Nachhaltige Immobilien

Bewertung von Ist-Zustand und Potenzialen

Noch herrscht Uneinigkeit darüber, anhand welcher Kriterien Nachhaltigkeit von Gebäuden am sinnvollsten gemessen werden sollte. Schließlich ist der Begriff Nachhaltigkeit äußerst komplex und umfasst nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische und soziale Aspekte. Investoren, Eigentümer und Gebäudenutzer haben daher großes Interesse an der Entwicklung aussagekräftiger, transparenter und zuverlässiger Nachhaltigkeitsbewertungen. Ein hoher Stellenwert kommt dabei insbesondere der Beantwortung der Frage zu, welcher konkrete ökonomische Nutzen oder Mehrwert sich den unterschiedlichen Nachhaltigkeitsaspekten zuordnen lässt. Um bei der Bewertung von Immobilien alle Chancen und Risiken differenziert abwiegen zu können, bedarf es fundierter betriebswirtschaftlicher und bautechnischer Kenntnisse sowie eines Blicks für die Marktgegebenheiten.

Zertifikate gewinnen an Bedeutung

"Green Buildings" stehen für wirtschaftliche, umweltfreundliche, gesunde und sichere Immobilien mit einem hohen Vermarktungspotenzial. Nachhaltige Gebäude sollen zur Senkung der gesamten Lebenszykluskosten beitragen. Neben dem niedrigen Energieverbrauch können sich hier geringere Instandsetzungskosten und verminderte Risiken auswirken. Außerdem entsteht zunehmend Mehrwert durch eine bessere Vermarktbarkeit, die auch durch soziokulturelle Faktoren sowie den teils beträchtlichen Imagegewinn erreicht wird.

Um die Nachhaltigkeit von Gebäuden besser beurteilen zu können, gibt es inzwischen eine Vielzahl verschiedener Zertifizierungen. Die Unterschiede in den Bewertungsansätzen der weltweit über 30 Gebäudelabel sind jedoch beträchtlich. Dass die Zertifikate zudem uneinheitlich in verschiedenen Kategorien vergeben werden, erschwert die Einschätzung der tatsächlichen Gegebenheiten zusätzlich. Außerdem stellen die unterschiedlichen Gebäudekonzeptionen einen hohen Anspruch an die Gültigkeit und Verlässlichkeit der Kriterienkataloge.

Kritische Stimmen am Immobilienmarkt merken an, dass die meisten Nachhaltig-keits-Zertifikate generell noch zu technisch ausgelegt sind und keine klaren Aussagen zur ökonomischen Situation sowie zur Rendite-Entwicklung zulassen. Ein Grund wird darin gesehen, dass es vor allem noch an Anhaltspunkten und empirischem Datenmaterial fehlt. Werden zur Berechnung der Energieeffizienz von Gebäuden elektronische Erfassungssysteme eingesetzt, ergeben sich zudem mitunter Abweichungen der Ergebnisse bis zu 40 Prozent.

So hatten im internationalen Wettbewerb bisher das britische BREEAM (British Research Establishment Environmental Assessment Method) und das amerikanische LEED-Zertifikat (Leadership in Energy & Environmental Design) die Vorreiter-Rolle. Diese Gebäudestandards liegen allerdings in vielen Bereichen hinter den in Deutschland ohnehin vorherrschenden Qualitäten, Normen und gesetzlichen Anforderungen. Damit sind auch die Maßstäbe an die Nachhaltigkeit niedriger gesetzt. Rein energetisch erfüllt beispielsweise ein in Deutschland rechtskonform errichteter Neubau automatisch das Silber-Niveau von LEED. Während in die Bewertung auch Kriterien wie Raumklima und Bepflanzung bis hin zu Fahrradständern direkt einfließen, macht der tatsächliche Energieverbrauch bei LEED lediglich ein Fünftel der Berechnungsgrundlage aus.

Gebäude können also trotz guter Abschlussbewertung unter dem Strich erhebliche energetischer Mängel aufweisen. Dass der Einsatz neuer Technologien für den Betrieb und Erhalt von Gebäuden die Folgewirkungen für die ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit verändern, wird oft ebenso nicht berücksichtigt. Noch liegt in einigen Kreisen das primäre Interesse in kurzfristigen Maximalrenditen und vagen Potenzialbeurteilungen einer möglichst schnellen Vermarktbarkeit von Immobilien. Doch ein Paradigmenwechsel hat von Seiten der Politik bereits stattgefunden: So dürfen ab dem Jahr 2020 gemäß EU-Verordnung nur noch selbstgenutzte Wohnimmobilien erstellt werden, die keine Energie von außen benötigen.

Maßgeschneiderte Lösungen benötigt

Internationale Immobilien-Portfolios werden zwar vorerst nicht auf die Bewertung anhand der weltweit bekanntesten Zertifizierungssysteme verzichten können. In den vergangenen Jahren hat sich jedoch abgezeichnet, dass die deutsche Immobilienwirtschaft aufgrund ihrer eigenen Baustandards maßgeschneiderte Lösungen braucht, um die Nachhaltigkeit von Gebäuden verlässlich beurteilen zu können, Vergleichbarkeit herzustellen und sinnvolle Verbesserungsmaßnahmen abzuleiten.

Die Entwicklung eigener Verfahren zur Zertifizierung grüner Gebäude - etwa durch die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) und Tüv Süd - setzt sich langsam durch. Die Überprüfung findet unter ökologischen, wirtschaftlichen, soziokulturellen und technischen Gesichtspunkten statt. Besonderes Augenmerk kann darauf gelegt werden, dass dabei der gesamte Lebenszyklus betrachtet wird. Zudem berücksichtigen die nationalen Zertifizierungen die strengen deutschen Bauvorschriften. Damit bieten sie nicht nur hierzulande eine sinnvollere Klassifizierung mit erhöhter Aussagekraft.

Bisherige Bewertungen greifen oft zu kurz

Während sich die überwiegende Mehrheit der Zertifizierungssysteme noch vorwiegend auf Neubauten konzentriert, sind Zertifikate für Bestandsbauten selten. Die Beurteilung des Nachhaltigkeitsgrads von Bestandsbauten darf durchaus als komplexer angesehen werden als bei Neubauten. Die Vielzahl der unterschiedlichen Gebäudekonzeptionen kann derzeit kaum mit einem einzigen Kriterienkatalog abgedeckt werden. Gefragt ist ein wirksames Bewertungsinstrument, das einerseits die Nachhaltigkeit in Sachen Energieeffizienz, Ressourcenverbrauch und Emissionen abbildet und gleichermaßen die Gebäudekonzeption, die technische Qualität und den Standort im Blick hat.

Für eine ganzheitliche Beurteilung der Nachhaltigkeitssituation müssen alle ökonomischen, ökologischen und soziokulturellen Einflussfaktoren berücksichtigt werden. Dazu trägt auch die Differenzierung der Kriterien in verschiedene Einzelkategorien bei, die jeweils Teilaspekte wie zum Beispiel Abwassersituation oder Energieeffizienz behandeln.

Zudem sollte die ganzheitliche Zertifizierung eine Mindestqualität in allen Kategorien voraussetzen. Gerade in diesem Bereich gibt es auf dem internationalen Markt Nachholbedarf. Bei vielen Zertifikaten hat die Orientierung an der Gesamtpunktzahl zur Folge, dass für eine Qualifizierung nicht alle Kategorien relevant sind. Um aus den Nachhaltigkeitsbemühungen einen ökonomischen Nutzen ziehen zu können und um den entstandenen Mehrwert eindeutig zu dokumentieren, sollten einem Bewertungskatalog daher objektbezogene, praxisrelevante und vor allem messbare Kriterien zugrunde liegen.

Ein neues System

Tüv Süd Industrie Service hat auf Basis dieser Erkenntnisse und der Praxiserfahrung seiner Experten ein eigenes Zertifizierungssystem entwickelt. "Tüv Süd Score" (Sustainability Certification of Real Estate) ist primär auf die ökologischen, technischen, ökonomischen und soziokulturellen Eigenschaften der Immobilie ausgerichtet und liefert erstmals eine verlässliche Einschätzung des Ist-Zustands sowie des Steigerungspotenzials der Nachhaltigkeit von Büro- und Verwaltungsgebäuden im Bestand. Zudem berücksichtigt Tüv Süd Score relevante Immobilienmarktkriterien.

Die Zertifizierung umfasst etwa 150 Kriterien, wobei rund 90 direkt in das Bewertungsschema einfließen. Neben technischen Eigenschaften, werden auch die Standortqualität und etwaige Umweltrisiken wie etwa verborgene Altlasten beurteilt. Zwar enthält Score eine Reihe von Kriterien, die teilweise auch das Nutzerverhalten widerspiegeln. Sie werden aber aufgrund der beschriebenen Zielrichtung nicht in die Bewertung einbezogen, sondern lediglich als Information angegeben.

So sollen beispielsweise die Einrichtung und das Vorhalten von Räumlichkeiten beziehungsweise Stellflächen und von Gerätschaften zur Mülltrennung honoriert werden. Das Verhalten des Nutzers, etwa die Durchführung einer Abfalltrennung respektive deren Vernachlässigung, soll sich jedoch nicht negativ auf die substanzielle Nachhaltigkeitsbewertung auswirken.

Ergänzungen zum Bewertungsprozess

Insgesamt fünf Schwerpunkte liegen Tüv Süd Score zugrunde. Das Hauptgewicht liegt auf der Beurteilung der energetischen Situation (35 Prozent), gefolgt von der Einstufung des Gebäudekonzepts (30 Prozent), worunter im Wesentlichen dessen Konstruktion, technische Gebäudeausrüstung, Umnutzungsmöglichkeiten und Baumaterialien fallen. Zudem werden die Wasser-Abwasser- und Abfallsituation (zehn Prozent) sowie die Böden mit möglichen Altlasten (fünf Prozent) beurteilt. Die Kriterien zur Lage des Objekts und zu Standortfaktoren gehen mit einem Anteil von 20 Prozent in die Bewertung ein.

Bei Tüv Süd Score werden auch Umfeld- oder Rahmenbedingungen erfasst, die nicht mit einer Punktzahl bewertet werden, dem Interessenten aber ergänzende Informationen liefern. Zu diesen Info-Kriterien zählen etwa Angaben zum Baujahr, zur Bruttogrundfläche, zur Unterkellerung et cetera. Bei Kriterien mit Bewertung als auch bei Info-Kriterien können aber Befunde von erheblicher Bedeutung auftreten, die den Investoren, Eignern oder Bauträgern als wichtiger Hinweis für den Ist-Zustand einer Immobilie dienen und als Signal-Aussagen besonders verdeutlicht werden sollen. Beispiel für derartige Signal-Feststellungen wären etwa eine problematische Erschließung des Grundstücks ohne Nachweis der Absicherung des Zugangsrechts oder eine erhebliche Immissionsbelastung.

Allerdings können je nach Art und Beurteilung einiger Kriterien Qualifizierungen und Konsequenzen verbunden sein, die über die reine informelle Erwähnung im Prüfbericht beziehungsweise über die bloße Punktbewertung hinausgehen. Als Beispiel für ein solches Info-Kriterium wäre etwa eine nicht umgesetzte Baugenehmigung zu nennen. In diesem Falle könnte die Verleihung eines Zertifikats der höchsten Qualitätsstufe, das heißt in Gold als nicht gerechtfertigt erscheinen - unabhängig von der ansonsten erreichten Anzahl von Bewertungspunkten. Gleiches gilt für Objekte ohne wirtschaftlich tragfähiges Modernisierungspotenzial aufgrund einer unabänderlichen Konstruktionsweise oder Gebäudeschäden, die keine Gefährdung bedeuten, aber die Nutzung einschränken oder eine erhebliche Erhöhung der Unterhaltskosten mit sich bringen. Dagegen führen massive Defizite zu einem Abbruch des Zertifizierungsprozesses. Zu den Abbruch-Kriterien gehören einerseits schwerste, mit Gefährdungen verbundene Gebäudeschäden. Andererseits zählt Tüv Süd dazu auch erhebliche, aber nicht durch bauliche Maßnahmen herabgesetzte Umweltrisiken wie etwa die Lage in einem Lawinengebiet oder an einem rutschgefährdeten Hang. Als Zwischenlösung denkbar ist allerdings eine Unterbrechung des Zertifizierungsprozesses bis der Mangel behoben ist, respektive eine Fortführung der Prüfungen unter Vorbehalt.

Aufzeigen von Nachhaltigkeitspotenzialen

Eine Besonderheit von Tüv Süd Score gegenüber anderen Bewertungssystemen ist die Betrachtung der Nachhaltigkeitspotenziale, die ebenso in der Punktbewertung erfasst werden. Verbesserungsmöglichkeiten können beispielsweise durch Nachrüsten oder Optimieren von technischen Einrichtungen erschlossen werden, durch Sanierungsmaßnahmen oder das Ausschließen von Schadstoffrisiken. In der Potenzialanalyse werden kosteneffiziente Lösungen unter Beachtung der Amortisationsdauer aufgezeigt. So wird bei der Bewertung beispielsweise die kurzfristig umsetzbare Anschaffung moderner Heiztechnik höher gewichtet als eine langfristig angesetzte Komplettsanierung. Die vorhandenen Potenziale wirken sich unter dem Strich zwar nicht auf die Bewertungsstufe aus - Ziel der Zertifizierung ist nach wie vor die Abbildung des Ist-Zustands - allerdings werden Ansatzpunkte für weitere kostenreduzierende Maßnahmen aufgezeigt. Dies gibt letztendlich auch Impulse für Steigerungen der Nachhaltigkeit bei den folgenden Neuzertifizierungen.

Akzeptanz des Zertifikats

Vorausetzung für die Akzeptanz eines Nachhaltigkeitszertifikats im Markt ist die Qualität des Zertifizierungsprozesses. Dieser sollte umfassend und gleichzeitig effizient sein. Tüv Süd bringt in die ganzheitliche Nachhaltigkeitsbewertung eine umfassende technische, ökologische und immobilienwirtschaftliche Expertise ein. Investoren und Facility Manager profitieren davon, dass für jeden Schwerpunkt die erforderlichen Spezialisten bereit stehen, um das Gebäude zu bewerten und Verbesserungspotenziale aufzuzeigen. Darüber hinaus sorgt die Bearbeitung aus einer Hand für einen bürokratiearmen Ablauf und somit für eine kurze Bearbeitungszeit.

Um den Markt nicht durch Fehlinformationen zu verunsichern und um Missbräuche zu erschweren, werden die Zertifizierer sorgfältig ausgewählt. So können eine Bewertung nach Tüv Süd Score ausschließlich erfahrene Tüv-Süd-Experten aus den Bereichen Bautechnik, Elektro- und Gebäudetechnik, Umwelttechnik und Immobilienbewertung übernehmen.

Gerade in Zeiten in denen auf den Finanz- und Immobilienmärkten Transparenzdefizite bemängelt werden, gewinnen nachhaltige Gebäudekonzepte und deren aussagekräftige Zertifizierung an Bedeutung. Ein Zertifikat erreicht wiederum nur dann den angestrebten Nutzen, wenn den Nachhaltigkeitsaspekten ein konkreter Wert beigemessen werden kann, der von Investoren und Banken verstanden wird. Und um wirtschaftlich sorgfältig agieren und die Nachhaltigkeit gegenüber Investoren und Anlegern belegen zu können, sind hinreichende Vergleichsmöglichkeiten nötig.

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