Treiber der Digitalisierung im Bankensektor: Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle

Prof. Dr. Jörn Littkemann, Foto: Hardy Welsch

Die Dynamik des technologischen Fortschritts und das Internet erfordern von Banken eine zunehmend höhere Anpassungsfähigkeit, um konkurrenzfähig zu bleiben. Die externen Einflüsse sind vielfältig und führen zu einer Zeitenwende im Bankensektor, denn viele etablierte Strategien und Mechanismen funktionieren heute nicht mehr. Wichtig ist, dass die klassischen Institute ihre Marktposition analysieren und daran anknüpfend ihre Geschäftsmodelle digitaler und vor allem kundenzentrischer ausrichten, so die Autoren. Hierfür werde allerdings sowohl der Wille als auch der Mut zur Veränderung benötigt, den nicht alle Häuser aufbringen würden. Daher könnten manche Institute den digitalen Wandel nicht überstehen. Zudem könnten Banken künftig ihre Position im Wettbewerb an große US-Unternehmen verlieren, die sich bereits im Zahlungsverkehr etabliert haben und auf keinerlei Kooperationen mit den Häusern angewiesen sind. (Red.)

Als eines der häufig diskutierten Themen führt derzeit kein Weg an der Digitalisierung vorbei. Von Banken erfordert die hiermit verbundene Dynamik der Geschäftsprozessentwicklung eine zunehmend höhere Anpassungsfähigkeit, um konkurrenzfähig zu bleiben. Ohnehin ist das Markt- und Wettbewerbsumfeld für Banken aus zahlreichen Gründen schwieriger geworden. Die anhaltende Niedrigzinsphase und die hohe Preistransparenz verringern die Kapitalrenditen und Gewinnmargen der Bankgeschäfte.

Steigende regulatorische Anforderungen begrenzen zudem einerseits die Erlösquellen und erhöhen andererseits die Ausgaben, zum Beispiel für Risikomanagement und Datenschutz. Derweil sind Kunden immer besser informiert und haben eine höhere Erwartungshaltung an Bankleistungen. Das versuchen neue Wettbewerber für sich zu nutzen. Sie betreten mit kundenzentrierten, innovativen Geschäftsmodellen den Markt und üben zusätzlichen Druck auf die Banken aus.

Zunehmend höhere Anpassungsfähigkeit notwendig

Für die kommenden Jahre werden eine Kundenzentrierung der Produkte und Prozesse sowie erweiterte Interaktionsmöglichkeiten durch Zugriffe über externe Plattformen und Marktplätze erwartet. Die drei wesentlichen Treiber des Veränderungsprozesses im Bankensektor sind insbesondere das sich wandelnde Kundenverhalten, die stetige Zunahme an neuen, innovativen Wettbewerbern und die sich verändernden IT-Systeme. Ziel des Beitrages ist es daher, diese Treiber der Digitalisierung in Banken systematisch aufzuzeigen und die sich weiter entwickelnde Digitalisierung der Geschäftsmodelle zu erörtern. Abbildung 1 fasst den Aufbau der sich anschließenden Analyse kurz zusammen.

Abbildung 1: Auswirkungen der Digitalisierung Quelle: J. Littkemann, J. Matern, T. Klein

Mittlerweile verwenden über 92 Prozent der 10- bis 64-jährigen Deutschen täglich oder fast täglich das Internet. Einkauf, Kommunikation, Unterhaltung, Informationsbeschaffung, Weiterbildung und vieles mehr wird heutzutage oftmals online erledigt. Hierbei können die Kunden sofort Preise, Qualität und Kundenbewertungen der Alternativen vergleichen. Portale wie Check24, Verivox und Idealo unterstützen sie dabei. Für Banken führt die Preistransparenz zum Verlust des Informationsmonopols und zu einem Übergang der Verhandlungsmacht auf den Kunden.

Verändertes Kundenverhalten

Abseits der Produkte konkurrieren Anbieter auch bezüglich Service und Einkaufserlebnis und haben die Messlatte in den vergangenen Jahren immer höher gesetzt. Diese Entwicklung hat die Erwartungshaltung der Kunden stark geprägt. Kunden sind heutzutage anspruchsvoll, gut informiert und vernetzt, verlangen schnellen, ortsunabhängigen Service sowie individuelle Leistungen mit hohem persönlichem Nutzen.

Banking wollen sie zunehmend auch digital erleben, am liebsten über alle Kanäle, mit 24/7-Erreichbarkeit und möglichst ohne Kosten.

Während die Erwartungshaltungen steigen, sinkt allerdings die Loyalität der Kunden. Ein wichtiges Erfolgsrezept von Banken waren die oft langjährigen Vertrauensverhältnisse verbunden mit einer hohen Beratungsqualität. Jedoch fühlen sich Kunden heute weniger an die eigene Hausbank gebunden. Durch den rückläufigen persönlichen Kontakt können Kunden die Leistungsunterschiede einer Bank oft nur über den Preis ausmachen. In Kombination mit der hohen Transparenz am Markt führt dies zu einem immensen Druck auf die Gewinnmargen der Bankgeschäfte.

Affinität zum Internet

Folglich müssen Banken künftig intelligente und personalisierte Dienstleistungen anbieten, um sich abseits des Preises vom Wettbewerb abzugrenzen. Des Weiteren muss die Kundenbeziehung zunehmend medial aufgebaut werden. Daher sollten alle Banken neben der Digitalisierung der Kundenprozesse auch an ihrem digitalen Auftritt arbeiten. Der Einsatz sozialer Medien kann Banken dabei umfangreich unterstützen. Dort veröffentlichte Meinungen und Bewertungen der Kunden helfen den Banken, ihre Kunden besser zu verstehen und dadurch die Leistungsqualität zu steigern.

Im Jahr 2020 waren bereits über 20 Prozent der Deutschen ab 14 Jahren Kunde einer Direktbank. Für weitere fast 18 Prozent kommt eine Direktbank grundsätzlich infrage. Aufgrund ihrer Affinität zum Internet haben Direktbanken zwar einen Vorsprung in der Digitalisierung, doch zumindest bezüglich der Zugangswege haben Filialbanken mittlerweile aufgeholt.

Neue Wettbewerber

Während die etablierten Banken mit dem aktuellen Marktumfeld zu kämpfen haben, entwickeln sogenannte Fintechs - frei von alten Lasten, starren Strukturen und hohen Fixkosten - neue, kundenzentrierte Angebote. Sie identifizieren Ineffizienzen bei Prozessen klassischer Banken und besetzen diese Teile der Wertschöpfungskette mit digitalen und innovativen Diensten. Damit schaffen sie Kunden punktuell einen höheren Nutzen. Sie heben die Merkmale der Einfachheit, Geschwindigkeit, Flexibilität und Transparenz hervor und versuchen damit Bankkunden abzuwerben oder spezifische Kundengruppen mit einem zielgerichteten Versprechen zu überzeugen.

Die hohe Verbreitung des Internets und die schlanken Geschäftsmodelle der Fintechs sorgen zudem für geringe Markteintrittsbarrieren. Meist werden optisch ansprechende Apps angeboten, die auf einfache Nutzbarkeit und ein kundenzentriertes Design ausgelegt sind. Die eng fokussierte Aktivität und geringe Mitarbeiterzahl verhelfen Fintechs zu einer besonders schnellen Anpassungsfähigkeit. Sie dürfen außerdem prinzipiell ohne Banklizenz arbeiten und sind dadurch deutlich weniger Regulierungen unterworfen.

Ziel vieler Fintechs war (und ist) es, die Welt der Banken zu revolutionieren und diese als Finanzintermediäre obsolet zu machen. Da Banken jedoch dank ihrer Bekanntheit und dem höheren Vertrauen in Geldangelegenheiten weiter in der Gunst der Kunden blieben, haben viele Fintechs ihre Geschäftsmodelle angepasst und zielen nun auf die Zusammenarbeit mit Banken ab.

Blockchain als Wettbewerbstreiber

Das größere Risiko sehen Banken jedoch mittlerweile in den großen US-Technologieunternehmen wie Google, Apple, Facebook und Amazon. Aber auch chinesische Konzerne drängen in den europäischen Markt. Sie alle haben bereits hunderte Millionen Kunden, weitreichende Schnittstellen zu den Kunden, eine enorme Datenbasis sowie hohe finanzielle und technologische Kapazitäten. Die Technologieunternehmen sind daher nicht auf die Kooperation mit Banken angewiesen und werden künftig versuchen, sich als alternative Finanzdienstleister zu positionieren.

Mit ihren Bezahldiensten haben sie sich bereits jetzt am Markt etabliert. Diese ermöglichen eine einfache Abwicklung von Zahlungen im stationären beziehungsweise Onlinehandel. Dass es sich nicht um einen Nischenmarkt handelt, zeigt die Nutzerzahl in Deutschland. Im Jahr 2020 lag sie bereits bei 7,4 Millionen und für die nächsten fünf Jahre wird ein starkes Wachstum auf 20,6 Millionen erwartet.

Ein weiterer Wettbewerbstreiber ist die Blockchain. Unter einer Blockchain versteht man vereinfacht gesagt eine öffentliche, dezentral geführte Datenbank. Jeder Teilnehmer der Blockchain besitzt dabei eine vollständige Kopie dieser Datenbank. Neu generierte Daten werden von allen Teilnehmern verifiziert und synchronisiert. Es entsteht ein gemeinsames, öffentliches Register von Transaktionen, bei der die Verlagerung der Kontrolle auf das gesamte Netzwerk Manipulationen verhindern soll. Als Beispiele sind Bitcoins und Kryptowährungen zu nennen, die in Echtzeit zu minimalen oder keinen Transaktionskosten übertragen werden. Insbesondere transaktionsintensive Branchen, wozu Banken mit ihrem Zahlungsverkehr fraglos zählen, sind durch Blockchains voraussichtlich großen Veränderungen ausgesetzt. Die Besonderheit ist hier, dass kein Intermediär mehr notwendig ist, sondern Transfers von Nutzer zu Nutzer möglich sind.

Erneuerungsbedarf

Die Digitalisierung der Bankprozesse verlangt nach einem modernen IT-System, das vor allem leistungsstark, flexibel und sicher ist. In der Praxis steht dieser Anforderung oft eine veraltete, heterogene und von vielen Schnittstellen und Inkompatibilitäten charakterisierte IT entgegen.

Um künftig automatisierte Prozesse, effiziente Datenauswertungen und Sourcing zu ermöglichen, ist dies jedoch mit erheblichen Kosten und operativen Risiken verbunden. Und so erkennen Banken zwar den unter Umständen notwendigen Erneuerungsbedarf, ziehen aber oft kurzfristige und günstigere Maßnahmen zur Optimierung der Altsysteme den eigentlich sinnvollen, strategischen Investitionen in die Modernisierung der IT vor, obwohl dabei langfristig die Flexibilität und Wettbewerbsfähigkeit des Geschäftsmodells gefährdet werden. Folglich konzentrieren sich aktuelle IT-Maßnahmen der Banken vorrangig auf das Frontend, also die Schnittstellen zum Kunden, insbesondere das Mobile und Omnikanal-Banking.

Moderne IT-Systeme notwendig

IT-Dienstleister haben die rasante Entwicklung der Rechenleistung, Speicherkapazität und Internetgeschwindigkeit als Geschäftsmodell erkannt und bieten ihre Ressourcen als Netzdienste (Cloud Services) an, damit Unternehmen und Privatpersonen nicht fortwährend in neue Hard- und/oder Software investieren müssen, sondern flexibel und je nach Bedarf benötigte Leistungen von einem Anbieter nutzen können. Die angebotenen Dienstleistungen umfassen Infrastruktur, Arbeitsplattformen und Software.

Um den Problemen ihrer IT-Infrastrukturen zu begegnen und schnellen Änderungen des Markts gerecht zu werden, werden Banken sich zunehmend mit Auslagerungen und "make or buy"-Entscheidungen befassen und sich in Kooperationen vernetzen müssen. Der Grad der Auslagerung ist dabei sehr variabel. Im Kreditbereich könnte zum Beispiel ein Partnerunternehmen die Leistungsprozesse Antragsprüfung, Kapitalüberlassung, Kontoführung und Risikoübernahme erfüllen, während der Vertriebsprozess mit Beratung, Angebotserstellung und Abschluss bei der Bank verbleibt.

Abbildung 2: Kreditabschluss im Omnikanal-Banking Quelle: J. Littkemann, J. Matern, Thomas Klein

Wichtige Basis dafür, dass solche Vorhaben umgesetzt werden können, sind offene, modulare und sichere IT-Systeme. Nur wenn die IT einen problemlosen Übergang von Prozessen zwischen beteiligten Kooperationspartnern gestattet, ist eine unabhängige Entscheidung über Cloud-Services und Outsourcing möglich. Kürzlich wurde die Einführung gewisser Schnittstellen durch die EU-Initiative Payment Services Directive 2 (PSD2) forciert. Banken müssen nun auf Kundenwunsch anderen Plattformen den Zugriff interner Kunden- und Kontodaten ermöglichen, wodurch sie die exklusive Macht über diese wichtigen Daten verlieren.

Die aufgezeigten Treiber der Digitalisierung führen durch Nutzung moderner IT zu einer Weiterentwicklung beziehungsweise Veränderung der Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsprozesse mit dem Ziel der Effizienzsteigerung. Banken waren bis zum Auftreten der Fintechs wenig von disruptiven Neuerungen beeinflusst. Doch im Zusammenspiel mit dem anhaltenden Druck auf Margen, erhöhter Regulierung und weiteren Auswirkungen der Digitalisierung drängt die neue Konkurrenz Banken dazu, sich auf Kernkompetenzen zu fokussieren und ihre Wertschöpfungskette auszudünnen. Bisher haben sie oft die gesamte Wertschöpfungskette in Form von Beratung, Produktentwicklung und Transaktionsausführung in Eigenleistung gleichzeitig abgedeckt. Dass Universalbanken unter den neuen Rahmenbedingungen noch eine Gesamtbanksteuerung umsetzen können, die allen Anforderungen gerecht wird, ist unwahrscheinlich. Banken versuchen zunehmend, sich auf einzelne Teile der Wertschöpfung zu spezialisieren. Am Markt können dafür unterschiedliche Herangehensweisen beobachtet werden.

Kundenzentrierung als Leitgedanke

Für digitale Geschäftsmodelle gilt grundsätzlich der Leitgedanke der Kundenzentrierung. Dass die Ausrichtung der Geschäftsprozesse kundenzentriert erfolgen sollte, untermauern die Erkenntnisse zur Veränderung des Kundenverhaltens und dem Erfolg von Fintechs. Das bedeutet, dass nicht der Prozessablauf innerhalb der Organisation bestimmt, wie ein Kundenprozess verläuft, sondern andersherum. Der Bank muss es gelingen, an jedem Berührungspunkt mit dem Kunden ein positives Erlebnis zu schaffen, sodass der Kunde seinen Nutzen sieht und überzeugt ist, bei der "richtigen" Bank zu sein.

Ein erfolgreiches Geschäftsmodell lässt sich demnach nur entwickeln, wenn man die Kundenbedürfnisse versteht, daher steht der Kunde im Mittelpunkt jeder digitalen Transformation. Dennoch dürfen die Sicherung der Ertragskraft und Optimierung der Kostenstruktur nicht aus den Augen verloren werden. Zwei strategische Grundpositionierungen, in denen Banken unterschiedliche Schwerpunkte für die Zukunft setzen, sind nachfolgend beschrieben.

Bei dieser Positionierung geht es darum, die Schnittstelle zum Kunden zu besetzen und zum ganzheitlichen Problemlöser zu werden. Dazu setzt die Bank alles auf den Vertrieb, öffnet sich für andere Anbieter banknaher sowie bankfremder Dienstleistungen und gliedert deren Produkte mit in das eigene Portfolio ein. Bei den hauseigenen Angeboten fokussiert sich die Bank auf ihre Kernkompetenzen, andere Dienstleistungen werden zugekauft oder vermittelt. Bei der Antragsstrecke zu einem Autokredit kann ein Kunde beispielsweise eine geeignete KFZ-Versicherung auswählen oder bekommt bei einem Modernisierungskredit Angebote zu Haussicherheitstechnik.

So nutzt ein Kunde die Bank als Einkaufsort für Produkte und Dienstleistungen aus vielen Bereichen, die mit dem ursprünglichen Wunsch in Verbindung stehen. Große Vorteile ergeben sich für Banken mit hoher Bekanntheit und vielen existierenden Kundenbeziehungen. Sie können auf diesem Kundenstamm aufbauen, die Beziehungen halten und mit der intelligenten Verknüpfung neuer Dienstleistungen intensivieren. Ein Risiko besteht insoweit, als Kunden durch die enge Integration des Angebots bei eventuellen negativen Erfahrungen mit einem Drittanbieter diese als negative Erfahrung mit der Bank gleichstellen. Die N26 Bank ist ein Beispiel für die Umsetzung der Plattform-Strategie. Neben der Integration von externen Bezahldiensten können Kunden mit der N26 App auf Festgeldangebote von Partnerbanken zugreifen und ihr persönliches Versicherungsportfolio, welches über einen kooperierenden Versicherungsmakler angebunden ist, verwalten.

Schwieriges Marktumfeld

Die zweite Strategie richtet die Aktivitäten der Bank auf die Erreichung einer möglichst hohen Effizienz der Geschäftsprozesse aus. Anstatt ein umfassendes Sortiment anzubieten, spezialisiert die Bank ihr Portfolio und will mit ihren Produkten als Preisführer durch besonders gute Konditionen hervorstechen. Dafür ist eine hohe Präsenz auf Online-Vergleichsportalen, die die Schnittstelle zum Kunden bereits besetzt haben, schon seit Jahren von großer Bedeutung. Das Streben der Banken nach guten Positionierungen führt zu einem intensiven Wettbewerb, woraus für Kunden günstige Preise bei gleichzeitig hoher Qualität der Produkte resultieren.

Diese strategische Positionierung bietet sich für Banken, die über keine große Vertriebsstruktur verfügen oder sich bereits in der Vergangenheit auf einzelne Produkte spezialisiert haben, besonders an. Doch je einfacher und selbstverständlicher die Transaktionen über externe Kanäle werden, desto mehr besteht für Banken die Gefahr, dass sie "zum reinen Kontoführer und Zahlungsabwickler im Hintergrund des digitalen Kundenerlebnisses degradiert" werden.

Verdrängung der Filiale

Für einen abschließenden Gesamtüberblick stellt sich die Frage, welche Rolle zukünftig die Filialen einnehmen und welche Bedeutung die Etablierung des Omnikanal-Bankings einnehmen wird.

Das schwierige Marktumfeld beeinflusst schon lange die Entwicklung der Bankfilialen. In den letzten 20 Jahren hat sich die Gesamtzahl der Institute um fast 46 Prozent verringert. Die Zahl der Bankfilialen mit Personal in Deutschland sank im Jahr 2019 auf 26 667, das Filialnetz hat sich von 58 546 seitdem mehr als halbiert Die Prognose für 2025 lautet, dass etwa 19 500 Filialen bestehen bleiben, doch die Corona-Krise beschleunigt den Trend. Es wird erwartet, dass als Folge der Pandemie zusätzlich 3 500 Filialen schließen werden.

Gemäß einer aktuellen Umfrage ist aber für 67 Prozent der Bankkunden eine persönliche Beratung für komplexere Produkte eher wichtig oder sogar sehr wichtig. Ihr wird damit die gleiche Bedeutung wie den digitalen Angeboten der Bank zugeschrieben. Daran hat sich auch durch Corona kaum etwas geändert.

Verschmelzung physischer und digitaler Welt

Die Filiale kann also trotz hoher Kosten und geringerer Relevanz als Vertriebskanal weiterhin ein Erfolgsfaktor für Banken sein. Nicht zuletzt sichern Banken mit ihren Niederlassungen auch die Marken- und Marktpräsenz. Dass der kosteneffiziente Betrieb eines Filialnetzes möglich ist, zeigt die Targobank. Mit einer Cost Income Ratio (CIR) von 52,8 Prozent liegt sie im Jahr 2019 nur knapp über der erfolgreichen Direktbank ING (48,4 Prozent) und deutlich unter dem Durchschnitt der Banken.

Es können nicht alle Institute und schon gar nicht alle Filialen den digitalen Wandel überstehen. Die strategische Frage ist aber nicht, ob Bankfilialen notwendig sind, sondern wie viele und welche Rolle sie spielen sollen. Erlebnisfiliale, Beratungscenter, Automatenfiliale oder mit anderen Instituten geteilte Filialen sind denkbare Optionen. Das Konzept einer Erlebnisfiliale wird seit 2005 von der Deutschen Bank getestet. In Berlin-Mitte wurde eine große, ansprechende Filiale errichtet, die durch einfache Beratungs- und Serviceprozesse, moderne technologische Ausstattung, bankfremde Angebote, ein integriertes Café, Veranstaltungen und weiteren Besonderheiten hervortrat. Seit der Weiterentwicklung zum Quartier Zukunft im Jahr 2016 setzt die Bank zusätzlich auf Coachings, Workshops, Co-Working-Spaces für Jungunternehmer und testet vor Ort neue Bankinnovationen.

Für die Banken ist es heute unerlässlich, dass sie ihren Kunden einen fließenden Wechsel zwischen den Kanälen ermöglicht, wenn sie den Anforderungen an ein digitales Banking gerecht werden wollen. Das Omnikanal-Banking setzt an diesem Punkt an und verfolgt das Ziel, dass alle Zugriffskanäle des Kunden nahtlos ineinander übergehen und aufeinander abgestimmt sind. Dazu muss der Ablauf der Prozesse kanalunabhängig gestaltet sein, damit einzelne Prozessschritte aus Kundensicht beliebig kombinierbar sind (siehe Abbildung 2). Bei Produktabschlüssen, die früher vollständig vom Berater begleitet wurden, verschmelzen heute oft digitale und physische Welt.

Damit der Kunde die Bank als eine Einheit wahrnimmt, sollten Ansprachen, Informationen, Produkte, Service und Preise konsistent gestaltet sein. Durch die Corona-Krise erhöht sich aktuell der Druck auf Banken, ihre Omnikanal-Konzepte zu verbessern, um trotz Filialschließungen vertriebliche Erfolge und Kundennähe zu sichern.

Marktposition kritisch analysieren

Banken versuchen aktuell die richtigen Antworten auf ein verändertes Kundenverhalten und die neuen Wettbewerber am Markt zu finden, werden dabei jedoch von veralteten Systemen und starren Strukturen gebremst. Es fehlt außerdem oft am Willen und Mut zu Veränderungen. Um künftig weiter wettbewerbsfähig zu sein, müssen Banken jetzt umfassende Anpassungen der IT-Systeme und Geschäftsmodelle durchsetzen. Schnelle und modulare Systeme sind dabei die Basis, um die Wertschöpfungskette situativ durch Einbindung externer Produkte anzupassen.

So kann auf neue Entwicklungen des Umfelds agil reagiert werden. Um die digitale Transformation des eigenen Geschäftsmodells fortzusetzen, sollte die Marktposition kritisch analysiert werden, um zu entscheiden, ob die strategische Ausrichtung angepasst oder sogar neu festgelegt werden muss. Besonders von Fintechs können Ideen für eigene Digitalisierungsmaßnahmen abgeleitet werden. Außerdem können Akquisitionen oder Kooperationen maßgeblich dazu beitragen, dass Banken die Herausforderungen des digitalen Zeitalters meistern und kundenzentrierter arbeiten.

Fußnoten

1) Weissman, A./Wegerer, S. (2019): Unternehmen 4.0: Wie Digitalisierung Unternehmen & Management verändert, in: Erner, M. (Hrsg.), Management 4.0 - Unternehmensführung im digitalen Zeitalter, Wiesbaden, S. 43-76.

2) Strietzel, M./Steger, S./Bremen, T. (2018): Digitale Transformation im Banking - ein Überblick, in: Brühl, V./Dorschel, J. (Hrsg.), Praxishandbuch Digital Banking, Wiesbaden, S. 13-29.

3) Alt, R./Puschmann, T. (2016): Digitalisierung der Finanzindustrie, Berlin/Heidelberg.

4) Maisch, B./Palacios Valdés, C. (2018): Kundenzentrierte digitale Geschäftsmodelle, in: Fend, L./Hofmann, J. (Hrsg.), Digitalisierung in Industrie-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen, Wiesbaden, S. 29-51.

5) Bathija, A./Kümpel, T. (2019): Digitalisierung im Bankensektor - Notwendigkeit von neuen kundenzentrierten Geschäftsmodellen, in: Kümpel, T./ Schlenkrich, K./Heupel, T. (Hrsg.), Controlling & Innovation 2019, Wiesbaden, S. 200-216.

6) Siehe Fußnote 1.

7) Pommerening, C. (2020): New Leadership im Finanzsektor, Wiesbaden.

8) Siehe Fußnote 5.

9) Koller, H. (2018): Business Model Innovation - die neue Herausforderung, in: Krause, S./Pellens, B. (Hrsg.), Betriebswirtschaftliche Implikationen der digitalen Transformation, Wiesbaden, S. 169-192.

10) Smolinski, R./Bodek, M. (2017): Start-up Garage als kollaborative Innovationsschmiede, in: Schallmo, D./Rusnjak, A./Anzengruber, J./Werani, T./Jünger, M. (Hrsg.), Digitale Transformation von Geschäftsmodellen, Wiesbaden, S. 521-545.

11) Siehe Fußnote 7.

12) Siehe Fußnote 2.

13) Korschinowski, S./Forster, M./Reulecke, L. (2018): Blockchain - wie Banken die Technologie aus Prozess- und Produkt-Sicht nutzen können, in: Brühl, V./Dorschel, J. (Hrsg.), Praxishandbuch Digital Banking, Wiesbaden, S. 278-290.

14) Siehe Fußnote 3.

15) Siehe Fußnote 2.

16) Siehe Fußnote 3.

17) Siehe Fußnote 2.

18) Siehe Fußnote 13.

19) Siehe Fußnote 5.

20) Siehe Fußnote 2.

21) Siehe Fußnote 1.

22) Siehe Fußnote 4.

23) Siehe Fußnote 2.

24) Siehe Fußnote 2.

25) Siehe Fußnote 10.

26) Boos, E./Sudahl, M. (2020): Die Corona-Krise beschleunigt das Filialsterben, in: bank und markt, Jg. 49, Band 9, S. 397.

27) Mesch, S./Jonietz, C./Peters, A. (2018): Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung in Banken und Sparkassen, in: Fend, L./Hofmann, J. (Hrsg.), Digitalisierung in Industrie-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen, Wiesbaden, S. 367-382.

28) Siehe Fußnote 27.

29) Siehe Fußnote 3.

30) Siehe Fußnote 27.

31) Siehe Fußnote 1.

Prof. Dr. Jörn Littkemann , Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Unternehmensrechnung und Controlling , FernUniversität in Hagen
Thomas Klein , Anlageberater, Targobank AG, Bremen
Janina Matern , Wissenschaftliche Mitarbeiterin (M.Sc.), Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, FernUniversität in Hagen

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