Ein Problem der Eliten

Philipp Otto

"Die Wirtschaftseliten genießen gegenwärtig in der Öffentlichkeit keinen allzu guten Ruf, viele Konzerne stehen am Pranger: Die Vorwürfe reichen von Gewinnmaximierungssucht und reiner Shareholder-Orientierung bis hin zur Höhe der Managergehälter und problematischen Abfindungszahlungen sowie der Heuschreckenmetapher. Hintergrund für eine solche Kritik ist die Wahrnehmung, dass die Wirtschaftseliten seit rund zwei Jahrzehnten ein in die Globalisierung eingebettetes neoliberales Modernisierungsprojekt favorisieren, welches soziale Ungleichheit vergrößert und bedenkliche Folgen für gesellschaftliche Integration zeitigt.

Durch die grenzenlose Mobilität des Kapitals und die Verschärfung der Konkurrenzbedingungen würde sich das soziale Gewissen der Unternehmer und Topmanager abschleifen, sodass sie ihre Macht ohne Verantwortung ausübten und eine Entmenschlichung der Wirtschaft die Folge sei. Die Wirtschaftseliten haben solche Vorwürfe mal als geschmacklos, mal als Ausdruck von Neiddebatten, mal mit dem Hinweis auf notwendige Maßnahmen der Standortsicherung zurückgewiesen." So schrieb es Dr. Peter Imbusch vom Zentrum für Konfliktforschung der Universität Marburg vor über zehn Jahren.

Offensichtlich hat sich seit damals wenig geändert. Sozialneid, Unverständnis, Zorn und Beschuldigungen prägen auch heute noch das öffentliche Bild der deutschen und weltweiten Wirtschaftseliten. Kein Wunder: Zum einen geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. In Deutschland zum Beispiel - wo es sicherlich eines der besten sozialen Auffangnetze dieser Welt gibt - verfügen laut Zahlen des Bundessozialministeriums zehn Prozent der Haushalte über mehr als die Hälfte des Nettovermögens, die unteren 50 Prozent der Haushalte lediglich über ein Prozent. 1998 stellte sich das Verhältnis mit 45,1 Prozent und 2,9 Prozent noch etwas ausgewogener dar. In den USA vereinnahmten die 25 bestverdienenden Hedgefonds-Manager 2015 mehr als alle 158 000 Kindergarten-Erzieher Amerikas zusammen. Solche gravierenden Unterschiede sind für die meisten Menschen zutiefst ungerecht.

Was aber wird als gerecht empfunden? Michael Norton von der Harvard Business School und Sorapop Kiatpongsan von der thailändischen Chulalongkorn University befragten Menschen in 40 Ländern, welcher Gehaltsunterschied zwischen einem einfachen Mitarbeiter und dem verantwortungsvollen Job des Chefs als angemessen empfunden wird. Das Ergebnis: Weltweit wünschen sich die Befragten ein Verhältnis des 4,6-Fachen. In Wirklichkeit aber verdienen CEOs weit mehr. Der Lohn des VW-Chefs Martin Winterkorn etwa betrug im Jahr 2011 rund 17,5 Millionen Euro. Das war das 350-Fache eines durchschnittlichen Mitarbeiters. Im Folgejahr begrenzte Winterkorn sein Gehalt freiwillig auf 14,5 Millionen Euro - mit der Begründung, ein höheres Gehalt sei "nicht vermittelbar".

Doch nicht nur die Höhe der Gehälter erzürnt das Volk, das würde man vielleicht noch hinnehmen, wenn die Manager - von Unternehmern spricht heute kaum noch jemand - ihre unternehmerischen wie gesellschaftlichen Pflichten im Sinne des "ehrbaren Kaufmanns" erfüllen würden. Doch auch das tun sie offensichtlich nicht gut beziehungsweise gut genug. Statt dem sozialen Gewissen regiert nach wie vor das Gewinnstreben. Briefkastenfirmen in Panama, Niederlassungen in Steueroasen wie Luxemburg, persönliche Verfehlungen, die Liste der Anklagepunkte ist lang, wenn nicht gar unendlich. Das ruft auch die Justiz auf den Plan: Nimmt man allein die Anzahl der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen Manager der vergangenen Jahre als Indikator, muss sich der Eindruck aufdrängen, dass die Chefetagen deutscher Konzerne von Kriminellen unterwandert sind und kleine wie größere Sauereien wie selbstverständlich zum Repertoire unserer Wirtschaftsführer gehören.

Dass die Justiz unnachsichtig gegen Verfehlungen und Wirtschaftskriminalität vorgehen muss, steht außer Frage. Bei einigen der Ermittlungen drängt sich aber der Verdacht auf, dass weltfremde Staatsanwälte mit den Mitteln des Strafrechts die Trennlinie zwischen unternehmerischer Handlungsfreiheit und Kriminalität verschieben wollen. Sie greifen sich längst nicht nur Manager, die bestechen oder betrügen, sondern mischen sich in Grundsatzfragen der Unternehmensführung ein - in einer Marktwirtschaft eigentlich Sache von Aufsichtsrat und Aktionären. Hinzu kommt, dass das alles mit größtmöglicher Öffentlichkeit stattfindet - was sicherlich auch der eigenen Karriere des ein oder anderen Staatsanwalts oder der ein oder anderen Staatsanwältin dienen soll. So entsteht der Eindruck einer verbrecherischen Wirtschaftselite, so steht ein ganzer Berufsstand am Pranger, obwohl die Zahl der tatsächlichen Verurteilungen infolge der Ermittlungen sehr überschaubar, wenn nicht gar unverhältnismäßig klein ist. All das hat auch fatale Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Schwierig ist zudem, dass kaum eine Branche als zweifelsfrei anständig gelten kann, sondern sich Verfehlungen in nahezu allen Wirtschaftsbereichen finden lassen. Spitzenreiter auf der Skala der Unbeliebtheit sind derzeit aber sicherlich die Banken. Darüber braucht sich niemand zu beschweren, dafür hat die Branche selbst ausreichend getan, auch wenn natürlich ein Generalverdacht unangebracht und ungerecht ist, wie Helaba-Chef Herbert Hans Grüntker auf der 62. Kreditpolitischen Tagung der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, die in dieser Ausgabe dokumentiert ist, zu Recht darlegt.

Er betonte aber auch die besondere Verantwortung der Banken als einer Branche sui generis: "Es gehört zum Wesen der Menschen, dass sie in existenziellen Grundfragen Vertrauen in Institutionen fassen wollen und können. Und eine funktionierende Kreditwirtschaft ist von existenzieller Bedeutung. Daher wollen die Menschen gerne uns ihr Vertrauen schenken. Und sie sind nicht nur enttäuscht, sondern geradezu verunsichert, wenn sie uns dieses Vertrauen nicht mehr schenken können. Damit uns dieses Vertrauen entgegengebracht wird, reicht es aber nicht, sich nur an die Gesetze und Verordnungen zu halten, also das Bankgeschäft auf legaler Basis zu betreiben. Nein, angesichts unserer herausgehobenen Bedeutung müssen wir zusätzlich die Legitimität unseres Handelns belegen." Ähnlich argumentiert auch BaFin-Chef Felix Hufeld: "Faires Verhalten schafft Vertrauen! Es zahlt sich für die Banken aus, wenn sie sich nicht nur rechtskonform, sondern anständig verhalten." Die deutsche Bankenaufsicht will sich diesem Thema im Rahmen der Verhaltensaufsicht stärker widmen. Von Strafzahlungen nach amerikanischem Vorbild hält Hufeld indes wenig.

Ein wenig Trost für die gebeutelte Bankerseele gab es vom früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier: "Grobe Missbräuche eingeräumter Freiheiten in der Vergangenheit durch die Banken selbst, das daraus folgende katastrophal schlechte Image der Banken haben die staatliche Regulierungsmaschine zwangsläufig auf den Plan rufen müssen. Einzelheiten dieser Regulierungswelle entziehen sich meiner Beurteilungskompetenz. Aber für den die Szene beobachtenden Verfassungsrechtler stellt sich bisweilen schon die Frage, ob dabei immer das notwendige Maß an Verhältnismäßigkeit, Geeignetheit, Erforderlichkeit und vor allem auch Gesetzesbestimmtheit gewahrt worden ist und ob nicht bisweilen rechtsstaatliche Mindeststandards im legislatorischen Regulierungseifer über Bord geworfen werden. Gewisse Sorgen bereiten dem Verfassungsrechtler auch die teilweise doch recht gravierenden Beeinträchtigungen der Branche oder einzelner Unternehmen durch sogenanntes informelles staatliches Handeln, etwa durch überzogene katastrophische Warnungen oder Drohungen seitens inländischer oder ausländischer Hoheitsträger. Durch solche faktisch mittelbaren, informalen Eingriffe in die unternehmerische Tätigkeit können letztlich erhebliche Schäden entstehen."

Hans-Jürgen Papier hat recht, doch das Problem geht noch weiter. Die Beispiele Trump oder AfD zeigen, wie geschickte Politiker, die spüren, dass es brodelt im Volke, dass sich ein Ärger über das politische und das ökonomische System aufgestaut hat, die richtigen Worte finden und Wähler auf ihre Seite ziehen. Das gilt es im Interesse der Demokratie, der freien Marktwirtschaft und der gesunden Gesellschaft unbedingt zu verhindern. Da sind alle Politiker, die Medien mit ihrer Berichterstattung, aber auch und gerade die Wirtschaftseliten gefordert, die endlich wieder mehr Vorbild und weniger Ziel sein müssen.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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