Genossenschaft 2.0: Gesteigerte Wertschöpfung durch digitale Ökosysteme

Klaus-Peter Bruns, Vorsitzender des Vorstands, Fiducia & GAD IT AG, Karlsruhe und Münster - Der Anspruch ist klar formuliert: Mit einem maßgeschneiderten Paket an digitalen Lösungen will das genossenschaftliche Rechenzentrum die deutschen Volks- und Raiffeisenbanken dabei unterstützen, in einer veränderten digitalen Ökonomie eine erfolgreiche Rolle zu spielen. Das Lösungspaket seines Hauses will der Autor dabei als Vorstufe zu einer umfassenden Digitalplattform und somit als strategische Antwort auf einen gesellschaftlichen Wandel verstanden wissen, der neben großen Herausforderungen mindestens ebenso große Chancen bereithält. Der genossenschaftlichen Wirtschaftsform bescheinigt er alle Voraussetzungen, den Volks- und Raiffeisenbanken zu einer Vorreiterrolle beim Aufbau und der Förderung digitaler Ökosysteme zu verhelfen. Als größte Vorteile einer frühzeitigen Adaption dieses Zukunftstrends nennt er mehr Kundennähe und eine nachhaltig gestärkte Wettbewerbsfähigkeit. (Red.)

Das Tempo des technologischen Fortschritts bringt heute selbst olympische Läufer ins Schwitzen: Ein Grafikchip gängiger Smartphones ist inzwischen so leistungsfähig wie ein ganzer Großrechner vor 20 Jahren. Preiswerte Prozessor-Power ermöglicht schon heute futuristisch anmutende Anwendungen, die reale und virtuelle Welten zu einer hybriden Wirklichkeit verschmelzen und das Leben der Menschen von Grund auf verändern. Pokémon Go gibt davon bestenfalls einen kleinen Vorgeschmack. Ob sich humanoide Roboter jedoch dereinst in ähnlicher Weise von ihren menschlichen Konstrukteuren emanzipieren werden, wie in dem amerikanischen Science-Fiction-Thriller "Surrogates - mein zweites Ich" mit Bruce Willis in der Hauptrolle - das sei dahingestellt. Dennoch regt der Film zum Nachdenken über mögliche Entwicklungsrichtungen der heutigen Digitalisierung an.

Bankenmarkt im Umbruch

Warum aber gibt sich ein IT-Dienstleister wie die Fiducia & GAD überhaupt mit Themen wie künstlicher Intelligenz, 3D-Druck oder Augmented Reality ab? Weil er relevante Zukunftstrends erkennen und das damit verbundene Potenzial so früh wie möglich in einen Wettbewerbsvorteil für Volks- und Raiffeisenbanken ummünzen will. Allerdings hat der genossenschaftliche IT-Provider beim Blick in die Glaskugel keine rein technikfokussierte Brille auf, sondern denkt auch hierbei stets wie ein Banker.

Dass der digitale Wandel den Wettbewerb in der Bankenbranche massiv umkrempelt, ist schon heute offensichtlich: In einer Zeit, in der das anhaltende Zinstief seit Jahren auf die Margen drückt und regulatorische Anforderungen permanent steigen, sind Geldhäuser zugleich mit bislang nicht gekannten Marktverschiebungen konfrontiert. Denn die Digitalisierung hat neuen Konkurrenten das Tor in die Kreditwirtschaft geöffnet. Innovative Non-Banking-Firmen greifen die klassische Wertschöpfungskette von Banken an. Seit der Jahrtausendwende sind schätzungsweise 23,5 Milliarden US-Dollar an Venture Capital in Fintech-Firmen geflossen. Deren Businessmodelle richten sich auf das Kreditgeschäft mit Privatkunden, den Zahlungsverkehr und auch auf Unternehmenskredite. Smart-Data-Analysen und das Internet der Dinge lassen künftig noch ganz andere, weitgehend personalisierte Serviceangebote für zunehmend mobile Verbraucher erwarten.

Das alles spielt sich ab vor dem Hintergrund einer gleichfalls von der Digitalisierung angetriebenen Entwicklung, die bisher gültige Regeln der kapitalistischen Ökonomie außer Kraft zu setzen scheint: Insbesondere in der jüngeren Generation löst die gemeinsame Nutzung materieller Güter das Streben nach Eigentum ab. Ob Carsharing oder online vermittelte Unterkünfte - immer mehr Verbraucher praktizieren kollektiven Ko-Konsum als ebenso sparsame wie nachhaltige Alternative zu individuellem Besitz.

Vom Konsumenten zum "Prosumenten"

Dabei sind Kunden auch keine passiven Konsumenten mehr, sondern wollen verstärkt mitgestalten: Sie werden "Prosumenten" - ein Kunstwort, das die doppelte Rolle als Konsument und Produzent verdeutlichen soll. Der neue Verbrauchertypus des Prosumenten ist nicht länger nur Empfänger. Er möchte selbst ein Teil der Wertschöpfungskette werden und mit anderen Prosumenten und Anbietern unterschiedlichster Art in einer virtuellen Community kollaborieren.

Grundlage für solche Interaktionen sind digitale Plattformen mit einer App als Front end: Via App tauschen Menschen heute nicht nur Meinungen, Erlebnisberichte und Fotos aus wie auf Facebook oder Instagram, sondern teilen Wohnungen und Autos oder tauschen untereinander Bücher und zu klein gewordene Kinderkleidung aus.

Coop: Renaissance einer bewährten Idee

Die sogenannte Sharing Economy ist seit geraumer Zeit in aller Munde. Doch wie sieht die Wirklichkeit aus? Sind milliardenschwere Plattformen wie Airbnb und Uber tatsächlich die Exponenten der viel zitierten neuen Ökonomie des Teilens und der Teilhabe? Die Wertschöpfung jedenfalls resultiert aus der Kollaboration der vielen Millionen Plattformuser - Konsumenten, Produzenten, Prosumenten. Die Gewinne jedoch teilen sich nur wenige; meist sind es die Venture-Capital-Geber, mit deren Geld die ursprüngliche App- und Plattform entwicklung finanziert worden ist. Stake holder sind hier also nicht auch Shareholder - was nach dem Verständnis einer wachsenden Zahl von Menschen aber eine Grundbedingung für eine wirklich faire Kollaborationsplattform wäre.

Warum gehört Uber nicht den Taxifahrern? Warum gehört eine Tausch- und Second-Hand-Börse nicht denjenigen, die sie tatsächlich benutzen? Bei Fairmondo.de ist das inzwischen Realität: Die genossenschaftlich organisierte Internetplattform versteht sich als Alternative zu globalen Marktriesen im Onlinehandel - mit Blick auf Ebay und Amazon zweifellos ein ehrgeiziges Ziel. Doch in der Kategorie Bücher bietet Fairmondo schon jetzt mehr als zwei Millionen Titel. Gut 2 000 private und gewerbliche Prosumenten haben bereits Anteile an dieser "Genossenschaft 2.0" gezeichnet.

Fairmondo ist nur eines von vielen Beispielen dafür, dass der genossenschaftliche Grundgedanke des Wirtschaftens zum gegenseitigen Vorteil auch in der digitalen Ära auf fruchtbaren Boden fällt. Weltweit formiert sich inzwischen eine neue Gründerszene genossenschaftlicher Start-ups, deren innovative Partizipationsgeschäftsmodelle die Ideen von Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch zu neuem Leben erwecken. Im digitalen Raum entfaltet sich das genossenschaftliche Coop-Prinzip im Wesentlichen auf vier Feldern: Produktion, Konsum, Bildung und Finanzen: Vernetzte Produzenten arbeiten gemeinsam am Produktdesign, der Herstellung und dem Vertrieb.

Unter Coop-Konsum fallen etwa Tauschbörsen oder Carsharing. Beides trägt dazu bei, den Gebrauchswert von Gütern zu maximieren - entweder, indem die Nutzung zeitlich verlängert wird wie bei der Weitergabe gebrauchter Kinderkleidung oder aber durch intensivere Nutzung aufgrund gemeinschaftlichen Gebrauchs wie beim Carsharing. Im Bildungsbereich findet sich das Coop-Modell unter anderem auf Peer-to-Peer-Learning-Plattformen, etwa beim gegenseitigen Sprachunterricht von Fremd- und Muttersprachlern. Im Finanzsektor schließlich lassen sich digitale Kollaborationsmodelle etwa beim Peer-to-Peer-Banking sowie beim Crowdfunding beobachten.

Vertrauen - die wichtigste Währung der kooperativen Ära

Der größte Unterschied von Onlinekooperativen zu konventionellen Genossenschaften etwa in der Landwirtschaft ergibt sich aus der digitalen Vernetzung, die geografische Distanzen virtuell verschwinden lässt. Anders als Milchbauern, die gemeinsam eine genossenschaftliche Molkerei betreiben, kennen sich die User einer genossenschaftlichen Digitalplattform nur in den seltensten Fällen auch persönlich. Das notwendige Vertrauen muss eine solche Plattform zum Beispiel durch geeignete Legitimationsverfahren anhand technischer Identitäten wie E-Mail-Adresse oder Nutzer-Account erst erwerben.

Vertrauen kann aber auch in viel größerem Maßstab durch einen Partner wie die Volks- und Raiffeisenbanken gestiftet werden, denn Genossenschaftsbanken kennen ihre Kunden und Mitglieder durch persönliche Legitimation. Hierin steckt ein immenses Potenzial für die genossenschaftliche Finanzgruppe: Die Schaffung von Vertrauen ist ein ganz wesentlicher Wertbeitrag, den in dieser Dimension nur Volks- und Raiffeisenbanken zur kooperativen Plattform-Ökonomie leisten können. Aufgrund des Genossenschaftsmodells ist ihre Reputation trotz des allgemeinen Vertrauensverlusts in der Bankenbranche infolge der Finanzmarktkrise 2008 bis heute ungebrochen.

Hinzu kommt ihr enger Kundenkontakt und die exzellente regionale Vernetzung, auf deren Basis sie schon heute lokale Ökosysteme bilden. Worauf es aus Sicht der Fiducia & GAD in Zukunft ankommt: Der Aufbau einer digitalen Genossenschaftsplattform, die all diese lokalen Ökosysteme unter- und miteinander vernetzt. Um hierbei den größtmöglichen Effekt zu erreichen und das wirtschaftliche Vernetzungspotenzial so weit wie möglich auszuschöpfen, muss es sich um eine gemeinsame digitale Plattform für alle Genossenschaftsbanken und ihre Mitglieder handeln.

Lokal verankert und überregional vernetzt: Mit mehr als 30 Millionen legitimierten Kunden, von denen gut 18 Millionen selbst Genossenschaftsmitglieder sind, haben die deutschen Volks- und Raiffeisenbanken ideale Voraussetzungen für die anstehende Transformation. Zudem kann sich die genossenschaftliche Finanzgruppe auf einen starken IT-Provider verlassen, der zu den größten IT-Dienstleistern der Bundesrepublik gehört. Rund 167 000 betreute Bankarbeitsplätze, 6,3 Milliarden Buchungsposten pro Jahr sowie 79 Millionen aktive Konten und bundesweit etwa 36 000 SB-Automaten verdeutlichen die Größenordnung der technologischen Versorgung. Dank garantierter Datenhaltung in der Bundesrepublik mit umfassendem Datenschutz nach deutschem Recht und nicht zuletzt auch durch ihre ethische Bindung an die genossenschaftlichen Grundwerte rechtfertigt der genossenschaftliche IT-Dienstleister jeden Tag aufs Neue das Vertrauen der Banken und ihrer Kunden.

So anspruchsvoll der Aufbau digitaler Ökosysteme aus technologischer Sicht auch ist - es handelt sich hierbei nicht allein um ein technisches Upgrade, sondern vor allem um ein strategisches Umdenken. Gefragt ist sozusagen ein Upgrade im Selbstverständnis der Banken, damit sie ihre verbindende Rolle in der neuen kooperativen Digitalökonomie optimal ausfüllen können.

Peer-to-Peer-Service: Menschen enger zusammenbringen

Die gute Nachricht ist, dass die genossenschaftliche Finanzgruppe bei der digitalen Ökosystem-Transformation auch technologisch keineswegs bei null anfangen muss. Im Gegenteil: Ohne es so zu nennen, hat die Fiducia & GAD bereits wichtige Schritte in Richtung einer überregionalen Plattformvernetzung erfolgreich initiiert. Das betrifft zum Beispiel die Erweiterung der Peer-to-Peer-Interaktionsmöglichkeiten von vielen Millionen Usern der VR-Banking-App. In diesen Tagen schalten die ersten Volks- und Raiffeisenbanken das neue App-Feature "Geldbote" für ihre Kunden frei. Damit werden spontane Geldtransfers an Angehörige oder Freunde genauso unkompliziert möglich wie ein Whats-App-Chat - zum Beispiel beim gemütlichen Abendessen mit Freunden im Restaurant.

Passendes Bargeld ist nicht mehr nötig, um den eigenen Anteil an der gemeinsamen Rechnung zu zahlen. Einfach den Geldboten der VR-Banking-App anklicken, den gewünschten Empfänger in der Kontakt liste wählen, Betrag eingeben, absenden - fertig. Alles ohne lästiges IBAN-Tippen und bei Beträgen unter 30 Euro auch ohne TAN-Eingabe. Hilfreich ist der neue Geldbote beispielsweise auch für kleine Geldgeschenke zum Geburtstag. Auf Wunsch überbringt der Service auch gleich eine passende Push-Nachricht mit optionalem Foto. Mit einer Begleitnachricht wie "Restaurantrechnung" oder "Happy Birthday" kann der Empfänger den Betrag schneller zuordnen. Noch schöner wird es natürlich mit einem Foto vom gemeinsamen Abendessen oder mit einer digitalen Glückwunschkarte.

Zielgruppe des für Kunden kostenlosen Payment-Angebots sind nicht nur junge Digital Natives. Attraktiv ist der Service genauso für die wachsende Zahl derjenigen Menschen aus früheren Generationen, für die das Smartphone heute ebenfalls zu einem unentbehrlichen Begleiter in fast jeder Lebenssituation geworden ist. Der Geldbote gibt Genossenschaftsbanken eine Gelegenheit mehr, ihren Kunden ohne nennenswerten Eigenaufwand einen digitalen Mehrwert anzubieten. Im Gegensatz zu vergleichbaren Diensten mancher Fintech-Firmen ist für den Geldboten keine separate App notwendig. Und auch die einmalige Anmeldung für die Nutzung der Funktion ist insofern einfacher, weil die meisten Kunden mit dem generellen Ablauf der Freischaltung neuer Features für die VR-Banking-App vertraut sind. Bei der Entwicklung des Peer-to-Peer-Dienstes arbeitete die genossenschaftliche Finanzgruppe eng mit den deutschen Sparkassen zusammen, um von Beginn an eine große Teilnehmerzahl der via Geldbote vernetzten Community sicherzustellen.

Aktive Rolle der Bankkunden stärken

Wer sich als Kunde selbst aktiv in digitale Finanz-Ökosysteme - zum Beispiel einer Crowdfunding-Plattform - einbringen will, der wünscht sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch mehr Selbstständigkeit beim Management der eigenen Finanzen. Umso wichtiger ist es, dass der dafür notwendige Informations- und Gestaltungsspielraum in den unterschiedlichen E-Banking-Angeboten zur Verfügung steht. Dieser Bedarf gibt der Fiducia & GAD die Zielrichtung vor, bei der kontinuierlichen Weiterentwicklung des digitalen Haushaltsbuchs für Genossenschaftsbankkunden - den Agree-21-E-Finanzmanager: Immer mehr Bankkunden erwarten heute auf allen Kanälen dieselbe persönlich zugeschnittene Betreuung. Sie möchten überall und jederzeit in konsistenter Form auf sämtliche Inhalte zugreifen können - egal ob App, E-Banking oder SB-Terminal. Die Zeiten, in denen E-Banking lediglich wie eine Einbahnstraße funktionierte und im Wesentlichen nur Kontostandanzeigen und einen ein fachen Überweisungsservice bot, sind definitiv vorbei.

Aus Sicht der Banken, die das optionale digitale Haushaltsbuch anbieten, avanciert E-Banking zu einem vollwertigen Vertriebskanal mit einem produktbezogenen Vertriebsansatz. E-Banking wird zudem zu einer Kommunikations- und Interaktionsplattform mit bilateralem Postfach für jeden Kunden und seinen Berater, inklusive Chat-Möglichkeit. Die verbesserte Steuerung der persönlichen Finanzen geht aufseiten der Bank mit einer immer tieferen Kenntnis des individuellen Kundenbedarfs in seiner jeweiligen Lebenssituation einher. Entsprechend passgenauer und kontextgerechter können maßgeschneiderte Allfinanz-Angebote unterbreitet werden.

Genossenschaftliche Digitalplattform

Mit ihren Werten, Assets, ihrer Marktdurchdringung und nicht zuletzt dem konstruktiven Miteinander ist die genossenschaftliche Finanzgruppe bestens aufgestellt, den gesellschaftlichen Trend digitaler Ökosysteme in führender Position mitzugestalten. Voraussetzung ist allerdings die baldige Schaffung einer gemeinsamen genossenschaftlichen Digitalplattform, die offen ist für weitere Partner und Communities. Der netzwerkartige Charakter dieser Plattform stärkt die regionale Verwurzelung der Volks- und Raiffeisenbanken, vertieft ihre Kundenbeziehungen im digitalen Raum und verbessert nachhaltig die Wettbewerbsfähigkeit.

Für dieses wie für weitere Projekte gilt: Gemeinsam können die Unternehmen der genossenschaftlichen Finanzgruppe im Sinne der Volks- und Raiffeisenbanken mehr erreichen. Dies ist auch der Antritt bei der Initiative "Kundenfokus 2020" des Bundesverbandes der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR).

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