Was hilft's?

Philipp Otto, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Deutschland steht still. Das öffentliche Leben ruht. Bundes- und Landesregierungen haben sich zum Schutz vor einer weiteren schnellen Ausbreitung des Corona-Virus zu einem Maßnahmenpaket durchgerungen, das soziale Kontakte zu Menschen unterbinden soll. Der Aufenthalt im Freien ist nur in Gruppen von maximal zwei Personen gestattet, Schulen und Kitas sind dicht, Büros sind verwaist, die Mitarbeiter in Teams aufgeteilt oder ganz ins Homeoffice geschickt, Gastronomie- und Dienstleistungsbetriebe im Bereich der Körperpflege wie Friseure, Kosmetikstudios oder Massagepraxen müssen zumachen, Gottesdienste fallen aus und Läden, die nicht zwingend Dinge des täglichen Bedarfs verkaufen, müssen geschlossen werden.

Medizinisch mag das alles richtig sein. Denn vorrangig geht es darum, die Ausbreitung des Virus und damit eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Wissenschaftlern zufolge kommt es derzeit in Deutschland, Österreich und der Schweiz etwa alle zwei bis drei Tage zu einer Verdoppelung der diagnostizierten Fälle. Spätestens Anfang April seien die Kapazitäten der Krankenhäuser erschöpft, so die dramatische Warnung. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Corona-Pandemie als eine der größten Herausforderungen für die deutsche Gesellschaft bezeichnet: "Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt", sagte sie in einer Fernsehansprache.

Aber all das hat Folgen. Folgen, die heute noch nicht abzuschätzen sind - wirtschaftlich wie sozial. In Krisen offenbart der Mensch sein wahres Gesicht, heißt es. Das kann man dieser Tage wieder einmal gut beobachten. Während sich auf der einen Seite Menschen solidarisieren und beispielsweise Einkaufsgemeinschaften für ältere Menschen gründen, plündern andere die Supermärkte. Das nervt, ist aber an sich gar nicht so schlimm, hilft es doch jedem Einzelnen ganz gut, auch in seinem privaten Umfeld einmal zu sortieren.

Doch was macht längere soziale Isolation mit Menschen? Welche Folgen hat die Quarantäne für eine fünfköpfige Familie in einer 70-Quadratmeter-Wohnung in Berlin Marzahn, welche für eine alleinstehende 86-Jährige in einem Dorf in Bayern? Wenn Menschen sozial isoliert werden, führt das laut Psychologen dazu, dass sich einige einsam oder ausgeschlossen fühlen. Das wiederum kann Ängste, extreme Stimmungsschwankungen oder gar Depressionen auslösen. Diese psychischen Veränderungen können unter Umständen sogar das Immunsystem schwächen. Darüber hinaus werden auch Fälle häuslicher Gewalt zunehmen, sind sich Experten einig. Ob die Quarantäne auch zu steigenden Geburtenraten führen wird, wird die Zeit zeigen.

Bleiben die enormen wirtschaftlichen Folgen: Laut aktuellem Monatsbericht der Deutschen Bundesbank ist "das Abgleiten in eine ausgeprägte Rezession nicht zu verhindern." Die Auswirkungen der Pandemie werden die Wirtschaftsleistung mindestens in der ersten Jahreshälfte massiv beeinträchtigen. Besorgniserregend ist, dass gerade die eher binnenwirtschaftlich orientierten, konsumnahen Dienstleistungen wie das Gastgewerbe, die Unterhaltungsbranche, aber auch Messebetriebe und Luftfahrtunternehmen besonders betroffen sein werden. Denn gerade diese haben in der Vergangenheit die Konjunktur gestützt. Aufgrund der aktuellen Situation hat sich die Stimmung in den deutschen Unternehmen außerordentlich verschlechtert. Der ifo Geschäftsklimaindex ist im März auf 86,1 Punkte eingebrochen, nach 96,0 Punkten (saisonbereinigt korrigiert) im Februar. Dies ist der stärkste jemals gemessene Rückgang im wiedervereinigten Deutschland und der niedrigste Wert seit Juli 2009. Die deutsche Wirtschaft stehe unter Schock, so das ifo-Institut. Laut Bundesagentur für Arbeit haben fast 80 000 Unternehmen in Deutschland Kurzarbeit beantragt, die Bundesregierung rechnet mit über zwei Millionen Beschäftigten, die in diesem Jahr auf Kurzarbeitergeld angewiesen sein werden.

Regierungen und Zentralbanken reagieren mit milliardenschweren Anstrengungen. Die Fed senkte den Zins umgehend auf Null. Die Europäische Zentralbank startet ein Notfallprogramm mit Anleihekäufen von 750 Milliarden Euro und will künftig sogar ohne die bislang übliche mengenmäßige Beschränkungen Emissionen von Staaten und vor allem Unternehmen kaufen, um den Liquiditätsfluss sicherzustellen. Die amerikanische Regierung verabschiedete mit dem zwei Billionen Dollar schweren Konjunkturpaket das größte wirtschaftliche Rettungspaket in ihrer Geschichte. Ähnlich sieht es in Deutschland aus. Insgesamt werden rund 750 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, dafür fällt die schwarze Null und es wird eine Neuverschuldung von 156 Milliarden Euro geben. Die Hilfsmaßnahmen erstrecken sich von direkten Zuschüssen für kleine Firmen und Solo-Selbstständige von bis zu 15 000 Euro über Kreditgarantien für Firmen von insgesamt 400 Milliarden Euro Kreditgarantien bis hin zu direkten Staatsbeteiligungen an Unternehmen, für die bis zu 100 Milliarden Euro bereitstehen. Zugleich startete am Montag ein unbegrenztes Sonderkreditprogramm der Förderbank KfW für kleine und mittelgroße Firmen. Zudem gibt es zahlreiche Erleichterungen für Schuldner und Mieter, indem beispielsweise Kündigungsrechte für drei Monaten ausgesetzt werden.

Durch die schnelle Reaktion hat sich die Politik in dieser außerordentlichen Lage als handlungsfähig erwiesen. All die Angebote des Hilfspaketes sind wichtig, sichern die Maßnahmen doch zumindest vorübergehend die notwenige Liquidität, sofern eine schnelle und unbürokratische Abwicklung sichergestellt ist. Entsprechend positiv fallen auch die Reaktionen von Vertretern der Wirtschaft aus.

Aber natürlich wirft ein solch umfassendes Programm auch Fragen auf. Was helfen Kredite, wenn Unternehmen nachhaltig die Umsätze wegbrechen? Verschlimmern neue Schulden die Lage da nicht nur noch? Ist das KfW-Programm mit Zinsen von 4,5 Prozent und mehr wirklich eine Hilfe? Marktgerecht ist es jedenfalls nicht. Führt das Programm, bei dem die KfW auch das Ausfallrisiko größtenteils übernimmt, nicht zu neuen Blasen, da Kredite vergeben werden, die unter normalen Bedingungen nicht risikoadäquat sind? Warum sträubt sich das Finanzministerium gegen Steuerstundungen, die eine echte und längerfristige Hilfe darstellen würden? Was bedeuten die Erleichterungen für Schuldner für die Gläubiger und Vermieter, was droht diesen ob der Einnahmeausfälle? Welche Bedingungen gibt es für die Staatsbeteiligungen an Unternehmen, in welcher Form sollen diese erfolgen, als Aktionär oder stiller Gesellschafter? Wie sieht ein Exit aus? Was passiert in drei Monaten, wenn die meisten der Maßnahmen auslaufen?

Als Retter hat der Staat sich nun erwiesen. Doch die vergangene Jahre lassen Zweifel daran aufkommen, dass er auch eine treibende Kraft bei einer Rückkehr aus dem Konjunkturtal spielen kann. Staatliche Konjunkturprogramme werden von der Politik sehr skeptisch betrachtet. Der öffentliche Investitionsstau ist enorm. Doch genau darauf wird es im "Nach-Corona" ankommen: Dass mit staatlichen Programmen die Wirtschaft angekurbelt wird, dass die öffentliche Hand ihrer Rolle als Antreiber und Investor nachkommt. "So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig" ist eine oftmals gebrauchte Aussage im Zusammenhang mit der Sozialen Marktwirtschaft. Man darf sicher sein, dass es künftig "mehr Staat" heißen muss. Und selbst das wird eine große Pleitewelle nicht verhindern können. Auch da sollte man ehrlich bleiben.

Für die Banken und Sparkassen ist die gegenwärtige Situation Chance und Risiko zugleich. Sie sind anders als 2008 Teil der Lösung und nicht Teil des Problems und können durch ihr Wirken Vertrauen zurückgewinnen. Gleichzeitig ist es eine große Herausforderung, den eigenen Betrieb am Laufen zu halten und für die Kunden da zu sein. Und die negativen Folgen der Corona-Krise werden sich unweigerlich und heftig in den Bankbilanzen verewigen. Zum Glück haben die Institute in den vergangenen Jahren konservativ gewirtschaftet, fleißig thesauriert und verfügen über ausreichend Kapitalpolster.

Die Coronavirus-Epidemie sei "eine historische Aufgabe und sie ist nur gemeinsam zu bewältigen", sagte Bundeskanzlerin Merkel. Wohl wahr. Bleibt zu hoffen, dass der Ausnahmezustand nicht mehr allzu lange anhält.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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