Hartes Erwachen

Philipp Otto Chefredakteur, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Wir stellen uns Folgendes, zugegebenermaßen höchst Unwahrscheinliches vor: Ein banknaher, deutscher Mensch hat die Zeit verschlafen. Und zwar nicht in jener Form, wie es ihm Analysten, Journalisten und andere andauernd vorwerfen. Sondern der müde Meister hat sich schlicht vor gut 20 Jahren zur Ruhe gebettet und ist glücklicherweise wieder erwacht - leider erst heute. Er reibt sich kurz die Augen - und versucht klar zu sehen. Manches wird ihm fehlen - die Dresdner Bank, die BV, die Hypotheken- und Wechselbank, BfG, West LB, SGZ und WGZ, von der Postbank erkennt er immerhin vielleicht noch das Logo. Ach ja - den Zins, den wird er auch vergeblich suchen.

Manch anderes mag ihm noch bekannt vorkommen: Die Sparkassen suchen immer noch nach einem Zentralinstitut. Es wird auch heute eifrig über die Zukunft der Hausbank und die Bedeutung der Filialen in Zeiten veränderter Kundenbedürfnisse und eines stetig steigenden Technologisierungsgrades des Bankgeschäftes diskutiert. Der Wertpapierabsatz und die damit verbundenen Provisionserlöse spielen immer noch nicht die Hauptrolle im Ertragsmix. Und im Zahlungsverkehr wird immer noch arg national und wenig europäisch gedacht.

Überraschen dürfte den Langschläfer, dessen Geist nun ganz wach ist, dass beispielsweise ein Versandgroßhändler oder ein Technologieunternehmen Bankgeschäfte betreiben, zumindest Teile davon. Er wird sich wundern, dass viele kleine, hochspezialisierte Technikunternehmen Teile aus der Wertschöpfungskette besser abbilden können als so manche der ihm noch vertrauten Sparkassen oder Volksbanken. Er wird sehen, dass die Bundesbank keine Geldpolitik mehr betreibt und Notenbanken Staatsanleihen kaufen. Er wird Menschen an der Supermarktkasse oder im Taxi mit einem Telefon bezahlen sehen.

Was den frisch Erweckten aber gänzlich verwirren dürfte, sind die Reaktionen auf ihn selbst: Wenn er sagt, er sei Banker oder gar Bankier wird er nicht mehr mit Respekt behandelt, sondern eher mitleidig belächelt, mitunter auch beschimpft. Vorbei sind die Zeiten, als Großmutter sagte: Bub, lerne was Vernünftiges, geh zur Bank (oder Sparkasse). Schon lange nicht mehr finden sich Bankkaufmann und Bankkauffrau in der Rangliste der beliebtesten Ausbildungsberufe ganz oben. Die jungen Menschen heute bilden sich zu Kaufmann/Kauffrau im Einzelhandel aus, gefolgt von Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement, dem oder der Kraftfahrzeugmechatroniker/in und Industriekaufleuten.

Da es auch immer weniger Banken gibt - in den vergangenen zwanzig Jahren sank die Zahl der Institute von 2 912 im Jahr 2000 auf 1 679 Ende 2020 - und diese immer weniger Menschen beschäftigen, sinkt die Zahl der Bankmitarbeiter stetig auf zuletzt noch rund 550 000. Es mag also an fehlenden Perspektiven liegen, dass immer weniger junge Menschen den Weg des Bankers einschlagen. Aber natürlich auch am Image der Branche selbst. In einem Ranking der unbeliebtesten Berufe landen die Banken auf Platz 9. Immerhin 15 Prozent der Befragten würden niemals in einer Bank oder Sparkasse arbeiten wollen. Da tröstet es nur wenig, dass immerhin doppelt so viele den Politiker genannt haben und der Journalist nur zwei Plätze hinter den Banken rangiert.

Was ist da wohl passiert, fragt sich unser Langschläfer?

Es fängt damit an, dass zwar alle von einer "Bankenstrukturkrise" reden, wir aber in Wirklichkeit eine "Bankenkulturkrise" erfahren. Die teilweise selbst verschuldete, teils erzwungene Hinwendung zu immer mehr Markt, oder "markets" auf neudeutsch, hat die ideellen Werte des Bankvorstands leider Stück für Stück mehr und mehr verdrängt. Der Bankverantwortliche von heute muss sich viel stärker als früher schnöden materiellen Zwängen unterwerfen und schlicht gute Zahlen liefern. Daran wird er gemessen. Vorbei sind die Zeiten, als Banken noch Macht hatten, über Aufsichtsratsposten wesentliche Industrieunternehmen kontrollierten, das Geflecht zwischen Real- und Finanzwirtschaft eng war und ihre Vertreter in Bonn, Berlin und Brüssel ein- und ausgingen. Das lässt Compliance heute in dieser Form gar nicht mehr zu.

Zudem kann der Eindruck entstehen, dass die Manager von heute zwar nach wie vor Netzwerke pflegen, dies aber nicht mehr öffentlich zur Schau stellen und auch weniger Verantwortung übernehmen wollen für Entwicklungen, die nicht unmittelbar der eigenen Einflusssphäre unterliegen. Denn jedes negative Ereignis, jede üble Schlagzeile gefährdet ein Stück weit das eigene Fortkommen, den nächsten höher dotierten Vertrag bei einem noch attraktiveren Arbeitgeber. Wenn das eine oder andere riskante Geschäft, das man auf diesem Weg im Sinne besserer Zahlen eingegangen ist, dann doch einmal schiefging, rief der Banker den Staat um Hilfe und suchte sich schleunigst den nächsten Vorstandsposten. So zumindest die arg verkürzte öffentliche Wahrnehmung. Es kommt natürlich hinzu, dass der Banker gemeinhin seinen guten Ruf eingebüßt hat, viel Vertrauen verspielt hat. Nicht erst seit der Finanzkrise 2008/2009 gelten Banker als gierig, stets auf der Suche nach dem eigenen Vorteil und dabei nicht zimperlich - sogar skrupellos. Es entstand über Jahre hinweg der Eindruck, dass Banken bei allen krummen Geschäften dabei sind. Das sind natürlich immer nur einige wenige, aber es hat gereicht, das Image einer ganzen Branche insgesamt zu belasten.

Vorbei sind auch die Zeiten, als Kunden ihrem Berater noch glaubten, dass er ihr Bestes wolle, nicht ihr Geld, sondern dieses Geld zu vermehren. Von Verbraucherschützern öffentlichkeitswirksam geführte Diskussionen um Gebühren, Fees und Entgelte, meist hinterlistig in den AGB versteckt und sowieso viel zu hoch, haben dieses Bild erschüttert und verblassen lassen. Dass Leistung Geld kostet, Infrastruktur und ständige Verfügbarkeit teuer sind und Banken Wirtschaftsunternehmen und keine Wohltäter sein können, wird dabei gerne vergessen. Natürlich auch, weil die Branche selbst mit einer Gratiskultur im Kampf um Kunden jahrelang ein falsches Bild erzeugt hat.

Und dann ist da noch der enorme Druck der Öffentlichkeit, das permanente Interesse. Dabei geht es gar nicht mehr so sehr um das, was Bankgeschäft eigentlich ausmacht. Um Zahlen, Bilanzen, Bewertungen also. Zwar gibt es sie immer noch, die Bilanzexperten, die mit dicken Ordnern im Hintergrund die Bilanzpressekonferenz verfolgen, geduldig warten, dem Vorstand mit dem einen oder anderen Detail aus dem üppigen Zahlenwerk aushelfen zu könnnen. Aber diese Ordner bleiben immer öfter zugeklappt. Denn das Interesse an dem, was Bankgeschäft ist, hat sich längst gewandelt. Für die allgemeine Berichtspflicht langen längst einige wenige Kennzahlen wie Eigenkapitalrendite, Cost Income Ratio oder NPL-Quote. Viel spannender ist doch, wie viele Boni die Investmentbanker bekommen, wie viel mehr der Vorstand als der durchschnittliche Mitarbeiter verdient, welchen Firmenwagen er fährt, wer der nächste Fusionspartner sein wird, wie die Zinsen sich entwickeln, ob Verwahrentgelte in dieser Höhe nicht doch unverschämt.

Da die Mitglieder der Vorstände und Geschäftsführungen längst geübte Medienprofis geworden sein müssen und die Presseabteilungen - zumindest die guten - all das natürlich lange vorhergesehen haben und entsprechende Prognosen und Antworten in das Redemanuskript oder die Q&As geschrieben haben - können diese zu allem natürlich etwas sagen, aber längst nicht alles beantworten. Das liegt mitunter an den Fragen selbst, das hat rechtliche Gründe, das liegt daran, dass man auch als Vorstand längst nicht alles beantworten möchte (und dies auch nicht muss). Das macht die Öffentlichkeit nicht zufrieden. Und dann finden sich schnell Begriffe wie "mangelnde Transparenz", "Verschleierung", "Mauern" oder "Abwiegeln" in den Berichten und Kommentaren wieder, die bei den Lesern kein gutes Bild von der Kreditwirtschaft entstehen lassen. Teils zu Recht, manchmal zu Unrecht.

Ob die unserem Eingeschlafenen noch gut bekannten Alfred Herrhausen, Ludwig Poullain, Friedel Neuber oder Martin Kohlhaussen heute noch gute und vor allem glückliche Vorstandsvorsitzende wären?

PS: Natürlich ist die überwiegende Mehrzahl der Beschäftigten in der deutschen Kreditwirtschaft anständig. Nur der Eindruck ist manchmal leider ein anderer.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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