Großbaustelle

Philipp Otto, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Die Deutsche Bank gleicht mehr denn je einer Großbaustelle. Spätestens seit vergangenem Sommer, als das große Umbau- und Restrukturierungsprogramm auf den Weg gebracht wurde, sind Christian Sewing und seine Kollegen im "Baumanagement" emsigst am Werkeln und Organisieren. Und wie immer bei Baustellen ist die Wahrnehmung der vielen Beteiligten eine höchst unterschiedliche: Der Bauherr sieht natürlich in erster Linie die Fortschritte und versucht, die Baustelle möglichst positiv darzustellen. Die betroffenen "Bauarbeiter" klagen über die schlechte Baustellenlogistik, mangelnde Kommunikation und ungenaue Absprachen, zu hohen Zeitdruck und zweifeln mitunter an der Qualität des gesamten Bauvorhabens. Und die Nachbarn, die von außen auf das Vorhaben schauen, sind einfach nur genervt. Die Baustelle ist laut und verursacht viel Dreck. Der Baustellenverkehr behindert einen ständig irgendwie und irgendwo. Es dauert alles viel zu lang. Und der Sinn des Um- beziehungsweise Neubaus erschließt sich auch nicht auf den ersten Blick. Früher war doch eigentlich auch alles ganz okay. Soweit zu den Gemütslagen.

Das Problem ist: Der zügige und radikale Umbau ist alternativlos. Die Deutsche Bank muss die vielen Versäumnisse der vergangenen Jahre endlich zügig auf- und abarbeiten. Zu lange hat man sich mit einem "Weiter-so" geholfen und wirklich tiefe Einschnitte gescheut. Drei Vorstandsvorsitzende haben sich daran abgearbeitet, der Deutschen Bank nicht nur ein neues Gesicht, sondern auch endlich wieder eine auskömmliche und sichere Zukunft zu geben.

Das ist natürlich auch immer eine kulturelle Frage. Von dem viel zitierten Kulturwandel war bislang wenig zu spüren. Die Mentalitätsunterschiede zwischen den Deal-getriebenen Händlern aus dem Investmentbanking und den Relationship-orientierten Kollegen in den Kundenabteilungen sind nicht kleiner geworden. Und nun kommt noch die Herausforderung Digitalisierung mit einer neuen Spezies Mitarbeiter hinzu, den "Techies". Sewing selbst spricht in einem Brief an die Mitarbeiter von 2019 als einem "Jahr der wegweisenden Entscheidungen. Wir haben die radikalste Transformation der Deutschen Bank seit zwei Jahrzehnten angekündigt - und schon weit vorangebracht. Das hat seinen Preis, keine Frage." Und der Vorstandsvorsitzende bedankt sich dann auch artig bei den Mitarbeitern für die schon erzielten Fortschritte: "Ihr Engagement und Ihre Disziplin war in diesem unruhigen Jahr besonders beeindruckend und der Schlüssel zu den Erfolgen in unserem Geschäft. Dafür möchte ich Ihnen herzlich danken."

Die von Sewing angesprochenen Fortschritte sind zweifellos spürbar und bemerkenswert: Rund 70 Prozent der Transformations- und Restrukturierungskosten sind im 2019er-Abschluss bereits enthalten. Innerhalb von 20 Monaten wurde die Zahl der Vollzeitstellen um fast 10 000 verringert. Die bereinigte Kostenbasis wurde auf 21,5 Milliarden Euro gesenkt - der niedrigste Wert der vergangenen zehn Jahre. Die Kernkapitalquote stieg von 13 auf 13,6 Prozent, sogar ohne die gerade angekündigte Stärkung durch eine Anleiheemission, die weitere 1 Milliarde Euro Kernkapital bringt. Die Verschuldungsposition sank von 1273 Milliarden Euro auf 1168 Milliarden Euro, die Leverage Ratio verbesserte sich entsprechend leicht von 4,1 Prozent auf 4,2 Prozent. Und die risikogewichteten Aktiva sanken von 350 Milliarden Euro auf 324 Milliarden Euro.

Aber ein solch radikaler Umbau hat natürlich auch seinen Preis. Deutschlands größtes Bankhaus schreibt für 2019 einen Verlust von 5,3 Milliarden Euro. Nur 2015 ist das Minus in den vergangenen zehn Jahren noch höher ausgefallen. Christian Sewing spricht von einem erwarteten Verlust. Das liegt natürlich in erster Linie an den Kosten für den Umbau, von denen in diesem Jahresverlust bereits Abschreibungen auf die Software in Höhe von 1,0 Milliarden Euro, Abschreibungen auf Immobilien von 100 Millionen Euro, Aufwendungen für Restrukturierung und Abfindungen von 805 Millionen Euro, Wertminderungen auf den Geschäfts- und Firmenwert von 1,0 Milliarden Euro und Bewertungsanpassungen bei latenten Steueransprüchen von 2,8 Milliarden Euro enthalten sind. Doch auch auf der Ertragsseite zeigen sich Bremsspuren. So gingen die Gesamterträge um mehr als 2 Milliarden Euro auf 23,17 Milliarden Euro zurück. Während die Unternehmensbank ihre Ertragsseite stabil halten konnte, gingen die Einnahmen sowohl in der Investmentbank (6,96 nach 7,47 Milliarden Euro) als auch der Privatkundenbank (8,25 nach 8,64 Milliarden Euro) zurück, was bei letzterer sowohl auf Einbußen des Geschäfts in Deutschland als auch im Wealth Management zurückzuführen ist. Höhere Einnahmen verzeichnete das Asset Management mit 2,33 Milliarden Euro nach 2,19 Milliarden Euro im Jahr zuvor. Ein kräftiger Rückgang steht in der Abbaueinheit CRU zu Buche, die im Vorjahr noch für Erträge in Höhe von 1,88 Milliarden Euro sorgte und 2019 nur noch 208 Millionen beisteuerte.

Auch für den Beobachter birgt ein solcher Prozess Herausforderungen. Denn je nach Neigung - der Deutschen Bank eher zugetan oder ihr tendenziell kritisch gegenüberstehend - bietet dieser Abschluss für jeden etwas. Je nachdem, ob man auf die nackten Zahlen, das bereinigte Ergebnis oder das bereinigte Ergebnis des bereinigten Ergebnisses schaut. Damit schafft die Deutsche Bank zwar jede Menge Transparenz, lässt aber auch eine Menge Interpretationsspielraum zu und verursacht bei dem ein oder anderen das Gefühl, nun doch noch mal genauer hinschauen zu müssen, wo was "gedreht" wurde. Dieses Gefühl hatte man länger nicht mehr. So ist selbstverständlich, dass Einmalaufwendungen, die in direkten Zusammenhang mit der Restrukturierung stehen, herausgerechnet werden dürfen. Doch schon mit enormen Wertberichtigungen auf latente Steuern, die im Grunde genommen nichts anderes als Hoffnungswerte einer Gutschrift an das Finanzamt sind, die mit womöglich in naher Zukunft doch mal wieder anfallenden Gewinnen verrechnet werden kann, ist das so eine Sache. Ist das wirklich Einmalaufwand? Überhaupt nicht leuchtet ein, warum das bereinigte Ergebnis dann noch um die Bankenabgabe korrigiert werden soll. Dies ist sicherlich kein Einmalaufwand, sondern ein mittlerweile für alle Banken ganz normaler Kostenblock.

Es bleibt zu hoffen, dass nun bald der Effekt einsetzt, den Christian Sewing hervorhebt. Aufgrund der raschen Fortschritte, manche würden vielleicht auch sagen der notwendigen Grausamkeiten, ist es der Bank nun möglich, sich wieder als Jäger zu präsentieren und sich ganz auf die Kunden konzentrieren zu können. Damit würden die Ergebnisse besser und es würde wieder ein kleines Stück Normalität einkehren in dieser für Deutschland zweifellos wichtigen Deutschen Bank. Der Kapitalmarkt jedenfalls glaubt an den Erfolg: Die Deutsche-Bank-Aktie ist in den ersten Wochen des laufenden Jahres um fast 38 Prozent gestiegen. Jetzt müssen wir nur noch alle dem Kapitalmarkt glauben.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft

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