Nachhaltige Immobilien

Drei Säulen eine Schnittmenge

Nachhaltige Immobilien werden in der öffentlichen Diskussion noch immer häufig auf den Aspekt der Energieeffizienz reduziert. Tatsächlich spielen drei Säulen eine tragende Rolle beim Nachhaltigkeitskonzept - Energieeffizienz ist nur eine von ihnen. Die zweite Säule umfasst den Aspekt der Ökonomie, die dritte betrifft soziokulturelle Faktoren. Die Reihenfolge der drei Säulen ist dabei zufällig gewählt und drückt nicht deren Wertigkeit aus. Die Dimensionen der Nachhaltigkeit stehen auch nicht nebeneinander, sondern greifen vielmehr ineinander.

Ökologie, Ökonomie, Gesellschaft

Es gibt zahlreiche Kriterien, an denen sich die einzelnen Säulen messen lassen. Beim Thema Ökologie beispielsweise sind dies der Energiebedarf eines Gebäudes und die Umweltverträglichkeit der Energiequellen, die zum Einsatz kommen. Ein weiteres Bewertungskriterium ist, wie viel Grund und Boden für ein Projekt in Anspruch genommen wird und ob es sich dabei um innerstädtische - bereits versiegelte - Flächen handelt, die wieder nutzbar gemacht werden, oder um bislang naturbelassene Areale, die durch ein neues Projekt als Freiflächen verloren gehen.

Auch die Lage spielt eine wichtige Rolle: Dezentral, beispielsweise in den Speckgürteln gelegene Immobilien erhöhen das Verkehrsaufkommen durch die Nutzer und "verursachen" mehr Schadstoffe als zentrale, innerstädtische Objekte.

Die ökonomische Säule bewertet vor allem die Wertentwicklung der Immobilie und die laufenden Kosten über den Lebenszyklus. In der Praxis werden die laufenden Kosten aus Entwicklersicht oft als weniger wichtig als die Erstellungskosten angesehen, denn die Erstellungskosten fallen in einem kurzen Zeitraum an und müssen vom Entwickler getragen werden.

Die Nutzungskosten hingegen verteilen sich auf viele Jahrzehnte und liegen zu einem Großteil beim Nutzer. Unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten kommt jedoch den laufenden Kosten die weit größere Bedeutung zu: 80 bis 85 Prozent der Gesamtkosten vom Konzept über Planung, Bau, Nutzung und Instandhaltung bis hin zum Abbruch entfallen auf die Nutzungsphase.

Die soziokulturelle Säule betrifft Aspekte wie die Erreichbarkeit einer Immobilie mit dem öffentlichen Personennahverkehr oder die Qualität der Architektur. Weitere Kriterien sind die Barrierefreiheit der Innen- und Außenräume, um die Immobilie für einen möglichst breiten Personenkreis nutzbar zu machen.

Außerdem spielen Faktoren wie die Behaglichkeit und der Wohlfühlaspekt in den Räumen eine wichtige Rolle - sie hängen unter anderem von der Temperierung, der Belichtungs- und Beleuchtungs- sowie der Belüftungssituation ab.

Anhand des Behaglichkeitsaspekts kann veranschaulicht werden, wie die drei Säulen zusammenhängen. Wenn beispielsweise bei einem Büroprojekt Fenster vorgesehen werden, die nicht geöffnet werden können, wäre dies aus Gründen der Energieeffizienz von Vorteil. Ein niedrigerer Energieverbrauch hätte außerdem geringere Nebenkosten zur Folge.

Den positiven Effekten auf ökologischer und ökonomischer Ebene stehen jedoch Probleme auf der sozialen Ebene gegenüber, denn in vielen Nutzern ruft es Unbehagen hervor, wenn sie nicht die Möglichkeit haben, Fenster zu öffnen. In diesem Fall sollte also zugunsten der Lebensqualität der Nutzer der soziokulturellen Komponente die größere Bedeutung zukommen.

Ein positives Beispiel für die Schnittmengenbetrachtung: Die richtige Bürobeleuchtung und eine angenehme Temperierung führen zu zusätzlichen Leistungseffekten von Büronutzern von bis zu 30 Prozent. Produktivere Mitarbeiter bedeuten ökonomische Vorteile. Wenn Beleuchtung und Belüftung zusätzlich im Hinblick auf Energieeffizienz geplant sind, gehen hier ökologische, ökonomische und soziokulturelle Faktoren Hand in Hand.

"The m.pire" als Beispiel aus der Praxis

"The m.pire" in München ist ein Beispiel für ein nachhaltiges Büroensemble, bei dem die drei Säulen der Nachhaltigkeit als Schnittmenge Berücksichtigung finden. Der 23-geschossige Büroturm Skyline Tower und die vier Campusgebäude wurden von dem international bekannten Architekten Helmut Jahn entworfen und bilden das künftige Eingangstor zur Parkstadt Schwabing. Die Gebäude werden Mitte 2010 fertiggestellt. Als eines der Pilotprojekte hat der Komplex an dem Vorzertifizierungsverfahren der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) teilgenommen. Das bedeutet: Es handelt sich um eines der ersten Gebäude in Deutschland, das nach den Kriterien der DGNB auf Nachhaltigkeit überprüft wurde.

Die Kriterienliste des DGNB umfasst mehr als 40 Einzelaspekte. Hierunter befindet sich neben den bereits genannten Aspekten wie Energieeffizienz, Wertentwicklung und Behaglichkeit unter anderem auch die technische Qualität der Immobilie. "The m.pire" hat das Vorzertifikat in der höchsten Stufe - Gold - erhalten. Ein endgültiges Zertifikat wird grundsätzlich erst nach Fertigstellung erteilt.

- Ökologisches Konzept: "The m.pire" wurde im ökologischen Bereich unter anderem auf das Ozonbildungspotenzial geprüft und hat dort die maximale Punktzahl erzielt. Durch den Einsatz von Geothermie, Fernwärme, einer effizienten Klima-, Lüftungs- und Heizungstechnik sowie einer transmissionsarmen Verglasung liegt der Endenergiebedarf bis zu 50 Prozent unter dem eines konventionellen Hochhauses. Die Anforderungen der Energieeinsparverordnung EnEV werden übererfüllt. Dies gilt nicht nur für die zum Zeitpunkt der Genehmigung gültige Fassung der EnEV, sondern auch für die mittlerweile gültige, verschärfte EnEV 2009.

- Ökonomische Qualität: Bei der ökonomischen Qualität hat "The m.pire" gemäß DGNB-Zertifikat ebenfalls die maximale Punktzahl erzielt. Bewertet werden unter anderem die voraussichtliche Wertstabilität und die Lebenszykluskosten. Bei den Lebenszykluskosten wirkt sich der niedrige Primärenergiebedarf positiv aus. Er führt zu deutlich reduzierten Neben- beziehungsweise Betriebskosten. Die künftigen Einsparungen schlagen in der Entwicklungs- und Bauphase zwar mit Mehrkosten zu Buche. Sie liegen bei etwa fünf Prozent im Vergleich zu einem konventionellen Gebäude. Diese Mehrkosten sind jedoch für eine zukunftsorientierte nachhaltige Ausrichtung gerechtfertigt, denn nachhaltige Gebäude werden mittelfristig zum Standard, während konventionelle Gebäude künftig zu Problemimmobilien werden.

- Soziokultureller Ansatz: Beim Aspekt der soziokulturellen Qualität hat die DGNB unter anderem den thermischen Komfort im Winter sowie im Sommer geprüft. Außerdem ist der Aspekt des visuellen Komforts Teil der Bewertungsmatrix. Um hier den soziokulturellen Ansprüchen der Nutzer gerecht zu werden, sieht "The m.pire" beispielsweise eine automatische Beleuchtung vor: Die künstliche Beleuchtung passt sich flexibel den Tageslichtverhältnissen an. Bei ausreichendem Tageslicht schaltet das System das Licht aus und spart Strom und somit Nebenkosten - ein Aspekt, der erneut die Schnittmenge von soziokultureller Qualität, Ökologie und Ökonomie verdeutlicht. Ein weiteres Beispiel: Trotz der automatischen Be- und Entlüftung wird die Individualität der Benutzer berücksichtigt. Umluft-, Heiz- und Kühlkonvektoren ermöglichen es, dass jeder Raum beim Heizen und Kühlen nach den individuellen Wünschen des Benutzers nachgeregelt werden kann. Zudem können die Fenster geöffnet werden.

Zertifikate wie das DGNB-Gütesiegel helfen, die Nachhaltigkeit von Projekten und Objekten zu messen und zu belegen - sie haben insofern ihre Berechtigung. Dennoch stehen Zertifikate auch in der Kritik: Die Zahl der Gütesiegel und Zertifikate nimmt immer weiter zu, wobei sich Qualität und Aussagekraft der einzelnen Systeme zum Teil erheblich unterscheiden. Zu den bekanntesten Zertifikaten zählen neben dem DGNB-Gütesiegel vor allem das US-amerikanische LEED-System (Leadership in Energy and Environmental Design), das britische BREEAM (British Research Establishment Environmental Assessment Method) und das Green-Building-Zertifikat der EU.

Zertifizierungsvielfalt

Vergleiche dieser vier Label zeigen: Der Aspekt der Energieeffizienz wird in allen vier Fällen betrachtet, im Bereich Ökonomie und sozialer Qualität bestehen jedoch deutliche Unterschiede. Das EU-Green-Building-Label beispielsweise berücksichtigt ökonomische und soziokulturelle Aspekte überhaupt nicht. Bei LEED und BREEAM fließen die beiden Ebenen zwar in die Bewertung ein, jedoch im Vergleich zum DGNB-Gütesiegel mit deutlich geringeren Anforderungen. Doch auch das DGNB-Siegel wird kontrovers diskutiert.

Teilweise wird die große Zahl der Kriterien als zu bürokratisch kritisiert, einzelne Bewertungsaspekte wie beispielsweise die Frage, ob ein Architektenwettbewerb stattgefunden hat, werden von einigen Marktteilnehmern als praxisfern bemängelt, denn auch ohne Wettbewerb lässt sich eine hohe Qualität beim Entwurf erzielen.

Dennoch wirkt sich ein fehlender Wettbewerb für die Punktevergabe negativ aus. Ein Aspekt, bei dem sich das DGNB-Siegel positiv abhebt, ist beispielsweise das Bewertungskriterium Kunst am Bau. Während gemäß Leitfaden des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Wohnungswesen bei Bundesbauten die Ausgaben für Kunst am Bau prozentual an die Investitionssumme des Vorhabens gekoppelt sind, gibt es eine derartige Verknüpfung beim DGNB-Siegel nicht. Statt der rein monetären Betrachtung steht hier der künstlerische Aspekt und damit der Qualitätsgedanke im Vordergrund.

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