Innovationsschub für die genossenschaftliche Banken-IT

Klaus-Peter Bruns, Vorsitzender des Vorstands, Fiducia & GAD IT AG, Karlsruhe/ Münster - Für die genossenschaftlichen Primärbanken ist die Fusion der IT-Rechenzentren eines der bestimmenden Themen des laufenden und auch der kommenden Jahre - gerade im Hinblick auf die für sie in Aussicht gestellten Kosteneinsparungen. Der Autor beschwört in seinem Beitrag den frischen Wind, der durch das Unternehmen weht, und gleichzeitig den genetischen Code der Vorgängerunternehmen Fiducia und GAD, also deren langjährige Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit den deutschen Genossenschaftsbanken. Im Hinblick auf Fintechs als Wettbewerber der Kreditwirtschaft betont er die Rolle einer soliden IT-Architektur für die Volks- und Raiffeisenbanken als Basis für Big Data und für App-Entwicklung. (Red.)

Mit dem Zusammenschluss der beiden IT-Dienstleister der Volksbanken und Raiffeisenbanken zur Fiducia & GAD IT AG fiel am 1. Juli auch der Startschuss zum größten Konsolidierungsprojekt in der Geschichte der genossenschaftlichen Finanzgruppe. Ab 2020 werden sich die resultierenden Synergien pro Jahr auf einen dreistelligen Millionenbetrag summieren. Als mindestens ebenso wichtig wird sich im Wettbewerb der Kreditwirtschaft die verdoppelte Innovationskraft der Fiducia & GAD erweisen. Denn mit gebündelten Kräften treibt das fusionierte Unternehmen die digitale Transformation des Bankgeschäfts in höherem Tempo voran. Im Vordergrund stehen hierbei Innovationen, die den Genossenschaftsbanken intensivere und langlebigere Kundenbeziehungen bescheren. Und davon profitieren sie nicht erst in fünf Jahren - sondern schon jetzt.

Die legendäre Frist der ersten 100 Tage hat der gemeinsame IT-Dienstleister aller deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken erfolgreich absolviert. Es war eine Zeit des Aufbruchs und der Weichenstellung - die zum Teil alles andere als einfach war. Nunmehr sind alle Führungspositionen besetzt, die wichtigsten Prioritäten festgelegt. Auch die Aufbauorganisation ist bereits komplett unter Dach und Fach. Nach dem Vollzugsstichtag des Zusammenschlusses, dem 1. Juli 2015, ging die Aufnahme der regulären Geschäftstätigkeit sowohl auf administrativer wie auf operativer Ebene ohne größere Reibungsverluste relativ geräuschlos über die Bühne.

"Zukunftserfahrene" Ideenschmiede

Aufhorchen ließ hingegen der Markenauftritt, mit dem die Fiducia & GAD ihr neues Gesicht den gut 1 100 Volksbanken und Raiffeisenbanken gegenüber präsentierte und durch ganzseitige Zeitungsanzeigen auch bei einer breiten Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erregte. Überraschend war vor allem der frisch-offensive Tonfall, durch den sich das neue Unternehmen von der traditionell zurückhaltenden Außendarstellung seiner Vorgänger absichtsvoll unterscheidet. Die farbenfrohe, durchaus selbstbewusste und manchmal augenzwinkernde Markenkommunikation signalisiert ganz klar, dass durch die Fusion auch qualitativ etwas Neues entstanden ist: Ein IT-Unternehmen, in dem ein frischer Wind weht und das neugierig ist auf alle Facetten der Lebenswirklichkeit. Neugier auf Menschen gepaart mit hochkarätigem Technologie-Know-how - das ist die Quelle für marktfähige Innovationen, die den Alltag der Kunden bereichern. Und das ist es, was Banken im veränderten Wettbewerb heute am nötigsten brauchen.

Im Zeitalter, in dem Facebook, Google & Co. per Smartphone oder Tablet überall und jederzeit präsent sind, hat sich die Rolle der Banken-IT fundamental gewandelt: IT bildet Bankprozesse nicht mehr nur ab, sondern wird selbst zum zentralen Gestaltungsinstrument für das Bankgeschäft der Zukunft. Damit wird der genetische Code der Fiducia & GAD erkennbar: Was sie von ihren Vorgängern geerbt hat, sind jahrzehntelange Erfahrungen, die Zukunft der betreuten Banken mit den Möglichkeiten der jeweils aktuellen IT optimal zu gestalten. Die knappste Formel dafür lautet: "Zukunftserfahren". Die Wortschöpfung bringt als Claim das Selbstverständnis der Fiducia & GAD auf den Punkt und ist zugleich als Innovationsversprechen an die Banken zu verstehen.

Innovativ mit Rückkopplung aus der Praxis

Sicherlich, über Innovationen wird derzeit gern und viel gesprochen. Dass es sich bei der Fiducia & GAD jedoch um mehr als ein bloßes Lippenbekenntnis handelt, zeigt sich deutlich am durchorganisierten Innovationsmanagement, das buchstäblich vom ersten Tage an zu den wichtigsten Prioritäten bei der Formierung des neuen Unternehmens zählte. Die Grundvoraussetzung für ein innovationsfreundliches Klima ist zweifellos eine offene und lebendige Unternehmenskultur. Nur so kann es gelingen, Innovationsideen für neue Produkte und Geschäftsmodelle aus allen verfügbaren Quellen innerhalb und außerhalb des Unternehmens zu akquirieren. Auf der anderen Seite sind aber auch klar definierte Prozesse notwendig, um aussichtsreiche Ideen systematisch auszusieben, auf ihre Machbarkeit hin zu prüfen und schließlich dafür zu sorgen, dass diese so schnell und effizient wie möglich in marktreife Lösungen überführt werden können.

Innovationsideen unterliegen hierbei einem einfachen Kriterium - nämlich unmittelbarer Mehrwert für die Banken im Wettbewerb sowie spürbarer Kundennutzen. Als genossenschaftlicher IT-Dienstleister ergibt sich für die Fiducia & GAD ein großes Plus aus der Tatsache, dass Innovationen stets im direkten Dialog mit den betreuten Banken entstehen. Die Praxis selbst ist somit am Auswahl- und Filterprozess von Innovationsideen beteiligt. Ein Beispiel dafür ist das auf der COM-Messe 2015 in Karlsruhe vorgestellte Feature Scan-to-Bank für die VR-Banking-App: Statt bei einer Überweisung mühsam IBAN, Rechnungsnummern und Beträge eintippen zu müssen, brauchen Bankkunden bei Scan-to-Bank einfach nur das jeweilige Rechnungsformular mit ihrem Smartphone abzufotografieren. Das Ausfüllen der Überweisungsmaske erledigt die Banking-App dann automatisch. Auch für das Scannen und Weiterverarbeiten von Dokumenten wie zum Beispiel Freistellungsaufträge, Ausweis- oder Versicherungsunterlagen kann diese Lösung ausgeweitet werden. Der Zuspruch auf der COM war derart groß, dass schnell die Entscheidung fiel, die Scan-to-Bank-Erweiterung serienmäßig in die VR-Banking-App zu integrieren und noch in diesem Jahr für den Pilotbetrieb bereitzustellen.

Erlebnismehrwert für die Kunden

Die Wettbewerbsfähigkeit der genossenschaftlichen Finanzgruppe bemisst sich in immer stärkerem Maße am Tempo, mit dem Innovationsideen verwirklicht werden können. Das darf aber nicht dazu verleiten, gleichsam mit starrem Blick auf den Tacho isolierte Apps mit unterschiedlichen Funktionen quasi im Akkord auf den Markt zu werfen. Eben weil sie isoliert sind, verfehlen solche Apps das ganzheitliche Wesen des Kunden und können seine Bedürfnisse bestenfalls bruchstückhaft erfüllen. Von digitalen Schwergewichten wie Google oder Facebook kann man lernen, dass es im Gegenteil darauf ankommt, die Kunden über eine geschlossene Anwendung gewissermaßen mit einem digitalen Kosmos zu umgeben: Ein kleines Universum, das keine Wünsche offenlässt, weil es in jeder Lebenssituation stets die richtige Funktion zur Verfügung stellt.

Ausgangspunkt für Innovationen sind folglich nicht die Funktionen an sich und schon gar nicht ein bestimmter Vertriebskanal, sondern ein bestimmter Nutzungskontext, der einer konkreten Lebenssituation der Zielgruppe entspricht. Die heutige Kundengeneration lässt sich nicht mehr nach Vertriebskanälen splitten. Sie nutzt Online-Banking per Tablet, ein Portal am PC und die persönliche Filialberatung je nach Anliegen immer so, wie es im Alltag gerade am besten passt. Diverse Studien belegen jedoch, dass die digitalen Vertriebskanäle den Bedarf an persönlicher Betreuung in der Filiale keineswegs aus der Welt schaffen. Genau das aber - persönliche Beratung - können Amazon und Google erst einmal nicht.

Hier gilt es anzusetzen und die VR-Banking-App als gleichsam virtuelles Pendant der realen Bankfiliale weiterzuentwickeln. Aus Sicht der Kunden, die nicht in Kanalkategorien denken, verschmilzt das Serviceangebot der Volksbanken und Raiffeisenbanken dann idealerweise zu einer ganzheitlich erlebten Bankbeziehung. Deshalb folgt das strategische Entwicklungskonzept der VR-Banking-App auch einem universalen Ein-App-Ansatz. Gleichwohl kann jede Bank den Funktionsumfang frei wählen und die Anwendung etwa durch ihr eigenes Logo zur "App der Hausbank" individualisieren.

Auf welche Weise die Fiducia & GAD dabei den Erlebniswert der VR-Banking-App für Kunden kontinuierlich verbessert, veranschaulicht eine andere Erweiterung, die das Smartphone quasi in eine Bankkarte verwandelt: Als Novum in Deutschland können sich Kunden am SB-Automaten ihrer Volksbank oder Raiffeisenbankkünftig per Handy Bargeld auszahlen lassen. Kontaktlos, sicher und bequem. Das Smartphone - für die meisten Menschen inzwischen ein omnipräsenter Lebensbegleiter - wird von VR-Bankkunden im Alltag somit als noch nützlicher erlebt.

Genossenschaft 2.0

Lernen kann die Fiducia & GAD aber nicht nur von den digitalen Branchenriesen, sondern ebenso von den vielen kleinen Startups, den sogenannten Fintechs, die sich der App-Entwicklung für unterschiedliche Finanzdienstleistungen verschrieben haben. Interessant ist vor allem, wie es der Fintech-Szene zuweilen gelingt, ein vermeintlich trockenes Funktionsprodukt zu emotionalisieren. Ähnliches lässt sich bei erfolgreichen Start-ups aus anderen Be reichen beobachten, etwa bei den Fahrt- und Übernachtungsvermittlungen Uber und Airbnb. Das Portfolio selbst - Nachtlager und Taxifahrten - ist alles andere als innovativ. Absolut neu hingegen ist der Erlebnischarakter: Ein von Hause aus nicht gerade aufregender Brokerservice wird via Social Media in die Welt der Share Economy überführt und dadurch mit den Attributen eines bestimmten Lebensstils aufgeladen.

Social und Share bedeutet so viel wie gemeinsam und teilen - zwei Worte, die den Kern der genossenschaftlichen Idee umschreiben. Von den Fintechs kann die Fiducia & GAD also vor allem lernen, den ureigenen genossenschaftlichen Geist in die Sprache und Erlebniswelt der heutigen Kundengeneration zu übersetzen.

Wer kennt den Kunden am besten?

Etwa 3 000 Start-ups drängen derzeit weltweit auf den Markt für Finanzdienstleistungen und wollen traditionellen Bankhäusern ihr angestammtes Terrain streitig machen. Die neue Konkurrenz kommt in einem denkbar ungünstigen Augenblick: Regulatorischer Druck und die anhaltende Niedrigzinsphase treiben Kosten in die Höhe und lassen Margen zusammenschmelzen. IT-Innovationen sind daher das einzige Mittel, um die notwendige Transformation des Bankgeschäfts in Gang zu setzen und den klassischen Kreditinstituten das Überleben in einem mehr als volatilen Marktumfeld zu sichern.

Im Kampf um die Kunden sind in erster Linie solche Innovationen gefragt, die situationsbezogene und personalisierte Angebote ermöglichen. Dafür wiederum ist hauptsächlich eines nötig: nämlich den Kunden und seinen individuellen Bedarf genau zu kennen. Nicht umsonst prognostiziert das Fraunhofer IAO in seiner aktuellen Trendstudie "Bank und Zukunft", dass sich Daten und Informationen schon bald zu den wichtigsten Wettbewerbsparametern entwickeln werden - wichtiger noch als physische Güter. Umso dringlicher wird es für Banken, die vorhandenen Daten unter Berücksichtigung von Datenschutz und Sicherheit zu nutzen und daraus verwertbare und nutzenstiftende Informationen zutage zu fördern.

Noch haben Finanzinstitute gegenüber den Start-ups und Newcomern in der Branche hier einen Vertrauensvorschuss, mit dem es verantwortungsvoll umzugehen gilt und der für die nötige Einwilligung in die Analyse persönlicher Daten unentbehrlich ist. Diesen Vorsprung des langjährig gewachsenen Kundenvertrauens müssen Banken rechtzeitig nutzen. So könnten sie per Datenanalyse auf jeden einzelnen Kunden eine 360-Grad-Sicht ermöglichen, um ihm optimierte Dienstleistungen anbieten zu können. Nur mit genauer Kundenkenntnis sind Next-Best-Action-Anwendungen möglich, die dem Kunden situationsgerecht stets die am besten passende Option anbietet. Und nur so ist auch eine pass genaue Beratung in der Filiale möglich, die dem individuellen Bedarf des Kunden in seiner gegenwärtigen Lebensphase optimal entspricht. Nicht nur in der Finanzbranche gilt Big Data als technologischer Treiber, der Innovationszyklen rasant beschleunigen und neuartige Geschäftsmodelle hervorbringen wird.

Ob Big-Data-Analysen oder App-Entwicklung für den Omni-Kanal: Nachhaltige Innovationen erfordern als Fundament eine solide IT-Architektur. Für die Fiducia & GAD liegt hierin eine der größten Herausforderungen der kommenden fünf Jahre: Es gilt, das Bankverfahren in rund 1 100 Banken zu konsolidieren und planvoll weiterzuentwickeln. Deutschlandweit betrifft dies insgesamt rund 165 000 Bankarbeitsplätze. Das gemeinsame Bankverfahren Agree-21 basiert auf Agree, wird im Detail aber um zahlreiche Komponenten von Bank-21 ergänzt. Es sind also nicht nur die gigantischen Dimensionen, die das Konsolidierungsvorhaben zu einer Mammutaufgabe für alle Beteiligten machen, sondern ebenso die bankfachlichen Anforderungen. Denn es geht gerade nicht da rum, das mehrheitlich eingesetzte Agree den bisherigen Bank-21-Anwendern lediglich eins zu eins überzustülpen. Vielmehr nutzt die Fiducia & GAD das Migrationsprojekt als Chance zu einer nachhaltigen Optimierung auf der funktionalen wie technologischen Ebene der Lösungsarchitektur.

Komplettintegration bis 2019

Gleichwohl: Den gut 400 Bank-21-Anwenderbanken steht eine Komplettmigration auf Agree-21 bevor, die 2019 abgeschlossen sein wird. Die Vorbereitungen dazu starteten bereits im vergangenen März, da Ende März 2016 alle Tests für den Produktionsbetrieb abgeschlossen sein müssen. Schon im kommenden Frühjahr sollen die ersten Pilot-Banken aus dem bisherigen GAD-Versorgungsgebiet auf das neue Verfahren umgestellt werden. Dafür schaffen die Verantwortlichen im Rechenzentrum Münster derzeit die technischen Voraussetzungen: Die dortige Cloud-Infrastruktur muss angepasst werden, um Kompatibilität mit Agree-21 herzustellen. Sie war ursprünglich auf Bank-21 zugeschnitten, das bis zum erfolgreichen Abschluss der Migration in Münster parallel zu Agree-21 weiterbetrieben und -entwickelt wird. Ein Großteil aller für den Infrastrukturumbau erforderlichen Hardwarekomponenten ist bereits installiert. Inzwischen wurden erste Agree-21-Anwendungskomponenten aufgespielt. Jetzt folgt noch ein mehrstufiges Testverfahren, das in den umgestellten Banken einen störungsfreien Betrieb von Agree-21 sicherstellt.

Kostenbremse plus Innovationsbeschleuniger

Die Migration selbst gliedert sich in drei Tranchen, die ab 2016 bis Ende 2019 umgestellt werden sollen. Innerhalb jeder Tranche sind zwischen fünf und sieben regional benachbarte Banken zu sogenannten Serien zusammengefasst, die gemeinsam die mehrmonatige Vorbereitung durchlaufen und am selben Wochenende umgestellt werden. Mehr als 60 solcher Migrationsserien wird es nach derzeitiger Planung geben. Die Konsolidierung wird somit beträchtliche Ressourcen der Fiducia & GAD binden, doch wird sich diese Anstrengung eindeutig lohnen: Der Wegfall von Doppelentwicklungen und die Vereinheitlichung der IT-Plattformen führt nach Abschluss der Migration zu Einspar- und Synergie-Effekten von rund 125 Millionen Euro pro Jahr. Nach dem genossenschaftlichen Prinzip wird diese Summe direkt an die Volksbanken und Raiffeisenbanken als Eigentümer der Fiducia & GAD in Form von Kostensenkungen zurückfließen.

Aber nicht nur das: Die Banken dürfen zudem mit einer höheren Umsetzungsgeschwindigkeit bei der Entwicklung neuer Lösungen rechnen. Mit der Konsolidierung auf ein Bankenverfahren halbiert sich künftig schließlich auch der Integrationsaufwand von zwei auf ein Verfahren. Innovativer, kostengünstiger und schneller - die genossenschaftlichen Banken profitieren von der Fiducia & GAD allemal.

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