Vergaberecht

Neue Sektorenverordnung - Erfahrungen nach einem Jahr

Am 29. September 2009 trat die neue SektVO in Kraft. Hinter dem vom zuständigen Bundesministerium für Wirtschaft bewusst launig gewählten Namen steckt die Verordnung über die Vergabe von Aufträgen im Bereich des Verkehrs, der Trinkwasserversorgung und der Energieversorgung (Sektorenverordnung).

Abkehr von der Kaskade

Mit der SektVO wurde die bisherige Zersplitterung des Vergaberechts im Sektorenbereich im 3. und 4. Abschnitt der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A - Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen (VOB/A) und der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen Teil A - Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen (VOL/A) beendet und durch ein einheitliches Sektorenvergaberecht ersetzt. Anstelle der bisher geltenden Rechtskaskade aus Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung (GWB), Vergabeverordnung (VgV) und Verdingungsordnungen gelten im Sektorenbereich seither nur noch das GWB und die SektVO.

Die SektVO ist damit eine Kampfansage des Bundesministeriums für Wirtschaft an die ungeliebten Vergabeausschüsse. Das Bundesministerium für Wirtschaft wollte beweisen, dass die Normsetzung durch die Vergabeausschüsse bezüglich der Verdingungsordnungen weder schneller ist noch zu besseren Ergebnissen führt als die Normgebung durch den Gesetzgeber.

Dies ist zweifellos gelungen, denn die neue SektVO überzeugt: Die Vorschriften sind kompakt, übersichtlich und auch nicht für Nicht-Juristen verständlich formuliert. Die SektVO könnte daher dazu beitragen, dass auch außerhalb des Sektorenbereichs noch einmal ein neuer Reformanlauf für das zersplitterte und unübersichtliche Vergaberecht unternommen wird.

Zur Anwendung der SektVO verpflichtet sind Auftraggeber nach § 98 Nr. 1 bis 4 GWB, wenn sie auf dem Gebiet der Trinkwasser- oder Energieversorgung oder des Verkehrs tätig sind. Auftraggeber nach § 98 Nr. 1 bis 4 GWB sind:

- die sogenannten klassischen öffentlichen Auftraggeber, also Bund, Länder und Gemeinden;

- die von ihnen gegründeten Verbände und zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gegründeten öffentlichen Gesellschaften;

- Privatunternehmen, wenn sie ihre Tätigkeiten in den genannten Sektoren auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausüben oder öffentlich beherrscht werden. Dies betrifft zum Beispiel viele Energieversorger, Wasserversorger, Flughafenbetreiber, öffentlich beherrschte Hafenbetreiber und Auftraggeber im Bereich Verkehrsleistung - so unter anderem die DB Netz AG oder andere Betreiber von Schienen- oder Busnetzen.

Tätigkeiten auf dem Gebiet der Trinkwasser- oder Energieversorgung sind das Bereitstellen und Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit Erzeugung, Transport und Verteilung von Trinkwasser, Elektrizität, Gas oder Wärme. Tätigkeiten auf dem Gebiet des Verkehrs sind die Bereitstellung von öffentlichen Flughäfen und Häfen, das Erbringen von Verkehrsleistungen und die Bereitstellung oder das Betreiben von Infrastruktureinrichtungen zur Versorgung der Allgemeinheit im öffentlichen Personenverkehr.

Rechtslage außerhalb des Sektorenbereichs

Interessant ist ein Blick auf die sich für den Einkauf für sektorfremde Tätigkeiten ergebenden Konsequenzen: Während Auftraggeber nach § 98 Nr. 4 GWB dort gar kein Vergaberecht anwenden müssen, sind Auftraggeber nach § 98 Nr. 1 bis 3 GWB außerhalb des Sektorenbereichs zur Beachtung der strengeren Vorschriften des normalen Vergaberechts verpflichtet. Dieser Befund überrascht nur auf den ersten Blick. während die (privaten) Auftraggeber nach §98 Nr. 4 GWB überhaupt nur wegen ihrer Sektorentätigkeit zur Anwendung des Vergaberechts verpflichtet werden, bedeutet die Möglichkeit der Anwendung der SektVO für die anderen Auftraggeber eine Privilegierung gegenüber der sie ansonsten treffenden Verpflichtung zur Anwendung des normalen Vergaberechts. Fällt diese weg, müssen sie sich wieder nach den normalen vergaberechtlichen Regeln richten.

Die SektVO gilt nur für Aufträge, die die durch die EG festgelegten, im Zweijahresturnus (das letzte Mal zum 1. Januar 2010) angepassten Schwellenwerte erreichen. Diese liegen für Aufträge im Sektorenbereich derzeit bei netto 387000 Euro für Liefer- und Dienstleistungsaufträge und netto 4,845 Millionen Euro für Bauaufträge.

Wesentliche Bestimmungen

Ausdrücklich klargestellt wird, dass die SektVO auch für freiberufliche Dienstleistungen gilt, womit die bisherige Regelungslücke im Sektorenbereich geschlossen wird. Anders als bis zum Inkrafttreten der SektVO haben alle Sektorenauftraggeber die freie Wahl zwischen den verschiedenen Verfahrensarten des Vergaberechts, solange sie eine Bekanntmachung im Amtsblatt der EU veröffentlichen. Sie können also wählen, ob sie das offene Verfahren bevorzugen und allen geeigneten Unternehmen die Möglichkeit geben, ein Angebot abzugeben, oder ob sie zunächst die am besten geeigneten Bieter in einem Teilnahmewettbewerb auswählen und sodann ein nichtoffenes Verfahren oder ein Verhandlungsverfahren durchführen. Da Auftraggeber nur im Verhandlungsverfahren über Preise verhandeln dürfen, ist davon auszugehen, dass sie diese Verfahrensart auch weiterhin bevorzugen werden.

Hinsichtlich der Leistungsbeschreibung ist neu, dass von den Bietern Angaben zum Energieverbrauch wie auch zu den Umwelteigenschaften der von ihnen angebotenen Produkte verlangt werden können. Natürlich muss die Ausschreibung auch weiterhin produktneutral erfolgen. Ist dies ausnahmsweise nicht möglich, müssen die vorgegebenen Produkte zumindest mit dem Zusatz "oder gleichwertig" versehen werden, damit ein Zuschneiden des Auftrags auf bestimmte Unternehmen nicht möglich ist.

Anpassungen an moderne Kommunikationswege

Wie auch bisher schon sind Auftraggeber berechtigt, Rahmenvereinbarungen abzuschließen. Neu ist die Möglichkeit, marktübliche Liefer- und Dienstleistungen durch sogenannte dynamische elektronische Verfahren zu beschaffen. Diese ermöglichen es, Einzelangebote vereinfacht per Internet einzuholen.

Auftraggeber sind grundsätzlich verpflichtet, die Absicht zur Durchführung eines Vergabeverfahrens europaweit bekannt zu machen, damit Unternehmen die Möglichkeit haben, sich dann noch zu beteiligen. Unter bestimmten Voraussetzungen - zum Beispiel besondere Dringlichkeit oder positive Kenntnis, dass der Auftrag nur von einem bestimmten Unternehmen erfüllt werden kann - entfällt diese Verpflichtung. Der Auftraggeber kann sich dann direkt an ein Unternehmen wenden und mit diesem Vertragsverhandlungen durchführen.

Der Auftraggeber kann auftragsbezogene und willkürfreie Eignungskriterien festsetzen, um unter den in Betracht kommenden Unternehmen eine Vorauswahl zu treffen. Auch bei der Wahl der Zuschlagskriterien ist der Auftraggeber grundsätzlich frei, solange diese objektiv und diskriminierungsfrei ausgewählt werden. Zuschlagskriterien können zum Beispiel sein Lieferfrist, Ausführungsdauer, Betriebskosten, Rentabilität, Qualität, Ästhetik, Zweckmäßigkeit, Umwelteigenschaften, technischer Wert, Energieverbrauch und Preis. Wenn der Auftraggeber einen reinen Preiswettbewerb durchführen möchte, ist es auch zulässig, als Zuschlagskriterium ausschließlich den niedrigsten Preis festzusetzen.

Im Interesse eines gesunden Wettbewerbs sind ungewöhnlich niedrige Angebote auszuschließen. Bei Lieferaufträgen können auch solche Angebote ausgeschlossen werden, deren Warenanteil zu mehr als 50 Prozent des Gesamtwertes aus Staaten stammt, die nicht Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraumes sind.

Der Auftraggeber muss die unterlegenen Unternehmen spätestens 15 Tage vor Vertragsabschluss über seine Zuschlagsabsicht informieren, damit diese die Möglichkeit haben, ihre Rechtsschutzmöglichkeiten zu prüfen und gegebenenfalls wahrzunehmen. Bieter haben die Möglichkeit, Ausschreibungen nach der SektVO durch die Vergabekammern und die Vergabesenate bei den Oberlandesgerichten nachprüfen zu lassen. Rechtsschutz im weiteren Sinne kann auch durch eine Beschwerde bei der EU-Kommission erreicht werden. Eine solche Beschwerde kann dem Beschwerdeführer in der Regel zwar nicht den Auftrag verschaffen, aber immerhin dafür sorgen, dass die Rechtswidrigkeit eines bestimmten Verhaltens des Auftraggebers festgestellt wird.

Viel Lob und Hoffnung auf Vorbildfunktion

Die neue SektVO ist von den Rechtsanwendern durchweg positiv aufgenommen worden. Gelobt wird die Beschränkung der Bestimmungen auf das Wesentliche, die (gemessen an der Schwierigkeit der Materie) verständliche Formulierung der Vorschriften und die Tatsache, dass es im deutschen Vergaberecht erstmals gelungen ist, die Vergabe von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen anwenderfreundlich in einer einzigen Verordnung zu regeln. Es wäre wünschenswert, wenn dies auch in anderen Bereichen des unnötigerweise zersplitterten Vergaberechts gelingen würde.

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