Redaktionsgespräch mit Iris Bethge-Krauß

"Das Förderangebot wird zukünftig noch stärker auf die nachhaltige Transformation ausgerichtet"

Iris Bethge-Krauß, Foto: VÖB (Dominik Butzmann)

Im Redaktionsgespräch mit der Hauptgeschäftsführerin des VÖB geht es zunächst - wie kann es auch anders sein - um die enormen Auswirkungen der Corona-Krise. Die Förderbanken mussten hier zur Höchstform auflaufen und Rekordsummen bei den Hilfen stemmen. "Die öffentlichen Banken können Krise" ist hier das nicht ungerechtfertigte Fazit von Bethge-Krauß. Sie warnt jedoch, dass die Krise noch nicht vorbei sei und auch noch lange nachwirken werde. Es sei damit zu rechnen, dass die noch anstehenden Insolvenzen auch in den Bilanzen der Kreditinstitute Spuren hinterlassen werden. Doch bald kommt das Gespräch schon auf das Thema, das schon vor Corona dominierte und es auch danach wieder tun wird: der nachhaltige Umbau der Wirtschaft. Bethge-Krauß ordnet dem Finanzsektor hierbei eine Schlüsselrolle zu. Sie mahnt jedoch, dass bei den nächsten Schritten das Augenmerk auch darauf liegen sollte, dass die Komplexität der Regulierung die kleineren Marktteilnehmer nicht überfordere. Zuletzt fordert sie eine gezielte wirtschafts-, umwelt- und fiskalpolitische Flankierung der Bemühungen des Finanzsektors. (Red.)

Frau Bethge-Krauß, die Corona-Pandemie beherrscht seit mehr als einem Jahr das politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben. Wie haben Sie dieses "Ausnahmejahr" erlebt?

Die vergangenen Monate waren für uns alle sehr intensiv. Die Corona-Krise hat Wirtschaft und Gesellschaft extrem herausgefordert. Im Privaten war ich sehr froh, dass ich mich auf meine Familie und Freunde verlassen kann, dass jeder für den anderen da ist. Beruflich haben wir im VÖB sehr zu schätzen gewusst, dass wir mit den öffentlichen Banken einen Top-Arbeitgeber haben. Viele Menschen kämpfen wegen der Krise um ihre Existenz, ihre Geschäfte haben seit Monaten geschlossen. Das ist eine sehr schwierige Situation, die wir persönlich nicht durchleben müssen. Umso mehr haben wir uns angestrengt, die öffentlichen Banken nach Kräften zu unterstützen, damit Zuschüsse und Fördermittel fließen können. Förderbanken und Landesbanken stehen seit Anbeginn dieser Pandemie den kleinen und großen Unternehmen zur Seite, erhalten so Arbeitsplätze, helfen damit den Familien und mildern die Auswirkungen dieser Krise massiv.

War erfolgreiche Verbandsarbeit unter den Bedingungen der Krise und oft "remote" überhaupt möglich?

Absolut. Wir waren von einem Tag auf den anderen zu 100 Prozent im "mobile office" arbeitsfähig. Es hatte sich bewährt, dass wir vor gut zwei Jahren die Technik auf flexibles Arbeiten umgestellt haben. Natürlich ist der persönliche Kontakt im Gespräch oder auf Veranstaltungen für die politische Interessenvertretung in Berlin und Brüssel ein wichtiger Erfolgsfaktor. Daher hoffe ich sehr, dass es mit den Impfungen nun schnell vorangeht, damit wir diese Termine wieder persönlich wahrnehmen können. Nach über einem Jahr der Pandemie ist eine Rückkehr zu normalen Verhältnissen wichtig, denn Menschen und Wirtschaft brauchen Perspektiven.

Wie konnte der Verband seine Mitglieder in der Krise unterstützen?

Als Verband waren und sind wir über den gemeinsamen Dialog Ratgeber und Wegbegleiter für Mitglieder, Politik und Aufsicht. Das ist immer unser Selbstverständnis. In der Krise lag der Fokus auf allen Fragen und Themen rund um die Corona-Hilfen. Wir kümmern uns zum Beispiel um das Beihilferecht auf EU-Ebene oder die Rahmenbedingungen für die Zuschüsse und Fördermittel. Außerdem unterstützen wir unsere Mitglieder mit Übersichten zu den konkreten Hilfsangeboten und Programmen, bei Rechts- und Verfahrensfragen und im Austausch mit der Politik. Wir waren gerade zu Beginn der Pandemie extrem gefordert und wie die Banken und Politik selbst quasi rund um die Uhr im Dienst.

In der Krise rückten die Förderbanken in den Fokus der Aufmerksamkeit. Können Sie schon Zahlen zu der Arbeit der Institute im vergangenen Jahr nennen?

Unsere Förderstatistik zeigt für das Jahr 2020 beeindruckende Zahlen. Es wird deutlich, was für eine Mammutaufgabe die Umsetzung der Corona-Förderprogramme war, die die Förderbanken sehr erfolgreich bewältigt haben. So haben die Förderbanken des Bundes und der Länder die deutsche Wirtschaft im Corona-Krisenjahr 2020 mit nicht rückzahlbaren Zuschüssen im Gesamtwert von 27,3 Milliarden Euro unterstützt - eine doppelt so hohe Summe wie 2019. Davon entfiel mit 15 Milliarden Euro mehr als die Hälfte auf die gewerbliche Förderung, mit knapp über 10 Milliarden Euro wurden Kommunen, die Landwirtschaft sowie der Wohnungs- und Städtebau gefördert. Gleichzeitig stieg das Volumen der Bürgschaften und Haftungsfreistellungen um das 47- Fache auf 34 Milliarden Euro an. Auch die Darlehenszusagen erhöhten sich im vergangenen Jahr um mehr als 30 Milliarden auf 92 Milliarden Euro. Die öffentlichen Banken können Krise.

Ist dieses Scheinwerferlicht, in das die Förderbanken mit ihren Programmen zur Krisenbewältigung getreten sind, eine gute Voraussetzung für erfolgreiche Lobbyarbeit?

Die Aktivitäten und Initiativen der öffentlichen Banken werden von der Realwirtschaft und der Politik immer schon geschätzt. Besonders positiv ist aber, dass viele Menschen, die vielleicht noch nie Kontakt zu Förderbanken hatten, von ihnen in der Krise sehr schnell konkrete Hilfe bekommen haben. Das war sehr gut für das Bild der Banken in der Öffentlichkeit. Sie sind Teil der Lösung. Manch einem Politiker ist so sicherlich noch einmal mehr bewusst geworden, weshalb wir Förderbanken und Landesbanken brauchen.

Was sind abgesehen von Corona derzeit die größten Herausforderungen für die Mitglieder des VÖB?

Die Krise ist leider noch nicht überstanden und wird lange nachwirken. Sie wird durch Kreditausfälle auch Spuren in den Bankbilanzen hinterlassen - das ist absehbar. Positiv ist inzwischen die solide Eigenkapitalausstattung der Banken. Sie können einiges verkraften. Doch die Politik sollte sehr genau überlegen, was sie den Banken an Regulierung, Bürokratie und zusätzlichen Eigenkapitalanforderungen zumutet. In der Krise hat es Erleichterungen gegeben, die nicht verfrüht zurückgenommen werden dürfen. Hinzu kommen weitere Herausforderungen, wie die Digitalisierung und die Transformation der Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit, die hohe Investitionen erfordern. Alles zusammen setzt die Ertragssituation der Kreditinstitute unter Druck.

Wie hat sich das ganze Thema Digitalisierung in den vergangenen Monaten bei den Mitgliedsbanken - insbesondere den Förderbanken - entwickelt?

Öffentliche Banken sind wichtige Akteure bei der Digitalisierung. Zum einen unterstützen die Förderbanken des Bundes und der Länder die digitale Transformation der deutschen Wirtschaft durch speziell ausgerichtete Förderprogramme. Der ERP-Digitalisierungs- und Innovationskredit der KfW, das IB.SH Innovationsdarlehen, "E-Business" zur Digitalisierung von Geschäftsprozessen der SAB sowie der DIGI-Zuschuss der WIBank sind hierfür eindrucksvolle Beispiele. Aber auch in den Banken selbst macht die Digitalisierung gewaltige Fortschritte. Viele Mitarbeiter arbeiten reibungslos mobil und die zügige Umsetzung der Hilfsprogramme hätte ohne einen hohen Digitalisierungsgrad der Prozesse gar nicht funktioniert.

Das Thema Nachhaltigkeit stand trotz Pandemie immer auf der Agenda der Politik. Welche Rolle kann die Finanzindustrie bei der Transformation der Wirtschaft spielen?

Ohne Zweifel hat der Finanzsektor hier eine Schlüsselrolle. Banken und Investoren können über ihre Kapitallenkungsfunktion Investitionsentscheidungen steuern. Kredite und andere Finanzierungsinstrumente sind daher ein wirksamer Hebel zur Gestaltung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Die öffentlichen Banken, die ihre Eigner bei der Umsetzung ihrer gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Ziele unterstützen, stehen hier im Fokus. Insbesondere die Förderbanken sind den gesellschaftspolitischen Zielen ihrer Träger in besonderer Weise verpflichtet und fördern primär in Geschäftsfeldern, in denen der Markt keine ausreichenden Lösungen bietet oder aber bestimmte Entwicklungen beschleunigt werden sollen.

Das Förderangebot wird daher zukünftig noch stärker auf die nachhaltige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft ausgerichtet sein. Damit übernehmen sie bei der Beschleunigung der Transformationsprozesse eine Schlüsselfunktion.

Wie stark wird das Thema die Tätigkeit des VÖB wie auch die Arbeit der Mitgliedsbanken in Zukunft berühren und verändern?

Die Transformation zu einer nachhaltigeren Wirtschaft ist ein - wenn nicht der - zentrale Trend. Vor dem Hintergrund der Klimakrise ist das auch richtig so. Daher treiben sowohl unsere Mitgliedsinstitute, aber auch wir das Thema aktiv voran und es lohnt, sich hier strategisch aufzustellen. Die Mitgliedsinstitute sehen die Pariser Klimaziele sowie die Sustainable Development Goals (SDGs) als wichtige Maßstäbe zur Ausrichtung ihrer Produkt- und Dienstleistungspalette. Gemeinsam wollen wir so die Weichen für eine starke, ökologisch nachhaltige deutsche Wirtschaft stellen.

Werden die Institute mit den an sie gestellten Anforderungen hinsichtlich der Transformation der Wirtschaft nicht ein Stück weit überfordert?

Die Anforderungen von Politik und Regulierer sind natürlich hoch. Sie haben massive Auswirkungen auf die Zukunftsfähigkeit von Geschäftsmodellen, sowohl in der Realwirtschaft als auch in der Finanzwirtschaft. Daher sind die rechtzeitige Auseinandersetzung mit der Thematik und die Entwicklung von Transformationsstrategien jetzt wichtig. Dies ist ein Kraftakt, aber ich habe keine Zweifel, dass unsere Mitgliedsinstitute diesen mit Unterstützung des VÖB bewältigen werden.

Wie schätzen Sie die Bemühungen der Europäischen Union und dabei insbesondere die Taxonomie ein?

Aus der EU-Taxonomie, als einheitliches Klassifizierungssystem für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten, ergeben sich große Chancen. Durch sie entsteht sukzessive mehr Transparenz und Vergleichbarkeit. Diese einheitliche Klassifizierung kann helfen, dass zukünftig die Kosten für die Bewertung grüner Projekte sinken.

Des Weiteren kann der Lebenszyklusansatz der Taxonomie dazu beitragen, auch die Wirtschaftlichkeit von Technologien und Prozessen mit langfristigem Lebenszyklus näher in den Blick zu nehmen. Doch die Taxonomie ist auch mit nicht zu unterschätzenden Herausforderungen verbunden. Ein wichtiger Punkt dabei ist ihre Komplexität und die Frage der Verfügbarkeit von ESG-Daten, insbesondere von kleinen und mittelständischen Unternehmen. Spannend wird die zukünftige und bislang nicht erfolgte systematische Klassifizierung sozialer Aspekte durch den europäischen Gesetzgeber. Als öffentliche Banken sprechen wir uns dafür aus, bei der Weiterentwicklung der Taxonomie die soziale Dimension von Nachhaltigkeit angemessen zu berücksichtigen. Die Integration sozialer Aspekte ist notwendig, sie muss aber unbedingt pragmatisch erfolgen.

Gibt es eigenes Engagement oder Initiativen des VÖB auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit?

Unser größter Hebel als Verband ist die Möglichkeit, die Rahmenbedingungen für die Transformation aktiv mitzugestalten und unsere Mitglieder bestmöglich in diesem Prozess zu begleiten. Aufgrund seiner europäischen Ausrichtung sowie der rechtzeitigen Berücksichtigung internationaler Entwicklungen kann der VÖB als Impulsgeber fungieren und geschäftspolitische Chancen aufzeigen. Wir bauen Expertise auf und sehen in unserer Multiplikatoren-Funktion eine Kernverantwortung. Diese wird flankiert durch einzelne konkrete Initiativen. Der Verband unterstützt die Prinzipien der Vereinten Nationen für ein verantwortungsbewusstes Bankgeschäft. Daneben haben wir gemeinsam mit fünf Mitgliedsinstituten eine neue Marke für grüne Schuldscheindarlehen entwickelt. Dieses Instrument dient ausschließlich der Finanzierung ökologischer Zwecke, wobei sich die Mittelverwendung an den Umweltzielen der EU-Taxonomie-Verordnung orientiert. Um die enorme Komplexität dieser Verordnung für Anwender zu reduzieren und die Anwendung bestmöglich zu automatisieren, haben wir zudem mit unserer Tochtergesellschaft VÖB-Service ein KI-basiertes Pilotprojekt initiiert.

Gemeinsam mit anderen Verbänden hat der VÖB sich zur Infrastruktur in Deutschland geäußert. Was möchten Sie erreichen?

Mit unserem gemeinsamen Impulspapier haben wir Überlegungen zu einer marktseitigen "Initiative Nachhaltige Infrastruktur Deutschland" aufgegriffen. Um die nationalen und europäischen Klimaschutzziele zu erreichen und um die Zukunftsfähigkeit Deutschlands als Gesellschafts- und Wirtschaftsstandort zu sichern, müssen umfangreiche Investitionen in die Infrastruktur, wie zum Beispiel den Umbau der Energiesysteme und Bildungseinrichtungen, der Digitalisierung sowie in das neue Mobilitätszeitalter, getätigt werden. Hier benötigt es weiter deutliche Anstrengungen. Vor allem der erhebliche Investitionsstau auf kommunaler Ebene ist zu beklagen.

Es gilt daher, standardisierte Umsetzungs- und Finanzierungsmodelle zu entwickeln, damit schnell größere öffentliche und private Investitionen für die Infrastrukturmodernisierung bereitgestellt werden. Es wird zudem darauf ankommen, die geförderten und finanzierten Infrastrukturprojekte nachhaltig auszurichten und die Projekte noch stärker an ihrem gesamten Lebenszyklus zu orientieren. Den Landes- und Förderbanken kommt in diesem Prozess vor allem wegen ihrer herausgestellten Rolle im Bereich der Kommunal-, Infrastruktur- sowie der Mittelstandsfinanzierung und Förderung eine zentrale Bedeutung zu.

Welche Wünsche haben Sie im Hinblick auf die nachhaltige Transformation an die neue Bundesregierung?

Die Politik hat sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene Anstrengungen unternommen, zukünftig nachhaltige Investitionen besonders zu fördern und am Markt zu etablieren. Dies unterstützen wir. In diesem Zusammenhang sprechen wir uns vor allem dafür aus, dass Nachhaltigkeitserwägungen im Rahmen von langfristigen Konjunkturprogrammen zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland gezielt aufgegriffen werden. Dies sollte unter anderem bei Maßnahmen zur Stärkung des Gesundheitswesens, bei der Forschung oder bei der Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen der Fall sein. Es sollte auch bei der Bereitstellung von verbesserter und klimafreundlicher Infrastruktur, der flächendeckenden Verbreitung digitaler Prozesse und Strukturen, der Stärkung der regionalen Unabhängigkeit und der Kreislaufwirtschaften Anwendung finden.

Gibt es Entwicklungen, die Sie mit Sorge betrachten? Führt der Weg nur über gezielte Finanzmarktregulierung oder sind weitere Maßnahmen notwendig?

Die Europäische Kommission hat mit ihrem Aktionsplan eine wichtige und umfassende Basis für die Regulierung der "Sustainable Finance" gelegt. Bei den nächsten Schritten ist vor allem darauf zu achten, dass die daraus abgeleiteten Maßnahmen auch generell und breit umsetzbar sind. Vor allem darf die Komplexität der Regulierung nicht für kleinere Marktteilnehmer eine unüberwindbare Hürde darstellen. Diese Entwicklung beobachten wir mit Sorge. Auch die Umsetzungsfristen müssen diese Komplexität widerspiegeln und angemessen ausgestaltet sein. Der Regulator sollte zudem gezielte Maßnahmen ergänzen, die marktinitiierte und -basierte Lösungen fördern. Beispiele sind hier grüne Finanzierungen oder nachhaltige Anlageprodukte. Für ein so immenses Vorhaben wie der nachhaltigen Transformation unserer Wirtschaft ist daher eine gezielte wirtschafts, umwelt und fiskalpolitische Flankierung notwendig. Dabei nimmt auch eine angemessene CO2-Bepreisung einen zentralen Stellenwert ein.

Iris Bethge-Krauß Hauptgeschäftsführerin, Bundesverband öffentlicher Banken Deutschlands, VÖB, e.V., Berlin
 
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