Zukunft der EU-Finanzarchitektur: Vergemeinschaftung kein Allheilmittel

Albert Füracker, Foto: BayStMFH

Mit seinem entschlossenen Handeln hat der ehemalige EZB-Präsident Mario Draghi zwar die Finanzmärkte beruhigt. Jedoch kritisiert der Bayerische Finanzminister, dass die EZB trotz des anhaltenden wirtschaftlichen Erfolgs noch nicht die Umkehr in der Geldpolitik eingeleitet hat. Füracker sieht durch die Nebenwirkungen der andauernd ultraexpansiven Maßnahmen Gefahren für die Finanzstabilität aufziehen. Als wichtige Säulen für ein stabiles Finanzsystem sieht er die Kapitalmarkt- und Bankenunion. Doch nicht nur für die Stabilität ist die Integration der beiden Märkte wichtig, sondern sie biete auch die Chance, mehr Kapital für Investitionen aus dem Ausland anzuziehen. Allerdings weist der Autor darauf hin, dass es bis zur Vollendung der Kapitalmarkt- und Bankenunion ein weiter Weg sei. Kritik übt der Bayerische Finanzminister auch an dem geplanten Einlagensicherungssystem EDIS. Er sieht viele gute Sachargumente gegen die Einlagensicherung und befürchtet eine Schwächung Europas durch blinde Vereinheitlichung. (Red.)

Die internationale Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise und die darauffolgende Staatsschuldenkrise im Euroraum haben bis heute deutlich wahrnehmbare Spuren hinterlassen. Zwar wächst die Wirtschaft im gemeinsamen Währungsraum seit über sechs Jahren ununterbrochen und die Arbeitslosenraten haben sich inzwischen wieder dem Niveau vor der Lehman-Pleite angenähert. Aber einiges wird noch viele Jahre an die verheerenden Auswirkungen der Krisenjahre erinnern: Beispielsweise die hohen öffentlichen Schuldenstände vieler Mitgliedsstaaten oder die rekordverdächtig niedrigen und teils sogar negativen Zinsen - ganz zu schweigen vom enormen Umfang der Bilanz der Europäischen Zentralbank (EZB).

Im Oktober 2019 ist die achtjährige Amtszeit von Mario Draghi als Präsident der EZB zu Ende gegangen. Sein entschlossenes Handeln in der Eurokrise und seine "Whatever-it-takes-Rede", mit der er 2012 die Finanzmärkte nachhaltig beruhigte, werden ebenso in Erinnerung bleiben wie die Absenkung der Leitzinsen bis unter die Nulllinie oder groß angelegte Anleihekaufprogramme. Was als geldpolitische Antwort auf die Krise geboten gewesen sein mag, hat bislang trotz der anhaltenden wirtschaftlichen Erholung der Eurostaaten kein Ende gefunden. Auch unter der neuen EZB-Präsidentin Christine Lagarde ist nicht mit einer zügigen Normalisierung der Geldpolitik zu rechnen. Dabei wäre es dringend an der Zeit, die Wende einzuläuten und zumindest die "Notfallmaßnahmen" Negativzins und Anleihekäufe zu beenden. Sie sollten aufgrund ihrer zahlreichen Nebenwirkungen in einer Marktwirtschaft nie zur Normalität werden. Denn langfristig drohen Probleme bei der Finanzstabilität, wenn risikoarme Anlagemöglichkeiten überhaupt keine Rendite mehr bieten. Auch die Bankenlandschaft läuft bei nicht endenden Null- und Negativzinsen Gefahr, dauerhaften Schaden zu nehmen - ebenso wie die private Altersvorsorge.

Der Weg ist weit

Die europäische und die nationale Politik ist daher gefordert, die Hausaufgaben, die die Krise uns aufgegeben hat, zu erledigen. Wenn die Voraussetzungen stimmen, wird es der Zentralbank leichter fallen, sich aus ihrer dominanten Rolle zurückzuziehen. Tatsächlich haben die EU und ihre Mitgliedsstaaten in der Zwischenzeit eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um solche Katastrophen in Zukunft zu vermeiden und insbesondere das europäische Finanzsystem stabiler aufzustellen.

Wichtige Säulen bilden dabei die Kapitalmarkt- und die Bankenunion. Analog zum weitgehend vollendeten gemeinsamen europäischen Gütermarkt soll auch der europäische Finanzmarkt ohne spürbare Grenzen und Unterschiede in der gesamten Union funktionieren. Neben einer stabileren Finanzarchitektur verspricht die Aussicht auf eine reibungslose Nutzung eines Binnenmarktes dieser Größe große Effizienzgewinne für den europäischen Finanzsektor. Ein gut aufgestelltes Finanzsystem wiederum wirkt wie Schmierstoff für die Realwirtschaft.

Davon können alle Mitgliedsstaaten profitieren, gerade auch Deutschland mit seiner starken, exportorientierten Wirtschaftsstruktur. Zudem würde der bislang fragmentierte europäische Finanzmarkt durch einheitliche Regeln deutlich attraktiver für das Ausland werden und könnte so mehr der vielerorts so dringend benötigten Investitionen anziehen.

Bis dorthin liegt aber ein weiter Weg vor uns und der Prozess der Vertiefung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion ist noch immer in vollem Gange. Keine Sitzung der Eurogruppe oder des Rates der EU vergeht, in der nicht über einzelne Bausteine diskutiert würde. Das gestaltet sich mitunter zäh. Bei genauem Hinsehen ist das aber nur verständlich, denn eine Harmonisierung verlangt meistens Nehmen und Geben. Dennoch müssen wir es als Europa schaffen, auch den gemeinsamen Finanzbinnenmarkt zeitnah und vor allem in sinnvoller Art und Weise aufzustellen. Gerade Letzteres erfordert aber Umsicht und Weitblick. Leider ist bei Weitem nicht jede Idee, die diskutiert wird, geeignet, die Währungsunion auf lange Sicht stabiler zu machen.

So ist neben den bereits etablierten einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) und Abwicklungsmechanismus (SRM) bereits seit Jahren ein europäisches Einlagensicherungssystem (EDIS) als mögliche dritte Säule der Bankenunion in der Diskussion. Sie soll einen stärkeren und einheitlicheren Versicherungsschutz für sämtliche private Einleger in der Bankenunion bieten. Das klingt zwar auf den ersten Blick gut, dieser Eindruck hält der genaueren Betrachtung aber nicht stand. Der Vorschlag passt schlicht nicht zur aktuellen Realität des europäischen Finanzsektors.

Stärken kombinieren und zur Geltung bringen

Aus deutscher Sicht fehlt beispielsweise eine brauchbare Idee, wie dieses neue System mit den eigenen Institutssicherungssystemen der Genossenschaftsbanken und Sparkassen in Einklang gebracht werden könnte. Diese bieten bereits ein Sicherungsniveau, das weit über das einer reinen Einlagensicherung hinausgeht. Weder die Absenkung dieses hohen Schutzniveaus noch eine mögliche Doppelbelastung deutscher Institute durch Beiträge zu zwei Systemen - von denen eines noch dazu nicht benötigt wird - oder gar einen Haftungsausgleich untereinander kann man hier als ernstgemeinte Lösung akzeptieren. Europas Stärke ist seine Vielfalt, auch im Bankenbereich. So ist die französische Bankenlandschaft beispielsweise stärker durch wenige große Privatbanken geprägt als die deutsche. Ziel muss es sein, die Stärken zu kombinieren und optimal zur Geltung zu bringen.

Blinde Vereinheitlichung ohne Rücksicht auf nationale Besonderheiten und bewährte Strukturen dagegen beraubt einzelne Mitgliedsstaaten ihrer Stärken und schwächt damit ganz Europa.

Notleidende Kredite müssen abgebaut werden

Die gemeinsame Einlagensicherung hat weitere gute Sachargumente gegen sich stehen: In den Bilanzen der europäischen Banken schlummern - trotz der in höchstem Maße anerkennenswerten Fortschritte der letzten Jahre - noch immer dreistellige Milliardenbeträge an notleidenden Krediten. Das Problem in Bezug auf die Einlagensicherung ist hier vor allem deren äußerst ungleiche Verteilung. Der Anteil fauler Kredite am gesamten Kreditvolumen liegt beispielsweise in Deutschland oder Luxemburg erheblich niedriger als in Griechenland oder Italien. Eine gemeinsame Einlagensicherung ist im Prinzip eine Versicherung gegen Risiken des Bankensektors - aber kein Versicherungsunternehmen der Welt würde freiwillig bekannte Altlasten in diesem Umfang versichern.

Trotz der jüngsten Erfolge beim Abbau ist eine nachhaltige und flächendeckende Lösung für das Problem der notleidenden Kredite daher zwingende Voraussetzung dafür, dass über eine europäische Einlagensicherung überhaupt nachgedacht werden kann. Andernfalls stünde zu befürchten, dass stabile und leistungsfähige Bankensysteme für instabile Systeme haften müssten. Auch der nach wie vor hohe Bestand an Staatsanleihen ihrer Sitzländer in den Bilanzen der europäischen Banken birgt im Zusammenhang mit einer einheitlichen Einlagensicherung Gefahren. Denn eine europäische Versicherung von Bankeinlagen ist in dieser Konstellation gleichbedeutend mit einer gemeinsamen Haftung für fiskalische Risiken. Die eingefahrenen Gegenpositionen zwischen bedingungsloser Risikoteilung und kompletten Verzicht auf Vergemeinschaftung bei der Einlagensicherung führten zu jahrelangem Stillstand in den Verhandlungen.

Debatte um Einlagensicherung wiederbelebt

Der Bundesfinanzminister hat die Debatte mit einem neuen Vorschlag jüngst wiederbelebt. Trotz der bekannten wie gravierenden Bedenken zeigte er sich zumindest offen für die zeitnahe Einführung eines europäischen Rückversicherungssystems. Viele haben in der darauffolgenden öffentlichen Diskussion übersehen, dass er diesen Vorstoß mit einer Reihe von überaus sinnvollen Bedingungen verknüpft hat. Zu nennen wären hier zum Beispiel die eben angeführten Themen: die Verringerung der Risiken in den europäischen Bankbilanzen sowie der Übergang zu einer risikoadäquaten Behandlung von Staatsanleihen in der Regulierung.

Gerade letzterer Schritt hätte elementare Bedeutung für das Durchbrechen des sogenannten Staaten-Banken-Nexus, der sich schon in der vergangenen Krise so verheerend ausgewirkt hat und weiter fortbesteht. Aber auch die Nennung des Erreichens der nationalen Zielausstattungen der europäischen Einlagensicherungsrichtlinie als Zielsetzung ist zweifellos zu begrüßen. Letztlich würde eine solide und verlässliche Umsetzung dieser Richtlinie in allen Mitgliedstaaten eine gemeinsame Einlagensicherung wohl sogar weitgehend überflüssig machen.

Den Weg in die Transferunion vermeiden

Dennoch offenbaren die öffentlichen Reaktionen überdeutlich das Problem des Scholz'schen Vorgehens: Einerseits wurde die bisher geschlossene ablehnende Haltung Deutschlands durch diesen nicht abgestimmten Vorschlag aufgegeben und die deutsche Verhandlungsposition erheblich geschwächt. Andererseits wurde nur ein deutsches Angebot gesehen und breit diskutiert, in die Einlagensicherung einsteigen zu wollen. Die genannten Bedingungen fielen dabei weitgehend unter den Tisch.

Genau das ist auch für den - bekanntermaßen harten - Verhandlungsprozess in Brüssel zu erwarten. Es steht zu befürchten, dass Deutschland zwar am Ende Teil einer Einlagensicherung ist (als derjenige, der das größte Haftungsrisiko trägt), in Bezug auf die dafür nicht weniger wichtigen Voraussetzungen aber nur mit wachsweichen Willensbekundungen für die Zukunft dasteht.

Als überzeugter Europäer kann man dieses Szenario nicht wollen. Es führt in eine Transferunion und diese ist nicht dazu geeignet, das Vertrauen in die europäischen Institutionen zu stärken und die Menschen für die europäische Idee zu begeistern. Denn Vergemeinschaftung ist kein Allheilmittel. Die Bürgerinnen und Bürger lassen sich stattdessen nur von den Vorteilen der Europäischen Union überzeugen, wenn jedes Mitglied seine individuellen Stärken zur Geltung bringt und niemand den anderen dauerhaft alimentieren muss.

Albert Füracker MdL, Bayerischer Staatsminister der Finanzen und für Heimat, München
Albert Füracker , MdL, Bayerischer Staatsminister der Finanzen und für Heimat, München
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