Eigentlich ist vieles gut

Philipp Otto, Chefredakteur, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

"When the going gets tough, the tough get going", so heißt es im Englischen so schön. Man könnte es frei übersetzen mit: "In schweren Zeiten zeigen sich die Starken." Das gilt aktuell ganz besonders für die Kreditwirtschaft. Denn längst schon ist es zum geflügelten Wort geworden, dass die Kreditinstitute dieses Mal nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung sind. Und in der Tat haben die Banken und Sparkassen in der Bundesrepublik in den vergangenen Monaten überwiegend einen guten Job gemacht. Die Institute haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die von der Bundesregierung und den Förderinstituten umfangreichen Rettungspakete schnell und unkompliziert bei den Unternehmen und Selbstständigen ankamen.

Bis Ende April führten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der 377 Sparkassen in Deutschland allein mit gewerblichen Kunden Coronabedingt rund 1,4 Millionen Beratungsgespräche. Auf 20 bis 30 Prozent dieser Gespräche folgten Änderungen von Kreditlinien, die Aussetzung von Zins- beziehungsweise Tilgungsleistungen oder Anträge auf Förderdarlehen. Laut DSGV konnten 85 bis 90 Prozent der Kundenwünsche erfüllt werden. Allein im März dieses Jahres haben die Institute 17 Milliarden Euro an neuen Krediten an Unternehmen, Selbstständige und Privatpersonen vergeben. Das sind 22,3 Prozent mehr als im März 2019. 9,7 Milliarden Euro entfallen auf Unternehmen und Selbstständige und 6,9 Milliarden Euro auf Privatpersonen. Darüber hinaus wurden mit den Kunden per Ende April 270 000 Stundungen von Zins- und Tilgungsleistungen vereinbart.

Es ist sicherlich eine Folge der dezentralen und kleinteiligen Aufstellung des deutschen Bankwesens, dass es noch zu keinen Corona-bedingten größeren wirtschaftlichen Verwerfungen hierzulande kam. Das ist an sich nichts Neues, sondern hat sich auch in früheren Jahren immer wieder als stabilisierender Faktor erwiesen. Dennoch sind deutsche Bankenstrukturen nach wie vor im Ausland und vor allem in Brüssel besonders erklärungsbedürftig. Hoffentlich haben Partner und Standardsetzer nun endlich registriert, dass sie aber auch eine echte Berechtigung haben.

Gleichzeitig führt diese Aufstellung aber auch zum größten Problem der hiesigen Kreditwirtschaft: ihrer Ertragsschwäche. Der scharfe Wettbewerb hat neben den geldpolitischen Entscheidungen der EZB in den vergangenen Jahren maßgeblich dazu beigetragen, dass die Margen immer weniger auskömmlich wurden. Der Zinsüberschuss der Sparkassen sank nach Berechnungen der Deutschen Bundesbank von 2,4 Prozent der durchschnittlichen Bilanzsumme im Jahr 2003 über 2,25 Prozent 2009 auf 1,73 Prozent 2018, trotz des enormen Volumenwachstums gerade in den vergangenen Jahren. Im gleichen Zeitraum blieb der Provisionsüberschuss mit 0,53 Prozent der DBS 2003 über 0,55 Prozent 2009 und 0,63 Prozent 2018 im Wesentlichen nur stabil.

Dass der Jahresüberschuss vor Steuern heute mit 0,65 Prozent der DBS deutlich besser ausfällt als 2009 (0,44 Prozent) und auch 2003 (0,48 Prozent) ist zum einen der quasi kaum noch vorhandenen Risikovorsorge geschuldet, zum anderen den sicherlich unterschätzten und zu wenig gewürdigten Anstrengungen der Institute in den vergangenen Jahren zu verdanken. Zwischen 2009 und 2018 sank die Zahl der Mitarbeiter bei den Sparkassen um rund 40 000 Stellen auf 209 600. Im gleichen Zeitraum wurden knapp 4 000 Filialen geschlossen, sodass Ende 2018 noch rund 9500 Zweigstellen den Sparkassenkunden zur Verfügung standen. All das nahezu geräuschlos. Entsprechend sank der Verwaltungsaufwand innerhalb von zehn Jahren von 1,80 Prozent der DBS auf 1,65 Prozent Ende 2018. Und das trotz spürbar höherer Aufwendungen für die Erfüllung all der regulatorischen Anforderungen sowie der hohen Investitionen in den technologischen Wandel.

Eigentlich könnten die Verantwortlichen in den Instituten und Verbänden gerade im öffentlich-rechtlichen Sektor also doch ganz zufrieden sein. Mit Ausnahme der nach wie vor schwächelnden Nord-LB gibt es derzeit keinerlei erwähnenswerte Auffälligkeiten, was sicherlich auch die BaFin wohlwollend registriert, die mit anderen Teilen der deutschen Finanz- und Kreditwirtschaft deutlich stärker beschäftigt ist.

Doch davon ist wenig zu spüren. Im Gegenteil, das Sparkassenlager ist von einer wachsamen Geschäftigkeit geprägt. Und das zu Recht. Denn zu den bekannten Herausforderungen Niedrigzinsphase, Regulatorik und Digitalisierung kommen nun noch die Folgen der Corona-Krise hinzu. Laut Bundesagentur für Arbeit waren im Juni 2,853 Millionen Menschen arbeitslos, 40 000 mehr als im Mai und 637 000 mehr als vor einem Jahr. Hinzu kommen fast 7 Millionen Menschen in Deutschland, die sich im April in Kurzarbeit befinden. Das ist der höchste Wert von Kurzarbeitern, der bislang in der Bunderepublik erreicht wurde. Wie viele davon wieder in den Beruf zurückkehren werden oder die Arbeitslosenzahlen weiter nach oben treiben werden, ist derzeit noch völlig offen. Denn auch wenn die meisten Ökonomen mittlerweile erste Spuren der Erholung sehen und von einer zwar tiefen, aber auch kurzen Rezession ausgehen und die Insolvenzzahlen der vergangenen Monate vor allem dank der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht noch keine dramatische Entwicklung vorweisen, wird die Luft für viele Unternehmen dünner.

So sieht ein gutes Fünftel der deutschen Unternehmen einer Umfrage des ifo-Instituts zufolge sein Überleben durch die Corona-Krise gefährdet. 21 Prozent der befragten Firmen hätten die Beeinträchtigungen durch Corona im Juni als existenzbedrohend bezeichnet, heißt es dabei. Das betrifft vor allem die Dienstleister, von denen sich 27 Prozent als gefährdet eingestuft haben. Im Handel sind es 18 Prozent, in der Industrie 17 und auf dem Bau nur 2 Prozent.

Und auch wenn der Staat mit einer milliardenschweren Fülle an Zuwendungen, von Sofortmaßnahmen bis hin zur direkten Beteiligung seinen Willen zu helfen mehr als deutlich unterstrichen hat, wird diese Entwicklung nicht ohne Folgen bleiben und ihre Spuren auch in den Büchern der Banken und Sparkassen dieses Landes hinterlassen. Das ist für die überwiegende Mehrzahl der Institute verkraftbar. Schließlich wurde in den vergangenen üppigeren Jahren ordentlich thesauriert und Eigenkapital aufgebaut. Von diesen Puffern können die Institute nun gut zehren. Allerdings wird die ohnehin angespannte Ertragslage weiter belastet werden. Und da wo es tatsächlich ernst wird, wird wie gewohnt die Institutssicherung Schlimmeres verhindern. Auch wenn die EZB die Schlagkraft anzweifelt. Bisher hat es gereicht. Natürlich auch unter Beteiligung der öffentlichen Hand. Wer das anzweifelt und kritisiert, muss aber früher ansetzen und grundsätzlich über Sinn und Unsinn der Beteiligung der öffentlichen Hand an Unternehmen nachdenken und diese bitte schön abschaffen. Allerdings könnte das gerade im Moment etwas schwierig werden, denn dank Corona ist der Staat als Eigentümer wieder sehr gefragt.

Darüber hinaus bieten die aktuelle Situation und die künftige Entwicklung auch eine große Chance. Nämlich die, endlich befreiter über Dinge nachzudenken, die bislang ein Tabu waren. Die Schließung einer größeren Anzahl von Filialen ist bislang stets am Widerstand der Kunden und/oder Eigentümer gescheitert. Die vergangenen Monate aber haben gezeigt, dass es auch ohne eine stationäre Präsenz geht. Dazu ein stetig wachsender Anteil von Videokonferenzen mit Kunden und auch Gremienteilnehmern. Der persönliche Kontakt ist zwar schön, aber keineswegs immer erforderlich. Dann eine flexiblere Mitarbeiterführung durch Homeoffice und Ähnliches. Und schließlich das Thema Digitalisierung von Prozessen und Produkten. Auch dieses hat durch Corona einen echten Schub bekommen.

All das sind Dinge, die vor wenigen Monaten flächendeckend im deutschen Sparkassensektor sicherlich nicht vorstellbar gewesen wären. Heute helfen sie Kosten zu sparen, Prozesse zu optimieren und Zukunft zu sichern. Für die Institute, aber auch für deren Kunden. "Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist", sagte Henry Ford einmal. Hoffen wir, dass die Sparkassen bleiben, was sie sind und waren, auch in Zukunft. Ob mit oder ohne Spitzeninstitut!

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Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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