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Liquiditätsmessung bei Immobilien

Die Liquidität von Immobilienportfolios wird bislang bei Anlageentscheidungen und im Risikomanagement zu wenig beachtet. Aktuelle Beispiele wie die Liquidiation zahlreicher Offener Immobilienfonds zeigen die Notwendigkeit der Integration von Liquiditätskennziffern. Nachfolgend werden Lösungsvorschläge für die Lqiuiditätsmessung von Immobilien- und Immobilienportofolios vorgestellt.

Der Liquiditätsbegriff umfasst verschiedene Eigenschaften. Bei nicht perfekter Liquidität muss bis zu einer Transaktion gewartet und eine adverse Preisänderung hingenommen werden. Zur Messung der Liquidität sind daher wenigstens zwei Kennzahlen erforderlich, die den Preiseffekt und den Zeiteffekt erfassen. Im Vorfeld einer Immobilientransaktion sind beide Effekte unsicher. Sie werden durch eine Exponentialverteilung (Wartezeit) und eine Normalverteilung (adverses Preiszugeständnis) erfasst. Werden die Parameter mit einer Gruppe vergleichbarer Transaktionen kalibriert, dann können beide Effekte quantifiziert und so die Liquidität von Immobilien gemessen werden.

Begriffsklärung und Einordnung

Liquidität ist Geldnähe. Eine Vermögensposition ist liquide, wenn sie ohne Wartezeit und ohne Preiszugeständnisse verkauft werden kann. Ein Investitionswunsch ist liquide, wenn er schnell und ohne Preisaufschlag verwirklicht werden kann. Oft wird bei der Liquiditätsbeurteilung einer Kapitalanlage auch einbezogen, ob für sie leicht Finanzierungen gefunden werden können. Eine Kapitalanlage hat hingegen nur geringe Liquidität, wenn ihr Verkauf Preisabschläge verlangt oder doch längere Zeit auf einen Kaufinteressenten gewartet werden muss. Gleichermaßen ist eine gewünschte Investition wenig liquide, wenn es lange dauert, bis ein entsprechendes Objekt gefunden wird, das verkäuflich ist, und wenn dann möglicherweise ein deutlich über dem Wert liegender Preis geboten werden muss.

Liquidität ist eine Eigenschaft, die mehrere Merkmale kombiniert. Die einzelnen Merkmale sind zudem graduell erfüllt. Auch bei Vereinfachung müssen wenigstens zwei Merkmale betrachtet werden, der Preiseffekt und der Zeiteffekt. Der Preiseffekt ist die transaktionsbedingte, gegenüber einem Wert der Kapitalanlage hinzunehmende (adverse) Preisänderung. Der Zeiteffekt ist die Wartezeit. Zur Messung des Preiseffektes wird meist das Orderbuch herangezogen. Die Wartezeit wird mit der Resilienz in Verbindung gebracht, mit der Erneuerungskraft des Marktes. Die Resilienz beschreibt, wie schnell neue Interessenten kommen, Order aufgeben und in Transaktionen einwilligen. Ein Indiz ist die Handelsfrequenz.

Da Liquidität allgemein erwünscht ist, wird durch organisatorische Gestaltungen versucht, sie zu fördern. Dazu gehören (1) die Bildung von Gruppen substituierbarer Kapitalanlagen, (2) liquiditätsfördernde Handelsformen einschließlich vertrauensbildender Maßnahmen sowie (3) effiziente Systeme für die Abwicklung von Transaktionen. Der Liquiditätsbegriff - so wie eben für Investitionen skizziert - wird auf Märkte, Portfolios und Institutionen übertragen.

Eine Bank, eine Kapitalanlagegesellschaft oder eine Unternehmung ist liquide, wenn sie über Kassenbestände verfügt, wenn ihr Vermögen in hinreichendem Umfang liquide ist und wenn sie leicht und schnell neue Finanzierungen erhalten kann. Demgegenüber ist eine Unternehmung nur wenig liquide, wenn sie keinen Kassenbestand hat, wenn ihre Vermögensobjekte schwer verkäuflich sind und wenn sich ihr neue Finanzierungen verschließen.

Der Liquidität wurde in den vergangenen Jahrzehnten nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt. Sie hatte sich auch in der langfristigen Tendenz verbessert. Dies durch (1) die generelle Entfaltung der Finanzmärkte, (2) die Zunahme an Verbriefungen, (3) die Entwicklung von Derivaten sowie (4) durch die aktiveren Strategien im Portfoliomanagement. In der jüngsten Vergangenheit wurde die Liquidität (5) durch die expansivere Geldpolitik gestützt.

Allerdings treten Schwankungen der Liquidität auf. Ein Wirtschaftsaufschwung begünstigt die Liquidität, während eine wirtschaftliche Abkühlung die Leichtigkeit von Transaktionen hemmt. Dabei ist Liquidität ansteckend: Ihre Erhöhung in einem Bereich strahlt positiv auf die benachbarten Bereiche aus. Ebenso verringert ein Liquiditätsrückgang die Liquidität in der Nachbarschaft. Liquidität kann sogar einbrechen, wie die jüngsten Krisen vor Augen geführt haben.

Risk und Return

Das Phänomen sich verändernder Liquidität, wie überhaupt die hohe Bedeutung der Liquidität, wurde allgemein übersehen. Dies hatte mit der Fokussierung der Investoren auf die Parameter Risk und Return zu tun. Wir alle sind durch die Moderne Portfolio Theorie (MPT) geprägt, die von H. Markowitz, W. Sharpe, J. Tobin und anderen zwischen 1960 und 1980 geschaffen wurde und unser Denken dominiert hat. Die MPT rückt die unsicheren Renditen möglicher Investitionen in den Mittelpunkt und beschreibt sie durch Wahrscheinlichkeitsverteilungen.

Die beiden wichtigsten Parameter der unsicheren Rendite einer Kapitalanlage oder ihrer Wahrscheinlichkeitsverteilung sind in der MPT ihr Erwartungswert (Return) und ihre Standardabweichung (Risk). Die MPT rückt das Abwägen zwischen Risk und Return in das Zentrum, wobei zur Verringerung des Risk das Portfolio bestmöglich diversifiziert wird.

Beim Abwägen von Risk und Return blieb in der MPT die Liquidität der Einzelanlagen und des Portfolios ausgeklammert. Das erschien gerechtfertigt, sofern das Portfolio vollständig aus börsengehandelten Wertpapieren besteht und von krisenhaften Zuständen der Finanzmärkte abgesehen wird. Doch heute ist die Verengung des Blicks auf die beiden Parameter Risk und Return nicht mehr haltbar, und zwar aus zwei Gründen:

-> Portfolios, besonders die der institutionellen Investoren, sind nicht allein aus liquiden Wertpapieren zusammengesetzt. Die Kapitalanleger mischen liquide und weniger liquide Anlagen, wie Hedgefunds, Private Equity und Immobilien. So müssen neben Risk und Return zusätzlich die Liquidität der Assets und damit die des Portfolios in die Anlageentscheidung mit einbezogen und kontrolliert werden.

-> Die Liquidität ändert sich mit der wirtschaftlichen Situation. Daraus erwachsen zusätzliche Risiken, wie die jüngsten Krisen zeigten. Die Risikobeurteilung und -überwachung von Portfolios muss neben den in der MPT betonten Marktrisiken auch die Liquidität und die Risiken sich ändernder Liquidität einbeziehen.

Das Asset Management muss folglich drei Parameter gleichzeitig kontrollieren: Return, Risk und die Liquidität. Allerdings wurde bis heute weder eine Erweiterung der MPT auf diese drei Parameter entwickelt, noch wurde ein anderer quantitativer Ansatz geschaffen, der diese drei Einflussgrößen simultan berücksichtigen würde.

Immerhin verlangen Aufsichtsbehörden, dass die Liquidität eigens kontrolliert wird. Die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) erweitern die Forderungen und verlangen inzwischen, dass bei Stresstests neben Marktrisiken auch Liquiditätsrisiken einbezogen werden. Das Ziel ist es, Verluste zu beziffern, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit durchaus eintreten können (selbst wenn extreme Ereignisse und der Worst Case ausgeklammert bleiben). Hier wird in Analogie zum Value-At-Risk ein LVAR als Liquidity-Value-At-Risk herangezogen.

Inzwischen hat für börsengehandelte Wertpapiere die quantitative Beurteilung der Liquidität eine gewisse Entwicklung erfahren. Bei börsengehandelten Wertpapieren steht die transaktionsbedingte Preisänderung im Vordergrund, während die Wartezeit aufgrund der hohen Handelsfrequenz und der effizienten Systeme für das Clearing und Settlement eher in den Hintergrund tritt.

Preiseffekt

So hat die Deutsche Börse das Xetra Liquidity Measure XLM entwickelt. Es stellt die Kosten für den Roundtrip eines Wertpapieres dar, der für ein bestimmtes Volumen rechnerisch virtuell im Orderbuch durchgeführt wird. Die zentrale Größe ist der Market Impact. Er beschreibt die Enge und die Tiefe des Orderbuches im Augenblick - gemessen wird die Momentanliquidität. Die Enge ist durch den Bid-Ask-Spread (Liquiditätsprämie) gegeben.

Die Tiefe ist die von der Quantität bestimmte zusätzliche Distanz der Order entsprechender Größe und beschreibt die adverse Preisbewegung. Das XLM zeigt die totalen Transaktionskosten für Bundesanleihen, für Unternehmensanleihen und für Aktien, ausgedrückt in Basispunkten. In Erweiterungen werden diese Transaktionskosten in Abhängigkeit des Handelsvolumens berechnet und grafisch für Volumina zwischen 0,1 und zehn Millionen Euro dargestellt. Die Rechenergebnisse zum XLM werden laufend publiziert und belegen, dass die von der Liquidität abhängigen Kosten für Kauf und sofortigen Verkauf am geringsten für Staatsanleihen sind. Es folgen Unternehmensanleihen und dann Aktien der verschiedenen Gesellschaften. Das XLM eignet sich für die Auswahl von Handelsplattformen und für die Zusammenstellung der Portfolios.

Zeiteffekt

Für Kapitalanlagen, die im Vergleich zu börsengehandelten Wertpapieren eine geringe Liquidität haben, bestehen keine entsprechenden Ansätze. Bereits für den OTC-Handel lässt sich das XLM nicht direkt übertragen, weil beim OTC die Wartezeit nicht vernachlässigbar ist. Kapitalanlagen mit ausgesprochen geringer Liquidität sind Immobilien, insbesondere wenn an Direktinvestitionen gedacht wird. Der entsprechende Markt wird nicht mehr durch Market-Maker, sondern durch Makler gestaltet. Orderbücher im Sinne veröffentlichter Wünsche für Verkauf oder Kauf bestehen nur partiell, doch die Makler haben natürlich in ihren Netzwerken im Hintergrund stehende Akteure, die einmal ein "grundsätzliches" Interesse gezeigt haben. Resilienz ist also vorhanden. Folgende weitere, die Liquidität betreffende Unterschiede bestehen bei Immobilien:

-> Roundtrips sind nicht immer virtuellrechnerisch möglich, weshalb es die Schätzung des adversen Preiseffektes und der Liquiditätsprämie verlangen, den "Mittelpunkt" zwischen Bid und Ask aus einer (theoretischen) Bewertung abzuleiten.

-> Die Resilienz hängt davon ab, wie weit der Kreis gezogen wird, der als substituierbare Investitionsobjekte umschließt.

-> Ebenso tritt die Substituierbarkeit zwischen der Wartezeit und dem adversen Preiseffekt hinzu, denn Verkäufer wie Käufer wägen ab, ob sie durch Preisnachlässe oder Preisaufschläge die Wartezeit verkürzen wollen.

Dies gesagt, muss die "Messung der Liquidität bei Immobilien" eher als ein Forschungsthema gesehen werden, für das eine rezeptartig anwendbare Formel noch nicht vorliegt. Gleichwohl sind bereits Ansätze vorhanden, und zwar sowohl für den Preiseffekt, als auch den Zeiteffekt der (nicht perfekten) Liquidität. Ein Ansatz basiert auf Beschreibung der Schritte zum Vertrag als Ergebnis zufälliger Einflussfaktoren, aus denen sich gewisse Wahrscheinlichkeitsverteilungen für die Wartezeit und den Preiseffekt ergeben.

Für eine Immobilientransaktion öffnet sich beim Makler ein "Orderbuch", indem für einen eintreffenden Verkaufswunsch Kaufinteressenten oder für einen Kaufwunsch verkaufsbereite Parteien gesucht werden. Wie viele Interessenten das sind, hängt unter anderem von jenen Objekten ab, die als substituierbar angesehen werden. Immerhin weist das dermaßen besetzte Orderbuch - einige Investoren haben Interesse gezeigt - einen oft hohen Bid-Ask-Spread auf. Der Makler versucht dann mit beiden Seiten Verhandlungen zu führen, bis ein Zuschlag möglich ist.

Wie lange es bis zu einem Zuschlag dauert, hängt von zahlreichen zufälligen Faktoren ab, die vielleicht aufgezählt, aber in ihrer Wirkung kaum im Einzelnen modelliert werden können. Die Wartezeit muss daher als zufällig angesehen werden. Eine Standardverteilung für die Zufälligkeit von Zwischenankunftszeiten ist die Exponenzialverteilung.

Wahrscheinlichkeit eines Vertragsabschlusses

Das führt zur Hypothese, dass die Zeit vom Wunsch, eine Immobilie zu kaufen oder zu verkaufen und der Kontaktaufnahme eines Maklers bis zu einer Einigung mit einem zu suchenden Kontrahenten exponential verteilt ist. Der Parameter (Lambda) der Exponentialverteilung muss mit einer Peergruppe bestimmt werden, die im Hinblick auf die Umstände als Menge ähnlicher Transaktionen gebildet wird. Ist dies geschehen und ist der Parameter Lambda der Exponentialverteilung bestimmt, dann können Wahrscheinlichkeitsaussagen getroffen werden. Sie lautet etwa dahingehend, innerhalb welcher Zeitspanne - mit angenommen 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit - eine Gegenseite eingewilligt haben wird.

Ähnlich hängen die Preisergebnisse, mit denen die vom Makler geführten Verhandlungen enden, von zahlreichen Einflüssen ab. Auch sie können vielleicht genannt und aufgezählt, aber in ihrer einzelnen Wirkungsweise nicht modelliert werden. Die Abweichung des schließlich vereinbarten Preises vom Ergebnis der Bewertung ist mithin als Summe zahlreicher, zufälliger Aspekte zu sehen.

Dieser Sachverhalt führt zur These, dass der transaktionsbedingte Preiseffekt, ausgedrückt als Prozentsatz vom Wert, der Normalverteilung folgt. Die Breite dieser Normalverteilung (Sigma) kann wiederum anhand einer Peergruppe vergleichbarer Transaktionen bestimmt werden. Ist dies geschehen, sind Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich, etwa dahingehend, mit welcher prozentualen adversen Preisänderung etwa mit achtzigprozentiger Wahrscheinlichkeit gerechnet werden muss.

Neue Dimension der Liquiditätsmessung

Im Ergebnis können durch die Unterlegung des Such- und Einigungsprozesses bei Immobilien mit einer Exponential- und einer Normalverteilung Aussagen abgeleitet werden, die eine (mit gewisser Wahrscheinlichkeit hinzunehmende) längste Wartezeit und höchste Preisänderung beziffern. Auf diese Weise können den Akteuren für Immobilien zwei Kennzahlen genannt werden, mit denen die Liquidität - unterschieden nach Wartezeit und Preiseffekt - gemessen werden kann.

Diese neue Dimension der Liquiditätsmessung ist ein wichtiges Element für An lageentscheidungen, da es dem Investor sowohl bei Liquiditätsengpässen, wie auch bei Liquidationen einen Anhaltspunkt darüber geben kann, wie schnell und wie gut er seinen Anlagegegenwert zurückerhalten kann.

Nicht zuletzt hätten sich Investoren von Offenen Immobilienfonds, die aktuell abgewickelt werden müssen, solche Liquiditätskennziffern für die Anlageentscheidung und als Indikator für eine Kapitalrückführung gewünscht. Darüber hinaus gibt es verschiedene weitere Anwendungen, die solche Kennziffern verlangen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis Investoren die aufgezeigten Kennziffern bei der Anlageentscheidung und im Risikomanagement berücksichtigen und dazu bei den Initiatoren von Immobilienanlageprodukten in regelmäßigen Abständen anfordern.

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