Sorgt die EZB für schlechtes Klima?

Bertram Theilacker, Foto: NASPA

Klimawandel und Niedrigzinsphase dominieren die politische und ökonomische Diskussion. Bertram Theilacker sieht eine Schnittmenge zwischen beiden Themen, von denen er erwartet, dass sie die Menschen noch lange beschäftigen werden. Er stellt zu Beginn die doppeldeutige Frage, ob die EZB mit ihrer Geldpolitik für schlechtes Klima sorge. Er kritisiert einerseits die Fehlallokationen, die Nullzinsen mit sich bringen. Ineffiziente Unternehmen würden dadurch unnötig lange am Leben erhalten und somit Innovationen ausgebremst. Zudem sieh er darin einen Anreiz unnötige Projekte zu realisieren, was wiederum sinnlos knappe Ressourcen verbrauchen könnte. Theilacker weist aber andererseits auch darauf hin, dass die Nullzinsphase gleichzeitig eine Chance für mehr Nachhaltigkeit bietet. Er sieht den Mittelstand gefordert, die Situation für ökologisch sinnvolle Investitionen zu nutzen. Dann könnte das Klima einen Kollateralnutzen der Geldpolitik abbekommen. (Red.)

Die Klimaveränderung sowie die Null- und Negativzinspolitik der EZB bestimmen den Diskurs in Politik und Wirtschaft. Und zwar in dieser Reihenfolge. Denn mehr noch als die Frage, wie in Zeiten, in denen es keine Zinsen und in logischer Konsequenz auch keine Zinseszinsen mehr gibt, der Aufbau einer privaten Altersversorgung funktionieren soll, beschäftigt die Menschen natürlich die Zukunft unseres Planeten.

Beide Themen werden noch lange Zeit auf der Agenda stehen. Der Klimaschutz ist eine langfristige Herausforderung, und inzwischen darf man davon ausgehen, dass auch die Phase der Null- und Negativzinsen noch eine ganze Reihe von Jahren andauern wird. Dabei mag die Erkenntnis im ersten Moment überraschen, dass es zwischen beiden Themen eine Schnittmenge gibt. Sorgt die EZB mit ihrer Politik des ultralockeren Geldes im doppelten Sinne für schlechtes Klima? Durchaus möglich, wenn es infolge dieser Politik zunehmend zu Fehlallokationen kommt, und zwar genau dort, wo zielgerichtet ökologisch investiert werden müsste.

Strukturpolitik ohne Kontrolle

Wenn es um das Klima geht, engagieren sich in zunehmendem Maße und in weiten Teilen der Welt Bürger sowie NGOs (Non-governmental Organization) und erzeugen auf diese Weise Druck, auf den die Regierungen reagieren müssen und teilweise bereits reagiert haben.

Über die Zinspolitik entscheidet jedoch keine Regierung. Die EZB trifft ihre Entscheidungen autonom und somit ohne demokratische Kontrolle. Mit einem solchen Modell einer unabhängigen Zentralbank hat Deutschland zu Zeiten der Bundesbank zwar gute Erfahrungen gemacht. Jetzt aber geht es um mehr. Faktisch findet in Euroland eine Staatsfinanzierung durch die Notenbank statt, möge sie formalrechtlich auch clever gemacht sein, sagt Gerhard Grandke, geschäftsführender Präsident des Sparkassen- und Giroverbandes Hessen-Thüringen.1) Eine solche Strukturpolitik müsste aber demokratisch legitimiert sein.

In der Tat führt die Geldpolitik der EZB zur Umverteilung. Nutznießer sind die hochverschuldeten Staaten der Eurozone. Ihre (Neu-)Verschuldung kostet praktisch nichts mehr in Zeiten, in denen für Geld kein Preis zu zahlen ist, denn Zinsen sind eben nichts anderes als der Preis für vorübergehend überlassenes Kapital. Dafür müssen aber die Sparer und Anleger die Zeche zahlen, denn mit konservativen Sparformen wie Tages- oder Festgeld lassen sich keine Renditen mehr erwirtschaften. Selbst wenn man bedenkt, dass diesem Effekt die Zinsersparnis für Kredite und Darlehen entgegensteht und es noch nie so günstig war, eine Immobilie zu finanzieren, bleibt für Deutschlands Sparer unter dem Strich ein Milliardenverlust. Mit anderen Worten: Das Zinsklima ist für Sparer ausgesprochen schlecht und Besserung kaum in Sicht. Ganz abgesehen von einem anderen wichtigen Aspekt: Sparkultur war offenbar gestern, Leben auf Pump das neue Paradigma. Aber ist es wirklich richtig, Ressourcen heute kostenfrei nutzen zu können, die wir uns unter normalen Umständen gar nicht leisten können?

Und wie sehen die Konsequenzen im Firmenkundengeschäft aus? Häufig ist zu hören, statt der EZB Negativzinsen zu zahlen, sollten Sparkassen und Banken doch verstärkt Kredite an Unternehmen vergeben. Ein solches Argument geht freilich von dem Irrglauben aus, dass die Zinshöhe allein oder in bedeutendem Maße über das Investitionsverhalten entscheidet. Große börsennotierte Unternehmen können Fremdkapital zum Beispiel für kursbeflügelnde Aktienrückkaufprogramme nutzen und somit von der Zinspolitik profitieren. Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) stellt sich die Situation allerdings anders dar: Ihre Investitionsentscheidung hängt nur in sehr geringem Umfang von der Höhe der Zinsen ab. Anders ausgedrückt: Die Höhe der Zinsen stellt weder ein vorrangiges Hindernis noch einen Turbo für Investitionen dar.

Zinsen kein Investitionsturbo

Kein Unternehmen investiert, nur weil die Zinsen niedrig sind. Investiert wird vielmehr, wenn das Unternehmen positive Geschäfte erwartet, an den Grenzen seiner Kapazität arbeitet oder wenn Ersatz- oder Modernisierungsbedarf besteht. Dann wird ein Unternehmen auch in Zeiten höherer Zinsen investieren. Ein Betrieb verhält sich da nicht anders als ein Privatmann. Wer zum Beispiel vor einem Jahr ein Auto gekauft hat, wird wohl nicht auf die Idee kommen, ein zweites anzuschaffen, nur weil die Finanzierungsbedingungen noch günstiger geworden sind. Schon vor einigen Jahren, als sich die Zinsen bereits auf dem Rückzug befanden, ergab eine Befragung unter Unternehmen im Rahmen eines KfW-Panels, dass die Betriebe Investitionen für nicht notwendig erachten, wenn die vorhandene Kapazität erst etwa zu 85 Prozent ausgelastet ist und keine neuen, vielversprechenden Absatzmärkte eine Ausweitung der Kapazitäten und somit neue Investitionen angeraten erscheinen lassen.2) Der Mittelstand investiere, wenn die Umsätze wüchsen, resümierte die KfW damals. Daran hat sich trotz weiter gesunkener Zinsen nichts geändert.

Nüchtern betrachtet lässt es sich kaum bestreiten, dass Niedrig- und Nullzinsen letztlich sogar kontraproduktiv wirken können. Eine anhaltende Nullzinspolitik stärkt nicht eben die Zuversicht in die weitere konjunkturelle Entwicklung. Im Gegenteil, die Zukunft wird schwer kalkulierbar. Sie führt zu noch mehr Unsicherheiten für die Unternehmen. Das ist das größte Investitionshemmnis, erklär - te jüngst Sparkassen-Präsident Helmut Schleweis, der im Übrigen völlig zu Recht die immer stärkere Vermischung von Geld- und Fiskalpolitik bemängelt.

Ökologisch bedenklich

Hinzu kommt: Niedrige Zinsen halten auch jene Unternehmen am Leben, die eigentlich dringend umstrukturieren müssten, um weiterhin erfolgreich zu sein. Null- und Negativzinsen wirken insofern tendenziell strukturkonservierend. Innovationsimpulse bleiben aus, weil sich der Betrieb auch in der aktuellen Verfassung dank billiger Kredite über Wasser halten kann. Funktionierende Wettbewerbswirtschaft sieht anders aus. Dieser fatale Effekt ist nicht nur bei Unternehmen, sondern gleichermaßen bei hochverschuldeten Staaten zu beobachten. Können sich die Länder faktisch zum Nulltarif verschulden und haben sie die Gewissheit, dass im Fall der Fälle die EZB wieder mit ihren umstrittenen Anleihenaufkäufen bereitsteht, erlahmt die Entschlossenheit, dringend notwendige, aber bei der Bevölkerung in der Regel unpopuläre Strukturreformen vorzunehmen.

Unternehmerische Investitionen nur der Null- und Niedrigzinsen willen wären ökologisch bedenklich. Es bestünde die Gefahr einer Ressourcenverschwendung. Wenn der Preis des Geldes in Form der Zinsen sehr gering oder gleich null ist, darf nicht die Umwelt diesen Preis zahlen. Was heißt das konkret? Investitionsentscheidungen müssen in Zeiten einer zunehmenden gesellschaftlichen Sensibilität für die Klimaveränderung nicht zu rein quantitativem, sondern zu qualitativem Wachstum führen. Ansonsten sorgte die EZB mit ihrer Zinspolitik auch im direkten Wortsinn für schlechtes Klima.

Doch auch in die andere Richtung ist eine Argumentation möglich: Die Niedrig- und Nullzinsen könnten auch Chancen für Umwelt und Klima bieten. Denn wann, wenn nicht jetzt bietet sich gerade auch für KMU die Gelegenheit, die gesparten Zinsen in ökologisch sinnvolle Projekte zu investieren. Mittelständische Unternehmen sind nicht nur sehr innovativ, sondern überdies auch in der Lage, Innovationen schnell umzusetzen. Neben den bestehen den Fördermaßnahmen des Bundes, wie zum Beispiel KMU innovativ: Ressourceneffizienz und Klimaschutz bietet die Niedrigzinsphase die Möglichkeit, in umweltgerechte und nachhaltige Modernisierungsprozesse zu investieren. Dies wäre ein Investionsschub in Richtung von wünschenswertem qualitativen Wachstum. Zudem wäre es nicht zuletzt eine Art Präventivmaßnahme der Unternehmen, um späteren regulatorischen Vorgaben des Staates nicht aktionistisch folgen zu müssen.

Kollateralnutzen Klimaschutz

Die Wirtschaft muss eine eigene klimapolitische Agenda entwickeln mit selbstgesteckten Zielen für noch mehr Umweltschutz, sagte unlängst der Präsident des Hessischen Industrie- und Handelskammertages, Eberhard Flammer.3) Dabei dürften die anderen Nachhaltigkeitsziele, wie Beschäftigung und hinreichender Wohlstand der Gesellschaft, nicht aus dem Blick geraten. Die Niedrigzinspolitik kann dazu beitragen, mithilfe von entsprechenden Investitionsimpulsen beide Ziele zu erreichen. Ob daraus ein Automatismus entsteht (niedrige Zinsen gleich mehr Investitionen in die Umwelt) ist eher unwahrscheinlich. Ganz klar: Orientierung und strikte Vorgaben durch die Politik sind notwendig. Bislang wurde vor allem über die Kollateralschäden der EZB-Zinspolitik diskutiert. Wenn es gelingt, mehr unternehmerisches Geld in die Umwelt und den Klimaschutz zu leiten, dann gäbe es auch einen Kollateralnutzen.

Fußnoten

1) BÖZ vom 17. September 2019

2) https://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/mittelstand-6-gruende-warum-unternehmen-investitionen-scheuen-a-1076679.html

3) Ohne Wirtschaft kein Klimaschutz, FAZ vom 24. September 2019

Bertram Theilacker Mitglied des Vorstands, Nassauische Sparkasse, Wiesbaden
Bertram Theilacker , Mitglied des Vorstands , Nassauische Sparkasse (Naspa), Wiesbaden
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