Rule, Britannia!

Philipp Otto

When Britain first at Heav'n's command Arose from out the azure main This was the charter of the land, And guardian angels sang this strain;

Rule, Britannia! Britannia rule the waves; Britons never will be slaves.

The nations not so blest as thee, Must in their turns to tyrants fall; While thou shalt flourish great and free, The dread and envy of them all.

Rule, Britannia! Britannia rule the waves; Britons never will be slaves.

Diese ersten Zeilen des sicherlich patriotischsten englischen Liedes, vielleicht gar der inoffiziellen Hymne, das am 1. August 1740 auf dem Landsitz des Prince of Wales Friedrich Ludwig von Hannover in Cliveden uraufgeführt wurde, drücken nahezu gänzlich den britischen Stolz und das britische Streben nach Unabhängigkeit aus. Und genau dieser Stolz und dieser unbedingte Unabhängigkeitswille war jetzt wohl auch größter Treiber der Entscheidung von fast 52 Prozent der Bürger, der EU nach mehr als vierzig Jahren den Rücken zu kehren.

Die spärlichen Warnungen vor den wirtschaftlichen Folgen fruchteten nur in der Finanzmetropole London. In den Arbeiterstädten und den ländlicher geprägten Regionen war dagegen die Sorge vor Arbeitslosigkeit, die Angst vor immer mehr Immigranten ohne eine entsprechende europäische Politik und natürlich in allererster Linie die Unzufriedenheit mit stark entdemokratisierten europäischen Institutionen, die die Menschen Europas mit immer mehr Vorschriften überziehen, sehr viel stärker. Es fällt nicht nur den Briten schwer, sich mit der EU noch zu identifizieren, schwer an die Richtigkeit von Entscheidungen zu glauben, wenn es keine Legitimation derjenigen, die diese treffen, und auch keine Korrekturmöglichkeiten gibt.

Vielleicht liegen die Briten mit ihrer Entscheidung trotz aller sicherlich zu befürchtenden ökonomischen Konsequenzen - der Absturz des Pfundes um mehr als 10 Prozent auf den tiefsten Wert seit 1985 mag als ein erster Anhaltspunkt gelten können - jedoch gar nicht so schlecht. Denn ist die britische Wirtschaft wirklich so abhängig von den Europäern, wie das als Hauptargument von den Befürwortern um den mittlerweile zurückgetretenen David Cameron - einem der bislang eher scharfen Kritiker der EU! - und natürlich den europäischen Vertretern in der Brexit-Diskussion angeführt wurde? Großbritannien verfügt über die drittgrößte Volkswirtschaft Europas hinter Deutschland und Frankreich und über die fünftgrößte der Welt.

Das Bruttoinlandsprodukt betrug im vergangenen Jahr rund 2,85 Billionen US-Dollar, in den vergangenen zehn Jahren lag es nur 2007 und 2014 leicht höher. Mit 2,36 Prozent ist der Anteil der Briten am globalen Bruttoinlandsprodukt zwar immer noch ordentlich, allerdings nahm er in den vergangenen Jahren stetig ab, kommend von noch 2,88 Prozent im Jahr 2006. Für das laufende Jahr erwarten Experten einen weiteren Rückgang auf 2,33 Prozent. Mit weitem Abstand größter Wirtschaftsfaktor ist der Dienstleistungssektor mit fast 80 Prozent, gefolgt von der Industrie mit knapp 20 Prozent und der Landwirtschaft mit 0,6 Prozent. Zudem ist Großbritannien tragendes Mitglied der Nato und verfügt über einen permanenten Sitz im UN-Sicherheitsrat. All das sind gute Argumente für die nach dem Einreichen des offiziellen Austrittsgesuchs anstehenden Verhandlungen mit der EU über den weiteren Umgang miteinander.

Allerdings werden sich auch bislang selbstverständliche Dinge ändern. Mit dem Austritt sind die vier Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes - freier Güter-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehr - für das Land nicht mehr gültig. Experten gehen nach dem Austritt von gravierenden Einschnitten für die britische Wirtschaft aus. Einem Gutachten des britischen Finanzministeriums zufolge würde ein Brexit jeden Haushalt in Großbritannien 4 300 Pfund pro Jahr kosten. Das Land müsste neue Freihandelsabkommen abschließen, Investitionen aus Drittstaaten würden zurückgehen und Banken müssten nach Kontinentaleuropa abwandern. Der deutsche Außenhandelspräsident Anton Börner betrachtet das britische Votum als Katastrophe, auch für Deutschland. Seiner Meinung nach werden die Briten die ersten sein, die die Folgen zu spüren bekommen. Er führte Hochrechnungen an, die mit bis zu 30 Prozent Wohlstandsminderung in dem Land rechnen.

Am stärksten betroffen wird ganz sicher die Finanzmetropole London sein. Die European Banking Authority (EBA) hat ihren Abschied aus London bereits angekündigt. Andere kontinentaleuropäische Unternehmen und Banken werden folgen. Der niederländische Datenspezialist Geophy schätzt, dass internationale Firmen bis zu 200 000 Angestellte aus London abziehen könnten, was mehr als eine Million Quadratmeter Bürofläche und Tausende Wohnimmobilien wieder verfügbar machen würde. Bis zu 35 Prozent, so die Vorausberechnungen von Geophy, könnten die Preise für Gewerbeimmobilien fallen. Profiteure werden Dublin und auch Frankfurt sein, mit all den angenehmen, aber auch unangenehmen Folgen wie erhöhter Wohnungs- und Bürobedarf, Zwang zu Neubautätigkeit in begrenzten Räumen, steigenden Preisen und damit Druck auf die Renditen.

Was am Ende tatsächlich passieren wird, hängt stark von den anstehenden Verhandlungen zwischen der EU und den Briten ab. Es ist zu befürchten, dass die verletzten Entscheider der EU ein klares Signal senden werden, an den Briten ein Exempel statuieren werden, um andere Kandidaten für ein Referendum abzuschrecken. Klar ist: Es darf keine zu großen Zugeständnisse geben, der Austritt darf nicht belohnt werden, sondern muss und wird schmerzhaft für die Bürger und die Wirtschaft Großbritanniens werden. Andererseits sind die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Engländern und den europäischen Ländern eng. Zölle und Ähnliches würden hier zulasten beider Seiten gehen. Bundeskanzlerin Angela Merkel plädierte daher für einen maßvollen Umgang mit den Briten. Europa sei ein Mehrwert, sagte sie. Das hat man in England so offensichtlich nicht gesehen, was auch eine Analyse der Suchanfragen bei Google am Tag nach dem Referendum zeigt. "EU" war das meistgesuchte Wort in Großbritannien. Wussten sie überhaupt, was sie tun? Wussten sie, worum es überhaupt geht? Wenige Tage nach dem Referendum hatten bereits mehr als drei Millionen Briten eine Onlinepetition unterzeichnet, die Abstimmung wiederholen zu dürfen.

Europa darf das aber nicht als falsches Signal verstehen. Der britische Austritt ist nur das Ergebnis eines langen Weges der Unzufriedenheit der Bürger mit der EU und ihren Institutionen. Es gilt, Prozesse und Entscheidungswege wieder näher an die Menschen zu bringen, wie SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte. Es gilt zu überprüfen, was zu den Aufgaben einer EU gehört und vor allem auch was nicht. Es gilt, mehr Dialog zuzulassen und weniger von oben herab zu verordnen und zu regieren. Es braucht ganz unbedingt mehr Legitimation der Entscheidungen und Entscheidungsträger. Es braucht ein hohes Maß an innerer Reformbereitschaft. Denn eine unverbesserliche Union braucht ganz sicher niemand - und das wäre auch über kurz oder lang das Ende der EU und damit auch des Euro, ob weiterhin mit oder ohne Großbritannien. Allein für diese Chance der Erneuerung und Feinjustierung muss man den Briten dankbar sein.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft

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