Verdiente Wettbewerbsvorteile

Philipp Otto Chefredakteur, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Manchmal muss man sich wundern. Denn plötzlich taucht wieder ein Thema in der aktuellen Diskussion auf, das eigentlich schon in irgendwelchen Schubladen verschwunden schien. Manfred Knof, seines Zeichens eigentlich fortschrittlicher und zukunftsgewandter Erneuerer der Commerzbank, packt plötzlich wieder die alte Drei-Säulen-Keule aus, an der sich schon einige seiner Vorgänger erfolglos abgearbeitet haben. Dabei kann man mit Blick durch die eigene Brille und den enormen Druck, unter dem er bei seiner gewaltigen Aufgabe bei der Commerzbank steht, noch einigermaßen verstehen, wenn er sagt, "als CEO einer Privatbank finde ich das Drei-Säulen-Modell nicht gut". Doch schon der Hinweis auf die anderen europäischen Länder hinkt, denn die meisten hatten es noch nie. Und immerhin profitiert auch die Commerzbank von äußerst stabilen Verhältnissen am Standort Deutschland.

Weniger Verständnis kann man dann schon für die Schlussfolgerungen haben: Es wäre besser für die Profitabilität des deutschen Bankensystems, wenn man dieses Modell hinter sich ließe, denn die deutsche Wirtschaft brauche profitable Banken, die die Unternehmen und die Wirtschaft unterstützen könnten, sagt der Commerzbank-Chef. Sicherlich könnte, müsste gar die Profitabilität der deutschen Kreditinstitute höher sein, was neben vielen anderen Gründen natürlich auch ein Stück weit dem harten Wettbewerb geschuldet ist. Dies aber den beiden Verbünden anzulasten, ist eine Verkennung der Tatsachen. Denn weder bieten Sparkassen oder Volksbanken und Raiffeisenbanken auf breiter Front kostenlose Girokonten an, noch haben sie mit Begrüßungsgeldern massenhaft Privatkunden angelockt, deren Einlagen nun schwer auf der betreffenden Bank lasten. Und auch im Mittelstandsgeschäft hört man in der Fläche immer wieder, dass es gerade die Commerzbank war, die in der Vergangenheit mit äußerst lukrativen Kreditkonditionen die Kunden von ihren Angeboten überzeugt hat. Leider, für die Großbank, blieb das erhoffte Cross-Selling-Geschäft aber meistens aus.

Bleibt die angesprochene deutsche Wirtschaft: Von einer Kreditklemme fehlt jede Spur. Im Gegenteil, denn angesichts der enormen Einlagenflut würden Banken und Sparkassen gerne noch viel mehr Kredite an ihre private und gewerbliche Kundschaft ausreichen, und das zu äußerst guten Konditionen für diese. Und die Kapitalmarktunion findet in Deutschland wohl auch nur deshalb so wenige Fürsprecher, mit Ausnahme der Großbanken und ihres Verbandes, weil das seit Jahrzehnten erprobte Zusammenspiel von Banken und Sparkassen und Mittelstand und Industrie auch in der modernen Zeit reibungslos funktioniert. Da wird der Kapitalmarkt meist nur als Ergänzung zur bankenabhängigen Finanzierung gesehen, keineswegs als notwendiger Ersatz.

Kräftig den Kopf schütteln muss man, wenn gerade der Chef der Commerzbank angesichts der vermeintlich unfairen Wettbewerbsbedingungen nach der Politik ruft. Knof empfiehlt den politischen Verantwortlichen "nach der Wahl über fundamentale strukturelle Themen" zu diskutieren und kündigte an, man könne sich absolut sicher sein, dass er und seine Kollegen dieses Thema adressieren werden. Wir erinnern uns: Es waren die privaten Banken und ihr Verband, die in den frühen Jahren dieses Jahrtausends in Brüssel gegen die unbestrittenen Wettbewerbsvorteile der öffentlich-rechtlichen geklagt haben. Mit Erfolg: Anstaltslast und Gewährträgerhaftung wurden Mitte 2005 abgeschafft. "Für die Landesbanken wird nichts mehr sein, wie es war", fürchtete West-LB-Chef Thomas Fischer damals schon und behielt an der einen oder anderen Stelle sogar Recht. Wobei es Landesbanken auch unter den neuen Wettbewerbsbedingungen immer noch gibt, was 16 Jahre später den Commerzbank-Chef offensichtlich immer noch wurmt. Ebenfalls zu Recht? Seit 2005 gilt allenfalls noch eine implizite Staatsgarantie für Sparkassen und Landesbanken, die allerdings in erster Linie mit der Eigentümerverantwortung von Bund, Ländern und Kommunen zusammenhängt. Will man das ändern, muss man grundsätzlich über die Frage des Eigentums der öffentlichen Hand an Unternehmen diskutieren.

Das dürfte aber gerade kein guter Zeitpunkt sein, denn in den jüngsten, von Corona-ausgelösten Verwerfungen mussten wieder zahlreiche Unternehmen auf Staatshilfen zurückgreifen. Und auch die Commerzbank gebe es heute schon nicht mehr, wenn ihr nicht der Bund mit einer ordentlichen Kapitalspritze seinerzeit unter die Arme gegriffen hätte.

Selbst wenn man unterstellt, dass die nach Schlagzeilen suchenden Medien die Äußerungen des Commerzbank-Chefs etwas höher gehängt haben, als er selbst das vielleicht gemeint hat, so muss man sich doch fragen, warum er diese neue Angriffsfläche anbietet. Denn gewinnen kann er damit nicht viel, wie die Reaktionen auf seine Äußerungen zeigen. Muss er also von noch größeren Missständen im eigenen Haus ablenken, indem er einen neuen "Kriegsschauplatz" eröffnet? Kommt er nach nun schon neun Monaten im Amt nicht schnell genug voran und braucht er daher einen Schuldigen für die eigenen Schwächen? Ist er schlicht eine zu ehrliche Haut und will seine Vorgänger, die mit ihrer Wette auf eine Zinserhöhung im Jahr 2019 krachend gescheitert sind, schonen? Dabei hat man doch bekanntermaßen in einem Unternehmen nur zwei Feinde: den Vorgänger und den Nachfolger. Die kommenden Wochen werden hier sicherlich für etwas mehr Klarheit sorgen.

Neue Strukturen braucht der Finanzstandort aber sicherlich nicht und die künftige Bundesregierung wäre wahrlich gut beraten, sich wichtigeren Themen als diesem zu widmen. Dass man auch unter den zweifelsohne anspruchsvollen Rahmenbedingungen des deutschen Bankenmarktes ordentlich agieren kann, zeigt seit Jahren die genossenschaftliche Finanzgruppe, der diese besondere Ausgabe der ZfgK gewidmet ist. Das Spitzeninstitut DZ Bank hat alleine in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres einen Vorsteuergewinn von über 1,8 Milliarden Euro erzielt. Das ist natürlich ein außergewöhnliches und sicherlich nicht nachhaltiges Ergebnisniveau, aber es belegt eindrucksvoll die mittlerweile hervorragende Aufstellung des gesamten Verbundes. Denn die DZ Bank Gruppe profitiert einerseits von der breiten Diversifizierung der ihr zugerechneten Verbundunternehmen, die bei fast jeder Marktentwicklung auskömmliche Erträge zulässt. Zweiter Erfolgsfaktor sind die noch gut 800 Volksbanken und Raiffeisenbanken, die mit ihrer Vertriebsstärke für stetig wachsende Absatzzahlen der Produkte der Verbunddienstleister ebenso sorgen, wie sie ob ihrer Nähe zu den Kunden im Kreditgeschäft fast konstant wichtige Volumenzuwächse verzeichnen können.

Aus einer so über Jahre gewachsenen Position der Stärke heraus, lassen sich viele der kommenden Herausforderungen etwas entspannter angehen als bei manchem Wettbewerber. Für den Dauerbrenner Sustainable Finance wird die genossenschaftliche Finanzgruppe das Angebot auf der Produktseite sukzessive erweitern und auf der (Re)Finanzierungsseite schnell auf- und ausbauen. Dem digitalen Wettbewerb stellt man sich mit einer funktionstüchtigen App, einem verstärkten Omnikanal-Angebot, einer klaren Fokussierung des zentralen IT-Dienstleisters und dem baldigen Aufbau des "leistungsstärksten digitalen Ökosystems regionaler Prägung", wie es BVR-Präsidentin Marija Kolak in dieser Ausgabe ankündigt. Den Themen Niedrigzinsen und Regulierung stellt man sich mit der gewohnten Souveränität, allerdings nicht ohne mit den Zähnen zu knirschen.

Und der weitere Konsolidierungsprozess vor allem auf der Primärbankenebene wird auch zukünftig reibungslos und zielführend stattfinden, damit am Ende, anders als bei den meisten Privatbankenfusionen der vergangenen Jahre/ Jahrzehnte, das neue Institut gestärkt und nicht geschwächt aus dem Zusammenschluss hervorgeht. In diesem Zusammenhang muss noch das leidige Thema EDIS erwähnt werden, was eben genau zu dieser Reibungslosigkeit führt. Die üppig gefüllten Sicherungstöpfe der Volksbanken ebenso wie die der Sparkassen wecken natürlich extrem große Begehrlichkeiten auf europäischer Ebene, ließe sich damit doch so manche Schieflage in Italien, Griechenland, Spanien oder sonst wo wunderbar einfach und billig aus dem Weg räumen. Hier wäre dann doch einmal ein kräftiger Eingriff der deutschen Politik wünschenswert, allerdings wiederum als Beitrag zum Erhalt gewachsener deutscher Strukturen und nicht zu deren Verfall.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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