Fünf Fragen zur Zukunft des Euro

Prof. Dr. Stefan Schäfer, Foto: S. Schäfer

Die Inflationsrate in Deutschland ist erstmals seit beinahe drei Jahrzehnten über die Fünf-Prozent-Marke gestiegen. Wie das Statistische Bundesamt in einer ersten Schätzung mitteilte, kosteten Waren und Dienstleistungen im November dieses Jahres 5,2 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. Dieses bedenkliche Niveau rückt die Hauptaufgabe der EZB - die Sicherung der Preisniveaustabilität - wieder in den Vordergrund, so der Autor. Die Währungshüter stehen aber auch weiteren Herausforderungen wie dem Klimawandel - wobei dies von vielen Kritikern nicht als Aufgabe der Notenbank wahrgenommen wird - oder der Digitalisierung des Geldes gegenüber. Im vorliegenden Beitrag geht der Autor daher auf fünf Fragen zur Zukunft des Euro ein und beleuchtet, inwieweit mit Blick auf die geldpolitische Ausrichtung der EZB Anpassungen erfolgen sollten. (Red.)

Die Eurozone steht - wieder einmal - am Scheideweg. Die Währungshüter in Frankfurt haben sich eine neue Strategie gegeben und das für 2022 erwartete Ende der Pandemie macht den Weg frei für eine wirtschaftliche Erholung. Dennoch scheint niemandem so richtig klar zu sein, wohin die währungspolitische Reise gehen wird. Normalbürger und Wirtschaftspraktiker sehen sich einem Gewirr von neuen geldpolitischen Zielen und angepassten Methoden der Berechnung des Verbraucherpreisindex, "grüner Geldpolitik" und Digitalisierung des Geldes gegenüber.

Gleichzeitig hat die Inflationsrate ein bedenkliches Niveau erreicht. Das rückt die Hauptaufgabe der EZB wieder in den Blick: die Sicherung der Preisniveaustabilität. Dieses Ziel zu erreichen, ist nach der Corona-Krise nicht leichter geworden. Denn mit ihrem "PEPP"-Notfallprogramm (Pandemic Emergency Purchase Program) hat die EZB ihre Anleihekäufe mengenmäßig noch einmal ausgeweitet und ist bei der konkreten Ausführung der Käufe auch qualitativ in neues Terrain vorgestoßen.

An der Schwelle zur Nach-Corona-Zeit stellen sich folgenden Fragen: Kann und soll die europäische Geld politik wirklich "grün" werden? Wie bezahlen wir in Zukunft? Droht uns eine längere Phase mit Inflation? Gibt es einen Ausweg aus der ultralockeren Geldpolitik? Wie lange bleibt es bei 19 Euro ländern?

Die EZB will zukünftig klimapolitische Aspekte berücksichtigen, hat das "Wie" aber noch nicht operationalisiert. Derweil ist die Diskussion darüber, ob eine "grüne Geldpolitik" überhaupt gelingen kann, noch in vollem Gange. Deren Verfechter argumentieren, der Klimawandel habe ökonomische Auswirkungen - auch solche auf das Preisniveau - und sei somit gewissermaßen "Zwischenziel" der EZB-Geldpolitik. Zusätzlich berufen sich die Befürworter einer grünen Geldpolitik auch auf das Mandat der EZB. Artikel 127 des EU-Vertrages weise der Notenbank nicht nur die Sicherung der Preisniveaustabilität als primäre Aufgabe zu, sondern auch die Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik der EU, sofern die Preisniveaustabilität darunter nicht leidet. Das umfasse auch die Umwelt- und Klimapolitik.

Kritik an grüner Geldpolitik

Die Kritiker einer "grünen Geldpolitik" verweisen auf den unterschiedlichen Charakter der Ziele Preisniveaustabilität und Klimaschutz. Während letzteres eine Daueraufgabe sei, schwanke die Inflationsrate mit der Konjunktur. Würde die EZB also beispielsweise bei ihren Ankaufprogrammen bevorzugt Anleihen "klimafreundlicher Emittenten" erwerben, dann würde sie bei niedriger Inflation und expansiver Geldpolitik viel Klimapolitik betreiben, bei hoher Inflation und restriktiver Geldpolitik jedoch wenig. Darüber hinaus sei der Klimaschutz Aufgabe demokratisch legitimierter Regierungen. Notenbanken sollten diese nicht ersetzen, um ihre Unabhängigkeit zu wahren und den Fokus auf die Preisniveaustabilisierung nicht zu verlieren.

Ein Blick auf mögliche "grüne Anleihekaufprogramme" verdeutlicht, wie komplex eine "grüne Geldpolitik" wäre. Die EZB könnte zum einen vermehrt klimapolitisch "gute" Anleihen kaufen; zum anderen könnte sie den Ankauf von "schlechten" Anleihen verringern. Wie solche Anleihen jeweils zu identifizieren wären, ist noch völlig offen. Wäre beispielsweise ein Aluminiumhersteller per se "schlecht", weil die Aluminiumproduktion energieintensiv ist? Oder könnten moderne Unternehmen der Branche mit vergleichsweise geringem CO2-Ausstoß das EZB-Placet erhalten? Ist Frankreich wegen seines hohen Anteils an CO2-armer Kernenergie ein "guter" Anleiheemittent oder ist Kernenergie per se "schlecht"? Schon diese kurze Beschäftigung mit "Klima-Geldpolitik" zeigt: Hier sind so viele Fragen offen, dass die EZB sehr behutsam vorgehen sollte.

Die Digitalisierung des Geldes ist in aller Munde - und eigentlich schon lange Realität. Denn Zahlungen mit Giralgeld werden rein digital abgewickelt, seit Überweisungsformulare, Schecks und andere papiergebundene Mittel in den 1990er Jahren verschwunden sind. Wirklich analog ist seitdem nur noch das Bargeld, wenn es um Zahlungstechnologien geht. Dieser "ersten Digitalisierung" (die eine Digitalisierung der Bezahlvorgänge ist) steht seit dem Aufkommen der sogenannten Kryptowährungen eine "zweite Digitalisierung" gegenüber. Sie besteht in einer Digitalisierung des Geldes selbst.

Abbildung 1: Geldangebote zur Nutzung durch private Haushalte und Unternehmen Quelle: S. Schäfer

Digitalisierung des Geldes

Eine besondere Erscheinungsform dieser "zweiten Digitalisierung des Geldes" sind die sogenannten "Stablecoins". Dabei handelt es sich um digitale Objekte, deren Wert gesichert sein soll. Dies kann durch Ausgabe der Coins gegen Einzahlung von Fiatgeld geschehen, welches anschließend in sichere Anlagen investiert wird. Die Stablecoins können dann theoretisch jederzeit zum Nennwert zurückgegeben werden. Über die Finanzbranche hinaus Beachtung fand das Stablecoin-Konzept mit der Ankündigung eines Unternehmenskonsortiums unter der Führung von Facebook im Sommer 2019, eine weltweit nutzbare Stablecoin namens "Libra" auf den Markt zu bringen. Auch wenn Diem als Nachfolger der ursprünglichen Libra-Initiative bis heute nicht über das Stadium einer Projektstudie hinweggekommen ist: Die Aussicht auf neue Konkurrenz im Zahlungsverkehr mit potenziell Milliarden Nutzern hat die Zentralbanken dazu bewegt, eigenes digitales Geld anzubieten.

Vorreiter auf diesem Feld waren die schwedische Reichsbank und die People's Bank of China. Die EZB zog 2021 nach, als sie ankündigte, in wenigen Jahren digitales Zentralbankgeld anbieten zu wollen. Dieses digitale Zentralbankgeld wird man sich wohl als digitale Variante des Bargeldes vorstellen müssen. Das bedeutet: Die Zentralbank stellt es bereit, jedermann kann es nutzen und die Schuldtilgung erfolgt durch Übergabe. Verwahrt wird das digitale Zentralbankgeld in digitalen Geldbörsen ("Wallets"), auf die man wie beim Onlinebanking per Smartphone oder Computer zugreifen kann. Die einzelnen Euros werden beim Bezahlen elektronisch aus der Wallet des Zahlungspflichtigen in diejenige des Zahlungsempfängers übertragen.

Die konkrete Ausgestaltung von digitalem Zentralbankgeld wirft eine Reihe von Fragen auf. Die erste und wichtigste ist: Wie können negative Konsequenzen für den Bankensektor vermieden werden? Wenn jedermann die Möglichkeit hat, sein Geld sicher und bequem in einer EZB-Wallet zu halten und von dort Zahlungen vornehmen zu können - wieso sollte er dann ein Girokonto bei einer Geschäftsbank haben?

Die Kreditinstitute verlören in diesem Fall einen großen Teil ihrer Provisionserträge und hätten das Geld, welches sie durch Kreditvergabe schaffen, nicht mehr auf der Passivseite ihrer Bilanzen. Die nächste Frage ist, ob und inwieweit die EZB willens und in der Lage wäre, die Anonymität der Zahlungen zu gewährleisten. Nur in diesem Fall würden die potenziellen Nutzer das digitale Zentralbankgeld als vollwertige Alternative zum Bargeld ansehen.

Und last, but not least erweitert digitales Zentralbankgeld den geldpolitischen Einflussbereich der Währungshüter - denn es kann verzinst werden, auch negativ. Damit hätten die Zentralbanker die Möglichkeit, den Zins tiefer unter Null zu drücken - unter der Bedingung, dass das Bargeld (als Geldform mit einer Verzinsung von null Prozent) abgeschafft würde.

Vollwertige Alternative zum Bargeld?

Wie schon im Fall der "grünen Geldpolitik" gilt auch für das digitale Zentralbankgeld: Sowohl das "Ob" als auch das "Wie" sind ungeklärt. Unbestritten ist hingegen die primäre Aufgabe der EZB: die Sicherung der Preisniveaustabilität. Nach einem Jahrzehnt niedriger Inflationsraten gibt es hier seit einiger Zeit Neuigkeiten. Deutschland und die Eurozone sahen in der zweiten Hälfte des Jahres 2021 Teuerungsraten wie seit Jahrzenten nicht mehr.

Abbildung 2: Inflation in Deutschland* (in Prozent) Quelle: Deutsche Bundesbank

Anfangs gingen die meisten Ökonomen von einer temporären Inflation aus. Der Preisauftrieb rühre von Einmaleffekten her. Dazu zählen unter anderem die - gerade im Vergleich mit dem Corona-Jahr 2020 - hohen Energiepreise und die Rücknahme der im zweiten Halbjahr 2020 geltenden Mehrwertsteuersenkung. Seit einigen Monaten mehren sich jedoch die Stimmen, die vor höheren Inflationserwartungen und entsprechenden Lohnforderungen warnen. Eine Lohn-Preis-Spirale wird nicht mehr ausgeschlossen. Den Arbeitnehmern könnte es gelingen, mit Blick auf die gestiegenen Preissteigerungsraten entsprechende Lohnerhöhungen durchzusetzen. Diese schlügen sich dann einerseits in höheren Kosten für die Unternehmen und andererseits in einer höheren nominalen Kaufkraft der Verbraucher nieder. Beides würde preistreibend wirken.

Handlungsbedarf vonseiten der EZB

Sollten die Inflationsraten im Verlauf des Jahres 2022 nicht eindeutig in Richtung der Zwei-Prozent-Marke zurückgehen, wird die EZB früher und stärker auf die geldpolitische Bremse treten müssen als ursprünglich geplant - jedenfalls, wenn sie eine Entankerung der Inflationserwartungen verhindern will. Aus dieser Erkenntnis folgt die Frage, inwieweit die Frankfurter Währungshüter dazu in der Lage sein werden.

Denn nach mehr als einem Jahrzehnt ultralockerer Geldpolitik haben sich sowohl die Kapitalmarktakteure als auch die Finanzminister der Eurozone in einer Welt mit niedrigen Zinsen und reichlich Liquidität eingerichtet. Ein abrupter Kurswechsel in der Geldpolitik ist daher nicht möglich. Die EZB muss vielmehr frühzeitig kommunizieren, wie und unter welchen Bedingungen sie in der Zukunft eine monetäre Normalisierung herbeiführen will. Diese Art der Zentralbankkommunikation nennt man "Forward Guidance".

Reale Konvergenz von Interesse

Der Ausstieg sollte dabei in der genau umgekehrten Reihenfolge zum Einstieg verlaufen. Dies würde bedeuten, dass zunächst sämtliche Anleihekaufprogramme reduziert und schließlich ganz beendet werden sollten, bevor es zu einer Erhöhung der Leit- und damit der kurzfristigen Zinsen kommt. Dies würde zu steigenden Zinsen im mittel- und langfristigen Bereich führen, während die kurzfristigen Zinsen zunächst konstant blieben. Die Kapitalmärkte würden vor allem in den Sektoren, die massiv von der EZB aufgekauft wurden, wieder davon geleitet werden, welche tatsächlichen Risiken das jeweilige Wertpapier birgt. Ferner könnten Banken durch die höheren Zinsen im mittel- und langfristigen Bereich wieder Gewinne mit Fristentransformation erreichen. Erst nachdem das Quantitative Easing beendet ist, empfehlen sich Leitzinserhöhungen.

So viel zur Theorie des Ausstiegs aus der ultralockeren Geldpolitik. In der Praxis werden die Mitglieder des EZB-Rates nicht zuletzt die Auswirkungen auf die hochverschuldeten Staaten im Blick haben (müssen), wenn sie den Fuß vom geldpolitischen Gaspedal nehmen möchten. Dabei könnte die Sorge um die Haushalte ihrer Herkunftsländer die Sorge um die Inflation im Euroraum dominieren. Dass es diesen Zielkonflikt zwischen Tragfähigkeit der nationalen Staatshaushalte und Preisniveaustabilität in der Eurozone überhaupt gibt, hat einen einfachen Grund: Die schon mit dem Maastrichter Vertrag und seinen "Konvergenzkriterien" angestrebte Konvergenz, also die Annäherung der Wirtschaftszyklen und -strukturen innerhalb der Eurozone, ist noch nicht erreicht. Hierbei ist insbesondere die reale Konvergenz von Interesse. Darunter versteht man den Prozess der Angleichung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Kopf einkommensschwächerer Nationen an das Niveau einkommensstärkerer Länder.

Reale Konvergenz wenigstens näherungsweise herzustellen, ist Aufgabe der Mitgliedsstaaten - denn weder EU noch EZB verfügen über die dafür notwendigen Instrumente. Die nationalen Regierungen müssen für flexible Arbeitsmärkte, Wettbewerb auf den Gütermärkten sowie effiziente Justiz- und Verwaltungsprozesse sorgen. Ein einfacher Indikator für den Erfolg oder Misserfolg solcher Reformen stellt die Arbeitslosenquote dar. Die Abbildung 3 stellt den italienischen Regierungen des vergangenen Jahrzehntes kein gutes Zeugnis aus. Dies zeigt, wie gravierend sich unterlassene Reformen auswirken.

Mangelnder Reformwillen

Die Währungsunion zeichnet sich zu Beginn des Jahres 2022 durch vielerorts sehr hohe Schuldenstände und teils mangelnden Reformwillen aus. Mario Draghi und andere EZB-Vertreter haben über die Jahre immer wieder betont, dass die Geldpolitik den nationalen Regierungen nur Zeit kaufen kann, in welcher diese ihre finanz- und strukturpolitischen Hausaufgaben zu machen hätten.

Sollte sich die Inflationsdynamik verfestigen und es zu einer - möglicherweise abrupten geldpolitischen Wende kommen, wäre die Periode des "Zeit-Kaufens" vorüber. Die Finanzminister sähen sich dann steigenden Refinanzierungskosten gegenüber, auf den Vermögensmärkten drohten Verwerfungen und die Konsumsowie die Investitionsdynamik würde leiden. Eine neue Krise hätte begonnen.

Die Geschichte der Währungsunion seit 2010 lehrt: Solche Krisen und der mit ihnen einhergehende Reformdruck lösen Widerstand aus und lassen radikale Parteien erstarken. Griechenland 2015 unter Ministerpräsident Tsipras und Italien 2018/2019 unter der Regierungskoalition von "Fünf Sternen" und "Lega" sind warnende Beispiele. Damals wurden in diesen Ländern auch Stimmen laut, die forderten - oder es wenigstens darauf ankommen ließen -, aus der Eurozone auszutreten. Mit Blick auf den Brexit, den viele nicht für möglich gehalten hätten, lohnt es sich, ein solches Szenario kurz zu betrachten.

Krisenszenario Euroaustritt

Das Ob und Wie von Euroaustritten ist seit Beginn der Staatsschuldenkrise im Jahr 2010 Gegenstand der ökonomischen Debatte. Ein Austritt, für den es keine rechtliche Grundlage gäbe, kann geordnet oder ungeordnet verlaufen. Im ersten Fall würden Regierung und Notenbank des austretenden Landes auf der einen und die europäischen Institutionen auf der anderen Seite versuchen, die negativen Konsequenzen des Austritts durch ein schrittweises Vorgehen zu mildern. Der ungeordnete Austritt käme hingegen plötzlich, beispielsweise weil das Land seine Staatsanleihen nicht mehr bedient und die EZB diese anschließend nicht mehr als Sicherheiten akzeptieren würde.

Abbildung 3: Arbeitslosenquoten in Deutschland und Italien seit Euroeinführung (in Prozent) Quelle: Internationaler Währungsfonds

Im Zuge solcher Austrittsdiskussionen werden regelmäßig auch Parallelwährungsmodelle diskutiert. Parallelwährungen waren lange eine Randerscheinung, die außerhalb der Regionalgeld- und Schwundgeld-Szene nur auf wenig Interesse stieß. Zu Beginn der Staatsschuldenkrise und dann noch einmal während der 5-Sterne/Lega-Regierung in Italien erlangte das Thema wenigstens kurzfristig breitere Aufmerksamkeit. Der Staat würde dann seine Ausgaben im Inland wenigstens teilweise in Staatsanleihen mit kleiner Stückelung (Parallelwährung) tätigen, welche die Wirtschaftssubjekte wiederum in der Zukunft zur Begleichung ihrer Steuerschuld verwenden dürften.

Letzteres würde helfen, diesen Anleihen Geldcharakter zu verleihen, denn die Verwendbarkeit gegenüber dem Finanzamt verliehe ihnen einen gewissen Wert. Theoretisch können solche Erwägungen zwei Ziele haben: Entweder einen Euroaustritt des Landes zu verhindern, indem kurzzeitig und teilweise auf eine nationale Währung gesetzt wird, bis Strukturreformen greifen und die Haushaltskonsolidierung vorangekommen ist - oder den Euroaustritt vorzubereiten.

Bei all diesen Krisenszenarien sollte aber nicht in Vergessenheit geraten, dass die europäische Währungsunion auch Wachstumspotenzial hat. Sieben der acht EU-Mitgliedsstaaten, die den Euro bisher nicht als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt haben, sind gemäß dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union zur Einführung des Euro verpflichtet, sobald sie die Konvergenzkriterien erfüllen. Polen, Tschechien, Ungarn und Schweden lassen bislang allerdings keine Bereitschaft erkennen, dieser Verpflichtung nachzukommen.

Stabilitätsorientierte Geldpolitik notwendig

Bulgarien und Kroatien jedoch möchten den Euro zeitnah als gesetzliches Zahlungsmittel einführen. Beide Länder sind am 10. Juli 2020 offiziell in den Europäischen Wechselkursmechanismus II (WKM II) aufgenommen worden und können der Eurozone nach einer zweijährigen Zugehörigkeit zum WKM II frühestens Anfang 2023 als zwanzigster und einundzwanzigster Mitgliedsstaat beitreten, sofern sie die Konvergenzkriterien bis dahin alle erfüllen. Auch Rumänien möchte der Eurozone bereits seit einigen Jahren beitreten, scheiterte bislang allerdings an der notwendigen Erfüllung der Konvergenzkriterien.

Wie lauten die Antworten auf die fünf Fragen dieses Beitrags? Die operative Umsetzung der "grünen Geldpolitik" lässt sehr viele Frage offen - ganz abgesehen davon, dass die Zuständigkeit der Zentralbank für die Klimapolitik stark anzuzweifeln ist. Das sieht im Falle der Digitalisierung des Geldes schon ganz anders aus. Auf neue Entwicklungen in Zahlungsverkehr und Geldwesen muss eine Institution wie die EZB reagieren; in jedem Fall mit sorgfältiger Beobachtung und Analyse der Innovationen, gegebenenfalls aber auch mit Regulierung derselben oder gar mit einem eigenen Angebot in Form des digitalen Zentralbankgeldes. Hier besteht die Herausforderung darin, ein Angebot zu schaffen, welches die Bedürfnisse der Verbraucher auf der einen und die Funktionsfähigkeit von Zahlungsverkehr sowie Geldpolitik auf der anderen Seite berücksichtigt, ohne das Bankensystem zu stark in Mitleidenschaft zu ziehen.

Abbildung 4: Aktueller Status der Nicht-Euroländer in der EU Quelle: S. Schäfer

Die wahre Herausforderung wird für die EZB aber darin bestehen, bei fortbestehend nationaler Fiskalpolitik und mangelnder realer Konvergenz in einem potenziell inflationären Umfeld eine stabilitätsorientierte Geldpolitik zu betreiben. Hier sind die Frankfurter Währungshüter mit einem Trilemma konfrontiert. Sie können gleichzeitig immer nur zwei der drei Ecken des Dreiecks erreichen:

  • Eine weiterhin nationale Fiskalpolitik bei mangelnder Konvergenz ist nicht mit stabilitätsorientierter Geldpolitik vereinbar; in diesem Fall droht in Ländern wie Italien ein Aufflackern des Populismus und der Austrittsdiskussionen.
  • Eine stabilitätsorientierte Geldpolitik kann bei nationaler Zuständigkeit für die Fiskalpolitik nicht gelingen, wenn die reale Konvergenz so schwach ausgeprägt bleibt wie derzeit; denn die Verknappung von Liquidität würde zwar die Inflation in den wachsenden Ländern dämpfen, gleichzeitig aber auch das Wachstum in den schwächelnden Mitgliedsstaaten behindern. Ein Aufholprozess könnte so kaum stattfinden.
  • Eine stabilitätsorientierte Geldpolitik kann bei mangelnder realer Konvergenz nicht gelingen, wenn die Fiskalpolitik in nationaler Verantwortung bleibt; die höheren Zinsen und die geringere Liquiditätsversorgung würden bei schwachem Wachstum in einzelnen Ländern erdrückende Lasten für die nationalen Staatshaushalte mit sich bringen.

Wenn die Inflationsrate hoch bleibt, kommt die EZB nicht an einer stabilitätsorientierten, also restriktiven Geldpolitik vorbei. Konvergenz wird kurzfristig kaum zu erreichen sein, weil die nationalen Regierungen dazu zu tiefgreifenden Strukturreformen gezwungen werden müssten. Es gibt also nur einen Ausweg: Eine immer weitere Europäisierung der Fiskalpolitik.

Fußnoten

1) Vgl. ECB (2021).

2) Vgl. Coeure, B. (2018) und Network for Greening the Financial System (2020).

3) Vgl. Tober, S. (2021).

4) Vgl. Weidmann, J. (2021) und Broders, A./Quitzau, J. (2021).

5) Vgl. Bergius, S. (2019), S. 13.

6) Vgl. Reicherter, C. (2021).

7) Vgl. Groß, J./Herz, B./Schiller, S. (2020).

8) Vgl. Mai, H. (2019) und Read, O./Schäfer, S. (2020a).

9) Vgl. Read, O./Schäfer, S. (2020b).

10) Vgl. Mai, H. (2021) und Read, O./Schäfer, S. (2020b).

11) Vgl. Bernoth, K./Ider, G. (2021).

12) Vgl. Bini-Smaghi, L. (2013), S. 61.

13) Vgl. Beck, G./Wieland, V. (2017).

14) Vgl. Heinemann, F./Kemper, J. (2021).

15) Vgl. Franks, J. et al. (2018).

16) Vgl. Draghi, M. (2017).

17) Vgl. Schäfer, S. (2018) und Read, O./Schäfer, S. (2020).

18) Vgl. Grözinger, G. (2014), Haas, J. (2017) sowie Schuster, T. (2016).

19) Vgl. Behrens, E. (2012), S. 29 f.

20) Vgl. BVMW (2012); Mayer, T. (2012); Krieger, R. (2019); Piller, T. (2019)

21) Vgl. Tokarski, P./Funk, S. (2018).

22) Dänemark wurde diesbezüglich im Rahmen der Maastrichter Beratungen Wahlfreiheit zugestanden.

23) Vgl. o.V. (2020) und Dorrucci, E. (2020).

Der Beitrag ist das Ergebnis eines Studienprojektes im Masterstudiengang "Versicherungs- und Finanzwirtschaft" der Wiesbaden Business School der Hochschule Rhein-Main und basiert auf den Beiträgen der folgenden Studenten: Florian Berg, Lorenz Engel, Nico Mantel, Ahmet Mor, Minh Nguyen, Damian Pfahl, Hugo-Alexander Riel, Victor Röther, Nico Rotzinger, Zelal Sagman, Dennis Schrader, Gerrit Schuchardt, Sandro Wieandt.

Ein umfassendes Literaturverzeichnis zu diesem Beitrag finden Sie hier.

Prof. Dr. Stefan Schäfer , Volkswirtschaftslehre/Makroökonomik , Hochschule RheinMain, Wiesbaden

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