Corona-Bonds - Euro-Bonds durch die Hintertür?

Prof. Dr. Dirk Meyer, Foto: Helmut-Schmidt-Universität

Die Corona-Pandemie stellt die Europäische Union vor eine gigantische Herausforderung. Die Staatshaushalte werden immensen Belastungen ausgesetzt sein. Ein Mittel, dass dazu diskutiert wird, sind Corona-Bonds: Von der EU aufgenommene Mittel, für die die Staaten der EU gemeinschaftlich haften. Der Autor sieht darin nichts anderes als Euro-Bonds, nur unter anderem Namen. Meyer geht in dem Beitrag auf verschiedene Optionen solcher Gemeinschaftsanleihen und die rechtlichen Voraussetzungen ein. Gebunden an spezielle Ausnahmesituationen wie die Corona-Epidemie wären sie demnach wohl zulässig. Allerdings warnt er davor, dass dieses Instrument nach dem Motto "Lass keine Krise ungenutzt" durch die Hintertür dauerhaft etabliert werden könnte, mit all seinen negativen Folgen wie Kapitalfehlallokationen und Umverteilung. Jedoch würden die bislang beschlossenen Maßnahmen auch nicht ausreichen, um die Krise zu meistern. Meyer sieht daher sehr schwere Zeiten auf die EU zukommen, an der die Union sogar zerbrechen könne. (Red.)

Die Corona-Pandemie wird zu einer immensen Belastung der Staatshaushalte führen. Die bereits jetzt in vielen Eurostaaten hohe Staatsschuldenquote (in Prozent; 3. Quartal 2019: Griechenland 178,2; Italien 137,3; Portugal 120,5; Belgien 102,3; Frankreich 100,5; Spanien 97,9)1) dürfte den Zugang zum freien Kapitalmarkt mittelfristig erschweren, wenn nicht gar für Griechenland und Italien blockieren. Am 18. März des laufenden Jahres, also vor der Aktivierung des Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) der EZB, lag der Risikoaufschlag italienischer Staatsanleihen gegenüber entsprechenden Bundesanleihen bereits bei 3,3 Prozentpunkten. Ohne finanzielle Hilfen von außen wäre der italienische Staat bankrott und in der Corona-Folgenbekämpfung handlungsunfähig.

Welche Handlungsoptionen bestehen? (a) Bilaterale Geschenke - Hans Werner Sinn (ifo Institut/München) schlägt 20 Milliarden Euro deutsche Hilfe vor - sind für Italien "Almosengeld", das keinesfalls ausreicht. (b) Eine Aufstockung des zukünftigen EU-Haushaltes mit einem "Marshallplan", finanziert gegebenenfalls durch Sonderbeiträge beziehungsweise Kreditgarantien einzelner EU-Staaten, soll bis zu 1,5 Billionen Euro für den Zeitraum 2021 bis 2027 den wirtschaftlichen Wiederaufbau möglich machen. (c) Die EZB hat das PEPP-Programm beschlossen und aktiviert, mit dem sie Staatsanleihen derjenigen Länder aufkaufen kann, die den Marktzugang weitgehend verloren haben. Durch diese asymmetrisch-einseitige "Offenmarktpolitik" kann sie die Risikozuschläge voraussichtlich erfolgreich senken. Allerdings wird sie fiskalisch tätig, haftet für zukünftige Ausfälle und überschreitet de facto ihr Mandat. (d) Kredithilfen (Kreditlinien) des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) für Staaten in Höhe von 240 Milliarden Euro, ein Kurzarbeiter-Kreditinstrument von 100 Milliarden Euro und Kreditgarantien der Europäischen Investitionsbank (EIB) von 200 Milliarden Euro wurden beschlossen. Damit bleiben dem ESM noch eine Kreditkapazität von 170 Milliarden Euro - zum einen als Stützung des europäische Bankenabwicklungsfonds (SRF), der mit derzeit 33 Milliarden Euro völlig unzureichend ausgestattet ist, zum anderen als Kriseninstrument für zukünftig überschuldeter Staaten.

Deshalb bleiben Corona-Anleihen - Euro-Bonds unter anderem Namen - auch weiterhin in der Diskussion. Je nach konkreter Ausführung besteht ein gemeinsames Merkmal dieses Finanzierungsinstrumentes in seiner gesamtschuldnerischen Haftung.

Euro-Bonds - ein schillernder Begriff

Europäische Anleihen mit gemeinschaftlicher Staatenhaftung, kurz: Euro-Bonds, sind mit Beginn der Euro-Staatsschuldenkrise im Gespräch (Meyer 2020, S. 259 ff.). Schon 2010 unternahmen der ehemalige Vorsitzende der Euro-Gruppe Jean-Claude Juncker und der italienische Finanzminister Giulio Tremonti einen ersten Vorstoß. Die EU-Kommission wie auch der Internationale Währungsfonds (IWF) haben in nächster Zeit Euro-Bonds zur Lösung der Staatsschuldenkrise im Euroraum vorgeschlagen.2) Im Grünbuch der Europäischen Kommission (2011) zu "Stabilitätsanleihen" wie auch in der Agenda "Auf dem Weg zu einer ech - ten Wirtschafts- und Währungsunion" (2012/2013) wird für Euro-Bonds offen geworben.

Dabei sind Euro-Bonds im Krisenmodus der Rettungsschirme bereits unterschwellig Realität. Die Euro-Mitgliedsstaaten haften für Garantien und Kredite der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) (Art. 2 Abs. 3 EFSF-Rahmenvertrag) und des ESM (Art. 8 Abs. 5 ESM-Vertrag) anteilig in Höhe ihres Beitragsschlüssels am Kapital der Europäischen Zentralbank (EZB). Für Deutschland beträgt dieser 26,4 Prozent, entsprechend 186,1 Milliarden Euro. Sollte ein Mitgliedsstaat das genehmigte, aber nicht eingezahlte Kapital nicht leisten, erhöht sich der Kapitalabruf und damit der Haftungsanteil der übrigen Staaten automatisch bis zur jeweiligen Haftungshöchstgrenze (Rathke 2019, S. 310 f.). Es handelt sich deshalb um "indirekte" Euro-Bonds, da die Haftung letztendlich gesamtschuldnerisch bis zur Höhe der Haftungshöchstgrenze gegenüber den EFSF/ESM-Kreditgebern erfolgt, sollten die Programmstaaten keine Schuldentilgung gegenüber den Rettungsfonds vornehmen.

Aktuell ist eine gesamtschuldnerische Haftung der Mitgliedsstaaten in folgenden diskutierten beziehungsweise beschlossenen Finanzinstrumenten offen oder versteckt vorhanden:

- Covid-19-Bonds: Unter den Begriffen Covid-19-Bonds, Corona-Bonds, Corona-Fonds und europäischer Wiederaufbau-Fonds werden zweckgebundene Euro-Bonds diskutiert, die gemeinsam von den EU-Mitgliedsstaaten bei gesamtschuldnerischer Haftung von der EU begeben werden.

- ESM: In Form einer vorsorglichen bedingten Kreditlinie oder in Form einer Kreditlinie mit erweiterten Bedingungen kann der ESM Eurostaaten einen Kreditzugang sichern (Art. 14 ESM-Vertrag). Der vorgeschriebenen Konditionierung wurde mit der Deckung direkter und indirekter Gesundheitskosten als Kompromissformel zwischen Italien und den Niederlanden Rechnung getragen. Weitere Auflagen entfallen mit Ausnahme der Pandemie-Zweckbindung vollständig. Der Umfang bei einer derzeitigen Kreditkapazität von 410 Milliarden Euro beträgt 240 Milliarden Euro, wobei jedes Euroland bis maximal zwei Prozent seines Bruttoinlandsproduktes (BIP) an Krediten ziehen kann. Nicht-Eurostaaten wären ausgeschlossen. Alle Eurostaaten haften in diesem völkerrechtlichen Konstrukt anteilig - bei Insolvenz von Schuldnerstaaten werden Anteile de facto gesamtschuldnerisch übernommen.

- SURE: Das Programm Temporary Support mitigating Unemployment Risks in Emergency (SURE) soll als eine gemeinschaftliche Kreditfazilität in Höhe von 100 Milliarden Euro insbesondere Kurzarbeiter-Regelungen in EU-Staaten finanzieren helfen. Die EU-Mitgliedsstaaten haften anteilig - bei Ausfall eines Mitgliedes auch für dessen Anteil de facto gesamtschuldnerisch.

In Ausnahmesituationen denkbar

Rechtliche Barrieren stehen Euro-Bonds entgegen (Meyer 2020, S. 262 ff). Der Lissabon-Vertrag schließt Euro-Bonds generell aus. Euro-Bonds wären allenfalls möglich bei Projektfinanzierungen der EIB. Das Beistandsverbot (Art. 125 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV) verbietet die Haftung für Verbindlichkeiten der Staaten. Zwar wurde mit Art. 136 Abs. 3 AEUV die Möglichkeit eines dauerhaften Krisen-Stabilitätsmechanismus eingefügt, doch ergänzt er lediglich das Beistandsverbot durch eine Ausnahmeregelung für den Notfall unter strengen Auflagen (Hufeld 2015, Rn. 156 ff.). Da mit der Einführung von Euro-Bonds Kompetenzen auf die Union übertragen werden, müsste der Lissabon-Vertrag über ein Vertragsänderungsverfahren reformiert werden.3) Die Übernahme in das deutsche Recht würde über Art. 23 Grundgesetz (GG) geschehen, soweit die Änderung mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Da jedoch das nationale Haushaltsrecht je nach konkreter Ausgestaltung gravierenden Kompetenzabtretungen unterliegen würde, hätte die Übernahme im Rahmen der Strukturen einer Fiskal-/Haftungsunion alternativ durch Art. 146 GG zu erfolgen. Die damit verbundene Hürde der Annahme einer neuen Verfassung für die Bundesrepublik ist jedoch so hoch gesetzt, dass zumindest von deutscher Seite kein Interesse an diesem Szenario bestehen dürfte. Staaten-politisch dürfte die EU-Variante von Euro-Bonds auf erhebliche Widerstände auch der übrigen Mitgliedsstaaten stoßen, garantieren sie doch für Kredite, über deren Verausgabung die EU-Kommission entscheidet.

Allenfalls "aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen" (Art. 122 Abs. 2 AEUV) wäre ein konditionierter finanzieller Beistand der Union denkbar (Selmayr 2015, Rn. 38). Entsprechend wurde bereits die Aktivierung der allgemeinen Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakt begründet. Dies ließe Corona-Bonds in dieser speziellen Ausnahmesituation ("Katastrophenschutzrecht") wohl zu.

Hinsichtlich gemeinschaftlicher Finanzinstrumente betont das Bundesverfassungsgericht, europäische Verpflichtungen müssten sachlich und zeitlich hinreichend spezifiziert sein, damit das Haushaltsrecht gewährleistet bleibt. So wären die Gestaltungmöglichkeiten des Bundestages verfassungsrechtlich in unzulässigem Umfang eingeschränkt, "wenn die Bundesregierung ohne konstitutive Zustimmung des Bundestages in erheblichem Umfang Gewährleistungen, die zur direkten oder indirekten Vergemeinschaftung von Staatsschulden beitragen, übernehmen dürfte, bei denen also der Eintritt des Gewährleistungsfalls allein vom Verhalten anderer Staaten abhängig wäre". 4)

Verfassungsrechtliche Einwände ließen sich gegebenenfalls generell heilen, wenn eine Einstimmigkeitsregel des EU-Ministerrates bei der jährlichen Planung von Bonds-Emissionen eingeführt würde, die ungewollte Transferleistungen verhindern könnte. Parallel wäre eine Billigung durch die nationalen Parlamente und eine jährliche Ausstiegsmöglichkeit eines Landes aus dem Programm vorzusehen, um eine Haftung für die in dieser Periode beschlossenen Anleiheemissionen auszuschließen. Allerdings würde dies eine Eignung von Euro-Bonds als kurzfristig handlungsfähigen Krisenmechanismus ausschließen.

Aktuell diskutierte Varianten von Corona-Bonds

Im Folgenden werden drei aktuell diskutierte Varianten von Corona-Bonds im weiteren Sinne näher betrachtet, die alle ein gesamtschuldnerisches Element beinhalten.

Neun Staaten der Europäischen Union, darunter unter anderem Italien, Spanien und Frankreich, fordern Corona-Bonds, während Deutschland, Österreich, die Niederlande und Finnland diese - Stand Mitte April 2020 - ablehnen. Corona-Bonds unterscheiden sich von Euro-Bonds einzig durch ihre Zweckbindung, die im Zusammenhang mit der Pandemie-Bewältigung stehen müssen. Die Vorteile aus Sicht der Schuldnerstaaten gegenüber ESM-Kreditlinien/Kredite liegen auf der Hand:

- auf eine Schuldentragfähigkeitsprüfung wird verzichtet;

- etwaige Auflagen oder gar ein Auflagenprogramm entfallen weitestgehend;5)

- die Schuldenanrechnung (Schuldenquote) erfolgt nur anteilig gemäß dem EZB-Kapitalschlüssel;

- aufgrund der gesamtschuldnerischen Haftung sind die Zinsen niedrig;

- die gemeinschaftliche Haftung hält den Kapitalmarktzugang offen. Insbesondere Italien fürchtet bei der Inanspruchnahme einer vorsorglichen ESM-Finanzhilfe steigende Risikoaufschläge.

Das Instrument des Wiederaufbau-Fonds würde mittelfristig auf fünf bis zehn Jahre angelegt sein. Berechnungen der EZB schätzten den Finanzbedarf auf 1,2 bis 1,5 Billionen Euro. Ob eine völkerrechtliche oder eine unionsrechtliche Grundlage gewählt wird, ist nicht ganz deutlich. Unabhängig davon bestände die Gefahr, dass ein befristeter Fond ähnlich dem ESM zur dauerhaften Finanzinstitution wird.

Gemeinschaftliche Krisenhilfe

Um die sozialen und ökonomischen Folgen der Pandemie insbesondere in Staaten mit erschwertem Kreditzugang bewältigen zu helfen, soll Temporary Support mitigating Unemployment Risks in Emergency (SURE) (Europäische Kommission 2020) als eine gemeinschaftliche Kreditfazilität in Höhe von 100 Milliarden Euro geschaffen werden.6) Die Errichtung des SURE-Kreditinstrumentes beruht auf dem einstimmigen Beschluss des ECOFIN-Rates. In Deutschland muss zudem der Bundestag zustimmen.7) SURE soll vornehmlich beschäftigungspolitische Regelungen in EU-Staaten finanziell möglich machen. Von der Struktur her gibt es einige Gemeinsamkeiten zum Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM), der 2010 zur Abwendung eines drohenden Staatsbankrott Irlands (2010) und Portugals (2011) errichtet wurde:

- Rechtsgrundlage ist das EU-Recht auf der sekundärrechtlichen Basis einer EU-Verordnung.

- Die Ermächtigungsgrundlage des Finanzierungsinstruments gründet auf "außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen" (Art. 122 Abs. 2 AEUV). Ergänzend wird jedoch auch auf den Abs. 1 verwiesen, sodass Nothilfen nicht nur für einzelne Mitgliedsstaaten, sondern für die gesamte EU legitimiert werden.

- Es wird mit dem Grundsatz gebrochen, dass sich die EU nicht selbst verschulden darf (Art. 17 Abs. 2 HaushaltsO). 8)- Das Finanzierungsinstrument ist zeitlich befristet angekündigt, allerdings auf mindestens zehn Jahre angelegt.9)

- Gemäß dem Grundsatz des Haushaltsausgleichs (Art. 310 Abs. 1 UAbs. 3 und 314 Abs. 10 AEUV) bestehen relativ enge finanzielle Kapazitäten. Insbesondere normiert Art. 310 Abs. 4 AEUV, dass "die Union keine Rechtsakte [erlässt], die erhebliche Auswirkungen auf den Haushaltsplan haben könnten, ohne die Gewähr zu bieten, dass die mit diesen Rechtsakten verbundenen Ausgaben im Rahmen der Eigenmittel der Union [...] finanziert werden können."

Im Unterschied zum ESFM garantiert nicht die EU mit ihren Haushaltsmitteln (Eigenmittel), sondern alle EU-Mitgliedsstaaten für die von der EU-Kommission begebenen Anleihen. Das hat materiell eine ganz wesentliche Konsequenz: Die Haushaltsvorgabe (Art. 310 AEUV) wird in SURE umgangen, indem die Mitgliedsstaaten im Innenverhältnis als Garantiegeber auf treten. Die garantierten Kredite können materiell wie externe zweckgebundene Einnahmen behandelt werden. Damit entfällt die Begrenzung durch die Eigenmittelobergrenze, wie sie den EFSM deckelt. Als Garantiegeber haften die Mitgliedsstaaten freiwillig und anteilig gemäß ihrem BIP - bei Ausfall eines Mitgliedes de facto gesamtschuldnerisch auch für dessen Anteil. Um diesen Fall weniger wahrscheinlich zu machen, soll bei Nicht-Bedienung eine Prolongation ("Roll-over") vorgenommen werden - eine Art Insolvenzverschleppung auf europäische Art.

Die Corona-Super-Bazooka

Damit die Hilfen aktiviert werden können, müssen zunächst freiwillige Garantiezusagen in Höhe von 25 Milliarden Euro vorliegen. Kredite werden auf Antragstellung eines Mitgliedes und Prüfung durch die Kommission dem EU-Rat zur Beschlussfassung vorgelegt. Eine spezielle Bedürftigkeitsprüfung oder Konditionierung gibt es nicht. Die Belastungen müssen nur unvermittelt und heftig angestiegen sein - dies trifft auf alle EU-Staaten zu. Die Kredite können in unbegrenzter Höhe an den jeweiligen Staat vergeben werden, wobei 3 Staaten maximal 60 Prozent der Mittel ausschöpfen dürfen. Jährlich darf SURE maximal 10 Milliarden Euro an Krediten vergeben. Als Verwaltungsorgan dient die EZB, die bei Inanspruchnahme eines Mitgliedsstaates mit dessen nationalen Zentralbank zusammenarbeitet.

Einem Vorschlag von EU-Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis folgend, würden ESM und EZB in einem kombinierten fiskalisch-monetären Rettungsschirm Euro-Hilfen gewähren (Mussler 2020). Unter der Prognose, dass die noch vorhandenen ESM-Kreditkapazitäten kaum ausreichen, könnten Krisenländer über Kreditlinien des ESM mit erweiterten Bedingungen (Art. 14 Abs. 1 ESM-Vertrag) weiterhin ihren Marktzugang bewahren. Die EZB könnte dann diese Staatsanleihen im Rahmen ihres OMT-Programms aufkaufen. Da diese Geschäfte kurzfristig im Regelfall über das Geschäftsbankensystem laufen, gleicht dieser Vorschlag einem Kreditkarussel unter dem besonderen Schutz des ESM. Die Krisenstaaten erhalten Kredit über das Bankensystem, das sich wiederum über die EZB refinanziert.

Ähnlich liefen die Notkreisläufe zwischen den nationalen Zentralbanken, dem heimischen Geschäftsbankensystem und dem Staat im Fall Griechenland (2012 sowie 2014/2015) und für Zypern (2013) (Meyer 2020, S. 213 ff.). Der wesentliche Unterschied: Damals handelte es sich um eine Notfall-Liquidität (Emergency Liquidity Assistance, ELA), bei der das Eurosystem der jeweiligen nationalen Zentralbank den Ankauf von Staatspapieren bei mangelnden Sicherheiten auf eigene Rechnung und Risiko gestattete. Da die EZB neuerdings ihre Sicherheitsanforderungen stark reduziert hat und auf einen "Investment Grade" verzichtet, ist das ELA-Instrument nicht mehr notwendig.

De facto handelt es sich um eine monetäre Staatsfinanzierung im Notkreislauf von Krisenstaat, ESM, Geschäftsbankensektor und EZB. Im Übrigen kann der ESM auch auf dem Primärmarkt Staatsanleihen ankaufen. Dies lässt die Primärmarkt-Unterstützungsfazilität gemäß Art. 17 ESM-Vertrag zu.

Umverteilung, Fehlanreize und Kapitalfehlleitung

Die Umverteilungseffekte sind für das jeweilige Land umso größer, je weiter die Zinssätze für nationale Staatsanleihen von denen für Euro-Bonds abweichen und je höher der Umfang beziehungsweise Anteil der als Euro-Bonds begebenen Staatsschulden ist (Meyer 2020, S. 273 ff.). Für die solventen Mitglieder kommen bei gesamtschuldnerischer Haftung neben einer erhöhten Risikoprämie im Zins für das Ausfallrisiko bonitätsschwächerer Staaten die tatsächlichen Ausfallkosten hinzu, da hier nicht nur für den eigenen Anteil, sondern auch für die anderen (ausfallenden) Anteile gehaftet wird.

Der Zinsanstieg würde prinzipiell auch auf deren national begebene Titel ausstrahlen, da die Bonität stärkerer Länder durch den Risikotransfer leiden würde. Damit verbunden ist ein Mangel an Transparenz, denn die Mehrkosten werden zwar haushaltswirksam, aber in der Höhe nicht explizit offengelegt. Dies erleichtert die Durchsetzung entsprechender Hilfen gegen politische Widerstände, da das Ausmaß der geleisteten Transfers verschleiert werden kann.

Schwere Zeiten für die EU

Die unentgeltliche Risikoabwälzung der bonitätsschwachen Staaten stellt eine Versicherung ohne Gegenleistung dar, die ein Moral-Hazard-Verhalten nahelegt. Der Marktmechanismus, der steigende Renditen als gewollte Korrektur beinhaltet, wird für den einzelnen Mitgliedsstaat außer Kraft gesetzt. Unabhängig davon führt die Zinssubventionierung zu einer Kapitalfehlleitung in die instabilen Länder. Notwendige Strukturreformen können aufgeschoben werden. Gerade deshalb besteht die unabdingbare Notwendigkeit von haushaltspolitischen Koordinierungen, verbunden mit Auflagen an die Schuldnerstaaten.

Umgekehrt zeigt der Zinsanstieg in den stabilen Mitgliedsstaaten die Gefahren einer Schwächung durch eine Haftung für Zahlungsausfälle. Dieser Zinsanstieg könnte sich in Deutschland bei Hypothekenkrediten und Unternehmensanleihen fortsetzen, da Investoren Steuererhöhungen und Vermögensabgaben im Krisenfall erwarten. In der Folge wandert Kapital in die Krisenländer und in das übrige Ausland, mit negativen Wachstumseffekten für die unterstützenden Staaten.

Die situativ bedingte Forderung nach Corona-Bonds vollendet die Haftungsgemeinschaft nach dem Motto "lass keine Krise ungenutzt". Die Vergesellschaftung von Risikoübernahmen unter juristisch fragwürdigem Vorgehen wäre kaum zu revidieren. Euro-Bonds würden die Finanzierung hoch verschuldeter Eurostaaten auf Dauer übernehmen - die Transferunion würde Realität. Umgekehrt reichen die derzeit beschlossenen Mittel von ESM, EIB und SURE kaum aus, um den bonitätsschwachen EU-Staaten ausreichende Hilfen bei erschwertem Kapitalmarktzugang zu gewähren. Der Union stehen schwere Zeiten bevor, an der die Eurozone oder gar die gesamte EU zerbrechen könnte.

Literaturverzeichnis

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Europäische Kommission (2011), Grünbuch über die Durchführbarkeit der Einführung von Stabilitätsanleihen, KOM (2011) 818 vom 23. November 2011. https://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2011/ DE/1-2011-818-DE-F1-1.Pdf, Abrufdatum 2. April 2020.

Europäischer Rat/Der Präsident (2012), Auf dem Weg zu einer echten Wirtschafts- und Währungsunion, Zwischenbericht vom 12. Oktober 2012. https://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/de/ec/132881.pdf, Abrufdatum 2. April 2020.

Kafsack, Hendrick u. Piller, Tobias (2020), Die EU arbeitet an einer "Euro-Bazooka", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt, 19. März 2020, S. 17.

Meyer, Dirk (2020), Europäische Union und Währungsunion in der Dauerkrise - Analysen und Konzepte für einen Neuanfang, Springer Fachmedien Wiesbaden, Wiesbaden 2020.

Mussler, Werner (2020), Holt die EU die Corona-Bazooka raus?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt, 23. März 2020, S. 17.

Rathke, Hannes (2019), Sondervertragliche Kooperationen - Systemrationalität einer Handlungsform der europäischen Integration am Beispiel der Kooperationen der EU-Mitgliedsstaaten in der europäischen Staatsschuldenkrise, Studien zum europäischen und deutschen Öffentlichen Recht, Calliess, Christian u. Ruffert, Matthias (Hrsg.), Tübingen 2019.

Ruffert, Matthias (2020), Are we SURE? – Ein Vorschlag der Kommission – und was man als Europarechtler dazu sagen kann, Verfassungsblog, Beitrag vom 5. April 2020, https://verfassungsblog.de/are-we-sure/, Abrufdatum 8. April 2020.

Selmayr, Martin (2015), Das Recht der Europäischen Währungsunion (§ 23), in: Müller-Graff, Peter-Christian (Hrsg.), Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht (EnzEuR Bd. 4), Baden-Baden 2015, S. 1387-1623.

Rechtsquellen

Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Urteil vom 7. September 2011, 2 BvR 987/10 - 2 BvR 1485/10 - 2 BvR 1099/10.

EFSF-Rahmenvertrag.

Gesetz über die Wahrnehmung der Integrationsverantwortung des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union (Integrationsverantwortungsgesetz - IntVG).

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG). Konsolidierte Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (EUV/AEUV).

Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union (HaushaltsO).

Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (T/ESM 2012/de 1) - ESM-Vertrag.

Fußnoten

1) Siehe eurostat https://ec.europa.eu/eurostat/documents/2995521/10159227/2-21012020-AP-DE.pdf/85466fed-8e0d-4ad1-9eaa-6b495c4606b8 (Abrufdatum 31. März 2020).

2) Vgl. Europäische Kommission (2011; 2013); Europäischer Rat/Der Präsident (2012); Allard, Brooks, Bluedorn et al (2013).

3) Abhängig davon, ob eine Europäische Schuldenagentur zwischen den Euro-Staaten auf völkervertraglicher Basis vereinbart oder im EU-Recht verankert wird, könnten das vereinfache Vertragsänderungsverfahren (Art. 48 Abs. 6 EUV) oder aber sogar das ordentliche Vertragsänderungsverfahren (Art. 48 Abs. 1-5 EUV) notwendig werden, da im letzteren Fall die Kompetenzen der Gemeinschaft erweitert würden. Aufgrund der grundlegenden Bedeutung von Euro-Bonds für die Wirtschaftsverfassung der EU dürfte die Einführung über eine Vertragsabrundung (Art. 352 AEUV) ausscheiden. Abweichend vgl. Europäische Kommission (2011), S. 13 f.

4) BVerfG, Urteil v. 7. September 2011, 2 BvR 987/10 - 2 BvR 1485/10 - 2 BvR 1099/10, Ziff. 105.

5) Antonio Tajani (Präsident des EU-Parlaments 2017-2019): "Geben wir den Konditionen für die Vergabe von Mitteln des ESM einen Fußtritt. Keine Bedingungen, keine Troika." Kafsack und Piller (2020).

6) Siehe im Folgenden ausführlich auch Ruffert (2020).

7) Siehe Art. 115 Abs. 1 GG bzw. § 8 Integrationsverantwortungsgesetz (IntVG).

8) Da die HaushaltsO und die SURE-VO sekundärrechtlich gleichrangig sind, könnte auf der Basis von Art. 122 Abs. 1 AEUV allerdings ein normativer Notstandsvorrang begründet werden, um ein primärrechtliches Verbot der Kreditfinanzierung zu durchbrechen.

9) Ergänzend heißt es in Europäische Kommission (2020), S. 4: "Dieses befristete Instrument sollte unbeschadet der möglichen Schaffung eines dauerhaften Instruments auf einer anderen Rechtsgrundlage des AEUV als Notfall-Operationalisierung einer europäischen Arbeitslosenrückversicherungsregelung vor dem spezifischen Hintergrund der Covid-19-Krise gesehen werden." Dies könnte der Einstieg in das Projekt "Europäische Arbeitslosenversicherung" sein. Vgl. Meyer (2020), S. 295 ff.

Prof. Dr. Dirk Meyer Lehrstuhl für Ordnungsökonomik, Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg
Prof. Dr. Dirk Meyer , Institut für Volkswirtschaftslehre , Helmut-Schmidt-Universität
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