Die Rolle der Finanzwirtschaft bei der großen Transformation

Lisa Paus, Foto: Laurence Chaperon

Schon länger ist Sustainable Finance ein stark diskutiertes Thema in der Politik und der deutschen Bankenlandschaft. Auf Diskussionen sollen allerdings nun endlich Taten folgen. Auch die Autorin sieht im Finanzsystem einen wesentlichen Akteur der nachhaltigen Transformation Deutschlands, mit dessen Hilfe die Klimaziele des Pariser Abkommens eingehalten werden können. Für sie steht am Anfang des Wandels ein neuer Umgang mit der Bewertung von Nachhaltigkeitsrisiken. Ein Merkblatt der BaFin sowie die EU-Taxonomie seien hierzu erste Schritte. Paus betont, dass diese Mittel dem freien Markt keine Verbote auferlegen sollen - vielmehr schafften sie Transparenz für nachhaltige Finanzierungs- und Investitionsmöglichkeiten sowie international einheitliche Standards und damit die Rahmenbedingungen für eine marktbasierte Lösung des Problems. Die öffentliche Hand und damit der öffentliche Bankensektor könnten Speerspitze der Entwicklung sein, indem sie ihre Beteiligungen und Investitionen nach klimafreundlichen Kriterien ausrichten. (Red.)

Die schlechte Nachricht ist: Der Klimawandel ist bereits dramatisch fortgeschritten. Die Arktis droht in zehn Jahren im Sommer eisfrei zu sein, global folgt ein Temperaturrekord auf den nächsten und wenn das 1,5-Grad-Ziel noch eingehalten werden soll, reicht das CO2-Budget beim derzeitigen Ausstoß gerade noch sieben Jahre.

Die gute Nachricht ist: Alles Nötige, um den Klimawandel zu stoppen, ist vorhanden. Das Wissen und die technischen Lösungen existieren. Was es braucht, ist die Entschlossenheit, um endlich konsequent zu handeln. Um den beispiellosen Strukturwandel hin zu Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft umzusetzen. Das ist die große Transformation, die bewältigt werden muss und bewältigt werden kann.

Dem Finanzmarkt kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Denn es werden massive Investitionen benötigt, um Produktionsweisen und Geschäftsmodelle so umzustellen, dass sie auch in einer klimaneutralen Zukunft noch wettbewerbsfähig sind. Nach Angaben der Kommission sind allein in Europa zusätzliche Investitionen von 260 Milliarden Euro erforderlich, um der EU zu einer emissionsfreien Wirtschaft bis 2050 zu verhelfen - und das jährlich. Der Finanzmarkt hat dabei auch die Aufgabe, die notwendigen Mittel für die große Transformation zu mobilisieren. "Sustainable Finance" ist das Stichwort: Es bedeutet Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken transparent zu machen und Investitionen in Richtung nachhaltiger Produkte und Unternehmen zu orientieren. Ziel ist dabei nicht, den Markt durch staatliche Vorgaben auszuhebeln. Sondern im Gegenteil: Ziel ist, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sich die große Transformation innerhalb ei - nes funktionierenden Marktes vollziehen kann.

Das größte Marktversagen

Bereits 2006 warnte der britische Klimaökonom Nicholas Stern, der Klimawandel sei das größte Marktversagen aller Zeiten. Er rechnete vor, dass künftige klimaverursachte Verluste die volkswirtschaftlichen Kosten einer Stabilisierung des Klimas bei weitem übersteigen. Schon lange ist also klar, dass sich ein entschlossenes Handeln gegen den Klimawandel auszahlt. In einer neueren Studie rechneten australische Wissenschaftler vor, dass sich durch eine Begrenzung des Temperaturanstiegs um 2 Grad statt eines ungebremsten Anstiegs um 4 Grad bis 2100 weltweit Kosten von jährlich rund 17,5 Billionen US-Dollar einsparen lassen.

Der Weg in die Klimaneutralität ist nicht nur eine Notwendigkeit, um unser aller Lebens- und Wirtschaftsgrundlagen zu retten. Er birgt auch Chancen. Jeder Strukturwandel bringt es mit sich, dass Geschäftsfelder oder sogar ganze Märkte verschwinden, aber auch neue entstehen. Wenn sich die Finanzwirtschaft mit Nachhaltigkeitsrisiken auseinandersetzt, kann sie davon doppelt profitieren: Potenzielle Portfolio- und Kreditrisiken werden frühzeitig erkannt und sie dienen als Wegweiser, um neue Geschäftschancen und zukunftsfähige Businessmodelle zu identifizieren. So lässt sich das Rendite-Risiko-Verhältnis bei Anlagen und im Kreditgewährungsprozess optimieren. Die Fragen sind also: Welche Schritte sind notwendig, um Investitionen in klimafreundliche Geschäftsmodelle, Produkte und Infrastruktur zu fördern? Welche, um Deutschland und Europa zu Vorreitern eines nachhaltigen Finanzsystems zu machen?

Erstens ist für eine effizientere Funktionsweise des Finanzmarkts entscheidend, dass Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken besser verstanden und eingepreist werden. Dass wir gerade im Bankenbereich davon noch weit entfernt sind, zeigt eine Erhebung von Bundesbank und BaFin aus dem Jahr 2019: Rund zwei Drittel der 1400 befragten kleineren und mittleren Finanzinstituten gaben an, Klimarisiken nicht in ihrem Risikomanagement zu berücksichtigen.

Ein anderes Risikobewusstsein

Die BaFin hat jetzt mit einem Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken einen ersten Schritt unternommen, dieses Problem anzugehen. Doch weitere müssen selbstverständlich folgen, um sicherzustellen, dass Risiken angemessen gemanagt werden. Es gilt schließlich wirklich bedrohliche Szenarien - wie etwa das unkontrollierte Platzen der CO2- Blase in den Bilanzen der Finanzmarktakteure - zu vermeiden.

Die Herausforderung besteht darin, die im Finanzmarkt bis jetzt vorherrschende Betrachtungsweise von Risiken zu überwinden: Sie ist zu rückwärtsgewandt und zu kurzfristig. Auch wenn Klima- oder Nachhaltigkeitsrisiken erst in 10 oder 20 Jahren zum Tragen kommen, müssen die Weichen jetzt richtig gestellt werden. Eine Immobilie in Küstennähe ist auf Sand gebaut, wenn die Meeresspiegel steigen. Auch Investitionen in Erdgas- und Kohlekraftwerke werden zu "stranded assets", sobald eine Klimaregulierung, die den CO2-Ausstoß wirksam begrenzt, richtig greift.

Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken sind Finanzmarktrisiken. Sie sollten von allen Finanzmarktakteuren - von Banken und Versicherungen über Vermögensverwalter bis hin zu öffentlichen und privaten Pensionsfonds - systematisch erfasst werden, das heißt in Jahresberichten transparent gemacht und in aufsichtsrechtlichen Anforderungen sowie Ratings berücksichtigt. Zusätzlich können regelmäßige Stresstests einen wichtigen Beitrag leisten, das Finanzsystem für den Klima- und Strukturwandel zu wappnen. In die standardisierten Szenarien sollten neben Klimarisiken auch soziale und Governance-Risiken mit einbezogen werden.

Klare Leitlinien für Nachhaltigkeit

Zweitens gilt es, die notwendigen Informationen zu beschaffen, damit Marktteilnehmer Nachhaltigkeitsaspekte in ihre Entscheidungen integrieren können. Voraussetzung ist, ein gemeinsames Verständnis und klare Leitlinien dafür zu entwickeln, welche Investitionen als nachhaltig eingestuft werden können. Genau dies ist Ziel der EU-Taxonomie, einem Klassifizierungssystem für ökologisch-nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten. Sie bildet das Herzstück des EU-Aktionsplans für Sustainable Finance.

Bislang gibt es keine gesetzlichen Vorgaben, welche Finanzprodukte und -dienstleistungen unter dem Label "Sustainable Finance" vermarktet werden dürfen. Vor allem in einem Marktumfeld, in dem eine schnell wachsende Nachfrage auf ein leider immer noch limitiertes Angebot trifft, öffnet dies "Greenwashing" Tür und Tor. Ehrgeizige Nachhaltigkeitskriterien, die auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und industriellen Erfahrungen basieren, sind Voraussetzung für die langfristige Glaubwürdigkeit und Attraktivität des Marktes nachhaltiger Geldanlagen.

Deswegen ist mit großer Sorge zu betrachten, dass die EU-Kommission bei der Ausarbeitung der Details der Taxonomie von den wissenschaftsbasierten Kriterien der eigens dafür eingesetzten Technical Expert Group abweicht - nachdem einzelne Mitgliedsstaaten zugunsten ihrer politischen Sonderinteressen massiven Druck ausgeübt haben. Die Frage, wie die Bereiche Landwirtschaft, fossiles Gas und Atomkraft in der Taxonomie berücksichtigt werden, wurde verschoben. Ein Nachhaltigkeitslabel auch für Gas und Atomkraft würde die Glaubwürdigkeit der Taxonomie irreparabel beschädigen - gerade bei vielen Anlegerinnen und Anlegern in Deutschland - und würde außerdem den Anspruch der EU, mit strikt wissenschaftlichen Kriterien weltweit Standards im schnell wachsenden Markt der nachhaltigen Geldanlagen zu setzen, untergraben.

An dieser Stelle muss noch einmal klargestellt werden: Die EU-Taxonomie steht für Transparenz und marktbasierte Transformation - nicht für Verbote. Erfüllen Finanzprodukte oder Unternehmen die Kriterien nicht, hat das zunächst keine direkten Auswirkungen. Außer dass Investitionen in diese Unternehmen nicht als nachhaltig beworben werden können. Dies führt uns auch die Grenzen der gegenwärtigen Taxonomie vor Augen: Damit sie als Instrument zur Finanzierung der Transformation genutzt werden kann, ist es wichtig, nicht nur die grüne Nische zu regulieren, sondern der ganze Markt muss nach Nachhaltigkeitskriterien bewertet werden können.

Harmonisierung und Standardisierung

Statt den Markt holzschnittartig in Schwarz und Grün zu unterteilen, braucht es ein ESG-Klassifizierungssystem, welches die Abstufungen von Nachhaltigkeit definiert und folglich auf alle Finanzprodukte anwendbar ist. Denn wir brauchen Instrumente, die uns eine ehrliche Bestandsaufnahme von Unternehmensleistungen in Sachen Transformation und Nachhaltigkeit ermöglichen. Damit diese Nachhaltigkeitsbewertung dann in Investitions- und Unternehmensentscheidungen einfließen können.

Um Finanz- und Realwirtshaft bei der Umsetzung der EU-Taxonomie nicht zu überfordern, ist es wichtig, nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten mindestens europaweit zu harmonisieren und zu standardisieren. Der bürokratische Aufwand ist auf ein notwendiges Minimum zu beschränken. Was benötigt wird, sind die entscheidenden Kennzahlen, um beurteilen zu können, wie sich die Aktivitäten eines Unternehmens auf Umwelt und Gesellschaft auswirken und wie andersherum Gesellschaft und Umwelt das Geschäftsfeld eines Unternehmens in Zukunft beeinflussen werden. Der von der Bundesregierung eingesetzte Beirat für Sustainable Finance hat eine Reihe Empfehlungen ausgearbeitet: Wie der Anwendungsbereich nachhaltiger Berichterstattung sinnvoll ausgeweitet, Unternehmenskennzahlen um Nachhaltigkeitsaspekte erweitert und zu einer integrierten Berichterstattung zusammengeführt werden können.

Drittens muss die öffentliche Hand als Signalgeber bei der Förderung und Schaffung eines nachhaltigen Finanzmarktes vorangehen. Nur wenn Bund und Länder ihre Geschäfte auf Kosten des Klimas - etwa durch Investitionen in Kohle und Gas - beenden, können sie erwarten, dass die Finanzbranche in großem Stil folgt. Der Bund sollte sich bei staatlichen Unternehmensbeteiligungen aktiv für Nachhaltigkeit und Transformation einsetzen. Er sollte außerdem das öffentliche Beschaffungswesen modernisieren und so Anreize für Unternehmen schaffen, Nachhaltigkeitsaspekte stärker in ihren Geschäftsmodellen zu verankern.

Bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie der öffentlichen Hand kommt auch den öffentlichen Banken und Förderbanken eine bedeutende Rolle zu. Mit einer Bilanzsumme von rund 2 900 Milliarden Euro bilden sie etwa ein Drittel des deutschen Bankenmarktes ab und zeigen schon jetzt deutlich sichtbare Bestrebungen für mehr Nachhaltigkeit: Als Anbieter von grünen Wertpapieren im Rahmen der eigenen Refinanzierung, als Kapitalgeber mittels Förderprogrammen für Unternehmen, Privatpersonen sowie Entwicklungs- und Schwellenländer und als Investoren in Wertpapiere zur Finanzierung von Klima- und Umweltschutzprojekten. Auf diesen gilt es aufzubauen, um deren Potenzial für einen grünen Wandel in Real- und Finanzwirtschaft voll auszuschöpfen.

Förder- und Landesbanken als Vorreiter

So will die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag die Kreditanstalt für Wiederaufbau zu einer transformativen Förderbank weiterentwickeln. Dies beinhaltet, alle klimaschädlichen Investitionen und Finanzierungen nach dem Vorbild der Europäischen Investitionsbank bis 2025 schrittweise abzubauen und künftige Förderungen klar an dem 1,5-Grad-Pfad zur Erreichung der Pariser Klimaziele auszurichten. Einhergehen sollte dies mit einer transparenten Berichterstattung zu den Auswirkungen der Finanzierungs- und Fördertätigkeiten auf die 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung. Sowie auf die Klimaziele, inklusive eines Monitorings des CO2-Fußabdrucks und des jährlichen Ausweises von Treibhausgasminderungen.

Landes- und Förderbanken spielen bei der Finanzierung von kleinen und mittleren Unternehmen eine wichtige Rolle und sind regional verwurzelt. Damit haben sie die Möglichkeit, das Thema Nachhaltigkeit auch in der Fläche voranzutreiben. Neben einer verstärkten Kreditvergabe nach ökologischen und sozialen Kriterien und der Bereitstellung von nachhaltigen Anlageprodukten sind die Beratung und Begleitung von KMU auf ihrem Weg zur Klimaneutralität wichtige Aufgaben für öffentliche Landes- und Förderbanken.

Nachhaltigkeit ist kein Trend, sondern das Thema, das Wirtschaft, Politik und Gesellschaft im nächsten Jahrzehnt prägen wird - rund um den Globus. Die Finanzwirtschaft hat die Chance, ein zentraler Player bei dieser großen Transformation zu sein, indem sie die Geldflüsse in die Richtung lenkt, der die Zukunft gehört. Es lohnt sich, jetzt die eigenen Entscheidungskriterien zu überprüfen und Investitionen in die wirklich nachhaltige Richtung zu lenken. Nicht nur, weil man sich so künftige Wettbewerbsvorteile sichert. Sondern, weil gewiss ist, dass auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Finanzwirtschaft Teil der Lösung sein wollen. Wir brauchen sie als Finanziers des Wandels.

Lisa Paus Mitglied des Bundestages, Finanzpolitische Sprecherin, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
 
Lisa Paus , Mitglied des Bundestages, Finanzpolitische Sprecherin, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
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