Die Zukunft des genossenschaftlichen Versicherungsvertriebs

Dr. Norbert Rollinger Foto: R+V/ Werneke

Wie überall in der Bankenbranche steht die digitale Transformation auch bei der R+V Versicherung ganz oben auf der Agenda. 2017 wurde zu diesem Zweck ihr Transformationsprogramm "Wachstum durch Wandel" gestartet. Der Autor stellt dabei die Vernetzung digitaler und persönlicher Angebote in den Fokus. Ziel ist die Entwicklung einer zukunftsfähigen Multikanal-Strategie. Beispiele dafür sind eine Scan-App, mit der die Krankenversicherungskunden ihre Belege und Rechnungen einreichen können oder das Portal "Meine R+V", über welches die Kunden ihre Verträge verwalten, die Bearbeitung ihrer Schadensmeldung verfolgen und weitere digitale Dienste nutzen können. Für die Zukunft sieht der Autor in der Digitalisierung vielfältige Möglichkeiten zum weiteren Ausbau der Vertriebspartnerschaft mit den Volks- und Raiffeisenbanken und die Chance viele bisher ungenutzte Potenziale zu heben. (Red.)

Die Digitalisierung verändert die Welt und damit auch die Finanzbranche grundlegend. Neue Technologien und Ideen brechen herkömmliche Geschäftsbeziehungen und Strukturen auf. Disruption ist das Schlagwort, das die digitale Transformation allenthalben begleitet. Dieser Veränderung kann und will sich die Genossenschaftliche Finanzgruppe und damit auch die R+V Versicherung nicht entziehen. Die digitale Transformation steht ganz oben auf der Agenda.

Was hat sich für die Versicherungswirtschaft konkret verändert? Innovative Insurtech-Start-ups treten als neue Wettbewerber in den Markt ein und setzen etablierte Unternehmen mit grundlegend neuen Geschäftsmodellen unter Druck. Der technologische Wandel weckt aufseiten der Kunden neue Ansprüche und Erwartungen. Die Anforderungen durch Regulierungsvorschriften steigen kontinuierlich an. Außerdem verlangen auch die dauerhaft niedrigen Zinsen und eine älter werdende Gesellschaft nach neuen Lösungen. Kurz: Das Marktumfeld ändert sich gravierend. Wenn die Genossenschaftliche Finanzgruppe nicht selbst ihr Geschäftsmodell weiterentwickelt, sorgen ganz sicher andere für Disruption.

Wachstum durch Wandel

Um das erfolgreiches Geschäftsmodell nachhaltig zu stärken, hat die R+V Versicherung 2017 ihr Transformationsprogramm "Wachstum durch Wandel" gestartet. Damit sollen sich bis 2022 - dem Jahr des 100. Geburtstags - die Beitragseinnahmen von heute 15 Milliarden Euro auf 20 Milliarden Euro erhöhen. Außerdem ist das Ziel ausgegeben, zu den Top 3 der deutschen Erstversicherer in der Kundenbegeisterung aufzusteigen.

Die R+V Versicherung ist in der privilegierten Lage, ihre Transformation aus einer Position der Stärke heraus selbst zu gestalten. Denn:

- Sie gehört seit Jahren zu den führenden, wachstums- und finanzstärksten Versicherern Deutschlands.

- Sie ist fester Bestandteil der Genossenschaftlichen Finanzgruppe und mit den Volks- und Raiffeisenbanken durch eine traditionell sehr enge, erfolgreiche und stabile Partnerschaft verbunden.

- Sie ist nicht börsennotiert und daher auch nicht getrieben, für ihre Aktionäre kurzfristige Gewinne zu erwirtschaften. Nachhaltiges und ertragsreiches Wachstum stehen im Fokus.

Aufgrund dieser starken Position sieht die Gesellschaft in ihrem Wandel - anders als bei manchem Wettbewerber - kein verstecktes Kostenspar- und Stellenabbauprogramm. Stattdessen treibt sie konsequent die Digitalisierung des Unternehmens voran und rückt den Kunden in den Mittelpunkt der Aktivitäten. Dafür werden sogar noch Mitarbeiter eingestellt. Die starke, genossenschaftlich geprägte Unternehmenskultur wird dabei ebenso weiterentwickelt wie der erfolgreiche Vertrieb.

Im Zentrum des Transformationsprogramms steht der Kunde. Dazu wurde ein eigener Bereich geschaffen, der organisatorisch direkt beim Vorsitzenden angesiedelt ist. Dieser soll die Stimme des Kunden systematisch ins gesamte Unternehmen tragen. Das Ziel: Die Kunden sollen mit den Angeboten künftig noch mehr begeistert werden. Ob das gelingt, wird regelmäßig an verschiedenen Kundenkontaktpunkten mit dem sogenannten Net Promoter Score gemessen. Dieser liefert wichtige Erkenntnisse darüber, was der Kunde will und wo noch Verbesserungsbedarf besteht.

Kundenbegeisterung als Chefsache

Die R+V hat mehr als acht Millionen Privat- und Firmenkunden, die deutlich anspruchsvoller geworden sind. Sie erwarten heute einen Topservice in Bezug auf Produkte und Services - online wie offline. Gemeinsam mit den Vertriebspartnern vernetzt die R+V daher die digitalen und persönlichen Angebote und entwickelt eine zukunftsfähige Multikanalstrategie. Prozesse und Abläufe werden digitalisiert und das Angebot an Online ab schlussstrecken kontinuierlich durch abgespeckte onlineoptimierte Produkte erweitert.

Es wurden Apps entwickelt wie die Scan-App, mit der die Krankenversicherungskunden ganz einfach ihre Belege und Rechnungen einreichen können. Das kommt bei den Kunden hervorragend an und wird intensiv genutzt. Über das Portal "Meine R+V" können die Kunden zudem ihre Verträge verwalten, die Bearbeitung ihrer Schadensmeldung verfolgen und viele weitere digitale Dienste nutzen.

Eigene Portale mit individualisierten Services stehen beispielsweise auch den Firmenkunden in der Kreditversicherung und in der betrieblichen Altersversorgung zur Verfügung.

Mit dem exklusiven Versicherungsvertrieb über die Volks- und Raiffeisenbanken ist die R+V Versicherung die Nr. 1 im deutschen Bankenvertrieb. Auf ihren Vertrieb wirkt sich jedoch unmittelbar aus, dass sich die Bankenlandschaft seit Jahren massiv verändert: Banken oder Filialen fusionieren oder werden geschlossen. Heute gibt es in Deutschland noch rund 900 Volksbanken und Raiffeisenbanken mit 11 000 Filialen. Seit 2014 wurden allein 2 000 Filialen geschlossen. Der Trend hält weiter an.

Stärken der Vertriebspartnerschaft in der digitalen Welt nutzen

Doch die Gesellschaft hat sich darauf eingestellt: Zum einen wurden zum Jahresbeginn 2018 die Vertriebsstrukturen und -prozesse konsequent an die veränderte Bankenlandschaft angepasst. Ganz wichtig ist dabei, dass die R+V bundesweit weiter präsent bleibt, sie will überall dort persönlich erreichbar sein, wo Vertriebspartner und Kunden sie brauchen. Dafür wurde auch die Videoberatung etabliert, die sich als sehr erfolgreiche Ergänzung zur persönlichen Beratung erweist - eine Win-win-Lösung für Vertrieb und Kunden.

Zum anderen bietet die Digitalisierung vielfältige Möglichkeiten zum weiteren Ausbau der besonderen Vertriebspartnerschaft mit den Volks- und Raiffeisenbanken. Viele bisher ungenutzte Potenziale lassen sich noch heben. 30 Millionen Kunden, die die Genossenschaftliche Finanzgruppe zusammen hat, haben einen enormen Bedarf an Finanzdienstleistungen. Deshalb sind unsere strategischen Ziele der Versicherung perfekt abgestimmt mit den Inhalten des zentralen Strategieprojekts "KundenFokus" der Genossenschaftlichen Finanzgruppe.

Die Volks- und Raiffeisenbanken nehmen für das Thema Digitalisierung 500 Millionen Euro in die Hand, die R+V als Versicherer investiert jedes Jahr um die 100 Millionen Euro in die digitale Transformation. Kern der Weiterentwicklung der exklusiven Vertriebspartnerschaft ist Digital Bancassurance, der Schlüssel dazu das Onlinebanking. Man kann den genossenschaftlichen Finanzverbund getrost als eine große Plattform begreifen. Deren Möglichkeiten müssen nun noch weiter ausschöpft werden.

Onlinebanking als Schlüssel für den Versicherungsvertrieb von morgen

Um den in Deutschland einzigartigen Allfinanzverbund fit zu machen für die digitale Zukunft, spielt das Onlinebanking eine entscheidende Rolle. Denn damit verfügen die Banken über eine Kundenschnittstelle, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einem der größten Kontaktpools zwischen Kunden und Banken angewachsen ist. Für Digital Bancassurance ist Onlinebanking daher die logische Basis.

Denn: 50 bis 60 Prozent der Mitglieder der Volks- und Raiffeisenbanken nutzen es bereits. Bankkunden sind tagtäglich auf der Homepage ihrer Bank für unterschiedlichste Transaktionen und Services. Die Seite ihres Versicherers nutzen sie kaum. Der einfache Grund: Für Kunden sind Versicherungen zwar so notwendig wie Strom oder Trinkwasser. Aber kaum einer kümmert sich gerne darum. Doch die R+V hat als enger Partner in der Genossenschaftlichen Finanzgruppe eine smarte Lösung dafür: Anders als die meisten Konkurrenten kann sie ihre Versicherungsangebote direkt in den Onlineauftritt der Banken integrieren. Anfänge sind bereits gemacht.

Doch die Möglichkeiten der Digitalisierung gehen noch weiter. Aus dem Onlinebanking lassen sich mithilfe von Data Analytics viele wertvolle Informationen ablesen. Zum Beispiel ob der Kunde in den Beruf startet, eine eigene Wohnung bezieht oder auf Reisen geht. Stimmt er der Auswertung seiner Zahlungsströme zu, können ihm für jede Lebenssituation passgenaue Angebote unterbreitet werden - sei es zur Absicherung, Altersvorsorge, Kapitalanlage oder zur Hausfinanzierung.

Auf Basis dieses Angebots kann der Kunde wählen: Einfache Produkte will er vielleicht gleich online abschließen, bei anderen möchte er sich lieber noch beraten lassen - via Videotelefonie oder im Rahmen eines persönlichen Beratungsgesprächs. Er kann auch einen Rückrufwunsch äußern oder weiteres Informationsmaterial anfordern. All diese Optionen will die Genossenschaftliche Finanzgruppe ihm bieten.

Die Möglichkeit, das Onlinebanking als zentralen Zugangsweg zum Kunden zu nutzen, um seinen Gesamtbedarf an Finanzdienstleistungen darüber zu decken ist ein gewaltiger USP der Gruppe, der nicht nur allen Beteiligten nützt, sondern auch ein enormes Geschäftspotenzial bietet.

Wichtig ist, dass die digitalen Angebote eine notwendige und wichtige Ergänzung im Vertrieb sind. Keineswegs werden sie den Berater ersetzen. So wie Bankkunden heute schon viele einfache Geschäfte wie Überweisungen im Selfservice erledigen, ist bei komplexeren Finanzierungsgeschäften nach wie vor die persönliche Beratung gefragt. Das gilt ebenso für Versicherungen. Kunden haben zu ihren Beratern häufig ein langjähriges Vertrauensverhältnis und eine hohe Loyalität. Bei allen Bemühungen, Vergleichsplattformen im Versicherungsbereich zu etablieren, dominiert die persönliche Beratung mit einem Anteil von 80 bis 90 Prozent im Vertrieb nach wie vor. Die Kombination aus Onlinerecherche und persönlicher Beratung "Research online - Purchase offline" steht bei vielen Kunden immer noch hoch im Kurs.

Persönliche Beratung weiter wichtig

Daher muss erfolgreiche Digital Bancassurance auch Möglichkeiten für die digitale und persönliche Beratung bieten. Zu digitalen Lösungen zählen auch Selbstberatungstools, Robo Advice oder Chatbots. Deren Möglichkeiten sind aber heute noch begrenzt und ersetzen nicht die persönliche Beziehung des Kunden zum Berater. Bei aller Euphorie über die Möglichkeiten und Chancen der Digitalisierung ist klar: Maschinen können nicht empathisch sein. Die Chance, den Kunden durch eine gute und umfassende Beratung mit weiteren Produkten zu versorgen und zu binden, ist in der persönlichen Interaktion mit dem menschlichen Berater nach wie vor am höchsten.

Die Herausforderungen liegen also darin, persönliche Beratung und digitale Angebote für den Kunden perfekt aufeinander abzustimmen. Erst dann funktioniert eine Omnikanal-Beratung tatsächlich. Zum Beispiel müssen online durch den Kunden gestartete Tarifberechnungen nahtlos zusammen mit einem Berater fortgesetzt werden können. Das stellt jedoch hohe Anforderungen an die Prozesse und die Datentransparenz. Hier ist noch viel zu tun. Die Chancen aber sind gewaltig. 2018 wird das Raiffeisenjahr gefeiert, der 200. Geburtstag von Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Er ist einer der Väter des Genossenschaftsgedankens, der aktueller denn je ist. Heute sind knapp 23 Millionen Deutsche Mitglied einer Genossenschaft. In unterschiedlichsten Lebensbereichen haben Genossenschaften eine wichtige gesellschaftliche Funktion wie beispielsweise in der Landwirtschaft, im Wohnungsbau, der Energiewirtschaft oder im Bereich der öffentlichen Versorgung. Vor zwei Jahren hat die UNESCO die Genossenschaftsidee zum immateriellen Weltkulturerbe der Menschheit erklärt und damit noch stärker in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt und weiter beflügelt.

Das genossenschaftliche Plattformgeschäft als Zukunftsmodell

"Was einer allein nicht schafft, schaffen viele": Das Genossenschaftsprinzip ist über die Jahrhunderte zu einem Lösungsmodell für Aufgaben und Probleme geworden, die in einer Gemeinschaft leichter zu bewältigen sind als für den Einzelnen. Der Raiffeisengedanke steht für Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung. Solidarität, Gleichberechtigung und Freiwilligkeit sind dessen Kernwerte. Wenn sich heute Menschen zusammentun, um sich zum Beispiel Autos, Gärten oder Wohnungen zu teilen, heißt das Sharing Economy. Die Grundidee ist die gleiche.

Plattformen sind die moderne Ausprägung der Genossenschaftsidee, die sich in der digitalen Welt entwickelt haben. Ihnen gehöre die Zukunft, heißt es. Schon heute sind Plattformen wie Amazon, Airbnb, Uber und Co. Marktgiganten. Die Zukunft hat längst begonnen. Der Genossenschaftsgedanke ist also immer schon ein Plattformgedanke gewesen. Das heißt: Die Chancen für die Genossenschaftliche Finanzgruppe, durch Verzahnung der bewährten Stärken mit den neuen digitalen Vertriebsansätzen zu einem erfolgreichen Anbieter zu werden, der den Gesamtbedarf seiner Kunden an Finanzdienstleistungen abdeckt, sind groß. Die Herausforderungen aber auch. Jetzt ist Innovationskraft gefragt und der unbedingte Wille, die neuen Ideen zügig gemeinsam umzusetzen.

Dr. Norbert Rollinger Vorsitzender des Vorstands, R+V Versicherung AG, Wiesbaden
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Dr. Norbert Rollinger , Vorsitzender des Vorstands , R+V Versicherung AG, Wiesbaden
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