Handelsimmobilien

Neue Ansprüche an die Innenstädte in einer alternden Gesellschaft

Menschen und Städte werden alt. Als "alt" werden Städte bezeichnet, welche die Anforderungen der Menschen an sie nicht mehr erfüllen. "Jung" sind Städte dann, wenn sie die gerade herrschenden Erwartungen befriedigen. Städte können sich nie ausruhen, denn die Erwartungen an sie ändern sich ständig: Sie müssen sich neuen Moden, neuen (Verkehrs-) Technologien oder demographischen Entwicklungen anpassen.

Nur junges Publikum angesprochen

In den letzten Jahrzehnten mussten sich die Städte mehrfach gravierend umorientieren. Der kinderreiche Mittelstand hat sich in der verdichteten Stadt nie wohlgefühlt und zog aus. Auch der Einzelhandel fühlte sich nicht immer wohl. Es entstanden Zentren auf der grünen Wiese, die von den Menschen gut angenommen wurden. Vor allem die Mobilität der Bevölkerung durch das Auto hat viele Städte "alt" werden lassen.

Nun droht die demographische Entwicklung der Stadt erneut einen Schlag zu versetzen. Die Gesellschaft wird älter, und damit verschwinden die Bevölkerungsschichten, die traditionell die Innenstädte füllen und für Flair, Lebendigkeit und auch Kaufkraft sorgen. Städte richten sich mit ihrem Angebot überwiegend an jüngere bis mittelalte Gesellschaftsschichten, die mobil sind, gerne einkaufen und stöbern, Trends nachgehen und damit die Städte beleben.

Die Städte sehen derzeit genau so aus, wie diese Bevölkerungsschicht sie benötigt - insofern sind sie "jung". Wenn diese Schichten in Zukunft aber zahlenmäßig abnehmen - ganz zu schweigen von der zurückgehenden Kaufkraft durch Belastungen mit Sozialbeiträgen - dann müssen sich die Städte fragen, ob sie für alternative Nutzerkreise, insbesondere also die Älteren, die einen immer größeren Teil der Bevölkerung ausmachen werden, überhaupt attraktiv sind. Das Problem betrifft Städte in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen - trotz ihrer unterschiedlichen Entwicklungen in den letzten 50 Jahren -, weil das Altenproblem nirgendwo systematisch angefasst worden ist.

Ob die Innenstädte für Ältere geeignet sind, ist Thema eines Forschungsprojektes der TU-Chemnitz. Es geht um die Frage, wie die Innenstadtbereiche in Zukunft ausgestaltet sein müssen, damit sie für ältere Menschen interessant sind. Erste Ergebnisse werden im Folgenden dargestellt.

Die Eckpfeiler: physische Kraft und finanzielle Verhältnisse

Als Dreh- und Angelpunkte des Verhaltens älterer Menschen haben sich die physischen Kräfte der Älteren in Verbindung mit ihren finanziellen Verhältnissen herausgestellt. Ältere Menschen haben wenig Kaufkraft und Ausdauer. Und dies bewirkt eine grundsätzlich andere Vorgehensweise bei der Planung des Innenstadtbesuchs als bei den jüngeren.

Der Innenstadtbesuch beginnt für viele mit der Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Nur diese Anreiseform wurde in der Chemnitzer Studie untersucht. Es zeigt sich, dass eine hohe Frequenz des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) die Entscheidung zu einem Innenstadtbesuch erleichtert.

Dies ist weniger für die Hinreise wichtig, denn sie kann geplant werden, als vielmehr für die Rückreise. Ältere Innenstadtbesucher wollen dann, wenn sie sich körperlich unwohl fühlen und müde werden, schnell wieder zu Hause sein. Wer in einem Zustand zunehmender Erschöpfung noch 30 Minuten auf den Bus warten muss, kommt kein zweites Mal.

Gute Verkehrsanbindung und kurze Wege

Es zeigte sich, dass ÖPNV-Angebote im 15 Minuten-Takt als "gut" bezeichnet werden. 30 Minuten Abstände werden eher kritisch gesehen. Wichtig sind saubere und ungefährliche Straßen und Wege zu den Haltestellen und sichere Einstiegsmöglichkeiten. Ungeräumter Schnee oder schlechte Wege an der Stadtperipherie wirken sich negativ auf die Entscheidung eines Innenstadtbesuches aus.

Grundsätzlich reicht es nicht, die Innenstädte an sich altengerecht zu gestalten. Vielmehr muss die gesamte Strecke von der Wohnung bis zur Innenstadt sicher und leicht zu bewältigen sein. Wer nur mit großem Aufwand den Bus erreicht, hat weniger Kraft für den Innenstadtbummel übrig. Eine ganzheitliche Planung ist erforderlich.

Ein stundenlanges Herumstromern im Gewirr von Gassen und Straßen der Innenstadt versuchen ältere Menschen zu vermeiden. Sie gehen gezielt in die Geschäfte, in denen sie einkaufen wollen. Sie planen die Anfahrt mit dem ÖPNV genau - Ausstiegsort - und suchen sehr kurze Wege. Problematisch ist es, wenn sie verschiedene Dinge kaufen wollen, die es nicht in einem einzigen Geschäft gibt. Liegen die Geschäfte, die sie suchen, nicht dicht nebeneinander, dann werden die Wege zu weit. Die Menschen bevorzugen deshalb Shopping-Malls, in denen die Geschäfte leicht erreichbar nebeneinanderliegen.

In den meisten deutschen Städten gibt es in diesem Punkt Veränderungsbedarf. Die für Ältere attraktiven Geschäfte in der Innenstadt sind nicht ausreichend genug geballt, sondern liegen weit verstreut, was dazu führt, dass der ganze Innenstadtbereich gemieden wird.

Die Rolle der Preise

Wichtig sind aber nicht nur die Wege, sondern auch die Preise. Zwischen den Preisen und den Wegen gibt es eine enge Beziehung, die bisher von den Planern von Innenstädten vielleicht zu wenig beachtet wurden. Menschen mit wenig Kaufkraft suchen sich gezielt Geschäfte mit einem Angebot, das zu ihrer Kaufkraft passt. Wenn diese Geschäfte weit auseinanderliegen, zum Beispiel weil traditionell die höherpreisigen Geschäfte die Innenstädte dominieren und Geschäfte mit niedrigpreisigem Angebot nur hier und da zu finden sind, dann ergeben sich zu weite Wege für die Älteren. Die Menschen meiden dann die Innenstädte, weil sie das Angebot rein physisch nicht erreichen können.

Shopping-Malls sind mit ihrem Angebot sowohl in preislicher als auch in räumlicher Hinsicht besser auf die physischen und finanziellen Verhältnisse der Älteren eingestellt. Aber nicht jede Mall wird von älteren Menschen angenommen. Denn ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Gedränge. Die Erlebnisse dürfen nicht mit großer Hektik verbunden sein. Die eingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit in Verbindung mit der Angst, gestoßen zu werden oder hinzufallen, lässt bei Gedränge und Gewusel ein unangenehmes Gefühl aufkommen. Hektik wird negativ bewertet, und Orte, die bekannt für Hektik sind, werden gemieden.

Ruhemöglichkeiten sind notwendig

Wichtig für Ältere ist es, sich zwischendurch ausruhen zu können. Ein langer Stadtaufenthalt, den sich die Stadtplaner zur Belebung der Innenstädte wünschen, ist für Ältere nur dann möglich, wenn zwischen den Aktivitätsphasen immer wieder Erholungsphasen eingeschoben werden können. Ein weiteres Problem, das bisher von den Stadtplanern zu wenig beachtet wird, ist die Toilettenfrage. Toiletten müssen keine Designeransprüche erfüllen, aber sie sollten bequem erreichbar sind.

Während Toiletten von jüngeren Menschen oft im Zusammenhang mit der Nutzung gastronomischer Einrichtungen aufgesucht werden, sodass die Städte das Toilettenproblem auf die Gastronomie verlagern konnten, gilt dies für die Älteren nicht. Der Toilettenbesuch hängt bei Älteren nicht von irgendeiner spezifischen Tätigkeit ab - er gehört zum Innenstadtbesuch "als solchem". Daraus kann aber nicht zwingend geschlussfolgert werden, dass die öffentlichen Stadtverwaltungen gefordert seien, die notwendigen Anlagen zu erstellen und zu betreiben.

Denn aufgrund der kurzen Wege, welche die Älteren nur bereit sind zu gehen, müssen die Toiletten an ganz bestimmten Stellen, nämlich in der Nähe der besuchten Geschäfte, vorhanden sein. Hier haben aber die Städte zumeist keine eigenen Grundstücke. Es wird in der altengerechten Stadt der Zukunft zu einer Abstimmung der Geschäftsleute untereinander kommen müssen, die auf eigene Kosten Toilettenanlagen betreiben.

Die Rolle der Gastronomie

Ältere Menschen haben zwar wenig Geld; es ist aber nicht so, dass sie gar nichts ausgeben, wenn sie in der Stadt sind. Sie erledigen kleinere Einkäufe und geben auch Geld für eine Tasse Kaffe und ein Mittagessen zwischendurch aus, auch um das eigene Kochen zu sparen. Räumlich gesehen kommen nur Lokale in der unmittelbaren Nähe der Geschäfte in Frage, in denen eingekauft wird.

Grundsätzlich gibt es in den meisten Städten mittlerweile gute Möglichkeiten, "günstig" zu essen. Allerdings ist der größte Teil dieser Angebote auf Jüngere abgestimmt und wird von den Alten abgelehnt. Asia-Snacks, Pizza oder Dönerbuden treffen nicht den Geschmack. Die Gastronomie in den Städten wird sich ganz neue Angebote für Ältere einfallen lassen müssen.

Ältere Menschen wollen nicht im Stehen essen und legen Wert auf eher traditionelle Küche, wobei die Preise niedrig sein müssen. Damit lassen sich hohe Flächenrenditen nicht erwirtschaften. In der altengerechten Innenstadt der Zukunft wird man von den traditionellen Preisvorstellungen für Immobilien Abstand nehmen müssen.

Folgende Schlussfolgerungen für die Weiterentwicklung der Innenstädte in einer alternden Gesellschaft lassen sich ziehen.

Ansprüche an Ausruhmöglichkeiten: In Bezug auf die Kräfte scheint es notwendig zu sein, zwischen den eher mobileren Älteren und den immobileren Älteren zu unterscheiden. Die Kräfte bei den immobileren Älteren reichen für die Anreise und den passiven Aufenthalt. Derartige passive Tätigkeiten haben bei den mobileren Älteren, wie auch in der gesamten Gesellschaft, eher ein negatives Image.

Angebote für mobile und immobile Ältere nötig

Die mobileren Älteren versuchen daher, beim Innenstadtbesuch "auf den Beinen" zu bleiben, um sich von den immobileren abzusetzen. Da die Kräfte gleichwohl begrenzt sind, führt dies zu einer Verkürzung der Verweilzeit in der Innenstadt. Städte, welche den Aufenthalt der Älteren erhöhen wollen, müssen daher für attraktive Ruhepunkte sorgen, die so beschaffen sein müssen, dass nicht der Eindruck entsteht, als seien es die "Abstellplätze" für die Immobilen.

Geschäftsleute müssen Ensembles schaffen: Ältere Bürger versuchen, unnötige Wege so weit wie möglich zu vermeiden. Dieser Aspekt stellt eine absolute, harte, unumstößliche Restriktion dar. Wer erschöpft ist, will auch nicht einen Meter mehr weiter laufen. Und wer bei einem Innenstadtbesuch einmal am Ende seiner Kräfte war, versucht, kein zweites Mal in eine ähnliche Lage zu kommen.

Das bedeutet, dass alle die Einrichtungen, die von den Älteren aufgesucht werden sollen, unmittelbar nebeneinander liegen müssen. Langgezogene oder zu breite Einkaufsstraßen und zu große Plätze sind zu vermeiden. Erfolgreiche Malls können als Vorbild dienen. Die Stadtverwaltungen können aufgrund des Privateigentums an den Immobilien wenig von sich aus ausrichten. Die Geschäftsleute müssen den Realitäten im Wesentlichen selbst ins Auge sehen und anfangen, koordiniert zu handeln. Die Toilettenfrage: Die Bedeutung sanitärer Einrichtungen wird häufig unterschätzt. Probleme mit fehlenden Toiletten gehören zu den sehr unangenehmen persönlichen Erlebnissen, die sich tief in das Gedächtnis einprägen und unter allen Umständen in Zukunft vermieden werden. Ein fehlendes Angebot von Toiletten genau an den Plätzen, die Ältere aufsuchen würden, wirkt sich unmittelbar reiseverhindernd und umsatzmindernd aus.

Ballung von Billigläden und soziale Probleme: Ältere bevorzugen aufgrund der geringen Kaufkraft Geschäfte mit vergleichsweise niedrigem Preisniveau. Wenn es aus den Gründen, die oben erläutert wurden, zu einer räumlichen Ballung von Billigläden kommt, entsteht leicht die Gefahr der Bildung von abrutschenden Schmuddelecken. Die Malls haben dieses Problem erkannt und im Griff. Die Städte müssen den Umgang mit Ballungen von Niedrigpreisgeschäften erst noch lernen. Gerade in den Straßen und Plätzen mit Billigläden muss für ein attraktives Stadtbild und Sicherheit gesorgt werden, da ältere Menschen viel mehr als jüngere gerade darauf achten.

Tendenziell rückläufige Flächenrenditen

Abnehmende Flächenrenditen rechtzeitig einplanen: Ältere haben aufgrund von Wahrnehmungsproblemen und der Angst, gestoßen zu werden und zu stürzen, Angst vor Enge und Gedränge. Pro Kaufakt benötigen sie mehr Platz als jüngere, sowohl in den Straßen als auch in den Läden, sodass sich die Umsätze pro Flächeneinheit verringern.

Städte, die sich auf ältere Mitbürger einstellen, müssen mit abnehmenden Flächenumsätzen rechnen, was Auswirkungen auf das Mietenniveau haben wird. Immobilieninvestoren sollten diese Effekte rechtzeitig einkalkulieren. Es wäre dramatisch, wenn der notwendige Umbau der Innenstädte hin zu altengerechten Strukturen nur dadurch verzögert würde, dass Investoren die zurückgehenden Flächenmieten auch in A-Lagen nicht wahrhaben wollen.

ÖPNV, Peripherie und Innenstadt ganzheitliche Betrachtungsweise nötig: Eine wichtige Rolle spielt schließlich der Nahverkehr. Ältere Bürger kalkulieren ihren Innenstadtbesuch inklusive Anreise. Kräfte, die auf der Anreise verbraucht werden, stehen in der Innenstadt nicht mehr zur Verfügung. Dies sowie die Ängste vor dem Hinfallen bewirken, dass die Qualität der Anreise einen enormen Stellenwert für den Innenstadtbesuch bekommt; ganz im Gegensatz zu den jüngeren, bei denen diese Aspekte überhaupt keine Rolle spielen. Innenstadtbesuche von Älteren müssen deshalb ganzheitlich gesehen werden. Die An- und Abreise muss von den Planern mit eingeschlossen werden.

Prof. Dr. Friedrich Thießen , Professur für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre, Technische Universität Chemnitz
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