Bundeswertpapiere - teuer, aber nicht knapp

Dr. Tammo Diemer
Foto: Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur

Welche Auswirkungen hatten die Ankaufprogramme des Eurosystems für Wertpapiere in den Jahren 2015 bis 2018 auf die Märkte? Und welche Folgen könnte das ab November 2019 gestartete neue Ankaufprogramm haben? Bei seiner Annäherung an diese vieldiskutierten Fragen verweist der Autor durch einen Ankauf von Bundeswertpapieren in beträchtlicher Höhe zwar auf eine Veränderung der Halterstruktur, eine Illiquidität oder Knappheit sieht er aber nicht und registriert auch für große Transaktionen ausreichend Papiere für Käufer und Verkäufer. Den Papieren bescheinigt er eine Verteuerung, verweist aber gleichzeitig auf stabil gebliebene beziehungsweise gestiegene Umsätze am Sekundär- beziehungsweise Futuremarkt. Den Markt für Bundeswertpapiere zählt er nach wie vor zu den liquidesten weltweit und seine Funktionsfähigkeit, insbesondere im Zusammenspiel von Kassa-, Future- und Repomarkt, wertet er als wichtiges Merkmal für Bundeswertpapiere in ihrer Schlüsselrolle im Euroraum. (Red.)

Deutsche Staatsanleihen sind seit jeher ein wertvolles Gut. Gemessen an den Marktpreisen hat sich ihr Wert über die letzten Jahre noch einmal deutlich erhöht. Dies ist unter anderem auf die einsetzende hohe Nachfrage des Eurosystems zurückzuführen. 2,5 Billionen Euro hat die Europäische Zentralbank (EZB) von März 2015 bis Dezember 2018 dazu verwendet, um an den europäischen Finanzmärkten Wertpapiere zu kaufen, vorwiegend Staatsanleihen. Da die EZB die Mittel aus fällig gewordenen Papieren wieder anlegt, blieb diese Summe seit Jahresbeginn 2019 recht konstant. Nun wird sie erneut anwachsen, denn die EZB nimmt ab November 2019 in ihrem Asset Purchase Programme (APP) auch wieder Nettowertpapierkäufe, das heißt Käufe über die Wiederanlagen hinaus, vor. Aus- und Nebenwirkungen dieser expansiven Geldpolitik wurden und werden öffentlich kontrovers diskutiert. Die Bundesrepublik Deutschland - Finanzagentur beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit der Diskussion um Marktliquidität und Knappheit von Wertpapieren. Eine differenzierte Betrachtung zeigt: Bundeswertpapiere sind nach wie vor in hohen Volumina verfügbar und sehr gut handelbar.

Starke Nachfrage, hohe Preise

In den vergangenen zehn Jahren hat neben dem EZB-Ankaufprogramm eine Reihe von weiteren Veränderungen im internationalen Kapitalmarkt zu einer zunehmenden Nachfrage nach Bundeswertpapieren und damit zu niedrigeren Renditen geführt. Hierzu zählen unter anderem erhöhte regulatorische Anforderungen an Banken wie beispielsweise die Liquidity Coverage Ratio (LCR), ebenso wie eine gestiegene Nachfrage nach Sicherheiten, etwa um Derivatepositionen oder Kredite zu besichern. Bundeswertpapiere dienen beispielsweise als Collateral für das zentrale Clearing. Auch die Nachfrage in Krisensituationen hat in den letzten Jahren angesichts vor allem politischer Unsicherheiten eine immer größere Rolle gespielt. Insofern sind Marktteilnehmer seit Längerem mit hohen Wertpapierpreisen konfrontiert.

Die daraus resultierenden sehr geringen Renditen mit zeitweise sehr hohen Abschlägen zur Euro-Swap-Kurve sowie gegenüber den Renditen anderer Staatsanleihen aus dem Euroraum spiegeln wider, welch ein wertvolles Gut Bundeswertpapiere sind: Investoren schätzen die hohe Kreditwürdigkeit des Bundes und sind bereit, eine entsprechende Bonitätsprämie zu zahlen. Zudem sind Anleihen mit vergleichbarer Qualität und Liquidität weltweit äußerst rar.

Veränderung der Halterstruktur

Im Zuge des APP war von vornherein damit zu rechnen, dass sich die Investorenoder Halterstruktur von Bundeswertpapieren im Verlauf des Programms verändert. Die Deutsche Bundesbank kaufte für das APP aus einer in etwa konstanten Menge an umlaufenden Bundeswertpapieren und löste damit andere Gläubiger ab. Denn Deutschland machte - anders als etwa Japan, die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich im Verlauf ähnlicher Zentralbank-Maßnahmen - in dieser Phase keine neuen Schulden.

Die Veränderung der Halterstruktur lässt sich mithilfe einer Datenerhebung des Eurosystems, der "Securities Holdings Statistics by Sector" (SHSS), und anhand von Statistiken der Finanzagentur, zum Beispiel über Sekundärmarktumsätze der Bietergruppe Bundesemissionen, untersuchen. Vollumfängliche Erkenntnisse zu Käufern und Inhabern von Bundeswertpapieren auf granularer Ebene liegen nicht vor. Das liegt vor allem an der Ausstattung als Inhaberschuldverschreibung, wodurch ein Gläubigerwechsel täglich möglich ist, ohne dass die neuen Gläubiger namentlich etwa in einem Register erfasst würden (Abbildung).

Die größten Gläubiger neben der Bundesbank kommen - trotz einer deutlichen Bestandsreduzierung - nach wie vor aus den Reihen der Zentralbanken und Staatsfonds, die außerhalb des Euroraums ansässig sind. So tätigen die Zentralbanken Chinas, Dänemarks, Japans, Russlands und auch der Schweiz oder des Vereinigten Königreichs einen bedeutenden Teil ihrer Euro-Anlagen in Bundeswertpapieren - dies, um Reserven aufzubauen, in ihrer Höhe zu erhalten oder Wechselkurse zu stabilisieren. Diese Käufer sind wie auch die Bundesbank beziehungsweise das Eurosystem nicht renditesensitiv. Sie fragen Bundeswertpapiere unabhängig vom Zinsniveau nach, da jeweils andere Aspekte im Vordergrund stehen.

Hinzu kommt eine stabile Nachfrage von vermeintlich renditesensitiven Investoren, die aus unterschiedlichen Beweggründen im vorherrschenden Niedrigzinsumfeld ebenfalls nicht auf Bundeswertpapiere verzichten wollen oder können. Trotz des geringen Renditeniveaus gibt es unverändert eine hohe Zahl von aktiven Käufern von Bundeswertpapieren sowie viele ältere Bestände, die wegen der hohen Zinskupons und mangels Anlagealternativen nur ungern aufgelöst werden.

Diese günstige Refinanzierungssituation besteht für den Bund als Emittenten sowohl am Primär- als auch Sekundärmarkt für Bundeswertpapiere. Die durchschnittliche Emissionsrendite in den Auktionen zehnjähriger Bundesanleihen fiel von 1,27 Prozent im Jahr 2014 auf minus 0,14 Prozent im Jahresverlauf 2019. Die korrespondierende Bundrendite, Anfang 2014 noch bei fast 2 Prozent, bewegt sich aktuell weit im negativen Bereich.

Bundeswertpapiere - hochliquide am Kassa-, Termin- und Repomarkt

Die Liquidität von Bundeswertpapieren ist außergewöhnlich hoch. So lautet das Credo der regelmäßigen Gespräche, die die Finanzagentur mit bedeutenden internationalen Investoren führt. Institutionelle Anleger bescheinigen, dass sie innerhalb kürzester Zeit Bundeswertpapiere in großen Volumina kaufen und verkaufen können. Die Händler der Finanzagentur, die täglich Bundeswertpapiere im Volumen von rund 300 Millionen Euro umschlagen, bestätigen das. Für die herausragende Handelbarkeit sind Marktteilnehmer bereit, einen Preis zu zahlen: die Liquiditätsprämie.

Doch wie lässt sich Marktliquidität konkret messen? Die Frage beinhaltet die Suche nach Kennziffern für die Robustheit der Preise, für die Höhe der Handelskosten eines gewünschten Volumens und für die Markttiefe, also das handelbare Volumen bei gegebenem Preis. Mögliche Antworten können die folgenden Aspekte geben.

1. Der Bid-Ask-Spread, also die Preisdifferenz zwischen Kauf und Verkauf von Bundeswertpapieren, ist niedrig. Im 5- und 10-jährigen Laufzeitbereich hat er sich in den zurückliegenden Jahren noch weiter eingeengt.

2. Am Primärmarkt ist eine regelmäßige hohe Beteiligung der berechtigten Banken festzustellen. Der Verkauf von Bundeswertpapieren über die Auktionen des Bundes an die Bietergruppe Bundesemissionen verläuft seit Jahren reibungslos. Dabei sind die Gebote stets marktnah, also fair gepreist. Unterzeichnungen erreichen keine kritischen Ausmaße und Überzeichnungen keine Höhen, die auf Engpässe am Sekundärmarkt hindeuten könnten.

3. Am Sekundärmarkt ist der Umschlag unverändert hoch. Allein die Banken der Bietergruppe Bundesemissionen melden pro Jahr Handelsumsätze in fünffacher Höhe des ausstehenden Volumens. Bis 2015 war, vermutlich aufgrund aufsichtsrechtlicher Anforderungen an die Banken, ein Rückgang dieser Sekundärmarktumsätze zu beobachten. Seit Beginn des Staatsanleihe-Ankaufprogramms im März 2015 schwankt er um den Mittelwert von 385 Milliarden Euro monatlich. Ein signifikanter Effekt der EZB-Politik ist nicht erkennbar.

Future- und Repomarkt in die Betrachtung einbeziehen

Neben dem Kassamarkt sind auch Future- und Repomarkt in die Betrachtung einzubeziehen. Mittels eines Repogeschäfts leiht sich ein Marktteilnehmer kurzfristig Geld bei einem anderen. Als Collateral, also Sicherheit für das Geldmarktgeschäft, sind dabei sichere Anleihen, beispielsweise Bundeswertpapiere, zu hinterlegen. Marktteilnehmer benutzen Repogeschäfte zum Beispiel zur risikoarmen Steuerung ihrer Cash-Positionen.

Zudem lassen sich anhand von Transaktionen am Repomarkt Zusatzerträge generieren. Die Reposätze aller Bundeswertpapiere liegen meist und überwiegend unterhalb des Zinssatzes der Einlagefazilität der EZB, aber auch unter den Sätzen von weniger liquiden Anleihesegmenten. Dies eröffnet Bundeswertpapierhaltern Chancen, etwa mit einer Geldaufnahme per Repogeschäft aktuell 70 Basispunkte zu "verdienen" und für die Anlage der aufgenommenen Mittel nur 50 Basispunkte "zahlen" zu müssen. Aus derzeitiger Sicht funktioniert der Repomarkt für Bundeswertpapiere reibungslos.

Bundeswertpapiere nicht knapp

Mit hohen Umsätzen punktet auch der Futuremarkt für Bundeswertpapiere. Das jährliche Handelsvolumen in den Futurekontrakten des Bundes erreicht das 45-Fache des ausstehenden Bundeswertpapiervolumens. Zum Vergleich: US-Treasury-Futures kommen lediglich auf das Zehnfache des entsprechenden Umlaufvolumens. Die Future-Umsätze sind seit 2014 in allen vier Kontrakten auf Bundeswertpapiere kontinuierlich angestiegen, im Bund-Future beispielsweise um 13 Prozent, im Schatz-Future gar um mehr als 50 Prozent. Die einwandfreie Funktion der Kontrakte zeigt sich zudem rund um die vierteljährlichen Liefertermine.

Die außerordentlich hohe Marktliquidität ist die beste Bestätigung, dass bei Bundeswertpapieren keine Knappheit vorliegt. Solange die Anleihen jederzeit auch in sehr großen Volumina marktgerecht und fair gehandelt werden können, sind sie offenbar auch in sehr großen Mengen vorrätig und verfügbar.

Das grundsätzliche Angebot an Bundeswertpapieren (unter Berücksichtigung von Fälligkeiten sowie der Emissionstätigkeit des Bundes) ist sehr konstant (aktuell leicht höher als vor zehn Jahren und leicht niedriger als vor fünf) und wird unter Berücksichtigung der Finanzplanung des Bundes aus heutiger Sicht auch in den kommenden fünf Jahren nicht sinken. Dies ist zum einen wichtig für die EZB, zum anderen ist es relevant für die Frage der Knappheit (Scarcity). Diese untersucht, inwieweit sich der Streubesitz (Free Float), also der Anteil frei am Markt verfügbarer Bundeswertpapiere bezogen auf das gesamte Umlaufvolumen verändert. Der Streubesitz kann zum Beispiel als nicht bei Zentralbanken befindlicher Bestand definiert werden (vergleiche EZB 2018) oder als Gesamtbestand des Privatsektors ohne Pensionskassen und Versicherungen (vergleiche Bundesbank 2018).

Medial wurde bisweilen auch die zunehmende Nachfrage nicht renditesensitiver Investoren als Knappheit betrachtet. Dabei wird unterstellt, dass ein hoher und steigender Anteil preisunelastischer Gläubiger bei weiterer expansiver Geldpolitik zu besonders starken Auswirkungen auf die künftige Renditeentwicklung (nach unten) führe. Diese Herangehensweise ist vor allem dann sinnvoll, wenn eine Zinsentwicklung prognostiziert werden soll.

Prognose der künftigen Handelbarkeit

Dagegen ist das primäre Interesse der Finanzagentur, die künftige Handelbarkeit von Bundeswertpapieren zu prognostizieren. Die Konstellation sehr unterschiedlicher Anlagemotive und -ziele in Kombination mit unterschiedlichen Aktivitäten im Sekundär- oder Repomarkt führt in der Halterstruktur von Bundeswertpapieren dazu, dass ein Rückgang renditesensitiver Investoren nicht mit einer Knappheit an aktiv handelnden Investoren gleichzusetzen ist. Zur Verdeutlichung: Banken als Gläubiger sind derzeit überwiegend regulatorisch bedingte Käufer, also nicht renditesensitiv. Ihre Bestände stehen dem restlichen Kapitalmarkt per Repo- oder Leihegeschäfte aber nahezu komplett zur Verfügung. Dadurch leisten sie einen beständigen, positiven Beitrag zur Handelbarkeit von Bundeswertpapieren.

Auch die EZB legt großen Wert darauf, die Handelsaktivitäten nicht zu beeinträchtigen. Aus dieser Verantwortung für das Funktionieren des Marktes stellt die Bundesbank die erworbenen Bundeswertpapiere mittels drei bedarfsorientierter Fazilitäten für die Wertpapierleihe zur Verfügung. Inzwischen nutzen viele andere Bundeswertpapierhalter, auch die große Gruppe der Währungsreserve- oder Wechselkursmanager, die bestehenden Ertragsmöglichkeiten am Repomarkt - ein Umstand, der für das Funktionieren des Marktes sehr förderlich und zu begrüßen ist.

Für eine Begrenzung der Knappheit, oder anders formuliert: für einen ausreichenden Streubesitz, ist es bedeutsam, dass an den Märkten genügend aktive Investoren vorhanden sind. Laut Schätzungen der Finanzagentur belief sich der Streubesitz bei aktiv handelnden Investoren vor Beginn des APP auf 50 bis 60 Prozent des ausstehenden Bundeswertpapiervolumens. Aktuell liegt er zehn Prozentpunkte niedriger bei 40 bis 50 Prozent. Unter Berücksichtigung der zukünftigen Höhe des Umlaufvolumens und der differenzierten Interessen und Motive der Bundeswertpapierinvestoren ist es plausibel, dass dieser Anteil in den kommenden fünf Jahren etwa konstant bleiben wird.

Ausreichend Bundeswertpapiere auch für größere Transaktionen

Das Eurosystem hat Bundeswertpapiere in beträchtlicher Höhe angekauft. Durch das APP hat sich zwar die Halterstruktur von Bundeswertpapieren verändert. Illiquidität oder Knappheit sind aber nicht festzustellen. Käufern und Verkäufern stehen jederzeit und auch für große Transaktionen ausreichend Bundeswertpapiere zur Verfügung.

Bundeswertpapiere haben sich verteuert, gleichzeitig sind die Umsätze am Sekundär- beziehungsweise Futuremarkt stabil geblieben oder gestiegen. Der Markt für Bundeswertpapiere zählt nach wie vor zu den liquidesten weltweit. Die bestehende Funktionsfähigkeit, insbesondere im intakten Zusammenspiel von Kassa-, Future- und Repomarkt, ist ein wichtiges Merkmal für Bundeswertpapiere in ihrer Schlüsselrolle im Euroraum. Als hochliquide und sichere Instrumente haben sie Benchmarkstatus, sind also die wichtigsten Bezugsoder Referenzgrößen, an denen sich andere Finanzinstrumente in- und außerhalb des Euroraums orientieren. Die Wahrung des Benchmarkstatus ist für die Finanzagentur ein zentrales Element, um langfristig die günstige Refinanzierungsmöglichkeit des Bundes zu sichern.

Dr. Tammo Diemer Geschäftsführer, Bundesrepublik Deutschland - Finanzagentur, Frankfurt am Main
Dr. Tammo Diemer , Geschäftsführer, Bundesrepublik Deutschland - Finanzagentur, Frankfurt am Main

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