft abzielt, dass aber die Wirkungen des Geldwesens auf die Realwirtschaft nicht allein durch die Zentralbankgeldmenge, sondern durch Bargeld- und Giralgeldmenge zusammen bestimmt werden.

Konzentration auf die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge

Das macht Geldpolitik schwierig. Diese Schwierigkeit hat die Diskussionen der vergangenen Jahre geprägt, nicht nur über Vollgeld, sondern auch über die Kriseninterventionen der Zentralbanken seit 2008. Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, durch Verbannung jeglicher "Geld"-Schöpfung aus dem Finanzsektor die Komplexität und die Schwierigkeit der Geldpolitik maßgeblich verringern zu können.

Wir sollten die Diskussion über Geldpolitik und Bankregulierung auch nicht mit verfehlten betriebswirtschaftlichen Argumenten führen, sondern uns auf die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge konzentrieren. Wir sollten uns auch vorsehen, dass wir im Eifer der Diskussion nicht die Unabhängigkeit der Zentralbank aufs Spiel setzen.

Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors anlässlich des 4. Bargeldsymposiums der Deutschen Bundesbank am 14. Februar 2018 in Frankfurt am Main.

Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

Die Langfassung mit einem umfangreichen Literaturverzeichnis finden Sie hier.

Prof. Dr. Martin Hellwig Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern, Bonn
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