Führungsqualitäten

Philipp Otto, Chefredakteur, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Auf den ersten Blick klingt vieles so einfach. "Authentisch, durchsetzungsfähig, ehrlich, empathisch, fair, gewissenhaft, innovativ, kommunikativ, konfliktfähig, konstruktiv, kreativ, leistungsbereit, lernbereit, loyal, offen, optimistisch, selbstbewusst, sorgfältig, sozial, teamfähig, unternehmerisch, verantwortungsbewusst, widerstandsfähig, zuverlässig." So oder so ähnlich wünscht sich doch jeder von uns eine Führungspersönlichkeit.

Die gute Nachricht ist: Es gibt sie noch, die Männer und Frauen, die nach oben streben und bereit sind, Verantwortung für andere zu übernehmen. Vorstand zu werden, gilt zweifellos immer noch als ein höchst erstrebenswertes Berufs- respektive Karriereziel. Gleiches gilt für Präsidenten, Kanzler, Parteivorsitzende oder Trainer. Geld mag dabei eine Rolle spielen. Aber nicht nur. Denn natürlich sind auch Einfluss, Macht, Ansehen und die ganze Fürstlichkeit Machiavellis eine starke Antriebsfeder.

Forscher der Universität Zürich und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich wollten herausfinden, was Anführer ausmacht. Es wurden 40 Testpersonen vor die Wahl gestellt, selbst zu entscheiden oder die Entscheidung an eine Gruppe abzugeben. Bei jeder Entscheidung konnten sie Geld gewinnen oder verlieren - zunächst ging es nur um das eigene Geld, dann auch um das Geld der gesamten Gruppe. Wenig überraschend entschieden die meisten der Probanden dann selbst, wenn die beste Lösung eindeutig zu erkennen war, unabhängig davon, ob sie über ihr eigenes Geld oder das Geld der Gruppe bestimmten. Doch bei Entscheidungen unter Unsicherheit wurden die Unterschiede schnell deutlich. Während die einen, Menschen ohne besondere Führungskompetenz, zwar nach wie vor beim eigenen Geld relativ entschieden, die Entscheidung über das Geld der Gruppe aber stets abgaben, machte es für die Führungspersönlichkeiten dagegen keinen Unterschied, ob sie nur für sich oder die ganze Gruppe entschieden. Sie übernahmen die Verantwortung.

Dass es allerdings gefühlt immer weniger solcher geborenen Anführer gibt, mag daran liegen, dass der Preis für den Zuwachs an Geld und Macht und Einfluss immer nur weiter steigt. Weil der Zeitbedarf grenzenlos, der öffentliche Druck anstandslos, die persönliche Beschädigung beispiellos werden kann. Längst ist nicht mehr jeder bereit, die mit zunehmendem Einfluss und steigender Verantwortung auch stetig wachsenden Verpflichtungen zu erfüllen. Der Wunsch nach einer ausgewogenen Work-Life-Balance nimmt in einer Gesellschaft, die dank modernster Technik nahezu rund um die Uhr in Betrieb ist, stetig zu. Auch gehört der klassische Ansatz, einer - egal ob männlich oder weiblich - verdient das Geld, der andere - egal ob männlich oder weiblich - kümmert sich hauptsächlich um Haus und Hof und Familie, der Vergangenheit an. Es wird auch hier Arbeitsteilung vorausgesetzt. Und Spaß soll das alles bitte schön auch noch machen.

Anstrengend ist, was die Mediengesellschaft von heute von Anführern erwartet, und das längst nicht mehr nur von Politikern, sondern ebenso von "Menschen aus der Wirtschaft". Denn weil die ökonomischen Kenntnisse in diesem unserem Land immer noch eine zumindest unvollkommene Verbreitung besitzen, konzentriert sich das Interesse der breiten Öffentlichkeit zumeist auf die handelnden Personen. Daraus resultiert, dass der oder die Vorstandsvorsitzende, Aufsichtsratsvorsitzende oder Präsident jederzeit in der Lage sein muss, seine/ihre Hauptsache durch sich selbst zu repräsentieren. Der homo oeconomicus fortgeschrittener Karriere muss also so öffentlich vorzeigbar sein, dass man ihn als medienbewusst klassifizieren kann. Er/Sie muss zeitbedingt ansehnlich, angemessen modisch, verständlich erklärend und alleweil lächelnd auftreten können.

Denn zum einen soll der allgemeine Wunsch aller Medien, die mit O-Tönen und O-Bildern und der besten Schlagzeile um die kurzfristige Aufmerksamkeit ihres viel beschäftigten Publikums buhlen müssen, jederzeit erfüllt werden. Zum anderen zwingt die allgemeine Hinwendung der unternehmerischen Existenz zu Börse und Kapitalmarkt auch und gerade die Vorstände und ihre Sprecher mitten hinein in die Hektik der Märkte. Jede Tickermeldung beeinflusst heute den Tagespreis für Aktienkapital und Refinanzierung. Und diese Kette von Tagespreisen ist es schrecklicherweise dann, die am Stichtag den Erfolg oder Misserfolg der Bilanz entscheidend beeinflusst. Mehr vielleicht, als eine schöne, langfristige Unternehmensstrategie. Aber was ist mit den Inhalten: Wird die Fülle von vermeintlichen Schlagzeilen nicht immer dichter? Die Halbwertszeit der Fragen und Antworten immer kürzer? Und der Gehalt der Aussagen nicht immer geringer? Angesichts dieser Art des öffentlichen Interesses muss das zwangsläufig so sein. Denn jeder nur halbwegs geschulte Pressereferent oder Kommunikationsberater wird seinen Vorstand beziehungsweise Klienten doch tunlichst dazu raten, sich möglichst auf Allgemeinplätzen zu bewegen, allzu klare Aussagen zu diesem oder jenem zu vermeiden und möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Die Folge sind - leider - austauschbare Formulierungen, langweilige Plattitüden und unpersönlichere Auftritte.

Ein wirkliches Übel an dieser Stelle sind die sogenannten sozialen Medien. Während jede gestandene Präsidentin oder jeder gestandene Vorstandsvorsitzende sich unfairer Kritik oder falschen Argumenten von Angesicht zu Angesicht zu wehren weiß, bieten Twitter, Facebook und Co. viel zu vielen viel zu viel Raum für anonymisierte Verbreitung von Fakenews und schlicht Neid und schlechter Laune. Dagegen kann sich der Angegriffene nur selten wehren. Wie will man mit "Drachentöter_76" oder "RubbeldieKatz" vernünftig und zielgerichtet streiten? Die Argumentation mit Fakten mag zwar den ein oder anderen "Follower" auf die richtige Seite ziehen, hinkt aber meist den böswilligen Unterstellungen nur hinterher und wirkt damit stets wie eine Rechtfertigung.

Dann rollt seit Jahren eine wahre Flut von aufsichtlichen und rechtlichen Vorschriften über die Geschäftsführer, Vorstände und Präsidenten hinweg. Teils sicher zu Recht, denn so manche Verfehlung musste einfach durch eine kürzere Leine für die Zukunft verhindert werden. Aber ob das "Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Geschäftsleitern gemäß VAG" der BaFin mit schlanken 24 (!) Seiten wirklich am Ende zu besseren Anführern beiträgt. Ob die jederzeitige und totale Transparenz durch Institutsvergütungsverordnung und Ähnliches die Strahl- und Überzeugungskraft der Damen und Herren an der Spitze wirklich erhöht? Denn darauf kommt es aus Sicht von Mitarbeitern, Eigentümern, Aktionären, Mitgliedern und am Ende auch den Steuerzahlern an. Vielleicht ein bisschen. Aber nun kommt ja auch noch "ESG". Oh weh!

Wen all das auf seinem Weg an die Spitze immer noch nicht ausreichend abgeschreckt hat, der darf sich dann noch an den Fortschritten der Globalisierung und Internationalisierung erfreuen. Die interne Kommunikation muss auf alle möglichen Kulturkreise abgestimmt werden, Weihnachtsfeiern werden zu Winterfesten, es werden nur Seasing Greetings und keine Weihnachtsgrüße mehr verschickt, die Kantine muss Schichtbetrieb fahren, um all die Gewohnheiten an so etwas Schlichtes wie die Nahrungszubereitung und Nahrungsaufnahme befriedigen zu können. Darf der Betriebskindergarten noch zum Gottesdienst laden? Ist Grün die richtige Farbe für die interne Mitteilung? Darf man als Vorgesetzter überhaupt noch irgendetwas oder irgendwen kritisieren?

All das müssen die zu Höherem veranlagten aushalten. Und sie tun dies mehr oder weniger erfolgreich. Das Problem: Auf der einen Seite suchen die Menschen aus den oben genannten Gründen Anführer. Sobald aber durch deren Handeln und deren Entscheidungen Einschnitte im persönlichen Bereich drohen oder sich angenehm Gewohntes zu verändern droht, ist es mit der Folgsamkeit vorbei. Dann möchte man von der oder dem "da vorn beziehungsweise da oben" doch lieber nichts wissen. Leider. "Mitarbeiter verlassen nicht Unternehmen, sie verlassen Vorgesetzte." Oder wie es der frühere Deutsche-Bank-Chef Rolf E. Breuer vor vielen Jahren schon sagte: Mit den modernen Bankführern sei es wie mit den Kriegshäuptlingen der Indianer: Die Kommandogewalt gründe sich nicht auf festgefügten hierarchischen Verhältnissen, sondern auf der freiwilligen Anerkennung durch die Gefolgschaft, auf den Respekt vor der Führungsleistung, das Charisma für den Erfolg, den Spürsinn für den gangbaren Weg.

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Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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