Schwerpunkt Bewertung

Marktwert und Versicherungswert in der Praxis

Der Marktwert (Verkehrswert) steht oft im Mittelpunkt des Interesses, bei An- und Verkäufen, Bilanzierungen und Finanzierungen sowie in Marktberichten. Er ist demnach auch Ziel der meisten Wertermittlungen. Im Vergleich dazu spielt der Versicherungswert der Immobilien selten eine Rolle. Dabei ist er im (seltenen) Groß-Schadenfall selbstverständlich bedeutend und auch bei der (häufigeren) Wertermittlung: Dort werden die Versicherungsbeiträge als Bewirtschaftungskosten berücksichtigt. Immer versicherbar (und bei einer Finanzierung auch vom Kreditgeber gefordert) sind Grundgefahren wie Feuer, Leitungswasser, Sturm und Hagel. Darüber hinaus können Schäden durch Elementarereignisse, politische Ereignisse, böswillige Beschädigung, Glasbruch, Mietverlust, Fahrzeuganprall und Schäden an der Haustechnik nach Prüfung durch den Risikoträger versichert werden (All-Risk-Deckung). In dieser ist bis zu bestimmten Neubauwerten meist auch eine Terrorversicherung enthalten. Der Gebäudeeigentümer will bei entstandenem Schaden einen ausreichenden Ausgleich erhalten. Gleichzeitig aber soll die Prämie so niedrig wie möglich sein. In deutschen Gewerbe-Mietverträgen sind Versicherungskosten meist auf den Mieter umlegbar. Im Einzelhandel ist es gleichwohl üblicher, dass diese Kosten beim Vermieter verbleiben, ebenso ist dies in einigen anderen europäischen Ländern Usus. Das Kosten- und Risiko-Bewusstsein beider Seiten müsste es also gebieten, über den adäquaten Versicherungswert informiert zu sein. Marktwert und Versicherungswert Der Marktwert (Verkehrswert) ist bekanntermaßen "der geschätzte Betrag, für den eine Immobilie am Tag der Wertermittlung zwischen einem verkaufsbereiten Verkäufer und einem kaufbereiten Erwerber, nach angemessenem Vermarktungszeitraum, in einer Transaktion mit gewöhnlichem Geschäftsverkehr ausgetauscht werden sollte, wobei jede Partei mit Sachkenntnis, Umsicht und ohne Zwang handelt". Dies ist die internationale Wortlaut und materiell identisch mit anderen, auch der deutschen, Definition. Der Marktwert ergibt sich aus dem Angebot und der Nachfrage des Immobilienmarktes zum Stichtag, also aus den Plänen und Erwartungen der Käufer und Verkäufer bezüglich der Entwicklung der Miethöhe und Rendite. Der Versicherungswert hingegen spiegelt die Kosten der Wiederherstellung der Immobilie für die gegebene Nutzung zum Stichtag wider und zielt auf die Kosten einer Wiederherstellung ab. Hier geht man von einem "Untergang" des Gebäudes aus und errechnet die Kosten der Wiederherstellung des Gebäudes und sonstiger zugehöriger Anlagen inklusive Honorar und Nebenkosten. Dies bedeutet nicht den historischen Wiederaufbau eins zu eins, sondern nach heute gängiger Bautechnik, mit heutigen Materialien und zeitgemäßer Gestaltung, für eine gleichwertige Nutzung. Die baulichen Anlagen werden nicht abgeschrieben. Das Grundstück gilt als unzerstörbar, das heißt es wird beim Versicherungswert auch nicht berücksichtigt. Die zwei letztgenannten Punkte sind im Übrigen die Hauptunterschiede zum Sachwert, der zum Beispiel bei Einfamilienhäusern zur Marktwertableitung dient, und der die Komponenten Bodenwert und Abschreibung/Abnutzung enthält. Neuwert und Zeitwert Der in der Versicherungswirtschaft geläufige Begriff "Neuwert" entspricht dem soeben genannten Versicherungswert. Errechnet und fortgeführt wird der Neuwert hier anhand eines Grundwerts, der pro Jahr mit einem objekttypischen Anpassungsfaktor wie beispielsweise dem Baupreisindex des statistischen Bundesamtes gekoppelt wird. Dies ist bei Wohngebäuden der Regelfall und auch angebracht, sofern die Gebäude unverändert bleiben. Bei gewerblich genutzten Gebäuden ist es eher üblich, dass der aktuelle Versicherungswert von Sachverständigen ermittelt oder überprüft wird. Aufgrund von Um- und Anbauten oder Umnutzungen der Gebäude verändert sich die bisherige Summe oftmals schon bald. Als Versicherungswert kann weiterhin der Zeitwert vereinbart werden. Der Versicherer haftet hier lediglich bis zu dem Wert, der sich nach Abzug eines dem Zustand des Gebäudes, insbesondere dem Alter und der Abnutzung, entsprechenden Betrages ergibt. Dieser seltenere Fall wird vor allem aus drängenden Kostengründen gewählt, denn die Prämien liegen erheblich unterhalb derer für eine Neuwertversicherung. Bei nicht mehr nutzbaren oder baufälligen Gebäuden ist eine Versicherung zum Gemeinen Wert (Marktwert) üblich. Hier sind die potenziellen Schadensummen, Ausgleichsleistungen (Abbruch- und Aufräumkosten) und Prämien nochmals niedriger. Der Versicherungswert ist in den häufigsten Fällen (zum Teil erheblich) höher als der Marktwert. Dies gilt insbesondere in wirtschaftlich schwächeren Gebieten, in denen die Marktmieten (als ein großer Bestimmungsfaktor des Marktwerts) von Wohn- oder Gewerbeflächen um das Zwei- bis Dreifache niedriger sein können als in den wirtschaftlich stärksten Gegenden Deutschlands. Die Baukosten (als großer Bestimmungsfaktor des Versicherungswertes) hingegen unterscheiden sich nicht in dieser großen Spanne. Gleichzeitig spielt die Nutzungsart eine Rolle: Einzelhandelsflächen in frequentierten Innenstadtlagen erwirtschaften deutlich höhere Mieten bei nicht so deutlich höheren Baukosten. Der Versicherungswert kann also je nach Gebiet, Standort und Nutzung in der Region des Marktwertes liegen, in den meisten Fällen liegt er gleichwohl über diesem. Eine kleine Verbindung gibt es aber: Der Versicherungswert beeinflusst die Höhe der Prämien, die wiederum im Rahmen der Marktwertermittlung mittels Ertragswertverfahren als Bewirtschaftungskosten in Ansatz gebracht werden (wenn sie vertraglich nicht umgelegt werden). Häufige Fehler aus der täglichen Praxis In der Praxis der Ermittlung von Versicherungswerten sind insbesondere bei Gewerbebauten folgende Fehlerquellen zu beobachten: - zu hoher/zu niedriger Versicherungswert bei Versicherungsbeginn, weil in der Realität nicht in den geplanten Ausmaßen (Flächen) oder der Qualität (der Nutzung) gebaut wurde, - Fortentwicklung von Anfangsfehlern, weil der ungeprüfte Versicherungswert durch Indizes fortgeschrieben wurde und/oder der Index lediglich die Wiederherstellungskosten des historischen Vorbilds abbildet, statt derer der heute üblichen Bauweise, - ungenaue aktuelle Ermittlung bei Heranziehung von veralteten oder mit hohen Spannen versehenen Baukostenangaben in der Literatur, - unklare Abgrenzung von Mietereinbauten und Gebäude des Eigentümers, - Ermittlung nach Aktenlage vom Schreibtisch aus ohne Vor-Ort-Begehung zur Plausibilisierung von Flächen- und Qualitätsangaben, - Nichtberücksichtigung von zwischenzeitlichen Um- und Anbauten, besonders bei älteren Baujahren und schlechter Datenlage, - Abwarten, da die Versicherungssumme in der Regel erst im Schadenfall und damit zu spät thematisiert wird und sich die Anforderungen an den Versicherungsschutz geändert haben können. Derzeit ist dieses Versicherungsthema noch nicht im breiten Fokus angekommen. Eine Unterversicherung wird erst im Schadenfall deutlich und zu hohe Prämien einer Überversicherung müssen regelmäßig beglichen werden. Bei Bestandshaltern sollte das professionelle Asset Management regelmäßig die Versicherungswerte und die Ansprüche und Kosten aufeinander abstimmen. Bei Ankäufen ist die zusätzliche Überprüfung solcher Themen im Rahmen eines Due-Diligence-Prozesses eine marginale zusätzliche Belastung. Auch in Zukunft wird aber eher der Gebäudeeigentümer aktiv werden müssen.

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