Ein Jahr MiFID II: Auswirkungen auf das Investment Research

Rhodri Preece, Foto: CFA Institute

Können sich Broker durch zusätzliche kostenlose Research-Dienstleistungen Handelsaufträge sichern, die sie bei reiner Betrachtung der Transaktionskosten nicht erhalten hätten? Diese Vermutung war einer der Beweggründe mit der MiFID-II-Regelung einen separaten Ausweis von Research und Handelsgebühren zu verlangen. Seit der Einführung vor gut einem Jahr registriert der Autor in einer europaweiten Marktstudie nicht nur eine Preisfindungsphase für Wertpapierresearch, sondern eine Verschiebung der Research-Aktivitäten zugunsten größerer Unternehmen. Als augenfälligste Konsequenz dieser Entwicklung nennt er jedenfalls einen merklichen Rückgang in der Abdeckung kleinerer Titel durch Research-Anbieter. Ob die durch die Reform verschobenen Kräfteverhältnisse im besten Sinne der Endanleger sind, lässt er offen. (Red.)

Mit Inkrafttreten der angepassten Markets in Financial Instruments Directive (MiFID II) am 3. Januar 2018 setzte die umfassendste regulatorische Neuordnung der europäischen Finanzindustrie seit über zehn Jahren ein. Das Gesetzespaket brachte erhebliche Änderungen für Investmentgesellschaften und den Finanzmarkt mit sich, darunter strengere Vorgaben für Anreizsysteme, die auch die Bezahlung und den Zukauf von Investment Research betreffen.

Neue Transparenzvorschriften für den Aktien- und Wertpapierhandel

Darüber hinaus wurden mit MiFID II auch neue Transparenzvorschriften für den Aktien- und Wertpapierhandel, höhere Anforderungen für die Anlageberatung und neue Produktanforderungen eingeführt.

Diese Reformen sollen unter anderem dazu beitragen, Interessenkonflikte zwischen Vermögensverwaltern und ihren Kunden in der Beauftragung von Brokern zu vermeiden. Die Bereitstellung von zusätzlichen Recherchedienstleistungen - beispielsweise Finanzanalyseberichte, Telefonate mit Analysten, Zugang zur Unternehmensführung und weitere nichtmonetäre Vorteile - durch die ausführenden Broker schafft Anreize, Handelsaufträge bevorzugt an diese zu vergeben. Dadurch, so die Sorge, könnten Vermögensverwalter dazu verleitet werden, häufiger Handelsaufträge zu vergeben als erforderlich oder Broker nicht zu berücksichtigen, die eigentlich bessere Transaktionskonditionen anbieten könnten. Für Endkunden, so die Befürchtung, könnten in der Folge höhere (gebündelte) Transaktionskosten entstehen als eigentlich erforderlich.

Preisfindungsphase im Markt für Wertpapier-Research

So ergeben sich durch MiFID II insbesondere für das Angebot und die Inanspruchnahme von Investment Research erhebliche Änderungen. Anbieter, wie etwa Investmentbanken und Broker, sind nun verpflichtet, Research separat von Handelsgebühren (Provisionen und Spreads) auszuweisen und abzurechnen.

Die Einführung dieser Vorschriften läutete zunächst eine Preisfindungsphase im neuen Markt für Wertpapier-Research ein, in der Anbieter nach der adäquaten Bewertung unterschiedlicher Informationsangebote und Dienstleistungen suchten und Vermögensverwaltungen ihre Research-Budgets enger an ihren konkreten Investmentstrategien ausrichteten.

Einschätzungen der europäischen Investmentbranche

Ein Jahr nach Inkrafttreten von MiFID II unternahm das CFA Institute, ein globaler Berufsverband für Investmentmanager und professionelle Investoren, eine Befragung von knapp 500 Verbandsmitgliedern innerhalb der Europäischen Union und der Schweiz, um die aktuelle Marktsituation und mögliche Implikationen der Gesetzesreform für das Wertpapier-Research einschätzen zu können. Untersucht wurden dabei die Auswirkungen der Regulierung auf Budgets, Kosten, Qualität, Abdeckung und weitere Aspekte aus Sicht von Vertretern der Käufer- und Anbieterseite (Buy-Side und Sell-Side).

Investmentgesellschaften müssen im Zuge der neuen Vorgaben die strategische Richtungsentscheidung treffen, die Kosten für externes Research selbst zu übernehmen oder (durch ein separates Verrechnungskonto für Research) an ihre Kunden weiterzureichen. Die Umfrage zeigt, dass - über Firmengrößen und Landesgrenzen hinweg - eine deutliche Mehrheit der Unternehmen auf der Buy-Side die Kosten für Research selbst trägt (65 bis hin zu 84 Prozent der Antworten aus Firmen mit weniger als 1 Milliarde Euro Assets under Management beziehungsweise über 250 Milliarden Euro AUM). Die meisten Gesellschaften dürften sich durch Kundenerwartungen und Wettbewerbsdruck zu dieser Vorgehensweise gezwungen sehen.

Steigender Margendruck für Investmentgesellschaften

Zudem ist der administrative Aufwand zu berücksichtigen, der durch eine Inrechnungstellung entstünde, da hierfür separate Verrechnungskonten geführt werden müssen, die zusätzlichen regulatorischen Anforderungen unterliegen. Eine Anhebung der Managementgebühren, um die Mehrkosten für Research auszugleichen, die in der Regel bei einigen Basispunkten pro AUM-Einheit liegen, ist nicht zu beobachten. Das ist zunächst ein positives Signal für Endanleger, verweist aber ebenso darauf, dass der Margendruck für Investmentgesellschaften steigt.

Auf größere Firmen dürfte sich dies kaum auswirken, kleinere Gesellschaften haben allerdings vergleichsweise höhere Research-Kosten im Verhältnis zu den AUM zu tragen. Eine Verschiebung des Wettbewerbs zugunsten der größeren Vermögensverwaltungen könnte die Folge sein (Abbildung 1).

Kaum Vorteile für unabhängige Research-Anbieter

Auch die Anbieter von Investment-Research geraten unter steigenden Wettbewerbsdruck, wie die Befragung zeigt. So geben Umfrageteilnehmer auf der Buy-Side an, dass Budgets für extern zugekaufte Analysen um rund 6,3 Prozent gekürzt wurden (siehe Abbildung 2).

Allerdings steigt dieser Wert mit der Unternehmensgröße: Während Firmen mit weniger als 1 Milliarde Euro Assets under Management (AUM) keine nennenswerten Einsparungen verzeichnen, strichen Häuser mit mehr als 250 Milliarden Euro AUM ihre Budgets im Schnitt um 11 Prozent ein. Diese Diskrepanz lässt sich vermutlich darauf zurückführen, wie gut Unternehmen externe Wertpapieranalysen durch Recherchen aus den eigenen Reihen ersetzen können.

Die Ergebnisse deuten auch darauf hin, dass unabhängige Research-Anbieter kaum von der neuen Regulierung profitieren. Durch größere Transparenz und eine separate Bepreisung von Research soll eigentlich ein fairerer Wettbewerb unter Research-Anbietern ermöglicht werden.

Doch nur 17 Prozent der Befragten kaufen unter MiFID II mehr Research von unabhängigen Anbietern ein als zuvor. Umsatzstarke Investmentbanken haben Kosten gesenkt, um Kunden und Aufträge zu halten sowie Wettbewerber unter Druck zu setzen. In diesem Umfeld haben unabhängige Anbieter, wenn überhaupt, nur geringfügige Zugewinne erreichen können.

Sowohl auf Käufer- als auch auf Anbieterseite wurden mögliche Veränderungen in der Abdeckung von Research durch MiFID II untersucht. Auffällig ist, dass Vertreter beider Marktseiten einen Rückgang in der Bewertung von Small- und Mid-Caps beobachten (47 Prozent auf der Buy-Side, 53 Prozent auf der Sell-Side), während bei Large-Cap-Aktien kaum Veränderungen beobachtet werden. Dies deutet darauf hin, dass Anbieter ihre Research-Aktivitäten auf die stärker gehandelten, weniger aufwendigen Sektoren konzentrieren.

Auswirkung auf die Analysequalität?

Zudem glauben 44 Prozent der Umfrageteilnehmer auf Anbieterseite, dass die Analysequalität seit Einführung von MiFID II ingesamt nachgelassen habe. Dies gilt insbesondere für Nebenwerte (ebenfalls 44 Prozent). Die Käuferseite ist hier deutlich weniger kritisch, nur 27 Prozent sehen insgesamt einen Qualitätsverlust, während 48 Prozent keine Verschlechterung ausmachen konnten. Sollte sich der Trend abnehmender Research-Abdeckung von Small- und Mid-Caps jedoch weiter fortsetzen, könnte das die Illiquidität in diesem Sektor verschärfen und es den betroffenen Unternehmen schwerer machen, Kapital einzuwerben.

Die zusammengefassten Umfrageergebnisse zeigen mehrere Nachteile der Mi-FID-II-Regulierung für das Wertpapier-Research auf. So zeichnet sich eine Verschiebung im Wettbewerbsumfeld zugunsten größerer Unternehmen ab, da Research-Budgets und Gewinnmargen abschmelzen, aufgrund von Kundenanforderungen, gestiegenem Konkurrenzdruck und der Disruption von Geschäftsmodellen. Dies zeigt sich am deutlichsten darin, dass Vermögensverwaltungen die Kosten für Research selbst übernehmen und ihre Budgets entsprechend kürzen. Diese Einsparungen nehmen mit der Firmengröße zu, da größere Unternehmen eher in der Lage sind, Analyseleistungen durch ihre internen Teams selbst zu erbringen.

Kleinere Titel weniger abgedeckt

Die augenfälligste Konsequenz dieser Entwicklung ist jedoch ein merklicher Rückgang in der Abdeckung kleinerer Titel durch Research-Anbieter. Die Befragten Investment-Fachleute gaben allerdings auch an, dass sie den Markt für Investment-Research als kompetitiver wahrnehmen. Dadurch werden Überkapazitäten und Redundanzen abgeschafft, der Markt wird effizienter.

Es bleibt nach den Ergebnissen dieser aktuellen Umfrage allerdings fraglich, ob die durch die Reform verschobenen Kräfteverhältnisse im besten Sinne der Endanleger sind.

Rhodri Preece CFA, Head of Industry Research, CFA Institute, London
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