Solvency II Review 2020 - Änderungen auf der Zielgeraden

Kristina Stiefel, Foto: PricewaterhouseCoopers GmbH

Solvency II ist ein Projekt der Europäischen Union, das die Harmonisierung des Versicherungsaufsichtsrechts verfolgt und diese mit den Aufsichtsregeln für Kreditinstitute in Einklang bringen soll. Es soll ein weitgehend wettbewerbsneutrales Aufsichtssystem darstellen, in dessen Zentrum ein komplexes Modell zur umfassenden und realistischen Abbildung der Gesamtsolvabilität von Versicherungsunternehmen steht. Auf Grundlage der am 17. Dezember 2020 von der EIOPA veröffentlichten "Opinion on the 2020 Review of Solvency II" und nach intensiven Konsultationen und Impact Assessments hat die EU-Kommission am 22. September 2021 nunmehr ihren Vorschlag zur Anpassung von Solvency II veröffentlicht. Die verpflichtende Überprüfung des Rahmenwerks sei bereits seit Inkrafttreten in der Rahmenrichtlinie verankert, so die Autorinnen, die im vorliegenden Beitrag die angedachten Änderungen erörtern. Von einer Anwendung der Neuerungen sei allerdings nicht vor 2024 auszugehen. (Red.)

Auf Grundlage der am 17. Dezember 2020 von der European Insurance and Occupational Pensions Authority (EIOPA) veröffentlichten "Opinion on the 2020 Review of Solvency II" und nach intensiven Konsultationen und Impact Assessments hat die Europäische Kommission (EU-Kommission) am 22. September 2021 nunmehr ihren Vorschlag zur Anpassung von Solvency II veröffentlicht.

Die verpflichtende Überprüfung des Solvency-II-Rahmenwerks ist bereits seit Inkrafttreten von Solvency II in der Rahmenrichtlinie verankert. Insbesondere soll sichergestellt werden, dass die Regelungen fortlaufend und auch unter den aktuellen Marktgegebenheiten weiterhin "fit for purpose" sind. Dabei steht die Wirksamkeit der besonderen Maßnahmen für langfristige Garantien (Longterm Guarantee Measures - LGT-Maßnahmen) auf dem Prüfstand ebenso wie die Angemessenheit der risikobasierten Kapitalanforderungen (vor allem im Bereich Zinsrisiko) und das Thema Proportionalität, welches flexibler und risikobasierter - vor allem aber auch konkreter - ausgestaltet werden sollte. Darüber hinaus sollen neue Aufsichtsinstrumente die bisher unzureichende Regulierung rund um "systemische Risiken" und Regelungen zur Sanierung und Abwicklung geschaffen werden.

Das Aufsichtssystem wird dabei auch um die Dimension der Nachhaltigkeit ergänzt. Eine bevorzugte Behandlung "grüner" Investments gegenüber "braunen" Investments ist jedoch weiterhin (noch) nicht vorgesehen, um den risikoorientierten Grundgedanken von Solvency II nicht zu unterlaufen.

Der Vorschlag der Europäischen Kommission enthält zwei konkrete Gesetzesvorschläge auf Ebene von "Level 1 Vorschriften":

  • Vorschlag zur Änderung der Solvency-II-Rahmenrichtlinie
  • Vorschlag zur Einführung einer neuen Richtlinie zur Schaffung eines Rahmens für Sanierung und Abwicklung.
Abbildung 1: Vergleich der risikofreien Zinsstrukturkurve zum Stichtag 31.12.2020 (in Prozent)* Quelle: PwC

Mit dem Gesetzesvorschlag zur Änderung der Solvency-II-Rahmenrichtlinie (Richtlinie 2009/138/EG) sollen insbesondere Verhältnismäßigkeit, Berichterstattung und Offenlegung, langfristige Garantiemaßnahmen, makroprudenzielle Instrumente, Nachhaltigkeitsrisiken, Gruppenaufsicht und grenzüberschreitende Tätigkeiten adressiert und dabei die Risikoresistenz der Versicherungsunternehmen verbessert werden.

Der Gesetzesvorschlag zur Einführung einer neuen Richtlinie zur Schaffung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von (Rück-)Versicherungen schließt eine Lücke des EU-Rechts und harmonisiert das Vorgehen bei Insolvenz von Versicherungsunternehmen auf europäischer Ebene.

Ziele der EU-Kommission

Darüber hinaus beinhaltet das Paket der EU-Kommission Ankündigungen zu "Level 2"-Änderungen, da wesentliche Inhalte des Solvency II Reviews zugleich Anpassungen an der Solvency II Delegierten Verordnung ((EU) 2015/35 vom 10. Oktober 2014) erfordern werden. Konkrete Gesetzgebungsvorschläge zur Änderungen der Delegierten Verordnung liegen jedoch noch nicht vor.

Da die Anpassungen und Einführungen von EU-Rahmenrichtlinien im Rahmen des sogenannten Trilogs finalisiert werden müssen, ist mit einer Anwendung von einem Großteil der Neuerungen nicht vor 2024 auszugehen. Davon kann es jedoch Abweichungen geben, insbesondere bei Änderungen, die lediglich einer Anpassung an der Solvency II Delegierten Verordnung oder an Technischen Regulierungsstandards bedürfen.

Die Änderungen sollen die Funktion des europäischen Versicherungsmarkts und das Vertrauen in diesen weiter verbessern. Beide Gesetzesvorschläge greifen dabei ineinander: Während die Änderungen der Rahmenrichtlinie Versicherungsunternehmen vor der Insolvenz bewahren sollen, adressiert das neue Regelwerk für Sanierung und Abwicklung das Vorgehen, sollten die Maßnahmen aus Solvency II nicht ausreichend sein.

Die umfassende Überarbeitung von Solvency II bot der EU-Kommission zugleich die Gelegenheit, das Regelwerk weiter in Einklang mit ihren übergreifenden strategischen Zielen zu bringen. Dabei stehen die Erholung nach Covid-19, die Umsetzung der Kapitalmarktunion (CMU) sowie das Erreichen der Ziele des EU Green Deal im Mittelpunkt.

Unter anderem soll damit die langfristige und nachhaltige Finanzierung der Wirtschaft gesichert werden, die Risikosensitivität verbessert und die kurzfristige Volatilität der Solvabilität gesenkt werden. Des Weiteren sollen Qualität und Kohärenz der Versicherungsaufsicht sowie der Schutz der Versicherungsnehmer verbessert werden. Darüber hinaus sollen systemische Risiken besser abgedeckt werden.

Inhalte des Solvency II Reviews

Die Änderungen, die die Gesetzesvorschläge mit sich bringen, lassen sich in drei übergeordnete Themen gliedern: - Review der Wirksamkeit der Longterm Guarantee Measures (LTG-Maßnahmen) zur Sicherstellung der angemessenen Abbildung der wirtschaftlichen Realität: Dies beinhaltet im Wesentlichen die Einführung einer alternativen Methode zur Extrapolation der risikofreien Zinsstrukturkurve, Änderungen der Berechnung des Volatility Adjustments (VA) sowie Anpassungen im Risikomodul für langfristige Aktieninvestitionen.

  • Review beziehungsweise Aktualisierung des gesamten regulatorischen Rahmenwerks (Solvency II Framework Revision) von Solvency II unter Berücksichtigung des Proportionalitätsprinzips: Wesentliche Änderungsvorschläge betreffen unter anderem die Anpassung der Risikomarge, Anpassungen im Zinsrisiko, Änderungen in der Gruppenaufsicht, Neustrukturierung von Berichterstattung und Offenlegung sowie die Einführung eines neuen Konzeptes zur Proportionalität.
  • Einführung von makroprudenziellen Tools und eines Recovery & Resolution Rahmenwerks (neue und erweiterte Aufsichtsinstrumente): Neben erweiterten Anforderungen im Bereich des Own Risk and Solvency Assessments (ORSA), in dem makroprudenzielle, systemische Risiken und Klimarisiken besser adressiert werden sollen, schafft die EU-Kommission darüber hinaus ein neues Rahmenwerk zur Sanierung und Abwicklung.

Alternative Extrapolationsmethode

Im Rahmen der für die Diskontierung der versicherungstechnischen Rückstellungen maßgeblichen risikofreien Zinskurve soll die Einführung einer alternativen Extrapolationsmethode die Smith-Wilson-Methodik ersetzen. Die Methodik zur Ermittlung dieser Zinskurve war im Vorfeld des Inkrafttretens von Solvency II einer der zentralen Diskussionspunkte auf politischer Ebene. Die nun vorgeschlagene alternative Extrapolationsmethode soll den fixen "Last Liquid Point" (LLP), der zurzeit bei 20 Jahren liegt, durch einen "First Smoothing Point" (FSP) als Startpunkt der Extrapolation zur "Ultimate Forward Rate" (UFR) ersetzen. Im Unterschied zur aktuellen Methodik sollen zusätzliche liquide Swap-Raten auch nach Extrapolationsbeginn einbezogen werden.

Die neue Extrapolationsmethode soll bis Anfang 2032 stufenweise eingeführt werden (Phasing-in), was konsistent ist zur Dauer der bestehenden Übergangsbestimmungen (Rückstellungs- beziehungsweise Zinstransitional). Aufgrund des erwarteten starken Effektes auf die Höhe der versicherungstechnischen Rückstellungen, die potenziell stark steigen werden, sieht der Gesetzesvorschlag ein stabiles und lineares Phasing-in bis 2032 vor. Technisch soll das Phasing-in durch Modifikation des Konvergenzparameters Alpha ab Inkrafttreten (voraussichtlich auf 20 Prozent) so erfolgen, dass die Zinskurve annähernd der Smith-Wilson-Kurve (aktuelle Methodik) in diesem Zeitpunkt entspricht; anschließend erfolgt eine lineare Reduktion auf (voraussichtlich) 10 Prozent (siehe Abbildung 1).

Konkrete Berechnungen der neuen Zinsstrukturkurve und deren Auswirkungen sind erst möglich bei Kenntnis des genauen Inkrafttretens und des initialen und endgültigen Konvergenzparameters.

Trotz Erleichterung durch Phasing-in sind die erhöhten Offenlegungsanforderungen im Solvency and Financial Condition Report (SFCR) und die Signalwirkung dieser zu beachten. Dort sind die Beweggründe für die Nutzung sowie die Auswirkungen von LTG-Maßnahmen darzulegen, einschließlich der Auswirkungen ohne Phasing-in der Extrapolationsmethode. Ebenso sollen die Abhängigkeit von Übergangsmaßnahmen (Transitionals) sowie die Maßnahmen zur Reduzierung dieser Abhängigkeit bis Ende 2032 beschrieben werden, was besonders den Fokus des Managements auf die Effekte dieser Maßnahmen erhöhen soll.

Volatility Adjustment (VA)

Das Volatility Adjustment (VA) wirkt als antizyklischer "Puffer" (Aufschlag) auf die maßgebliche risikofreie Zinskurve. Es soll insbesondere prozyklisches Anlageverhalten vermeiden und die Auswirkungen übertriebener Anleihe-Spreads auf die Eigenmittel mindern, welche sich ansonsten ohne Berücksichtigung des langfristigen Haltens der Verbindlichkeiten in deren Bewertung niederschlagen würde.

Der Gesetzesvorschlag sieht eine Änderung im Design des VA vor, wonach das VA zukünftig als Summe aus einer permanenten und einer makroökonomischen Komponente berechnet werden soll. Dabei werden unter anderem unternehmensspezifische Charakteristika der Vermögenswerte berücksichtigt, wodurch "Overshooting"-Effekte (zu beobachten zum Beispiel in der ersten Jahreshälfte 2020) vermieden werden. Im Gegensatz zum Vorschlag der EIOPA soll jedoch kein Illiquiditätsfaktor zur Berücksichtigung der Illiquidität der Verbindlichkeiten berücksichtigt werden.

Die auch von der EIOPA vorgeschlagene Anhebung der "General Application Ratio" beziehungsweise des Anteils des anrechenbaren Effekts des VA von 65 Prozent auf 85 Prozent wurde hingegen in den Gesetzesvorschlag aufgenommen. Das VA wird somit stärker wirken, jedoch derzeit nie "voll" angerechnet werden können. Die neue Methodik wird insgesamt zu Kapitalanforderungen führen, die einer geringeren Volatilität unterliegen. Quantitative Auswirkungen sind ansonsten insbesondere von den unternehmensindividuellen Assetportfolios, den Verbindlichkeiten und der Länderexponierung abhängig; die Analysen EIOPAs im Jahr 2020 zeigen für den deutschen Markt insgesamt keine signifikanten Auswirkungen auf die Solvenzquoten.

Für Nutzer interner Modelle ist die Anwendung eines dynamischen VA (DVA) grundsätzlich möglich. Das DVA erlaubt die Modellierung von Veränderungen der Höhe des VA in den folgenden zwölf Monaten im Rahmen der Berechnungen des Spreadrisikos.

Nun soll laut dem Vorschlag der EU-Kommission zwar die DVA-Methodik in internen Modellen beibehalten werden, aber ergänzend das "DVA Prudency Principle" eingeführt werden, wonach das Solvency Capital Requirement eine untere Grenze erhält, welche bei den betroffenen Unternehmen zu Quotenrückgängen führen kann.

Hingegen soll wie bisher kein DVA für Standardformelnutzer gelten, unter anderem da weiterhin ein "Null"-Schock von European-Economic-Area-Staatsanleihen in der Standardformel gilt.

Solvency II Framework Revision

Die Voraussetzungen für die Berücksichtigung der geringen Kapitalanforderungen für langfristige Aktieninvestitionen sollen deutlich gelockert werden, sodass Versicherungsunternehmen ihren Beitrag zur Finanzierung langfristiger Investitionen spürbar erhöhen. Diese Gesetzesänderungen steht ganz im Sinne der Ziele der Kapitalmarktunion und der Incentivierung der Versicherungsbranche als wesentlicher institutioneller Anleger, ihren Beitrag zur Wiederauflebung der Wirtschaft im EU-Binnenmarkt hochzufahren.

Der Begriff der langfristigen Aktieninvestition wurde bereits im Jahr 2019 erstmalig eingeführt. Während für reguläre Aktieninvestitionen ein Schock von 39 Prozent (gelistet) beziehungsweise 49 Prozent (ungelistet) zur Ermittlung der Kapitalanforderungen zu berücksichtigen sind, liegen die Kapitalanforderungen für langfristige Investitionen lediglich bei 22 Prozent. Die umfangreichen bisherigen strengen Voraussetzungen zur Anwendung dieses geringeren Schocks, die in Art. 171 Solvency II Delegierte Verordnung geregelt sind, verhindern zurzeit ein breites Interesse der Versicherungsbranche an derartigen Anlagen.

Auch wenn sich die EU-Kommission durch entsprechende Lockerung der Voraussetzungen eine spürbare Erhöhung der Investitionen der Versicherungsbranche in langfristige Aktien verspricht, so soll das Rahmenwerk dennoch vorsichtig bleiben und den Schutz der Versicherungsnehmer und die Finanzstabilität nicht negativ beeinflussen. Die genauen Kriterien sollen in der Solvency II Delegierte Verordnung ("Level 2") spezifiziert werden.

Die Abbildung des Zinsrisikos ist ein Kernthema des Solvency II Reviews, da die aktuell angewandte Methodik die neue wirtschaftliche Realität des Niedrigund Negativzinsumfelds nicht mehr adäquat berücksichtigt und zu einer starken Unterschätzung des Risikos führt.

Neukalibrierung des Zinsrisikomoduls

Zur Verbesserung der Kalibrierung wird nun ein sogenannter "Relative Shift Approach" vorgeschlagen, der entgegen dem bisherigen Vorschlag der EIOPA nun zuerst den Schock und anschließend eine Extrapolation hin zu einer gestressten Ultimate Forward Rate vorsieht.

Im Ergebnis erhöht sich das SCR für Standardformelnutzer signifikant - insbesondere für deutsche Lebensversicherer, die aufgrund ihres Garantiegeschäfts üblicherweise stark dem Zinsrisiko unterliegen. Zudem würde das Zinsrisiko besonders zu Niedrigzinsphasen massiv steigen. Für Hochzinsphasen sind die Auswirkungen gering bis moderat. Zur Entlastung der Versicherer wird vorgeschlagen, Anpassungen mithilfe eines fünfjährigen Phasing-in einzuführen.

Die Vorschläge zur Änderung des Zinsrisikomoduls sollen in die Solvency II Delegierte Verordnung ("Level 2") einfließen, daher stellen die oben beschriebenen Vorschläge die aktuelle Absicht der EU-Kommission, jedoch noch keine Gesetzesvorschläge dar.

Anpassung der Risikomarge

Der Gesetzesvorschlag sieht zum einen eine Anpassung der Formel zur Berechnung der Risikomarge vor (sogenannter "Lambda-Ansatz"), was auch vonseiten der Branche stark unterstützt wurde. Ziel ist die Berücksichtigung der Zeitabhängigkeit der zukünftigen Risiken und damit die Reduzierung der Sensitivität der Risikomarge gegenüber Zinsänderungen. Insbesondere Versicherer mit langfristigen Verbindlichkeiten profitieren durch die hieraus resultierende niedrigere Risikomarge.

Zum anderen soll die fixe Cost-of-Capital-Rate (CoC), die einen wesentlichen Treiber der Höhe der Risikomarge darstellt, von bisher 6 Prozent auf künftig 5 Prozent gesenkt werden. Dies ist als "politischer Kompromiss" zu werten, da Branchenrechnungen tendenziell auf deutlich niedrigere CoC-Raten beziehungsweise eine grundsätzliche Unangemessenheit des einheitlichen Ansatzes hinweisen. Die Senkung der COC-Rate wird bei den Versicherern zu einer spürbaren Verringerung der versicherungstechnischen Rückstellungen führen und somit zu einem Anstieg der Eigenmittel. Die Auswirkungen auf Lebensversicherer wären dabei deutlich höher als die auf Sach- oder Rückversicherer.

Auch das Reporting soll im Rahmen des Reviews angepasst werden. Ziel ist es zum einen, den operativen Aufwand durch Straffung der Anforderungen zu reduzieren. Zum anderen sollen die Änderungen den Aufsichtsbehörden eine stärkere Konzentration auf die wesentlichen Risiken der Branche ermöglichen und das Reporting insgesamt adressatengerechter gestaltet werden.

Die EU-Kommission schlägt daher neben der Ausweitung von Fristen und dem Streichen von Informationen - in Umsetzung des Proportionalitätsprinzips - insbesondere umfangreiche Änderungen an den Inhalten der qualitativen Offenlegungspflichten (Solvency and Financial Condition Report, SFCR) und den regelmäßigen aufsichtlichen Berichterstattungspflichten (Regular Supervisory Report, RSR) sowie den jeweils dazugehörigen quantitativen Berichtsformaten (Quantitative Reporting Templates, QRTs) vor.

Berichterstattung und Offenlegung ("Reporting")

Eine der wesentlichen vorgeschlagenen Änderungen betrifft die Neugestaltung des SFCR, welcher zukünftig aus einem kürzeren, übersichtlichen Teil für die Versicherungsnehmer sowie einem zweiten Teil für die Fachöffentlichkeit mit tabellarischen Kennzahlen bestehen soll. Darüber hinaus werden weitere strukturelle Änderungen, das Streichen redundanter Informationen sowie die Einführung neuer Offenlegungspflichten vorgeschlagen.

Betreffend den Inhalt des Regular Supervisory Reports (RSR) wird es sowohl in der Struktur als auch im inhaltlichen Aufbau zu Änderungen kommen. Eine Straffung des Berichts und die Vermeidung von Doppelungen zum SFCR sollen zu einer stärkeren Harmonisierung der Erwartungshaltung der nationalen Aufsichtsbehörden führen. Insgesamt wird ein klarer Fokus auf die Darstellung wesentlicher Änderungen gegenüber dem Vorjahr angestrebt.

Weiterentwicklung des Proportionalitätsprinzips

Mit Blick auf die QRTs kommt es zu Streichungen, Vereinfachungen und Harmonisierungen. Teilweise werden redundante Informationen abgefragt, welche vermeidbaren Aufwand verursachten. Daneben erfolgte eine komplette Überarbeitung der QRTs für Nutzer interner Modelle, außerdem ist die Einführung weiterer QRTs geplant, welche zum Beispiel das Cyber-Risiko und grenzübergreifende Geschäfte betreffen. Ergänzende Reportinganforderungen zu nachhaltigen Investments und Klimawandelrisiken sowie ein neues Template mit produktbezogenen Informationen für Nichtlebensversicherer sollen eingeführt werden.

Die Einführung der geänderten/zusätzlichen QRTs ist im Weiteren unabhängig von den Gesetzesänderungen in "Level 1" und "Level 2" und wird daher früher in Kraft treten. Zurzeit ist die Einführung zum Geschäftsjahresende 2023 (Themen zur Nachhaltigkeit: 2024) in Diskussion.

Durch Fristverlängerungen und Lockerungen kommt es zu geringfügigen Erleichterungen. Folgende Änderungen in den Fristen zur Berichterstattung und Offenlegung werden vorgeschlagen:

Report: RSR, SFCR, VN-Abschnitt des Single-SFCR, derzeitige Deadline 14 Wochen, Verlängerung auf 16 Wochen,

Report: Gruppen-RSR und -SFCR, Single-SFCR, derzeitige Deadline 20 Wochen, Verlängerung auf 22 Wochen.

Im Rahmen der Überarbeitungen zur Proportionalität soll es in drei Bereichen Vereinfachungen geben:

  • Erhöhung der Schwellenwerte für die Anwendung von Solvency II, sodass künftig mehr kleine Versicherer vom Anwendungsbereich von Solvency II ausgenommen werden.
  • Einführung eines Konzepts für "low-risk profile undertakings": Fallen Unternehmen in diese Kategorie, die sich auf Basis von definierten Kriterien ergibt, greifen für die entsprechend als "low-risk profile undertakings" klassifizierten Unternehmen automatisch Vereinfachungen in allen drei Säulen, unter anderem vorgesehen ist auch die Befreiung von der Prüfungspflicht der Solvabilitätsübersicht.
  • Erleichterungen für Versicherungen, die nicht als "low-risk profile undertakings" klassifiziert sind, die jedoch einer vorherigen Genehmigung vonseiten der Aufsicht bedürfen.

Neue und erweiterte Aufsichtsinstrumente

Mit den Gesetzesvorschlägen werden die Analysen im Own Risk and Solvency Assessment (ORSA) maßgeblich erweitert und das Rahmenwerk um neue Perspektiven ergänzt. So sollen Veränderungen von makroökonomischen Aspekten und Entwicklungen auf Finanzmärkten (outside-outview) analysiert werden, ebenso wie Auswirkungen der eigenen Unternehmensaktivitäten auf Makroökonomie und Finanzmarkt mit Blick auf systemische Risiken (inside-out-view) analysiert werden. Gerade die in side-out-view ist ein neuer Aspekt unter Solvency II und adressiert die Beaufsichtigung von Finanzmarktstabilitätsaspekten und potenziellen systemischen Risiken, die von der Branche ausgehen kann.

Neben der Einführung von Liquiditätsmanagementrisikoplänen sind darüber hinaus Analysen in Bezug auf die Exponierung gegenüber Klimarisiken vorgesehen, in der zwei langfristige Klimapfade und die jeweiligen Auswirkungen auf das Unternehmen zu betrachten sind.

Um das Risiko für Finanzstabilität aufgrund einer fragmentierten regulatorischen Landschaft in der EU zu reduzieren, soll der Entwurf einer separaten Rahmenrichtlinie für die Sanierung und Abwicklung von (Rück-)Versicherungen einen gemeinsamen Ansatz für grundlegende Elemente innerhalb der Mitgliedsstaaten schaffen. Die Pflicht zur Einführung von Sanierung- und Abwicklungsplänen und vorbeugenden Maßnahmen wird einen Großteil des nationalen Versicherungsmarktes betreffen: 80 Prozent werden einen Sanierungsplan und 70 Prozent zusätzlich auch einen Abwicklungsplan erstellen und laufend pflegen müssen. Die dafür eigens eingerichteten nationalen Behörden zur Abwicklung von Versicherungsunternehmen werden mit geeigneten Befugnissen für ihre Tätigkeit ausgestattet. Besonders im Zusammenhang mit dem erstmaligen Aufsetzen und der fortlaufende Pflege der Pläne ist mit erheblichem Aufwand zu rechnen.

Fußnoten

1) COM(2021) 581

2) COM(2021) 582

3) COM(2021) 580

4) COM/2020/590

5) COM/2019/640

6) Die Festlegung des Konvergenzparameters erfolgt auf Gesetzgebungsebene 2 ("Level 2"); Gesetzgebungsvorschläge diesbezüglich liegen noch nicht vor. Avisiert wurde jedoch ein Konvergenzparameter von 10 Prozent.

7) Angewendet von circa einem Drittel der Nutzer eines Internen Modells EU-weit (Stand 2018).

8) COM/2050/590

9) Vgl. Delegierte Verordnung (EU) 2019/981 zur Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2015/35.

10 )Vgl. Amtsblatt der Europäischen Union, L 161, 18. Juni 2019.

11) Die Zeitabhängigkeit der Risiken lässt sich unter anderem am Beispiel Stornorisiko veranschaulichen: In tatsächlichen "guten" Szenarioverläufen gibt es lediglich moderate reale Stornoraten, während die Annahmen für das Massenstorno jedoch weiterhin denen des mittleren Szenarios entsprechen und somit das Risiko überschätzt wird. Gleichzeitig gäbe es in tatsächlichen "schlechten" Szenarioverläufen reales Massenstornoverhalten. Dieses Ereignis würde in der Folge jedoch dazu führen, dass das Risiko für danach folgende Massenstorno-Ereignisse reduziert wäre, da die verbleibenden Versicherungsnehmer eine geringere Storno-Neigung haben. Die Storno-Annahmen des mittleren Szenarios wären daher auch in diesem Fall zu hoch für die projizierten SCRs.

12) Im Fall einer Single-SFCR Berichterstattung (Zusammenfassung von Gruppen-SFCR und Solo-SFCR des obersten Mutterunternehmens) ist der Abschnitt für die Versicherungsnehmer zeitgleich mit der Solo-Deadline offenzulegen.

Kristina Stiefel , Partner Risk & Regulation Insurance , PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Frankfurt am Main
Melanie Schlünder , Aktuar (DAV) & Senior Manager FS Insurance , PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, München

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