Made in Germany

Philipp Otto

Der italienische Dichter Dante Alighieri schrieb ganz zu Anfang des 14. Jahrhunderts mit der Divina Commedia (der "Göttliche Komödie") nicht nur sein Hauptwerk und im Expertenverständnis eines der bedeutenden Bücher der Weltliteratur, sondern lieferte auch eine praktische, weil recht plakative Beschreibung der drei Reiche des Jenseits. Da war zunächst das Inferno, die Hölle, ein tiefer Schlund in die Erde hinein, der in neun Höllenkreise unterteilt ist. Die Hölle ist aber nur eine Durchgangsstation bei Dante, denn von da aus folgt der Purgatorio, das Fegefeuer. Auf einem Weg, der sich um einen Berg nach oben schlängelt, überwiegt hier die Hoffnung der Sünder, die auf sieben Terrassen nach Vergebung von den sieben Todsünden streben. Auf all die Geläuterten ebenso wie die ohnehin Reinen wartet dann das Paradies auf dem Gipfel.

Über dem Eingang zum Inferno steht in großen Lettern: "Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren." Ganz so schlimm bestellt ist es um Deutschland im Allgemeinen und das "Made in Germany" im Speziellen noch nicht, aber dieses Siegel, das so lange als Inbegriff für Qualität, für Können und für Solidität stand, hat einige Kratzer (zu viel) abbekommen. Da ist ein deutscher Torwart, der mit zwei "Aussetzern" den Königlichen von Real Madrid den dritten Champions-League-Titel so inbrünstig anbot, dass diese ihn gar nicht mehr ablehnen konnten. Ausgerechnet ein Torwart. Das ist doch jene Position, auf der die Deutschen von Sepp Maier über Oliver Kahn bis zu Manuel Neuer stets absolute Weltklasse zu bieten hatten und haben. Ein Mythos wankt.

Da ist die deutsche Kanzlerin, die ehedem starke Frau Europas, wenn nicht der Welt, die mit ihrem diplomatischen Geschick alle Zügel jederzeit in der Hand zu halten schien. Auch wenn sie zuweilen wenig bis nichts entschieden hat, hatte man doch immer den Glauben, dass ohne Deutschland wenig und gegen Deutschland gar nichts ging auf den Bühnen der großen Politik. Auch dieser Glaube wankt, hat Angela Merkel der unberechenbaren Wucht eines Donald Trump, der charmanten aber bestimmten Finanz- und Industriepolitik eines Emmanuel Macron und dem autoritären Geklüngel eines Wladimir Putin kaum noch etwas entgegenzusetzen.

Da ist ein Wahrzeichen der deutschen Wirtschaft, die Automobilindustrie, die von einem Unglück ins nächste zu taumeln scheint. Die Dieselaffäre hat zu einem bislang nicht gekannten Vertrauensverlust geführt, nicht in die Fahrzeuge oder die Leistungsfähigkeit, sondern in die Führungspersönlichkeiten. VW hat den Vorstandsvorsitzenden inzwischen gleich zweimal ausgetauscht, Mercedes-Chef Zetsche hat gerade eine 14-tägige Gnadenfrist bekommen, um die merkwürdige Elektronik in seinen Transportern erklären zu können. Und nun kommt noch der US-Präsident, der mit seiner Ankündigung von Strafzöllen von bis zu 25 Prozent den Absatz erheblich einbrechen lassen könnte, was wiederum zu Gewinneinbußen führen würde. Aber vielleicht kommt das der Industrie ja ganz gelegen, hat man doch ein Argument, warum eine Nachrüstung gerade jetzt nicht zu leisten ist?

Und natürlich, leider, gehört in diese Aufzählung schon wieder oder immer noch die Deutsche Bank. Diese versucht unter Christian Sewing den dritten Neuanfang in gerade einmal sechs Jahren. Hieß es unter dem Führungsduo Jain/Fitschen noch "Kulturwandel", versuchte der Brite John Cryan mit harten Einschnitten die Vergangenheit hinter sich zu lassen, wurde von dieser vor allem in Form von Rechtsstreitigkeiten aber immer wieder eingeholt. Bei Sewing, einem Eigengewächs der Bank, weiß man noch nicht so ganz genau, wohin die Reise gehen soll. Auch er kündigte früh in seiner Amtszeit einen umfassenden Stellenabbau an. Waren es unter Cryan noch rund 9 000 Mitarbeiter, streicht er 7 000 Stellen, dieses Mal überwiegend im Investmentbanking, in dem sich die Deutsche offensichtlich von der Spitzengruppe verabschiedet hat.

Sewing, dem man im Interesse der deutschen Finanzwirtschaft ebenso wie der Industrie und des Mittelstandes nur ganz viel Glück wünschen kann, hat bei der so dringenden Neuausrichtung aber mit verschiedenen Problemen zu kämpfen. An erster Stelle steht ein Glaubwürdigkeitsproblem. Man glaubt der Deutschen Bank den Willen und die Möglichkeit zum Wandel nicht mehr. Man hat es einfach schon zu oft gehört, ohne dass sich wirklich Veränderungen eingestellt hätten. Zu viel wurde in den vergangenen Jahren immer wieder angekündigt, zu wenig umgesetzt. Dabei war Sewing keineswegs nur Beobachter, sondern auch direkt Beteiligter. Er sitzt seit 1. Januar 2015 im Vorstand, zunächst für die Bereiche Legal, Incident Management Group und Group Audit verantwortlich, bevor er die Verantwortung für das Privatkundengeschäft übertragen bekam. Auch hier gab es in der Zeit einige Kehrtwendungen: Die Postbank wandelte stets zwischen einer Perle, die zum Verkauf stand, und einer willkommenen Stärkung der eigenen Basis durch eine Integration. Die beiden Bausparkassen, die lange Zeit nebeneinander liefen, nur über die Plattform Magellan verbunden waren, werden nun ebenfalls verschmolzen. Die hohen Investitionen in Magellan scheinen zumindest teilweise verloren. Die im vergangenen Jahr angekündigte Digitalbank, mit der man endlich längst verlorenen Boden in diesem Bereich gut machen wollte, wird nun überraschend wieder eingestampft.

Bleibt Problem Nummer 2, die Führungsstruktur. Paul Achleitner spielt die Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden sehr offensiv, ist in der Öffentlichkeit und damit auch in der Bank sehr präsent. Ganze 59 Mal tagte der Aufsichtsrat der Deutschen Bank im vergangenen Jahr, das ist mehr als einmal pro Woche. Das ist mit einem traditionellen Verständnis der Rolle eines Aufsichtsrates nur schwer zu verstehen, soll dieser den Vorstand doch lediglich überwachen und beraten und die Geschäfte nicht gleich selber führen. Unabhängig davon kostet es auch viel Geld, das Gremium so intensiv zu beschäftigen. Hinzu kommt, dass sich zunehmend der Eindruck breit macht, Achleitner sei inzwischen der Falsche, um den notwendigen Wandel einzuleiten und zu begleiten. Auch wenn tüchtige Chefvolkswirte der Bank die Grundprobleme weit vor seiner Zeit gefunden haben wollen, so sind doch viele fragwürdige Entscheidungen in der Ära Achleitner gefallen. Dass sich immer noch 84 Prozent der Aktionäre zu einer Entlastung des Aufsichtsratsvorsitzenden durchringen konnten, ist dahingehend sicherlich überraschend. Die Frage nach der Verantwortung Achleitners für den aktuellen Zustand der Bank bleibt aber unbeantwortet.

Herausforderung 3 für den neuen Vorstandsvorsitzenden: die Mitarbeiter. Unmittelbar nach seiner Ernennung zum neuen CEO wandte sich Sewing direkt an die Belegschaft und versprach mehr Anerkennung, eine bessere Kommunikation, mehr Teamfähigkeit. Dabei will er verstärkt auf eigene Talente, nicht mehr auf teure Führungsspieler von außen setzen. Gezwungenermaßen möchte man hinzufügen. Die immensen Halteprämien in Form von Boni für das abgelaufenen Geschäftsjahr zeigen die enormen Schwierigkeiten, gutes und erfolgreiches Personal wenigstens zu halten, geschweige denn zu gewinnen.

Nein, Sewing wird zunächst einmal liefern müssen, bei der Umsetzung aber auch bei den Zahlen. Erträgen von rund 26 Milliarden Euro stehen aktuell Kosten von rund 23 Milliarden Euro gegenüber. Der Stellenabbau kostet nun wieder viel Geld, die Einschnitte in den verschiedenen Geschäftsbereichen gehen dagegen zulasten der Erträge. Und ganz sanft darf man sich die Frage stellen, wie die Bank denn mit einem konjunkturell normalen Jahr, in dem wieder eine Risikovorsorge anfällt, zurechtkommen kann? Wie hat es Paul Achleitner so zurückhaltend gesagt auf der Hauptversammlung: "Herr Cryan hat in seiner Amtszeit also wichtige Weichen gestellt und so eine Basis gelegt, auf der nun Herr Sewing und sein Team aufbauen können. Wenn Sie so wollen: Die Gleise sind gelegt, jetzt muss nur der Zug Geschwindigkeit aufnehmen."

Für Deutschland ist all das wenig hilfreich. Zum Glück ist bald Fußball-Weltmeisterschaft, bei der Jogis Jungs den Titel verteidigen und zumindest dem Fußball "Made in Germany" wieder zu Glanz verhelfen können. Bei Merkel hat man frei nach Dante alle Hoffnung verloren, bei den Banken und Automobilherstellern wird es noch ein wenig länger dauern, diese wieder zu entwickeln.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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