Schwerpunkt: Markt- und Objektbewertung

Immobilienrating im Zusammenhang mit der Risikoanalyse

Das Rating von Immobilien ist dieser Tage zunehmend wieder im Fokus der immobilienwirtschaftlichen Diskussion. Die EU entwickelt neue Regulierungsvorgaben für Rating-Gesellschaften, welche eine mögliche Haftung bei Fehleinschätzungen einbeziehen könnten. Das Rating von Immobilienprojekten, Bestandsobjekten respektive der jeweiligen Objektgesellschaften ist wesentlich abhängig von der Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls (Default) und der in einem solchen Fall zu realisierenden "Recovery Rate" (Rückzahlungsquote). Die Ausfallwahrscheinlichkeit selbst ist abhängig von der unterlegten Finanzierungsstruktur und der Robustheit der prognostizierten Cash-Flows, also insbesondere von Risiken, welche zu Abweichungen von den geplanten Zahlungsströmen führen können. Beim Rating einer spezifischen zur Finanzierung genutzten Anleihe oder eines Kredits ist neben den genannten Faktoren die Vertragssituation, speziell die "Rangfolge" der Gläubiger maßgeblich ("Waterfall").

Die größte Herausforderung bei der Erstellung des Ratings für eine Immobilie, eine Immobiliengesellschaft oder eine von dieser emittierten Anleihe besteht in der adäquaten Einschätzung des Risikoprofils. In diesem Beitrag wird erläutert, wie moderne zukunftsorientierte Ratingverfahren die Qualität von Immobilienratings verbessern helfen und so dazu beitragen können, die Transparenz von Finanzierungskonditionen zu erhöhen. Dabei wird insbesondere auf zwei wesentliche methodische Herausforderungen eingegangen, nämlich die Quantifizierung und simulationsbasierte Aggregation von Risiken (simulationsbasierte Ratingprognosen) und die Abschätzung einer realistischen Bandbreite der (unsicheren) Liquidationserlöse im Falle eines Ausfalls, welche die zu erwartenden Rückflüsse an die Gläubiger bestimmen.

Begriffsklärung

Während im Bereich der "üblichen" Corporate Ratings der Begriff Rating nicht zuletzt dank Basel II und III - auf eine in der Regel auf ein Jahr ausgerichtete Ausfallwahrscheinlichkeit (Probability of Default) abzielt und damit eine Beurteilung des Unternehmens aus Gläubigerperspektive (Fremdkapitalge-ber-Perspektive) darstellt, ist eine derartige Eindeutigkeit beim "Immobilienrating" noch nicht festzustellen. Das Immobilienrating soll ausdrücken, wie "gut", "zukunftsfähig", "attraktiv" oder "gut verkäuflich" eine Immobilie ist. Viele der heute verbreiteten Definitionen des Immobilienratings sind nur eingeschränkt operational respektive eindeutig auf die Gläubigerperspektive ausgerichtet und haben kein klares Mpreisnszip.

Es ist zu empfehlen, den Begriff des "Immobilienratings" klar als eine Beurteilung aus Gläubigerperspektive aufzufassen. Sie ergänzt damit die Beurteilung einer Immobilie aus Sicht des Eigentümers oder potenziellen Käufers, die sich aus dem (gutachterlichen) Verkehrswert, einem fundamentalen, risikogerechten Wert - berechnet mit einem sogenannten stochastischen Discoun-ted-Cash-Flow-Verfahren - oder aus daraus abgeleiteten Kennzahlen, wie der Relation von Wert zum Investitionsvolumen (der sogenannten Kapitalwertrate oder "Tobin-Q"), ergibt.

Gegenstand der Betrachtung Bei einer klaren Ausrichtung des Begriffs "Immobilienrating" auf die Gläubigerperspektive kann man unterscheiden zwischen

- dem Rating einer spezifischen Finanzierung einer Immobilie, also zum Beispiel bei einer immobilienbesicherten Anleihe oder eines Bankkredits, und

- der Beurteilung eines Immobilienobjekts einschließlich seiner Finanzierung, also einer tatsächlichen oder virtuell berechneten "Objektgesellschaft".

Letzteres korrespondiert mit der Definition eines Corporate Ratings, bei der ein Unternehmen einschließlich der gewählten Finanzierungsform im Hinblick auf die Ausfallwahrscheinlichkeit beurteilt wird. In Anlehnung an die Definition nach Lange (2005) wird hier der Begriff des Immobilienratings als ein Bewertungsprozess definiert, welcher auf Basis einer periodischen Analyse qualitativer und quantitativer Aspekte Aussagen über die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit des Immobilienunternehmen beziehungsweise einer einzelnen Immobilie unter Einbeziehung risikorelevanter Aspekte ermöglicht.

Die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit ist dabei in Analogie zu den klassischen Sichtweisen als die Fähigkeit definiert, alle finanziellen Verpflichtungen aus Zins- und Tilgungsforderungen termingerecht zu gewährleisten. Im Rahmen der Kreditfinanzierung dient das Immobilienrating demnach der Einschätzung des Risikos, dass ein Kreditnehmer seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt und daraus dem Kreditinstitut ein Verlust entsteht.

Operationalisierung auf Basis der Ausfallwahrscheinlichkeit?

Die Einschätzung der Ausfallwahrscheinlichkeit sollte auch die Höhe des zu erwartenden Verlustes berücksichtigen, sodass Rückschlüsse auf den "Expected Loss" möglich werden, vergleiche Keiner (2001). Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass auch ein Wert von Anleihen und Krediten bestimmt werden kann, der insbesondere abhängig ist von der Ausfallwahrscheinlichkeit und der zu erwartenden Rückzahlung im Zuge eines möglichen Ausfalls.

Bei einer klaren Ausrichtung des Immobilienratings - in den angegebenen Varianten - ist für eine klare Operationalisierung festzulegen, ob lediglich die Wahrscheinlichkeit oder auch die zu erwartenden monetären Auswirkungen eines "Defaults" berücksichtigt werden sollen. Im Bereich der Corporate Ratings steht noch immer die Ausfallwahrscheinlichkeit (näherungsweise Insolvenzwahrscheinlichkeit) der Unternehmen im Mittelpunkt.

Eine entsprechende Festlegung auf die zu erwartende (einjährige) Ausfallwahrscheinlichkeit ist möglich. In Anbetracht der langen Investitions- und oftmals auch mittel- bis langfristigen Finanzierungshorizonte sollte alternativ auch eine prognostizierte mittlere Ausfallwahrscheinlichkeit (über einen vorgegebenen Finanzierungszeitraum) ermittelt werden.

Eine bessere Alternative besteht darin, neben der Wahrscheinlichkeit auch die zu erwartenden monetären Konsequenzen eines "Defaults" im Rating unmittelbar zu berücksichtigen. Es ist abhängig von den verfügbaren Sicherheiten, auf die der jeweilige Gläubiger Zugriff hat, welche Rückzahlung er im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Fremdkapitalnehmers erhält (recourse versus limited oder non-recourse). Die (unsichere) Rückzahlung ist in diesem Fall abhängig vom unsicheren Verkaufspreis der Immobilie im Falle eines Defaults - wobei bei derartigen "Notverkäufen" in der Regel lediglich Preise realisierbar sind, die erfahrungsmäßig oftmals signifikant vom (fundamentalen) Wert abweichen.

Rückzahlungsbetrag und Recovery Rate

Im Rating wird der Anteil des Nominalwerts des Fremdkapitals, der im Falle des "Defaults" zurückbezahlt wird, als Recovery Rate (RR) bezeichnet. Mit der Ausfallwahrscheinlichkeit (PD) und dem Erwartungswert der Recovery Rate lässt sich ein Erwartungswert der Verluste ableiten, die bei der Bestimmung der Zinskonditionen berücksichtigt werden müssen.

Der Expected Loss sollte idealerweise aus einer Simulation abgeleitet werden. Ist dies nicht möglich, so kann eine Grobeinschätzung für Corporate Ratings herangezogen werden.

Risikogerechte Beleihungsgrenzen

Die maximal von Gläubigern akzeptierte Höhe der Fremdfinanzierung wird im Allgemeinen unter Bezugnahme auf (a) Verkehrswert und/oder (b) Beleihungswert bestimmt. Insbesondere die Festlegung einer Beleihungsgrenze als (mehr oder weniger fester) Anteil des Verkehrswerts ist besonders kritisch zu betrachten - insbesondere wenn sie als Schätzgröße für die Recovery Rate genutzt werden soll. Selbst wenn der Verkehrswert risikogerecht und korrekt berechnet wurde, kann man daraus nicht unmittelbar eine Schätzung für die Recovery Rate ableiten. Maßgeblich ist nämlich die Höhe des (unsicheren) zukünftigen Verkaufspreises, und damit die "Bandbreite" des zukünftig erwarteten Verkehrswerts als Schätzung für einen möglicherweise realisierbaren Verkaufspreis. Damit ist es notwendig, das "Verkaufspreisrisiko" (Exit-Preis-Risiko) einzuschätzen.

Risiko spielt in diesem Kontext also auf zwei Ebenen eine Rolle. Der aktuelle (fundamentale) Wert ist abhängig von den Risiken der zukünftigen Cash-Flows sowie Preisniveauschwankungsrisiken bedingt durch Änderungen in Multiples/ Yields. Zu beachten ist zudem, dass Gläubiger im Zuge eines nicht optimal strukturierten Vermarktungsprozesses das Risiko tragen, dass potenzielle Erwerber unter der Vermutung eines "Notverkaufs" weitere Preisabschläge vornehmen.

Nutzung der Monte-Carlo-Simulation

Für eine fundamentale und risikogerechte Bewertung einer Immobilie sowie das daraus abgeleitete Rating ist es sinnvoll, ausgehend von einer (quantitativen) Risikoanalyse den fundamentalen Ertragswert abzuleiten. Als Weiterentwicklung der traditionellen und deterministischen Discounted-Cash-Flow-Methode kommen hier simulationsbasierte (stochastische) DCF-Methoden zum Einsatz - diese gewährleisten Transparenz über Einzelrisiken und den aggregierten Risikoumfang (vergleiche Abbildung 2).

Notwendig ist die Weiterentwicklung des Financial Models durch die Erfassung von Risiken, beispielsweise durch die Angabe von (a) Mindestwert, (b) wahrscheinlichstem Wert und (c) Maximalwert einer Planungsposition (zum Beispiel Marktmieten, Inflationsrate oder Leerstandsquote).

Ausgehend vom Financial Model und den quantifizierten Risiken kann mittels Simulation eine große repräsentative Anzahl risikobedingt möglicher Zukunftsszenarien der Ertrags- und Cash-Flow-Entwicklung eines Immobilienobjekts bestimmt werden (vergleiche Abbildung 2). Die Einzelrisiken werden damit aggregiert (Monte-Carlo-Simulation, umsetzbar zum Beispiel mittels Excel plus Simulationssoftware, siehe Gleißner (2011)).

Für eine fundamentale risikogerechte Bewertung ist die Monte-Carlo-Simulation unvermeidlich. Allerdings gibt es für diese Simulation auch andere Anwendungsfelder, zum Beispiel im Rahmen der Preisschätzung, vergleiche French/Gabrielli (2005).

Die Insolvenzwahrscheinlichkeit und den Erwartungswert des Expected Loss kann man unmittelbar aus den Simulationsergebnissen ableiten. In jedem Simulationslauf, also jedem möglichen Zukunftsszenario wird geprüft, ob Überschuldung oder Illiquidität eintritt. Die relative Häufigkeit dieser Szenarien gibt die Insolvenzwahrscheinlichkeit (p) an. In allen Insolvenzszenarien wird der unsichere Verkaufspreis geschätzt und daraus der risikogerechte Expected Loss abgeleitet. Aus diesem ergibt sich das Immobilienrating, die Beurteilung aus Gläubigersicht. Die Simulationsergebnisse lassen sich ebenfalls für eine risikogerechte Bewertung der Immobilie aus Investorensicht heranziehen.

Die Grundidee der Bewertung ist relativ einfach: Ein höherer Umfang an Risiken führt potenziell zu höheren (negativen) Planabweichungen respektive Verlusten, was mehr Eigenkapital (Risikotragfähigkeit) erfordert. Des Weiteren führt ein zunehmender Bedarf an teurem und knappem Eigenkapital ceteris paribus zu höheren Kapitalkosten (Diskontierungszinssätzen) und einem niedrigeren fundamentalen Wert, vergleiche Gleißner (2011a).

Welcher Vorteil ergibt sich, wenn man auf die Weise ergänzend einen risikogerechten fundamentalen Wert bestimmt hat - und diesen mit einem möglichen (beispielsweise durch ein gutachterliches Verfahren geschätzten) virtuellen Verkaufspreis vergleicht? Der Vergleich offenbart eine mögliche Fehlbewertung, also die Über- oder Unterbewertung einer Immobilie bei den aktuellen Marktverhältnissen (Bewertungsniveau).

Fundierte Expertise unerlässlich

Es ist zu empfehlen, den Begriff des Immobilienratings auf den interessierten Gläubiger beziehungsweise Fremdkapitalgeber auszurichten. Unterschieden werden sollte dabei die Beurteilung von (a) einer gegebenen Finanzierung (zum Beispiel Anleihe oder Kredit) und (b) eines Immobilienobjekts einschließlich der gesamten Finanzierung, also einer tatsächlichen oder virtuellen Objektgesellschaft. Für eine klare Operationalisierung des Immobilienratings sollte in Anlehnung an die Corporate Ratings die Ausfallwahrscheinlichkeit ein zentrales Element darstellen. Zu diskutieren ist, inwieweit in das Immobilienrating neben der Ausfallwahrscheinlichkeit auch die Recovery Rate einfließen soll, um so erwartete Verluste eines Fremdkapitalgebers durch die Möglichkeit eines Ausfalls erfassen zu können. Dies ist die Grundlage für die Bestimmung risikoadäquater Fremdkapitalzinssätze.

Maximal mögliche Fremdfinanzierung beziehungsweise Beleihungsgrenzen (bezogen auf eine bestimmte akzeptierte Ausfallwahrscheinlichkeit) erfordern die Kenntnis des (unsicheren) zukünftig möglichen Werts respektive möglichen Verkaufspreises. Es reicht damit nicht, Fremdfinanzierungsvolumina und Kreditkonditionen einfach anhand der aktuellen Verkehrswerte auszurechnen. Relevant sind die realistischen Bandbreiten der zukünftigen Werte beziehungsweise möglicher Verkaufspreise. Die

Bestimmung dieser Bandbreite erfordert eine Quantifizierung von Risiken und damit eine fundierte Expertise sowie profundes Verständnis über Grundbesitzinvestments, deren Management sowie die verbundenen Risiken. Zu betrachten sind dabei sowohl Risiken aus der zukünftigen Entwicklung von Mieten beziehungsweise Cash-Flows des Objekts als auch solche durch eine Schwankung des Bewertungs- oder Preisniveaus am Markt (Simulation).

Literaturverzeichnis:

Altman, E. I. (2000): Predicting financial distress of companies: revisiting the Z-score and ZETA models, working paper of New York University, www.stern. nyu.edu/~ealtman/Zscores.pdf, Stand 07.05.2012. French, N./Gabrielli, L. (2005): Discounted cash flow: accounting for uncertainty, in: Journal of Property Investment & Finance, Vol. 23 Issue: 1, S. 75-89.

Gleißner, W. (2011): Grundlagen des Risikomanagements im Unternehmen - Controlling, Unternehmensstrategie und wertorientiertes Management, Vahlen, 2. Auflage.

Gleißner, W. (2011a): Risikoanalyse und Replikation für Unternehmensbewertung und wertorientierte Unternehmenssteuerung, in: WiSt, 7/11, S. 345-352.

Gleißner, W./Leibbrand, F. (2008): Risiko und Portfoliosteuerung bei Immobilieninvestments, in: ZfiFP, Ausgabe 07/2008 vom 25.07.08, S. 2-11. Keiner, T. (2001): Rating für den Mittelstand: Wie Unternehmen ihre Bonität unter Beweis stellen und sich günstige Kredite sichern, Campus Verlag. Lange, B. (2005): Immobilienrating - Modell zur Analyse von Ausfallrisiken immobilienwirtschaftlicher Kreditengagements, Dissertation am Institut für Immobilienmanagement der Universität Leipzig.

Werner Gleißner , Vorstand, Honorarprofessor für BWL, insbesondere Risikomanagement, TU Dresden , FutureValue Group AG, Leinfelden-Echterdingen
Dr. Thomas Wiegelmann , Geschäftsführer , Schroder Real Estate, München
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