Digitales Dokumentenmanagement bei Finanzdienstleistern

Eine Sprunginnovation

Abbildung 1: Gründe für die Umstellung auf E-Akten Quelle: Atori GmbH

Dr. Martin Liehr, Sven Eichelsheimer - Während sich im produzierenden Bereich der Einsatz von E-Akten überwiegend auf unterstützende Prozesse wie Personalwesen oder Qualitätsmanagement beschränkt, hat im Finanzdienstleistungsbereich die digitale Verarbeitung und Archivierung von Akten unmittelbar Auswirkungen auf die Kernprozesse. Hieraus ergeben sich weitaus größere Potenziale als bei einer reinen Beschränkung auf Unterstützungsprozesse. E-Akten verwandeln sich somit zu einem Instrument der Prozessgestaltung und -optimierung. Der Beitrag beschreibt die Einführung der E-Akte in der Vertragsabwicklung bei einem Finanzdienstleister.

Die Industrialisierung der Finanzdienstleistungsbranche geht stark voran. Haupttreiber für diese Entwicklung sind ein dynamisches und zunehmend komplexer werdendes Markt- und Wettbewerbsumfeld, gestiegene Erwartungs- und Anspruchshaltung der Kunden sowie wachsende Regulierungsvorgaben. Um in diesem Umfeld weiterhin profitabel zu wirtschaften, müssen Finanzdienstleistungsinstitute permanent an Produktivität und Effizienz arbeiten.

Im Zuge dieses Wandels halten unterschiedliche Methoden und Verfahren zur Prozessoptimierung, wie etwa Six Sigma, TQM, Lean Management, Kaizen, Einzug in die Finanzdienstleistungsbranche.1) Als Zielsetzung ist diesen Ansätzen die Optimierung von Abläufen gemein, um auf dieser Basis Qualität und Produktivität zu steigern. Diesen Zweck verfolgt auch die Implementierung der E-Akte.

Einführung der E-Akte

Die E-Akte erfährt erst seit wenigen Jahren steigende Aufmerksamkeit in der betriebswirtschaftlichen Praxis. Der Begriff selbst hat noch keinen weit reichenden Eingang in Lehre oder Literatur gefunden, und demzufolge findet sich dort keine einheitliche Definition. Im Kern handelt es sich bei der E-Akte um eine beliebige Anzahl digitalisierter Dokumente, die in ihrer Gesamtheit zu einem Vorgang zusammengefasst werden, wie er typischerweise in physischen Akten abgelegt wird.

Das Begriffsverständnis, wie es mittlerweile in der unternehmerischen Praxis vorherrscht, lässt sich wie folgt zusammen fassen: "Grundsätzlich geht es bei elektronischen Akten darum, unterschiedlichste Informationsobjekte so miteinander zu verknüpfen, dass der Anwender durch die Aktenanwendung eine ganzheitliche, zumeist vorgangsbezogene Sicht auf die relevanten Informationen erhält. Aufgrund der Wiedererkennung und intuitiven Bedienbarkeit gleichen digitale Akten hinsichtlich Strukturmerkmalen und optischer Erscheinung meist physischen Akten. So finden sich auch in elektronischen Akten oftmals typische Aktendeckblätter, Laschen und Register."2)

Die Gründe, warum sich Unternehmen für die Einführung der E-Akte entscheiden, können unterschiedlicher Natur sein, wie die Abbildung 1, Seite 83, zeigt. Sie lassen sich in drei Kategorien unterscheiden: Kosten, Compliance, Prozesse. Originäre Zielsetzung des Einsatzes von E-Akten ist das Ersetzen herkömmlicher Papierakten durch deren elektronisches Pendant. Dadurch entfällt die Notwendigkeit zur Einlagerung physischer Dokumente. Die Verwaltung von Papierakten geht in der Regel mit Lagerhaltungskosten einher, die sich durch die E-Akte vermeiden oder zumindest reduzieren lassen; dies betrifft in erster Linie Raumkosten und Sachkosten.3) Eine grobe Schätzung für Sach- und Raumkosten sieht wie folgt aus: Sachkosten 125,00 Euro je 10 000 Blatt Papier (für Regale, Ordner, Register), Raumkosten circa 75,00 Euro für 20 Ordner.

Einen weiteren wichtigen Vorteil gegenüber Papierakten stellt die erhöhte Revisionssicherheit dar. E-Akten ermöglichen das automatische Speichern der Änderungshistorie über den gesamten Lebenszyklus eines Dokumentes hinweg. Auf diese Weise kann ungewollten Veränderungen/Manipulationen von Akten vorgebeugt und rekonstruiert werden, wann wer welche Änderung durchgeführt hat. In engem Zusammenhang damit steht die Regelung von Zugriffsrechten.

Die Digitalisierung von Dokumenten vereinfacht die Umsetzung und Einhaltung von Zugriffsrechten und ermöglicht es, verschiedene Ausprägungen personenbezogen zuzuordnen, ohne manuelle Kontrollen je Vorgang aufzuwenden: Personengruppen mit Leserechten, Personengruppen mit Lese- und Schreibrechten, Einsicht in die vollständige Dokumentation, Teilansichten et cetera.

Der dritte und wesentliche Auslöser für die Einführung von E-Akten liegt im Bereich des Prozess- und Dokumentenmanagements. Die wichtigsten Vorteile liegen in folgenden Bereichen:4)

- Verteiltes Arbeiten,

- Reduktion von Such- und Zugriffszeiten,

- Erhöhung der Transparenz in den Abläufen.

Die elektronische Akte wird im Gegensatz zur Papierakte nicht mehr an einem bestimmten physischen Ort aufbewahrt, sondern zentral abgespeichert. So lässt sie sich über das System von jedem Zugriffsberechtigten abrufen. Dies ermöglicht den standortunabhängigen und jederzeitigen Zugriff.

Hier kommen die Vorteile der Digitalisierung voll zum Tragen. Statt den richtigen Ablageort suchen und dann in diesem blättern zu müssen, kann per Stichwortsuche oder über Indizes, wie Vertrags- oder Auftragsnummer, die Suchzeit drastisch reduziert werden. Was zuvor bis zu mehrere Minuten in Anspruch genommen hat, steht nun in Bruchteilen von Sekunden zur Verfügung.

Auf Basis der E-Akte besteht die Möglichkeit, ein Monitoring- und Steuerungssystem aufzusetzen und den Status von Dokumenten zu überwachen. Durchläuft ein Dokument mehrere Abteilungen oder Prozessstufen, kann so beispielsweise die Verweildauer in den einzelnen Stufen/ Abteilungen kontrolliert und gesteuert werden. Auf diese Weise ist zu jedem Zeitpunkt eine Auskunft über den Status eines jeden Vorgangs möglich. Daneben können mithilfe von E-Akten und den Informationen über die Dokumente Aussagen über die Prozessmetrik (Prozessleitungen) ermittelt werden:

- "Wo in meinem Prozess wird die meiste Zeit benötigt?"

- "Wie viele Ressourcen benötigt der Prozess?"

- "Haben sich die Durchlaufzeiten verbessert?"

Solche und ähnliche Fragen lassen sich nun einfach und schnell beantworten.

Optimierung der Ablage

Hinsichtlich der Dokumenten- und Aktenablage bietet die Digitalisierung Flexibilität und Standardisierungspotenzial zugleich. E-Akten bieten hohe Flexibilität bei der Gestaltung der Ablagesystematik, die derjenigen von herkömmlichen Papierakten in nichts nachsteht, zum Beispiel hinsichtlich Sortierung, Kennzeichnung, Anordnung, Markierung und Indexierung von Dokumenten; hinzukommen Vorteile elektronischer Dateien, wie zum Beispiel Verknüpfung mittels elektronischer Links oder die Vereinfachung von Querverweisen zwischen Dokumenten. Maximale Flexibilität bietet schließlich die sogenannte "dynamische Akte".

Mit dieser lassen sich je nach Prozess, betrachteter Einheit oder Geschäfts vorfall existierende Dokumente zu unterschiedlichen Akten zusammenfassen. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, Standards zur Ablagesystematik zu definieren, die das Archivierungssystem fest vorgibt und so keine Abweichungen zulässt. Das stellt die Einheitlichkeit und damit Nachvollziehbarkeit sowie Replizierbarkeit der Ablage sicher. In der Konsequenz entstehen robuste Abläufe, die zu erhöhter Kundenzufriedenheit beitragen, da Antwortzeiten reduziert und Antwortqualität gesteigert werden.

Vorgehensmodell

Was Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe für den Produktionsbetrieb bedeuten, sind Dokumente, Formulare und Unterlagen in der Finanzdienstleistungsindustrie. Sie stellen die Eingangsgrößen in die wertschöpfenden Prozesse dar. Ihre Verfügbarkeit und Skalierbarkeit steuern maßgeblich zur Prozesseffizienz bei. So sind Potenziale und Vorteile der E-Akte für Produktionsbetriebe und Dienstleister unterschiedlich zu werten. Während sich im produzierenden Bereich der Einsatz von E-Akten überwiegend auf sekundäre, unterstützende Prozesse wie beispielsweise Personalwesen oder Qualitätsmanagement beschränkt, hat im Finanzdienstleistungsbereich die digitale Verarbeitung und Archivierung von Akten unmittelbar Auswirkungen auf die Kernprozesse. Hieraus ergeben sich weitaus größere Potenziale als bei einer reinen Beschränkung auf Unterstützungsprozesse. E-Akten verwandeln sich somit zu einem Instrument der Prozessgestaltung und -optimierung. Dies wird im Folgenden anhand der Einführung der E-Akte in der Vertragsabwicklung bei einem Finanzdienstleister beschrieben. Das Fallbeispiel entstammt der Mobilien-Finanzierung. Das Projekt zur Umstellung von Papier- auf Digitalakten besteht im Wesentlichen aus den in Abbildung 2 aufgeführten Schritten.

Bestandsaufnahme

Am Anfang eines Projektes zur Einführung der E-Akte steht naturgemäß die Bestandsaufnahme, die sich in die Aufnahme von Dokumenten und von Prozessen untergliedert. Bei der Bestandsaufnahme bestehender Dokumente kommen zwei Faktoren besondere Bedeutung für spätere Phasen im Projekt zu, nämlich ihre Vollständigkeit und die Klassifizierung der Dokumente. Letztere dient der Unterscheidung in verschiedene Typen und deren Varianten. Ein Dokumententyp, wie etwa ein Kundenantrag, kann verschiedene Varianten beinhalten, wie Kundenantrag für Darlehen, Kundenantrag für Leasing oder Kundenantrag für Mietkauf. Das Ergebnis der Bestandsaufnahme besteht aus einem Inventar, das alle relevanten Aktentypen und deren Varianten umfasst. In dem Inventar muss unterschieden werden, ob es sich um Papierakten oder rein elektronische Dokumente (zum Beispiel E-Mail oder Dokumente aus bestandsführenden Systemen) handelt. Im Bereich des Mobilien-Leasings gehören unter anderem Bonitätsunterlagen, Finanzierungsbestätigung, Kundensicherheiten, (Rahmen-)Vereinbarungen, Übernahmebestätigung, gegebenenfalls Kfz-Briefe, Kundenangebot, Kundenantrag und der Finanzierungsvertrag zu den wesentlichen Unterlagen eines Finanzierungsvorgangs.

Parallel zur oder im Anschluss an die Bestandsaufnahme erfolgt eine Analyse der Ist-Abläufe. Hier interessiert besonders die Dynamik der Dokumente; das heißt, welchen Pfad eine Akte innerhalb der Ablauforganisation zurücklegt und wie sie sich im Laufe der Zeit verändert. Untersucht wird, welcher Anwender, zu welchem Zeitpunkt, welche Aktivitäten auf Basis des Dokumentes durchführt und welche Änderungen das Dokument erfährt. Diese Analyse erfolgt für alle in dem Inventar gelisteten Dokumente, wodurch sich jeder Unterlage eine für sie spezifische Abfolge von Aktionen zuordnen lässt. Als Ergebnis kommt eine Ablauf- und Aktivitätenbeschreibung je Dokument heraus.

Für die technische Implementierung hat es sich als zielführend erwiesen, dem Ansatz der objektorientierten Entwicklung zu folgen. Die Dokumente werden als einzelne Objekte behandelt, die einen bestimmten Zustand besitzen, beispielsweise "in Bearbeitung", und auf die Funktionen ausgeübt werden, wie etwa "Drucken".5)

Auswirkungen der Digitalisierung

Die Bestandsaufnahme von Dokumenten und Ist-Prozessen bildet die Basis für den nächsten Schritt auf dem Weg zur Implementierung der E-Akte, der darin besteht, die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitsabläufe zu untersuchen. Die Einführung von E-Akten in die Kernprozesse von Finanzdienstleistern führt zu weit reichenden Änderungen in einzelnen Arbeitsabläufen. Bei konsequenter Umsetzung des Konzeptes kommt nur noch an den Stellen Papier zur Verwendung, an denen sich dies nicht verhindern lässt, so etwa aus rechtlichen Gründen. Im Falle des Mobilien-Leasings handelt es sich um Unterschriftsdokumente, wie zum Beispiel Verträge oder Kfz-Briefe. Alle anderen Dokumente lassen sich elektronisch verwalten.

Das Arbeiten mit digitalen Akten hat bei dem hier betrachteten Finanzdienstleister die Abläufe in der Vertragsverwaltung hinsichtlich der Erstellung, Bearbeitung, Archivierung und Suche sowie Verwaltung von Dokumenten deutlich verbessert. Einige der wichtigen Änderungen zeigt die Tabelle, Seite 84.

Aus den genannten Vereinfachungen resultieren Produktivitätssteigerungspotenziale. Diese stellt man den für die Digitalisierung erforderlichen Einmalinvestitionen und laufenden Kosten gegenüber. Das Resultat dieser Gegenüberstellung ist eine Kosten-/ Nutzenanalyse, mit der die Analysephase zur Einführung der E-Akte abschließt. Die Kosten-Nutzenanalyse zeigt auf, welcher Aufwand aus der Archivierung des Bestandes und des Neugeschäftes resultiert und welche Produktivitätssteigerungen diesen entgegenstehen. Die Produktivitätssteigerungen werden in der Regel als Reduktion von Personalaufwand oder Erhöhung des Durchsatzes gemessen. Die Kosten-/Nutzenanalyse bildet die Grundlage für die "Go-/No-Go"-Entscheidung durch das Management.

Prozessdesign

Ist der Business Case für die E-Akte positiv entschieden, definiert der nächste Schritt die Anforderungen an das Prozessdesign. Es beschreibt, welche Anpassungen in der IT-Systemlandschaft vorgenommen werden müssen und wie der Soll-Prozess auszugestalten ist. Der Umfang der erforderlichen Anpassungen hängt wesentlich von dem angestrebten Automatisierungs grad des Dokumentenmanagementsystems (DMS) ab. Das Spektrum reicht von vollständig manueller Digitalisierung durch Einscannen und anschließender manueller Ablage des gescannten Dokumentes bis hin zur vollautomatischen Dokumentenerkennung und -verarbeitung, wie in Abbildung 3 schematisch dargestellt.

In dem vorliegenden Praxisfall werden Barcodes und OCR6) zur automatischen Verarbeitung verwendet. Hierfür beschreibt das Prozessdesign

- welche Informationen der Barcode enthält,

- welche Dokumente einen Barcode erhalten,

- auf welche Weise und zu welchem Zeitpunkt der Barcode auf die Dokumente gebracht wird,

- welche Dokumente sich per OCR analysieren lassen,

- welche Daten aus den Dokumenten zu extrahieren und

- wie die Daten zu verifiziert sind.

IT-Konzept und Inbetriebnahme

Nach der Definition des Prozessdesigns wird ein IT-Konzept erstellt, das alle technischen Detailangaben enthält. Die Phasen ab der Erstellung des Konzeptes über das Testen der neuen Systeme und Abläufe bis hin zum Go-Live entsprechen im Großen und Ganzen den Standardaktivitäten von IT-Projekten. Als ein entscheidender Erfolgsfaktor in diesen Phasen gilt ein frühzeitiges und kontinuierliches Einbinden der betroffenen Abteilungen. Dem Change Management kommt hier ein wichtiger Stellenwert zu. Der Schritt weg vom Papier und die daraus resultierende, spürbare Umstellung der Arbeitsgewohnheiten erfordern eine enge Begleitung der Fachabteilungen bereits während des Projektes und vor allem in der Einführungsphase.

Mit der Implementierung der E-Akte eröffnen sich vielfältige Möglichkeiten zur Optimierung des Dokumentenmanagementsystems, die über die hier beschriebenen Vorteile der Virtualisierung hinausgehen. So lassen sich auf Basis digitaler Dokumente manuelle Prozessschritte vollständig automatisieren. Die Grundlage hierfür bildet deren automatische Erkennung mittels Barcodes oder der OCR-Funktionalität. Auf Basis beider Verfahren lassen sich Produktivitätssteigerungen realisieren, die deutlich über das Potenzial "einfacher" Digitalisierung hinausgehen. Dabei ist ein entscheidender Faktor der kombinierte Einsatz beider Funktionen.

Mehr als Archivierung

Unter Optical Character Recognition versteht man ein Verfahren, auf dessen Basis sich unterschiedliche Dokumenttypen, wie Bilder, PDF- oder Papierdokumente, in editierbare Dateien umwandeln lassen.7) Für diese Umwandlung muss eine OCR-Software die Hell- und Dunkelbereiche einer Bitmap-Datei analysieren sowie numerische und alphabetische Zeichen identifizieren. Ist ein Zeichen erkannt, wird es in ein ASCII-Textzeichen verwandelt. Handschriftliche Dokumente lassen sich natürlich schwieriger analysieren als maschinegeschriebene Zeichen. Das Gleiche gilt für alte, beschädigte oder verschmutzte Schriftstücke.

Der Barcode (oder Strichcode) ist eine Ausprägung der OCR-Technologie zur maschinellen Datenerfassung.8) Er besteht aus unterschiedlich dicken Strichen und unterschiedlich breiten Abständen zwischen den Strichen. Die Striche sind vertikal angeordnet - sowohl Lücken als auch Striche transportieren Informationen. Die Informationen werden mittels Strichcodescanner ausgelesen. Dabei leuchtet der Scanner den Barcode an und liest das reflektierte Licht wieder ein, welches je nach Anordnung und Dicke der Striche/Abstände unterschiedlich ist. Diese elektrischen Impulse liefern nach einer Dekodierung die gespeicherten Daten. In den vergangenen Jahren haben sich mehr und mehr sogenannte 2D-Barcodes etabliert, die anstatt aus horizontalen oder vertikalen Strichen aus Feldern bestehen. Diese Barcodes erhöhen die Lesesicherheit, und vor allem lassen sich mit diesem Verfahren mehr Nutzdaten in einem Barcode kodieren.

Das Scannen und Verarbeiten von Dokumenten mittels OCR ist teilweise mehr ein Handwerk als eine Wissenschaft. Trotz der ständigen Verbesserung der Erkennung kann in der Regel nie von einer hundertprozentigen Erkennungsrate ausgegangen werden. In dem vorliegenden Fallbeispiel zur Einführung der E-Akte in die Vertragsverwaltung wurde die OCR-Schnittstelle über mehrere Wochen "trainiert", um sicherzustellen, dass die häufigsten Dokumente korrekt erkannt werden, wie etwa Kfz-Briefe, unterschiedliche Vertragstypen oder Ausweiskopien. Trainiert wird dabei auf Basis einer zuvor definierten Menge von unterschiedlichen Dokumenten. Sollte eine Dokumentenklasse mächtiger sein als die zuvor definierte Menge (es treffen also Dokumente der selben Klasse ein, die aber nicht zuvor 'bekannt' waren), so müssen gegebenenfalls neue Dokumente trainiert werden. Trainieren bedeutet in diesem Fall, die Erkennung an die Besonderheiten des Dokumentes anzupassen.

Automatische Verarbeitung

Abbildung 4, Seite 88, zeigt ein Beispiel für die in einem Barcode enthaltenen Informationen, deren Auswahl eine automatisierte Weiterverarbeitung ermöglicht. Über die automatische Identifikation des Dokumententyps lassen sich Prozessschritte systembasiert ausführen, und zwar ohne jegliche Aktivität eines Nutzers. So kann ein Dokument unmittelbar nach dem Scan-Vorgang dem zuständigen Mitarbeiter zugeordnet und zugestellt werden. Ebenso können (vormals manuelle) Prüfschritte automatisch im Vertragsverwaltungssystem durchgeführt oder Checklisten ergänzt werden, so zum Beispiel für die Prüfung der Vollständigkeit von Akten, die aus mehreren Dokumenten bestehen mit entsprechender Kennzeichnung (Flags).

Je mehr Dokumente einen Barcode erhalten, desto größer gestaltet sich der Produktivitätsgewinn. Bei selbst erstellten Dokumenten wird der Barcode auf das Basisformular aufgebracht, beispielsweise auf die Word-Datei bei Vertragsdokumenten. Auf Dokumente, die von Dritten kommen und nicht selbst erstellt wurden, lässt sich der Barcode während der Postbearbeitung aufkleben, um auch bei diesen Dokumenten eine automatische Verarbeitung zu ermöglichen. In dem vorliegenden Fall führt die Digitalisierung im Bereich der Vertragsverwaltung zu einer deutlichen Aufwandsreduktion. Dieser Produktivitätsgewinn resultiert aus Prozessvereinfachungen und -beschleunigungen. Wie Abbildung 5, Seite 88, schematisch verdeutlicht, entfallen durch den Einsatz von OCR und Barcodes Wartezeiten (Postverteilung), manuelle Zuordnung, Suchvorgänge et cetera.

Neben der Steigerung der Produktivität erhöht sich die Robustheit der Prozesse deutlich: Rückfragen zu Vorgängen und deren Status lassen sich lückenlos und schnell beantworten und Fristen automatisiert überwachen. Ferner ermöglicht eine einfache E-Mail-Funktion dem Vertrieb, Dokumente und deren Bearbeitungsstatus in Echtzeit aus dem Archivsystem zu erhalten und einzusehen. Damit stehen für Kundengespräche immer aktuellste Informationen zur Vertragsabwicklung zur Verfügung, und Rück fragen im Innendienst erübrigen sich.

Dabei kommt die Funktion der sogenannten "Rule Engine" zum Einsatz. Basierend auf digitalisierten Dokumenten bietet die "Rule Engine" Arbeits- und zum Teil sogar Entscheidungsunterstützung. So kann in dem beschriebenen Fall zum Zwecke der Qualitätskontrolle auf Basis zuvor definierter Kriterien eine vollständige Prüfung aller neuen Verträge durchgeführt und über diejenigen ein Report erstellt werden, bei denen es Abweichungen von den Kriterien gibt.

Rule Engine

Als weiteres Beispiel dient der automatisierte Versand von Ausläuferlisten an Händler, basierend auf ebenfalls vorher definierten Parametern. Eine Rule Engine kann also auf Basis aktueller Prozessdaten und Daten aus anderen Systemen (bestandführendes System, Buchhaltung, CRM und so weiter) Entscheidungen selbstständig treffen oder die Sachbearbeiter bei deren Entscheidungen unterstützen. Dabei werden alle im Unternehmen zur Verfügung stehenden Daten innerhalb weniger Sekunden verarbeitet.

Schließlich eröffnet das Dokumentenmanagementsystem auf Basis der E-Akte eine neue Dimension von Transparenz über Abläufe, Performance und Auslastung in der Vertragsverwaltung. Was bis dato bestenfalls am Tagesende durch manuelle Reports verfügbar war, ist nun "realtime" kontrollier- und steuerbar. Durch den Einsatz der hier beschriebenen Technologien sind "Zeitstempel", Status und Typeninfo je Dokument, Vorgang und Mitarbeiter im System vorhanden.

Diese Informationen lassen sich zur operativen Ressourceneinsatzplanung auf Wochen- und Tagesbasis verwenden, zur Ausarbeitung von Statistiken, zum Beispiel, um Saisonalitäten zu ermitteln, sowie zur Untermauerung mittel- und langfristiger Ressourcen- und Ablaufplanung. In dem hier beschriebenen Fall lässt sich in Abhängigkeit der Anzahl der taggleich eingescannten Kundenanfragen und Vertragsdokumente der Bedarf an etwaigen Zusatzressourcen zur Bearbeitung des Posteingangs oder Anfragen-/Auftragsbestandes rechtzeitig ermitteln, anmelden und einplanen. So kann flexibel und zeitgerecht auf Lastspitzen reagiert werden. Das so entstandene Reporting-System ermöglicht es, zusätzlich zu den Informationen aus dem DMS alle im Unternehmen verfügbaren Datenquellen zusammenzuführen. Dadurch entsteht ein abteilungsübergreifendes "Management-Cockpit", das sowohl für das operative als auch das strategische Management zum Einsatz kommt.

Steigerung der Produktivität

Die Digitalisierung von Akten leistet einen deutlichen Beitrag zur Steigerung von Produktivität und Qualität in den Abläufen bei Finanzdienstleistern. Dies insbesondere dann, wenn OCR- und Barcode-Technologien zum Einsatz kommen. Auf dieser Basis lassen sich in der Regel Einsparungspotenziale von 20 bis 30 Prozent der untersuchten Kosten pro Jahr realisieren.

1) Vgl. Löschenkohl, Sven und Sokolovsky, Zbynek: Handbuch Industrialisierung der Finanzwirtschaft, 2005.

2) Stadler, Annette: E-Akten dämmen die Papierflut, in: Wirtschaftswoche, 14. März 2013. In der Folge werden (E-)Dokumente als Teilmengen von E-Akten verstanden. Dokumente und Unterlagen werden synonym verwendet.

3) Vgl. Möller, Mark: Einsatzpotenziale von Workflow-Management-Systemen für die Condor/Cargo GmbH, 2001.

4) Siehe hierzu auch die Ergebnisse der Pentadoc-Umfrage unter: http://www.pentadoc-radar.com/produkte/marktforschungsstudie_-_ elektronische_akten/ vom September 2013.

5) In der Objektorientierung wird hier von Eigenschaften oder Attributen und Methoden gesprochen. Vgl. Balzert, Heide: Lehrbuch der Objektmodellierung, Berlin 2004.

6) OCR steht für "Optical Character Recognition".

7) Siehe hier und im Folgenden: IT Wissen, Online-Lexikon: http://www.itwissen.info/definition/lexikon/optical-character-recognition-OCR-Optische-Zeichenerkennung.html

8) Siehe: http://www.barcode-portal.net/strichcode.php

DIE AUTOREN:

Dr. Martin Liehr, Frankfurt/M., ist Director Operations bei der Volvo Financial Services GmbH und in dieser Funktion verantwortlich für die Marktfolge.E-Mail: m.liehr[at]web[dot]de Sven Eichelsheimer, Viernheim, ist Geschäftsführer bei der Atori GmbH, die Finanzdienstleister in den Bereichen DMS/ECM, Reporting und Prozessanalyse unterstützt.E-Mail: Sven.Eichelsheimer[at]atori[dot]de

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