Der Hort der Stabilität

Philipp Otto Chefredakteur, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Die Deutsche Bundesbank ist zweifelsohne etwas sehr Besonderes. Kaum eine Institution in Deutschland genießt so tiefes Vertrauen und so großes Ansehen wie die Bundesbank. Und das nun schon über viele Jahrzehnte, durch viele Phasen der Veränderung. "Nicht alle Deutschen glauben an Gott, aber alle glauben an die Bundesbank", stellte der frühere Präsident der Europäischen Kommission, Jacques Delors, noch 1992 fest. Und auch wenn das Vertrauen, das Zutrauen der Bundesbürger in Institutionen und Autoritäten heute sicherlich nicht mehr so stark und automatisch ausgeprägt ist wie vor 20 und mehr Jahren, gilt das doch für die Bundesbank immer noch.

Jeder Angriff auf die Bundesbank und den Bundesbankpräsidenten gilt in Deutschland nicht vorrangig als Expertenstreit oder - auf höherer Ebene - als ein Verfassungskonflikt. Sondern schlimmer: Jeder politische Angriff entwickelt sich in der öffentlichen Meinung, je länger er dauert, zu einem Anschlag auf Grundwerte der Nation. Völlig parteienunabhängig. Das hat Helmut Schmidt, der als Bundeskanzler gerne eine höhere Inflation zur Ankurbelung der Wirtschaft durchsetzen wollte, ebenso erfahren müssen, wie Helmut Kohl und sein Finanzminister Theo Waigel, die mit dem Goldschatz der Bundesbank Haushaltslöcher auffüllen wollten, Oskar Lafontaine, der eine Zinssenkung zur Ultima Ratio der Beschäftigungspolitik ausrief, oder Finanzminister Hans Eichel, der in Zeiten klammer Kassen ebenfalls auf das gehortete Gold schielte. Der Reputation der Bundesbank und des Bundesbankpräsidenten haben die intensiven Auseinandersetzungen nie geschadet, im Gegenteil, dem nationalen wie internationalen Ansehen der politisch Verantwortlichen dagegen schon.

Das Volk liebt seine Bundesbank, weil sie nach wie vor für dem Volk liebe Werte steht: für die Erhaltung materieller Errungenschaften im Allgemeinen sowie die Bewahrung des Geldvermögens im Besonderen; für die Verteidigung einer guten, weil stabilen Währung gegenüber jedermann und damit vor allem auch gegenüber den jeweiligen politischen Interessen, was angesichts des zunehmenden Nord-Süd-Gefälles in Europa in den vergangenen Jahren keineswegs einfacher geworden ist; für den Erhalt des "Mythos Bundesbank", der Hüterin der D-Mark und der Verfechterin des Euro, als Symbol des deutschen Wiederaufstiegs und der deutschen Geltung in der politisch-wirtschaftlichen Internationalität.

Das galt ohne Zweifel bis 1998, das gilt aber auch seitdem die Europäische Zentralbank die Verantwortung für die Währungspolitik in einem gemeinsamen europäischen Wirtschaftsund Währungsraum übernommen hat. Das liegt zum einen daran, dass die Bundesbank aus der gesicherten Erkenntnis dieser "urdeutschen" Vorlieben peinlich genau darauf geachtet hat, das "Modell Bundesbank" möglichst tief verwurzelt in dem neuen Gebilde zu verankern. Was gelungen ist. Und was wichtig war. Denn wie der erste Präsident der EZB, Wim Duisenberg, richtig feststellte: "Die Stabilität einer Währung beruht darauf, wie viel Vertrauen die Leute in sie setzen." Der Euro hat diese Stabilität längst erreicht. Dank dem Modell Bundesbank und dank den Bundesbankpräsidenten und Bundesbankern, die stets im Direktorium der Europäischen Zentralbank für diese Grundwerte gestritten haben. Mit Ausbruch der Finanzkrise und einer damit verbundenen Prioritäten- und Machtverschiebung zugunsten einer expansiven und weniger stabilitätsorientierten Geldpolitik und deren Verfechtern leider zunehmend vergeblich. Otmar Issing weiß davon trefflich zu berichten, nachzulesen ab Seite 22.

Nicht verändert hat sich dagegen der Auftrag der Bundesbank: Sie soll eine stabile Währung und ein stabiles Finanzsystem gewährleisten. Im Gesetz über die Deutsche Bundesbank heißt es unter § 12 Verhältnis der Bank zur Bundesregierung: "Die Deutsche Bundesbank ist bei der Ausübung der Befugnisse, die ihr nach diesem Gesetz zustehen, von Weisungen der Bundesregierung unabhängig. Soweit dies unter Wahrung ihrer Aufgabe als Bestandteil des Europäischen Systems der Zentralbanken möglich ist, unterstützt sie die allgemeine Wirtschaftspolitik der Bundesregierung." Wenn man die Menschen fragen würde, welche der obersten Amtsträger der Bundesrepublik den höchsten Respekt genießen, schnitte der Bundesbankpräsident ganz hervorragend ab. Vermutlich stünde sein Ansehen nicht weit hinter dem der Bundeskanzlerin oder des Bundespräsidenten zurück. Entsprechend wichtig ist, wer an der Spitze der Deutschen Bundesbank steht.

Jens Weidmann ist dies nicht mehr. Er bat den Bundespräsidenten aus "persönlichen Gründen" um Entlassung aus seinem Vertrag, der noch bis 2027 geschlossen war. Damit erhält das Buch "Die EZB, der Euro und die Deutschen - keine Liebesbeziehung" ein weiteres Kapitel. Denn vor Weidmann sind in den vergangenen Jahren schon Ottmar Issing, Jürgen Stark, Axel Weber und Sabine Lautenschläger von ihren Ämtern als EZB-Direktoren oder Bundesbankpräsident aufgrund unterschiedlicher Auffassungen zurückgetreten. Natürlich wäre es leicht, auch den Rücktritt Weidmanns mit unterschiedlichen Vorstellungen über die richtige Geldpolitik der kommenden Jahre zu begründen. Schließlich ist er der lauteste Falke, der einsame Rufer, der unermüdliche Mahner. Aber wäre das nicht zu einfach?

Jens Weidmann hat mit seinen geldpolitischen Überzeugungen nie hinter dem Berg gehalten. Er hat trefflich argumentiert und begründet. Man mochte ihm gerne zuhören und glauben. Aber hat er dafür auch ernsthaft gestritten? Hat er die Auseinandersetzung auf intellektueller Ebene jemals verlassen, die Rüstung des Kriegers angelegt und ist in die Schlacht gezogen? Nein, das ist er nicht. Das ist seine Sache, seine Mentalität nicht. Und es ist ihm auch nie gelungen, Mehrheiten zu gewinnen. Es gab kein "System Weidmann", wie es ehedem das "System Tietmeyer" gab, keine Verbündeten, auf die man sich im Ernst- und Streitfall wirklich verlassen konnte. Entsprechend war er nie der Gewinner, hat sich immer der Mehrheit und dem großen Ganzen untergeordnet. Ist Weidmann all dem, was er über Jahre erlebt und praktiziert hat, wirklich überdrüssig geworden, ermüdet und hoffnungslos? Oder mögen vielleicht auch andere Entwicklungen seine Entscheidung beeinflusst haben: Da ist eine neue Bundesregierung, sie in Sachen Solidität und Stabilität einen anderen Kurs einschlägt, den Stabilitätspakt mehr als störendes Übel denn als dringliche Notwendigkeit für einen europäischen Staatenbund betrachtet. Wir erinnern uns an § 12: Die Bundesbank hat die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu unterstützen. Das kann Jens Weidmann nicht, es ginge seinen Überzeugungen genauso zuwider wie die expansive Geldpolitik der EZB. Oder die zunehmenden Inflationsgefahren, auf die er in seiner Rücktrittserklärung explizit hingewiesen hat. Die angehäuften Anleihebestände in den Kellern der Bundesbank sind angesichts zu erwartender steigender Zinsen ein Pulverfass. Weidmann wollte sie nie kaufen, soll er nun auch die Prügel dafür einstecken, dass er sie hat?

Bleiben zwei Fragen: Was macht Jens Weidmann künftig? Und wer wird der oder die Neue an der Spitze der Deutschen Bundesbank? Über beide lässt sich trefflich spekulieren. Dem scheidenden Bundesbankpräsidenten stehen viele Türen offen: politische Ämter, Beratermandate, Professuren und selbst ein Wechsel in die freie Wirtschaft, wie es sein Vorgänger Axel Weber vorgemacht hat. Mal ins Blaue gesponnen: Deutschlands größte Bank sucht im kommenden Jahr einen neuen Aufsichtsrats-Chef. Das kommt im Mai natürlich noch zu früh, aber vielleicht ließen sich ja Übergangslösungen finden. Weder die Verantwortlichen der Deutschen Bank noch die EZB könnten da etwas dagegen haben.

Und das nachfolgende Personal? Der ideale Bundesbankpräsident kann weder der pure Politiker noch der pure Ökonom sein. Hätte er nur eines gelernt, müsste das andere schleunigst hinzukommen. Denn was die Amtsführung eines Bundesbankpräsidenten in den Augen der Öffentlichkeit zu einer guten macht, sind folgende Fähigkeiten: das persönliche Verständnis für die Würde und das Ansehen des Amtes, die Kunst der Erklärung höchst komplizierter Zusammenhänge und das diplomatische Geschick als globaler wie nationaler Verhandlungspartner in allen nur möglichen Gremien. Dann besteht Hoffnung, dass die Deutsche Bundesbank weiterhin das bleibt, was die meisten wollen: Der Hort der Stabilität.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
Noch keine Bewertungen vorhanden


X