Corona-Lehren

Philipp Otto, Chefredakteur, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Vor gut einem Jahr änderte sich viel, fast alles. Deutschland stand auf einmal still. Am 22. März 2020 reagierte die Bundesregierung auf die steigenden Infektionszahlen, die ersten Toten im Zusammenhang mit Covid-19 in Deutschland und verkündete einen Lockdown. Wo am Anfang noch Neugier, Aufregung und Hoffnung herrschte, hat sich längst Ernüchterung breitgemacht. Zu agil ist das Virus, zu dilettantisch das Agieren der politisch Verantwortlichen, zu unvernünftig sind zu viele Menschen. Mehr als ein Jahr und mehrere Lockdowns später hat Covid-19 immer noch alles im Griff und beherrscht Politik und Gesellschaft, Staatsfinanzen und Wirtschaft, die öffentliche Diskussion und die Schlagzeilen. Doch so frustrierend und anstrengend die vergangenen Monate auch gewesen sein mögen, so gibt es doch einige interessante Erkenntnisse.

Erstens: So wertvoll und segensreich die föderale Vielfalt in Deutschland unbestritten ist, in Krisenzeiten, die immer wieder neue und vor allem schnelle Entscheidungen und deren Umsetzung erfordern, erweist sich diese Stütze der deutschen Demokratie als zu schwerfällig. Die Schulen sind nur ein Beispiel dafür: Mehr als ein Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie fehlt es immer noch an sinnvollen Krisen-Unterrichtskonzepten. Die Unübersichtlichkeit der Regelungen und die Vielzahl der virtuellen Unterrichtsprogramme überfordert Schüler und Eltern. Digitale Defizite sind ungelöst. Weder ist es bislang gelungen, die Schulen flächendeckend mit WLAN auszustatten, noch Lehrer und Schüler nach Bedarf mit Laptops zu unterstützen. Viel zu spät wird nun endlich über mehr Eingriffsmöglichkeiten des Bundes und bundeseinheitliche Regelungen in solchen Ausnahmezeiten gesprochen, die natürlich nicht zu einer neuerlichen Zentralverwaltung führen dürfen. Doch eine klare Perspektive und ein Ende der Vielstimmigkeit wären wichtig für das Vertrauen in die Politik.

Zweitens: Man mag den Eindruck gewinnen, Boris Johnson hätte alles richtig gemacht. Denn die EU-Politiker, die Großbritannien für den Brexit jahrelang kritisiert haben, werden nach nur wenigen Wochen britischer Unabhängigkeit von ihm vorgeführt. Das Vereinigte Königreich hat den Biontech-Impfstoff schneller zugelassen, früher mit dem Impfen begonnen und liegt bei der Zahl der Geimpften weit vor allen anderen EU-Ländern. Nein, der EU ist ihr taktieren mit verschiedenen Herstellern, den jeweils bestellten Mengen und den Preisverhandlungen nicht gut bekommen. Es ist müßig zu fragen, ob Deutschland allein besser dastehen würde? Aber die aktuelle Lage zeigt einmal mehr die Schwierigkeiten eines äußerst komplexen und heterogenen Europas, bei all den Vorzügen einer vereinten Staatengemeinschaft. Und das EU-Versagen ist sowohl für die Menschen wie auch die Wirtschaft gefährlich: Wird schneller geimpft, desto weniger Menschen erkranken, desto früher kann das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben wieder hochgefahren werden und umso schneller erholt sich die Wirtschaft.

Drittens: Die Wirtschaft fühlt sich zu Recht vernachlässigt. Deutschland ist ein Land der Unternehmer. Über 99 Prozent aller Unternehmen in Deutschland sind kleine und mittlere Betriebe. Der Mittelstand stellt mehr als die Hälfte aller Arbeitsplätze und erwirtschaftet dabei mehr als jeden zweiten Euro. Und doch werden die vielen so erfolgreichen Unternehmerinnen und Unternehmer kaum bis gar nicht in die Krisenbewältigungsüberlegungen des Bundes und der Länder eingebunden. Stattdessen wird über ihren Kopf hinweg, gestützt auf die sicherlich sehr wichtigen Forschungsergebnisse und Erfahrungswerte von Virologen, Medizinern und Gesundheitsexperten, immer wieder über ihre Zukunft entschieden. Gleichzeitig machen immer neue Auflagen und Vorgaben das unternehmerische Handeln immer schwieriger und komplexer. Dabei braucht es doch gerade in der Zeit des Wiederaufschwungs Menschen, die bereit und motiviert sind, Verantwortung und Risiko zu übernehmen.

Viertens: Die IT-Systeme der Banken und Sparkassen sind besser als ihr Ruf. Es ist gelungen, innerhalb kürzester Zeit Tausende von Mitarbeitern in das Homeoffice zu entsenden, digitale Beratungsformate zu entwickeln, den Filialvertrieb dank starker virtueller Unterstützung aufrechtzuerhalten und schlicht und einfach für die Kunden da zu sein. So schlecht kann das, was die Institute selbst, ihre Verbunddienstleister wie Finanz-IT und Fiducia oder die Dienstleister wie SAP da machen, also doch nicht sein. Kann man sich entspannt zurücklehnen? Natürlich nicht. Die Anforderungen bleiben hoch. Entsprechend muss weiter kräftig in die IT und die zugehörigen Spezialisten investiert werden. Verlieren die Filialen ihre Bedeutung? Ein Stück weit sicherlich schon, denn es hat sich gezeigt, dass es auch mit weniger Präsenz vor Ort geht. Das ist zudem ein wichtiger Einsparungsfaktor. Ganz ohne persönliche Kontakte wird Bankgeschäft aber auch in absehbarer Zeit noch nicht funktionieren. Denn diese sind es, die Vertrauen schaffen - in die Institution Bank oder Sparkasse.

Fünftens: Die deutschen Banken und Sparkassen können sich auf ihre äußerst stabilen Kundenbeziehungen verlassen. "Banking is necessary, banks are not!" Je mehr die digitale Evolution voranschreitet, desto mehr Wahrheit scheint dieser berühmte Ausspruch von Microsoft-Gründer Bill Gates aus den 90er-Jahren zu bekommen. Und doch hat sich auch in dieser Krise das altbekannte Muster offenbart: Wenn die Kanonen donnern, halten die Menschen an Bewährtem fest. Entsprechend durften sich die Banken und Sparkassen in den vergangenen Monaten einer innigen Zuneigung erfreuen, die ihnen teilweise "betriebswirtschaftlich die Luft zum Atmen nimmt", wie es Sparkassen-Präsident Helmut Schleweis vorsichtig ausdrückte. Denn die stetig wachsenden Passivüberhänge werden in Zeiten von Negativzinsen zu einem belastenden Faktor für die GuV. Entsprechend werden Verwahr entgelte bei den Banken und Sparkassen mehr und mehr zur neuen Normalität werden, genauso wie das kostenlose Konto mehr und mehr abgeschafft werden wird. Doch auch daran werden sich die Kunden gewöhnen.

Sechstens: Banken und Sparkassen gelingt es immer besser, Kundengelder in das Wertpapiersparen umzuleiten. Die Sparkassen verzeichneten 2020 mit 19,1 Milliarden Euro den höchsten Nettoabsatz bei Wertpapieren der vergangenen 20 Jahre. Die Anzahl der Depots stieg 2020 um insgesamt 238 000. Ähnlich sieht es bei den Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie den privaten Instituten aus. Das ist wichtig. Für die Banken, denn so gelingt es ein Stück weit, die Belastungen durch die enormen Einlagenzuflüsse abzumildern und gleichzeitig das provisionstragende Geschäft auszubauen. Aber auch für die Kunden, denn angesichts von Nullzinsen kann die Versorgungslücke im Alter ohne eine wachsende Wertpapierkultur nicht geschlossen werden.

Siebtens: Die Nachfrage nach Baufinanzierung bleibt auf enorm hohem Niveau. Das Neugeschäft der Banken und Sparkassen wuchs auf den Rekordwert von 273 Milliarden Euro, wie eine aktuelle Studie von PwC ermittelte. Das ist ein Plus gegenüber dem Vorjahr von zehn Milliarden Euro. Und zum Glück blieb davon auch einiges im Bestand hängen, der von 1,3 Billionen Euro auf knapp 1,4 Billionen Euro zulegte. Das entspricht im ersten Corona-Jahr einem Zuwachs um 6,6 Prozent, 2019 lag das Plus noch bei 5,7 Prozent. Auch das ist eine gute Nachricht für die Kreditwirtschaft, für die das Immobilienkreditgeschäft immer noch die größte Ertragssäule darstellt. Allerdings wird es mit zunehmender Dauer der Nullzinspolitik immer schwieriger werden, das Abschmelzen der Zinsüberschüsse durch Volumensteigerungen auszugleichen. Allein über die vergangenen fünf Jahre gingen laut Bundesbank im Schnitt 23 Prozent der Zinserträge verloren.

Krise ist bekanntermaßen immer Chance und Risiko zugleich. Die Banken und Sparkassen in Deutschland müssen sich weiter wandeln, müssen Prozesse optimieren, Geschäftsmodelle und Angebote überdenken und verschlanken, Kooperationen und Fusionen prüfen und die Arbeitsteilung vorantreiben. Doch auch Politik und Aufsicht müssen ihre Ansprüche an die Institute überdenken. Denn ohne Banken und Sparkassen geht es in der Bundesrepublik nicht. Über all das wird auf dem 22. Deutschen Bankentag, dem diese besondere Schwerpunktausgabe gewidmet ist, sicherlich gesprochen werden.

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Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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